Das OLG Frankfurt hat mit Hinweisbeschluss vom 14.05.2020 (Az.: 6 U 155/19) festgestellt, dass ein Verkäufer, der einen Pkw versehentlich zum Sofortkauf-Preis von einem Euro auf eBay einstellt, dem Käufer keinen Schadensersatz leisten muss. Die Internetplattform eBay ist nicht nur eines der beliebtesten Examensthemen im BGB AT und Schuldrecht, sondern findet – da diverse Probleme des Vertragsschlusses, des Schuldrecht AT oder des Gewährleistungsrechts abgeprüft werden können – auch immer wieder Einzug in Zwischenprüfungsklausuren. Die Entscheidung soll daher zum Anlass genommen werden, Grundprobleme des Zivilrechts unter Fokussierung des Vertragsschlusses bei eBay darzustellen und zu erläutern.
A) Sachverhalt
Auf der Internetauktionsplattform eBay bot der V einen BMW 318d, Erstzulassung April 2011, Laufleistung 172.000 km, mit einem Wert von ca. 13.000 Euro an. Nach ausführlicher Beschreibung des Fahrzeugs und der Ausstattung formulierte er: „Preis: Euro 1,00“ sowie: „Fahrzeug muss innerhalb drei Tagen noch Auktionsende – vom Höchstbietenden abgeholt und bar vor Ort gezahlt werden…, Sofortkaufangebote sind gerne erwünscht.“ Versehentlich legte der V den Preis von einem Euro jedoch nicht als Starpreis der Auktion, sondern als Sofortkauf-Preis fest. Der K stieß auf das Inserat, bot einen Euro und erhielt automatisiert den Zuschlag. Vor regulärem Ende der Auktion beendete der V manuell die Auktion und wies den K darauf hin, dass der Preis von einem Euro als Start- und nicht als Sofortkaufpreis gemeint gewesen sei. Zu einem Verkauf für einen Euro sei er keinesfalls bereit. K sah dies nicht ein; schließlich sei die Summe von einem Euro ausdrücklich als Sofortkauf-Preis und nicht als Gebotsuntergrenze ausgewiesen. Er begehrt nunmehr Schadensersatz in Höhe von 13.000 Euro, die er für ein vergleichbares Fahrzeug aufbringen müsste.
B) Rechtsausführungen
Die Entscheidung des Landgerichts (Urt. v. 18.07.2019, Az. 2-20 O 77/18), das die Klage abgewiesen hatte, ist rechtskräftig, nachdem der klagende Käufer nach einem Hinweisbeschluss des OLG Frankfurt (Hinweisbeschl. v. 14.05.2020, Az. 6 U 155/19) seine Berufung zurückgenommen hatte. Doch der Reihe nach:
I. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB
Den Verkäufer trifft die Pflicht, die von ihm angebotene Ware zu liefern. Er hat den Kaufgegenstand gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 BGB zu übergeben und zu übereignen. Tut er dies nicht, so kann der Käufer unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB verlangen. Der Schaden bemisst sich nach der Differenzhypothese und beträgt grundsätzlich den Wert des Kaufgegenstandes abzüglich des Kaufpreises. Ein Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz statt der Leistung in Höhe von 13.000 Euro könnte sich also aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB ergeben.
Achtung: Zwar geht es hier um einen Kaufvertrag, jedoch greift – mangels Anwendungsbereichs – nicht das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht. Damit ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB hergeleitet werden kann, ist ein Mangel bei Gefahrübergang erforderlich. Im vorliegenden Fall geht es aber um eine Nichtleistung vor Gefahrübergang, sodass die Grundsätze des Schuldrecht AT Anwendung finden.
1. Schuldverhältnis
Dies setzt zunächst das Vorliegen eines Schuldverhältnisses voraus. Vorliegend kommt ein vertragliches Schuldverhältnis in Form eines Kaufvertrags i.S.v. § 433 BGB in Betracht. Ein solcher verlangt eine Einigung, also zwei übereinstimmende, in Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen. Ein Vertragsschluss bei eBay richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen, d.h. ein Vertrag kommt durch Angebot und Annahme gemäß den §§ 145 ff. BGB zustande – nicht etwa durch Zuschlag nach § 156 BGB, da eBay-Auktionen keine Versteigerungen i.S.d. Norm darstellen. Dabei handelt es sich bereits bei dem Erstellen einer Auktion auf eBay bzw. beim Einstellen eines Sofortangebots um ein verbindliches Angebot, das durch die Bestellung des Kunden angenommen wird, so dass in diesem Moment der Vertrag geschlossen ist (also unmittelbar bei der Option „Sofort-Kaufen“) oder mit Zeitablauf einer Auktion zustande kommt (s. zum Zustandekommen eines Vertrags über die Sofort-Kaufen-Option auch unseren Beitrag). Dies ergibt sich aus den AGB von eBay, die zwar zwischen Käufer und Verkäufer nicht unmittelbar gelten, aber nach h.M. bei der Auslegung der Willenserklärungen zu berücksichtigen sind (s. hierzu BGH, Urt. v. 15.2.2017, Az.: VIII ZR 59/16).
Nach diesen Maßstäben hat der V zweifelsohne durch Einstellen des Autos auf der Plattform eBay ein verbindliches Angebot abgegeben. Jedoch ist problematisch – und Schwerpunkt der vorliegenden Entscheidung –, ob er ein Angebot für einen Sofortkauf des Pkw für einen Euro oder für die Option „Auktion“ mit dem Startgebot in Höhe von einem Euro abgegeben hat. Die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen erfolgt gemäß §§ 133, 157 BGB nach Maßgabe des objektiven Empfängerhorizonts; das heißt, zu prüfen ist, wie sich das Angebot aus der Sicht eines verständigen, objektiven Betrachters darstellt. Hiervon ausgehend durfte der K die Preisangabe von einem Euro nach Ansicht des OLG Frankfurt nicht als Angebot zum Sofortkauf-Preis von einem Euro auffassen. Das Gericht erachtet die Auslegung der Willenserklärung des V nach dem objektiven Empfängerhorizont insofern als „eindeutig“: Er müsse sich nicht daran festhalten lassen, dass ihm bei der Eingabe seines Angebots ein Fehler unterlaufen sei, indem er versehentlich den Sofortkauf-Preis und nicht den Starpreis der Auktion festgelegt habe. Vielmehr sei aus dem Kontext klar ersichtlich, dass eine Versteigerung gewollt gewesen sei. Damit liege schon kein Sofortkauf-Angebot vor, das angenommen werden könnte.
Anmerkung: Unterstellt man eine wirksame Einigung, wäre in einem zweiten Schritt eine mögliche Nichtigkeit nach § 142 Abs. 1 BGB infolge einer Anfechtung seitens des V zu prüfen. Dass wirksam angefochten werden könnte, hat auch das OLG Frankfurt betont: Indem V gegenüber dem K erklärt habe, dass der Preis als Startpreis, nicht als Sofortkauf-Preis gemeint gewesen sei und die Transaktion abgebrochen habe, habe er konkludent die Anfechtung erklärt. In einer Klausur wäre sodann schwerpunktmäßig zu diskutieren, welcher Anfechtungsgrund – Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB oder Erklärungsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB – in Betracht kommt. Geklärt werden müsste also, ob der Fehler bereits auf der Ebene der Willensbildung (dann Inhaltsirrtum) oder bei der Vornahme der Erklärungshandlung, also etwa durch Vertippen / Verklicken (dann Erklärungsirrtum), erfolgt ist – hierzu bedürfte es ergänzender Hinweise im Sachverhalt. Auch über den Schadensersatzanspruch des § 122 Abs. 1 BGB könnte dann aber keine Zahlung der 13.000 Euro verlangt werden, denn hiernach wird lediglich das negative und nicht das positive Interesse ersetzt.
2. Zwischenergebnis
Mithin liegt schon kein wirksamer Kaufvertrag und damit kein Schuldverhältnis zwischen den Parteien vor.
II. Ergebnis
Ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB scheidet infolgedessen aus.
C) Fazit
In summa: Wenn ein eBay-Verkäufer ein Auto zum Sofortkauf für einen Euro anbietet, muss er dem Verkäufer keinen Schadensersatz leisten, sofern nach der Auslegung der Willenserklärung vom objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB offensichtlich ist, dass es sich um ein Auktionsstartgebot und nicht um einen Sofortkauf-Preis handelt. Wer sich in einer entsprechenden Klausur also direkt auf die Anfechtung der Willenserklärung stürzt, der verkennt, dass der Auslegung stets Vorrang gebührt. Ergibt diese bereits einen Versteigerungswillen, verbleibt für die Anfechtung kein Raum. Unklar bleibt freilich, ab welchem Preis auf einen „offensichtlichen“ Versteigerungswillen trotz versehentlicher Wahl der Sofortkauf-Option zu schließen ist, ist doch – auch vom BGH –anerkannt, dass durch die Nutzung der Plattform eBay ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bewusst in Kauf genommen wird (hierzu beispielhaft BGH, Urt. v. 12.11.2014, Az.: VIII ZR 42/14).
Schlagwortarchiv für: objektiver Empfängerhorizont
Wir freuen uns nachfolgend einen Gastbeitrag von Daniel Sander veröffentlichen zu können. Der Autor hat im Januar 2015 das erste Staatsexamen an der Philipps Universität Marburg abgeschlossen und ist derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer internationalen Wirtschaftskanzlei im Bereich Bankaufsichts- und Kapitalmarktrecht in Frankfurt am Main tätig.
Im Folgenden soll ein Themenkomplex behandelt werden, der nicht nur für sich selbst jedem Examenskandidaten bekannt sein sollte, sondern der allgemein die Systematik des Systems der Kondiktionen in umfänglicher Weise abbildet und deshalb auch abstrakt gesehen zum juristischen Allgemeinwissen gehört. Die Rede ist von sog. Bankanweisungsfällen.
I. Problemaufriss
Das Charakteristikum und zugleich auch die Schwierigkeit von Bankanweisungsfällen ist die Tatsache, dass ein Bankanweisungsfall nicht ein Zwei-, sondern ein Mehrpersonenverhältnis betrifft.
Beteiligt sind neben dem Anweisenden und dem Empfänger der Überweisung auch die jeweiligen Banken. Aus der Vielzahl der so vorliegenden Rechts- und vor Allem Leistungsverhältnisse resultieren Probleme, zu denen mittlerweile eine umfangreiche Kasuistik vorliegt, die auch in der Praxis stets eine bedeutende Rolle spielt.
II. Die Ausgangssituation
Liegt in keinem der Kausalverhältnisse ein Fehler vor und verhalten sich alle Beteiligten ordnungsgemäß, stellt sich die Abwicklung so dar, dass sich in einem ersten Schritt der Anweisende, sei es als Schenkung oder auf Grund eines Kaufvertrages, dazu entschließt, dem Empfänger der Überweisung einen Geldbetrag zukommen zu lassen. Hierzu wendet er sich an seine eigene Bank und erteilt ihr den Auftrag, die Überweisung zu tätigen. Die Bank überweist dem Empfänger sodann den Betrag auf dessen Konto bei der Empfängerbank. Zum Ausgleich belastet die Bank des Anweisenden dessen Konto mit dem überwiesenen Betrag. Auf Empfängerseite geht nun die Überweisung bei der Empfängerbank ein. Diese schreibt den Betrag umgehend dem Empfänger auf seinem Konto gut.
In dieser Konstellation bestehen zwei Leistungsverhältnisse:
1. Anweisender und Anweisungsbank
Der Anweisende beauftragt seine Bank (die „Anweisungsbank“), die Überweisung zu tätigen. Die Anweisungsbank erfüllt mit der Überweisung eine Verpflichtung aus dem zwischen ihr und dem Anweisenden bestehenden Zahlungsdienstevertrag und „leistet“ so an ihn. Dieses Rechtsverhältnis wird, weil die Anweisungsbank aus diesem Verhältnis den Gegenleistungsanspruch, also die „Deckung“ ihrer Aufwendungen, erwirbt, als Deckungsverhältnis bezeichnet.
2. Anweisender und Zahlungsempfänger
Ein weiteres Leistungsverhältnis besteht in der Abwicklung des Geschäfts, also der Überweisung an den Zahlungsempfänger durch die Anweisungsbank.
Zunächst ist es wichtig zu sehen, dass die Bank des Empfängers lediglich als Abwicklungsstelle fungiert und im konkreten Fall an den Leistungsverhältnissen nicht partizipiert. Ferner fällt auf, dass – obwohl der Anweisende zur Zahlung an den Empfänger verpflichtet ist – die Überweisung letztlich und eigentlich von der Anweisungsbank ausgeführt wird. Augenscheinlich ist demnach problematisch -und in der Klausur zu bestimmen- zwischen wem hier eigentlich ein Leistungsverhältnis besteht. Betrachtet man die eigentliche Ausführung der Zahlung, so müsste die Anweisungsbank Leistender sein. Nach den allgemeinen Prinzipien des Zivilrechts ist aber der Leistende nach Maßgabe des objektiven Empfängerhorizontes zu bestimmen.
Kein Kontoinhaber wird nämlich davon ausgehen, dass ein Zahlungseingang auf seinem Konto rechtstechnisch von der Anweisungsbank stammt (diese wäre auf einem Kontoauszug ohnehin nur als kontoführende Bank des Kontoinhabers genannt). Für die weit überwiegende Zahl der Zahlungsempfänger dürfte vielmehr klar sein, dass die Zahlung von dem Anweisenden stammt, also der Person, die letztlich auf dem Kontoauszug auch als Auftraggeber erkennbar ist (und mit der auch im Vorfeld die entsprechende Zahlungsverpflichtung vereinbart worden ist). Insoweit ist nach dem objektiven Empfängerhorizont also der Anweisende Leistender und das Leistungsverhältnis besteht zwischen dem Anweisenden und dem Empfänger.
Weil demnach der Anweisende als Leistender zu sehen ist, wirkt die Überweisung wie eine Zuwendung seinerseits. Dieses Rechtsverhältnis wird deshalb als Valutaverhältnis oder auch Zuwendungsverhältnis bezeichnet und bildet den Rechtsgrund für die Leistung.
3. Zwischenergebnis
Nach dem eben Gesagten bestehen in einem Bankanweisungsfall regelmäßig zwei Leistungsverhältnisse:
- Anweisender und Anweisungsbank
- Anweisender und Zahlungsempfänger
Liegt in keinem dieser Leistungsverhältnisse ein Fehler vor, besteht ein Rechtsgrund für die erbrachten Leistungen. Eine Rückabwicklung kommt nicht in Frage.
Anders sieht es dagegen aus, wenn im Deckungs- oder im Valutaverhältniseine eine Störung auftritt.
III. Fehlender Anspruch im Valutaverhältnis
Der denkbar einfachste Fall der Störung eines der Leistungsverhältnisse ist das Fehlen eines wirksamen Anspruchs im Valutaverhältnis. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Anweisende seine Bank zunächst (durch Ausfüllung eines Überweisungsträgers) zu einer Überweisung anweist, um so eine vertragliche Zahlungsverpflichtung zu erfüllen, die dann aber im Nachhinein wegfällt (z.B. nach einer erfolgreichen Anfechtung).
Getreu dem zentralen Grundsatz des Rechts der Kondiktionen, nach dem die Rückabwicklung jeweils im gestörten Leistungsverhältnis stattzufinden hat (sog. Abwicklung über’s Eck), ergibt sich somit, dass lediglich im Verhältnis des Zahlungsempfängers zum Anweisenden eine Rückabwicklung vorzunehmen ist. Da die Überweisung ohne Rechtsgrund erfolgte, hat der Zahlungsempfänger dem Anweisenden den Betrag zurückzuerstatten.
IV. Fehlende Anweisung
Eine Rückabwicklung kommt aber auch in Frage, wenn eine Störung im Deckungsverhältnis eingetreten ist, also gar keine wirksame Anweisung des vermeintlich Anweisenden vorliegt.
In Betracht kommen vor allem das ursprüngliche Fehlen einer Anweisung, die doppelte Ausführung einer an sich bestehenden Anweisung, die Geschäftsunfähigkeit des Anweisenden und die Ausführung der Überweisung trotz Widerrufs der Anweisung.
Allen diesen Konstellationen ist gemeinsam, dass die Leistungsverhältnisse plötzlich nicht mehr so klar erkennbar sind, wie dies in der Ausgangssituation noch der Fall war. Das Hauptaugenmerk, und darauf wird auch der Korrektor in der Klausur besonders achten, ist deshalb darauf zu legen, welche Leistungsbeziehungen nun bestehen, wer an diesen beteiligt ist und ob der Grundsatz der „Abwicklung über’s Eck“ im Einzelfall als Ergebnis dieser Bewertung zu durchbrechen ist.
1. Objektiver Empfängerhorizont
Geht man, wie bereits oben erwähnt, im Rahmen der Bestimmung des Leistenden den dogmatisch richtigen Weg über den objektiven Empfängerhorizont, spielen wegen der vorrangigen Bedeutung der objektiven Erkennbarkeit, der Betrachtung aus der Laiensphäre und generellen Zurechnungsaspekten ganz augenscheinlich Einzelfallerwägungen eine erhebliche Rolle. Letztlich ist in jeder Bearbeitung genau zu untersuchen, wie das Handeln in den Augen eines (möglicherweise rechtsunkundigen) Betrachters zu bewerten ist und inwiefern der Anweisende sich die einer wirksamen Anweisung ermangelnde Überweisung zurechnen lassen muss.
2. Die Rechtsprechung des BGH
Bezüglich all dieser Konstellationen des Fehlens einer wirksamen Anweisung hat der BGH in langjähriger Rechtsprechung die dogmatisch notwendige Bewertung mehrmals selbst vorgenommen und insoweit Fallgruppen gebildet, in denen in der Tat eine Abwicklung über’s Eck abzulehnen ist.
a) Das anfängliche Fehlen einer Anweisung
Fehlt bereits von Beginn an eine wirksame Anweisung, hat der vermeintlich Anweisende also überhaupt keinen Auftrag erteilt, so sind 3 Fälle zu unterscheiden, die freilich im Ergebnis in gleicher Weise zu lösen sind:
aa) Ist dem Empfänger die Tatsache, dass der Anweisende gar keine Anweisung getätigt hat, nicht bekannt, so genießt er grundsätzlich Vertrauensschutz. Nun widerspräche es allerdings elementaren Prinzipien der Zurechnungslehre, wenn der Anweisende sich an einer Zahlung, die er in keinster Weise verursacht hat, festhalten lassen müsste. Aus dieser Erwägung heraus folgt das einzig vertretbare Ergebnis, nämlich dass der vermeintlich Anweisende nicht als Leistender zu betrachten ist.
bb) Ist dem Empfänger das Fehlen der Anweisung bekannt, so fällt sogar das Argument des Vertraunsschutzes weg. Auf Seiten des Empfängers besteht kein Schutzbedürfnis. Der Fall ist demnach genauso zu behandeln wie die fehlende Kenntnis (aa).
cc) Die gleiche Wertung ist vorzunehmen, wenn eine gefälschte, nicht vom Anweisenden ausgestellte, Anweisung vorliegt. Erneut ist laut BGH der Anweisende schutzwürdig und deshalb nicht als Leistender anzusehen.
dd) Problematisch ist in allen drei Varianten, dass aber auch die Bank nicht als Leistender betrachtet werden darf, weil sie ganz offensichtlich gegenüber dem Empfänger keine Leistung erbringt.
Somit kommt nur eine (direkte) Nichtleistungskondiktion der Bank gegen den Zahlungsempfänger in Betracht. Der Grundsatz der Abwicklung über’s Eck wird also in allen drei Fällen durchbrochen.
b) Die mehrfache Ausführung der Überweisung
Überweist die Anweisungsbank trotz nur einmal vorliegender Anweisung mehrmals den Geldbetrag an den Empfänger, so ist auch dieser Rechtsschein dem Anweisenden laut BGH nicht zurechenbar, was vor allem auf der Erwägung aufbaut, dass seitens des Empfängers das Vertrauen auf die Richtigkeit einer mehrmals ausgeführten Überweisung, anders als unter cc), nicht schützenswert ist, da für ihn erkennbar ist, dass die zweite Überweisung ihm nicht zusteht. Insoweit gilt das zur von Anfang an fehlenden Anweisung Gesagte entsprechend
c) Geschäftsunfähigkeit des Anweisenden
Auch wenn der Anweisende tatsächlich eine Anweisung tätigt, bei diesem Rechtsgeschäft aber geschäftsunfähig ist, kannt ihm dies nach allgemeinen Grundsätzen nicht zugerechnet werden, sodass er nicht als Leistender anzusehen ist. Diese Lösung basiert auf dem Gedanken, dass Geschäftsunfähige für ihre Handlungen nicht verantwortlich und aufgrund dieser gesetzlichen Wertung um jeden Preis zu schützen sind. Auch in diesem Fall erfolgt also eine (direkte) Nichtleistungskondiktion zwischen Anweisungsbank und Zahlungsempfänger.
d) Fehlerhafte Ausführung durch die Anweisungsbank
Gänzlich anders hat der BGH jedoch entschieden, wenn die Bank aufgrund einer tatsächlich vorliegenden Anweisung entweder einen zu hohen Betrag überweist oder einen vorher ergangenen Widerruf des Anweisenden nicht beachtet.
aa) Hierzu führt der BGH aus, dass in einer solchen Konstellation die ursprünglich erteilte Anweisung zu einer Zurechnung des Fehlverhaltens der Bank zu Lasten des Anweisenden führt. Somit ist hier der Anweisende als Leistender anzusehen. Eine Rückabwicklung ist deshalb zunächst zwischen dem Anweisenden und dem Empfänger vorzunehmen. Die Bank hat gegen den Empfänger keinen Direktanspruch. Will sie den überwiesenen Betrag zurückerhalten, muss sie sich nach den oben genannten Grundsätzen, nach denen sie mit der Überweisung nur im Verhältnis zum Anweisenden eine Leistung erbracht hat, an den Anweisenden halten. Der Anweisende muss somit das durch die Leistung Erlangte herausgeben. In Ermangelung einer Tilgungsbestimmung oder eines überhaupt erfüllbaren Anspruchs gegenüber dem Empfänger hat der Anweisende im Ergebnis lediglich den Bereicherungsanspruch gegen den Empfänger erlangt. Die Bank des Anweisenden kann also nur diesen Bereicherungsanspruch kondizieren (Kondiktion der Kondiktion).
bb) Als Ausnahme ist jedoch anzumerken, dass im Falle der Kenntnis des Empfängers von dem Fehler der Bank eben jener nicht schutzwürdig ist und deshalb auch hier der Anweisende nicht als Leistender anzusehen sein kann. Wie im Falle der von Anfang an fehlenden Anweisung ist hier eine (direkte) Nichtleistungskondiktion der Bank zuzulassen.
3. Zwischenergebnis
Anhand dieser Ausführung sollte klar geworden sein, dass der BGH den Grundsatz der Rückabwicklung über’s Eck nicht stur anwendet, sondern – und das sollte auch der Bearbeiter einer Klausur tun – stets eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten vornimmt, um zu einem (mehr oder weniger) gerechten Ergebnis zu gelangen.
V. Fazit
Ob man die Wertentscheidungen des BGH so wie sie soeben dargelegt wurden übernehmen möchte, bleibt letztlich jedem selbst überlassen. Auch in der Literatur sind die vom BGH gebildeten Fallgruppen nicht unumstritten. Insbesondere in Fällen der gefälschten Anweisung, bei denen auch der Empfänger keine Kenntnis hat, lässt sich mit guten Gründen vertreten, dass der Empfänger schutzwürdiger ist als der Anweisende und deshalb eine Rückabwicklung über’s Eck erfolgen müsste. Im Ergebnis sind deshalb freilich andere Lösungen genauso vertretbar, solange nur eine ordentliche Abwägung vorgenommen und Grundverständnis gezeigt wurde. Unter Heranziehung dieser Vorgehensweise sind alle Fälle der Rückabwicklung im Mehrpersonenverhältnis lösbar.
Sollte Euch in einer Klausur oder Hausarbeit demnach ein solcher Fall begegnen, achtet – dies kann gar nicht oft genug wiederholt werden – darauf, das Problem der Bestimmung des Leistenden und der Durchbrechung der allgemeinen Grundsätze aufzuzeigen und systematisch und nachvollziehbar zu lösen. Eine stumpfe Wiedergabe der Fallgruppen des BGH zeugt von mangelndem Verständnis und raubt Euch wertvolle Punkte.
VI. Aktueller Bezug
Dass Bankanweisungsfälle nicht an Relevanz verlieren, zeigt sich aktuell an einem Urteil des AG Trier vom 12.03.2014 (AZ 31 C 422/13). In diesem Urteil geht es um eine irrtümliche Zuvielüberweisung in Verbindung mit der Frage, ob der Rechtsgrund einer Leistung auch nachträglich entstehen kann, inwiefern dieser Rechtsgrund zu beseitigen ist und inwieweit sich der Empfänger auf eine eventuelle Entreicherung berufen kann.
Die äußerst rege Verwertung dieses Urteils durch kommerzielle und universitäre Repetitorien sollte deshalb Grund genug sein, sich mit dem Thema „Bankanweisungsfälle“ und auch dieser Entscheidung vertieft auseinanderzusetzen.
VII. Zusatz
1. Nach der Gesetzessystematik sind bei der Anweisung die Erteilung des Zahlungsauftrages und die Autorisierung der Zahlung selbst strikt voneinander zu unterscheiden. In der Praxis geschieht beides freilich weitgehend mit der selben Handlung.
2. Nach der Reform der §675 ff. BGB bestimmt §675 u S.1, dass dem Zahlungsdienstleister (also der Anweisungsbank) im Falle des Fehlens einer wirksamen Anweisung kein Aufwendungsersatzanspruch zusteht. Ob dies auch eine Leistungskondiktion ausschließt ist umstritten. Eine ausführliche Darstellung des Streits würde allerdings den Rahmen dieses Beitrages sprengen.