Die isolierte Anfechtung von belastenden Nebenbestimmungen gehört zu den prüfungsträchtigsten Problemen des Verwaltungsprozessrechts – vom Grund- und Hauptstudium bis zum Examen. Dabei hat das BVerwG eine seit vielen Jahren gefestigte Rechtsprechung vertreten. Nun ist Bewegung in die Angelegenheit gelangt, weil der 4. und 8. Senat unterschiedliche Anforderungen an die Begründetheit einer gegen die Nebenbestimmung gerichteten Anfechtungsklage angelegt haben. Dies führte dazu, dass der 4. Senat beim 8. Senat gemäß § 11 Abs. 3 S. 1, 3 VwGO angefragt hat, ob der 4. Senat an seiner Rechtsauffassung festhalte (BVerwG, Beschl. v. 29.03.2022 – 4 C 4.20, BeckRS 2022, 28357). Mit Beschluss vom 12.10.2022 (– 8 AV 1.22, BeckRS 2022, 28356) erklärte der 8. Senat, dass er an seiner im Urteil vom 06.11.2019 (8 C 14/18, NVwZ 2021, 163) geäußerten Rechtsauffassung nicht festhalte. Kurzum: Der Streit innerhalb des BVerwG ist beigelegt, es bleibt alles beim Alten. Dieser Disput dürfte jedoch das Problem der isolierten Anfechtbarkeit wieder in den Blickwinkel der Prüfer gerückt haben, weshalb die damit verbundenen prozessualen Probleme in diesem Beitrag näher beleuchtet werden sollen. Dabei drängen sich vor allem zwei Fragen auf: (1) Welche Klageart ist statthaft, wenn der Kläger die Beseitigung einer Nebenbestimmung begehrt, der Hauptverwaltungsakt jedoch erhalten bleiben soll? (2) Welche Anforderungen sind an die Begründetheit dieser Klage zu stellen?
A. Statthafte Klageart
Begehrt der Adressat eines begünstigenden Hauptverwaltungsakts Rechtsschutz gegen eine belastende Nebenbestimmung, stellt sich die Frage, ob die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) oder die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft ist. Das BVerwG hat zu dieser Frage eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt, die zumindest in diesem Punkt auch durch die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem 4. und 8. Senat nicht in Frage gestellt werden sollte. Im Schrifttum wird hingegen ein weites Meinungsspektrum vertreten. Ehlers (in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 27 Rn. 27) spricht davon, dass „[i]m Wesentlichen […] sieben Auffassungen hierzu vertreten“ würden. So viele Ansichten können in der Klausur freilich nicht wiedergegeben werden, weshalb man sich notwendigerweise auf eine Auswahl der wichtigsten Strömungen beschränken muss.
I. Differenzierung nach der Art der Nebenstimmung
Teile der Literatur (Huck/Müller/Müller, VwVfG, 3. Aufl. 2020, § 36 Rn. 35; Pietzcker NVwZ 1995, 15) differenzieren im Einklang mit der älteren Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 29.03.1968 – IV C 27/67, NJW 1968, 1842) nach der Enge der Verbindung zwischen Nebenbestimmung und Hauptverwaltungsakt. Dabei habe der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 36 Abs. 2 VwVfG bereits die Enge der Verbindung festgelegt: Die unselbständigen Nebenbestimmungen des § 36 Abs. 2 Gr. 1 VwVfG (Befristung, Bedingung und Widerrufsvorbehalt) würden mit dem Verwaltungsakt erlassen, stünden also in einer so engen Beziehung zum Verwaltungsakt, dass eine isolierte Anfechtung ausscheide. Stattdessen müsse Verpflichtungsklage auf Erlass eines nebenbestimmungsfreien Verwaltungsakts erhoben werden. Demgegenüber würden die selbständigen Nebenbestimmungen des § 36 Abs. 2 Gr. 2 VwVfG (Auflage, Auflagenvorbehalt) lediglich mit dem Verwaltungsakt verbunden und könnten isoliert angefochten werden.
Um unter diese Ansicht subsumieren zu können, bedarf es regelmäßig einer Abgrenzung zwischen der Bedingung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG) und der Auflage (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG): Im Rahmen dieser Abgrenzung kommt der von der Behörde gewählten Bezeichnung eine Indizwirkung zu. Entscheidend ist der Wille der Behörde, der von der Wichtigkeit der Erfüllung der Nebenbestimmung abhängen wird. Bleiben am Ende Zweifel, ist von einer Auflage auszugehen, da diese den Bürger weniger belastet als eine Bedingung (Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 12 Rn. 27).
II. Differenzierung nach der Art des Hauptverwaltungsakts
Andere Stimmen aus der Literatur (Schenke JuS 1983,182) stellen auf die Art des Hauptverwaltungsakts ab. Beruhe der Hauptverwaltungsakt auf einer Ermessensentscheidung, müsse eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines nebenbestimmungsfreien Verwaltungsakts erlassen werden. Nebenbestimmungen zu einem gebundenen Verwaltungsakt könnten hingegen isoliert angefochten werden. Begründet wird diese Differenzierung damit, dass der Erlass eines Ermessensverwaltungsakts und die Nebenbestimmung auf einer einheitlichen behördlichen Ermessensentscheidung beruhen würden und der Verwaltung im Fall der isolierten Anfechtung ein Restverwaltungsakt aufgedrängt würde, den sie so nie wollte.
III. Grundsätzliche Statthaftigkeit der Anfechtungsklage
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 – 11 C 2/00, NVwZ 2001, 429; Urt. v. 06.11.2019 – 8 C 14/18, NVwZ 2021, 163) und ihm folgend die herrschende Lehre (Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 12 Rn. 27; NK-VwVfG/Weiß, 2. Aufl. 2019, § 36 Rn. 125) geht in inzwischen ständiger Rechtsprechung von der grundsätzlichen Anfechtbarkeit einer belastenden Nebenbestimmung aus. Leitsatzmäßig formuliert das BVerwG:
Gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts ist die Anfechtungsklage gegeben. Ob diese zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet. (BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 – 11 C 2/00, NVwZ 2001, 429)
Die besseren Argumente sprechen für diese herrschende Meinung: Zum einen ist bereits der Formulierung „soweit“ in § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO zu entnehmen, dass Verwaltungsakte teilweise rechtswidrig sein und somit auch nur teilweise aufgehoben werden können. Dann müssen sie aber auch teilweise anfechtbar sein (Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 12 Rn. 27; NK-VwVfG/Weiß, 2. Aufl. 2019, § 36 Rn. 125). Auch vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG ist die herrschende Meinung zu bevorzugen, da der Kläger durch die rechtsschutzintensivere Anfechtungsklage mit dem Aufhebungsurteil unmittelbar – ohne den bei Verpflichtungsklagen notwendigen Zwischenschritt einer behördlichen Entscheidung – einen nebenbestimmungsfreien Verwaltungsakt erhält. Zudem vermeidet diese Ansicht die Vermischung der Zulässigkeitsprüfung mit Elementen der Begründetheitsprüfung (Wysk/Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 42 Rn. 28). Schließlich überzeugt das von der nach der Art des Hauptverwaltungsakts differenzierenden Literaturansicht vorgebrachte Argument, bei einem Ermessensverwaltungsakt werde der Verwaltungsakt bei Aufhebung der Nebenbestimmung ein nicht gewünschter Restverwaltungsakt aufgedrängt, nicht. Denn die Verwaltung hat die Möglichkeit, auf einen nicht gewollten Restverwaltungsakt zu reagieren, indem sie ihn entweder aufhebt oder nachträglich eine neue, fehlerfreie Nebenbestimmung erlässt. Dies genügt, um ihren Ermessensspielraum zu wahren (BVerwG, Urt. v. 12.03.1982 – 8 C 23/80, NJW 1982, 2269; Urt. v. 06.11.2019 – 8 C 14/18, NVwZ 2021, 163).
B. Anforderungen an die Begründetheit der Klage
Durch die Auseinandersetzung zwischen dem 4. und 8. Senat des BVerwG wurde die Streitfrage, welche Anforderungen an die Begründetheit der gegen eine Nebenbestimmung gerichteten Anfechtungsklage zu stellen sind, wieder aufgewärmt. Bei einer „normalen“ Anfechtungsklage würde der Obersatz lauten: Die Anfechtungsklage ist gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Mindestanforderung der Begründetheit einer gegen eine Nebenbestimmung gerichteten Anfechtungsklage ist damit, dass die Nebenbestimmung rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.
I. Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung genügt
Stelkens (in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 36 Rn. 60) lässt die oben genannte Mindestanforderung genügen. Für diese Ansicht wird ins Feld geführt, dass eine Berücksichtigung der Rechtswidrigkeit des Restverwaltungsakts das nach § 88 VwGO maßgebliche klägerische Begehren missachtet, das nur auf die Überprüfung der Nebenbestimmung gerichtet ist. Weiter ließe sich argumentieren, dass es Sache der Verwaltung und nicht des Gerichts ist, auf den rechtswidrigen Restverwaltungsakt zu reagieren, entweder durch dessen Aufhebung oder durch Erlass einer neuen, fehlerfreien Nebenbestimmung.
II. Weitergehende Anforderungen an die Begründetheit
Die bundesverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung stellt demgegenüber weitergehende Anforderungen an die Begründetheit der Anfechtungsklage. Zwar kritisiert die Literatur vereinzelt, dass das BVerwG seine Rechtsprechung nicht begründe und sie daher „gegen kritische Einwände ebenso immun wie andererseits ohne innere Überzeugungskraft“ sei (Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 42 Rn. 50). Diesem Einwand lässt sich jedoch entgegnen, dass es zu einem Konflikt mit Art. 20 Abs. 3 GG käme, wenn das Gericht die mögliche Rechtswidrigkeit des Restverwaltungsakts völlig außer Betracht ließe. Schließlich gilt es zu verhindern, dass das Gericht durch die Aufhebung der Nebenbestimmung einen rechtswidrigen Zustand herbeiführt und der Kläger den Restverwaltungsakt ausnutzt, bis die Verwaltung ihn aufgehoben oder eine neue, fehlerfreie Nebenbestimmung erlassen hat. Über die Frage, wie weit diese weitergehenden Anforderungen an die Begründetheit reichen, bestand (vorübergehend) Streit zwischen dem 4. und 8. Senat des BVerwG.
1. Verwaltungsakt kann ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben
Der 4. Senat fasst die bisherige gefestigte Rechtsprechung des BVerwG wie folgt zusammen:
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die isolierte Anfechtungsklage gegen eine belastende Nebenbestimmung begründet, wenn die Nebenbestimmung rechtswidrig ist und der Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann […]. Die Voraussetzung „sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann“ betrifft nach Auffassung des Senats die materielle Teilbarkeit von Nebenbestimmung und Verwaltungsakt. Maßgeblich ist, ob zwischen der Nebenbestimmung und dem eigentlichen Inhalt des Verwaltungsakts „ein Zusammenhang besteht, der die isolierte Aufhebung ausschließt“ […]. Die Prüfung der isolierten Aufhebbarkeit ist bisher entsprechend eng geführt und thematisch auf den in Streit stehenden Gegenstand der Nebenbestimmung beschränkt worden […]. Es ging stets darum, ob die Genehmigung (Begünstigung) ohne die belastende Nebenbestimmung rechtswidrig wäre bzw. erteilt werden dürfte. Das heißt, die Formulierung „sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann“ zielt darauf, ob die Rechtsordnung eine Genehmigung (Begünstigung) ohne die angefochtene Nebenbestimmung erlaubt. […] Dagegen kommt es nicht darauf an, ob der verbleibende Verwaltungsakt über die in Zusammenhang mit der Nebenbestimmung stehenden rechtlichen Anforderungen hinaus in jeder Hinsicht rechtmäßig ist oder ein Anspruch auf seinen Erlass besteht. (BVerwG, Beschl. v. 29.03.2022 – 4 C 4.20, BeckRS 2022, 28357)
2. Rechtmäßigkeit des Restverwaltungsakts
Auch der 8. Senat geht von dem Ausgangspunkt aus, dass die angegriffenen Nebenbestimmungen nur dann isoliert aufgehoben werden können, wenn der nach ihrer Aufhebung verbleibende Verwaltungsakt sinnvoller- und rechtmäßigerweise nicht bestehen bleiben kann. Diese Voraussetzung sei nach dem Urteil vom 06.11.2022 jedoch nur dann erfüllt, wenn der verbleibende Verwaltungsakt für sich genommen rechtmäßig ist. Der 8. Senat verstand diesen Zusatz offensichtlich als bloße Konkretisierung des anerkannten Maßstabs, während der 4. Senat hierin eine Rechtsprechungsänderung erblickte, die ihn zu einer Anfrage an den 8. Senat veranlasste. Von Bedeutung sind diese differierenden Standpunkte immer dann, wenn nicht der Wegfall der Nebenbestimmung, sondern ein anderer, den Verwaltungsakt betreffender Grund für die Rechtswidrigkeit des Restverwaltungsakts ursächlich ist (Binder LTO v. 03.11.2022).
Gegen diese Ansicht spricht jedoch bereits – wie der 8. Senat zutreffend ausgeführt hat –, dass ansonsten der Rechtsschutz gegen rechtswidrige Nebenstimmungen entwertet würde. Denn der Adressat des Verwaltungsakts müsste entweder auf eine Anfechtung der Nebenbestimmung verzichten oder gleich den gesamten Verwaltungsakt mit Nebenbestimmung anfechten. Es ist jedoch die Aufgabe der Behörde, den rechtswidrigen Restverwaltungsakt nach § 48 VwVfG aufzuheben. Dabei sind auf Tatbestandsseite die Einschränkungen des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zu berücksichtigen und auf Rechtsfolgenseite muss die Verwaltung pflichtgemäßes Ermessen ausüben. Diese Mechanismen zur Gewährleistung des Vertrauensschutzes würden nach der vom 8. Senat vorübergehend vertretenen Rechtsansicht umgangen (vgl. auch Kokott JuWissBlog Nr. 61/2022 v. 01.11.2022).
Vielleicht waren diese Gründe ausschlaggebend, weshalb der 8. Senat mit Beschluss vom 12.10.2022 (– 8 AV 1.22, BeckRS 2022, 28356) entschieden hat, an seiner Rechtsauffassung, dass eine belastende Nebenstimmung, die einem begünstigenden Verwaltungsakt beigefügt wird, im Anfechtungsprozess nur dann isoliert aufgehoben werden darf, wenn der verbleibende Verwaltungsakt für sich genommen rechtmäßig ist, nicht festzuhalten.
C. Summa
Es ist zu begrüßen, dass der zwischenzeitliche Streit zwischen dem 4. und dem 8. Senat des BVerwG über die Anforderungen an die Begründetheit einer gegen eine Nebenbestimmung gerichteten Anfechtungsklage rasch beigelegt wurde. Nur so wird verhindert, dass die durch eine seit mehr als zwei Jahrzehnten gefestigte Rechtsprechung erzeugte Rechtssicherheit im Dickicht von eng verzweigten Meinungsstreits wieder untergeht. Im Ergebnis sollte man sich als Prüfling an folgenden zwei Leitlinien orientieren:
- Eine rechtswidrige Nebenstimmung kann mit der Anfechtungsklage isoliert angegriffen werden, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet.
- Die isolierte Anfechtungsklage gegen eine belastende Nebenbestimmung ist begründet, wenn die Nebenbestimmung rechtswidrig ist und der Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann.