In einem Beschluss vom 25. August 2010 (1 StR 393/10) hat der BGH seine Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des Mordmerkmals Heimtücke fortgeführt und der Forderung der Literatur nach einem verwerflichen Vertrauensbruch erneut eine klare Absage erteilt. Weitere hier in Betracht kommende Mordmerkmale sollen in diesem Artikel außer Betracht bleiben.
Sachverhalt (abgekürzt)
Kurz nach dem Erwerb verkaufte der Angeklagte (A) einen einer Bank sicherungsübereigneten Pkw, die auch den Kfz-Brief hatte. Im Vertrauen auf die Angabe des A, er sei Eigentümer, leistete der Käufer (K) eine Anzahlung. Mit dem ebenso falschen Vorbringen, dort sei der Kfz-Brief, lockte ihn der A in seine Wohnung, wo er scheinbar den Kfz-Brief suchte. K schaute selbst einen Ordner durch, in dem der Kfz-Brief angeblich sein könnte. Dabei versetzte der A ihm, vorgefasster Absicht gemäß, in Tötungsabsicht Messerstiche in den Bereich von Hals und Oberkörper, weil er weder den Pkw noch die Anzahlung herausgeben wollte. Dank glücklicher Zufälle konnte der nicht lebensgefährlich verletzte Käufer fliehen.
Wann liegt das Mordmerkmal der Heimtücke vor?
Schwerpunkt dieser Entscheidung war die Frage, ob das Mordmerkmal der Heimtücke eine besonders verwerfliche, tückische Gesinnung erfordert oder ob die Ausnutzung eines Überraschungseffekts hierzu ausreicht.
Die Voraussetzungen der Heimtücke sind umstritten:
Nach h.M. handelt heimtückisch, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist, wer sich keines Angriffs seitens des Täters versieht. Infolge dieser Arglosigkeit muss das Opfer wehrlos sein, d.h. es darf keine oder nur eine reduzierte Verteidigungsmöglichkeit besitzen. K war in faktischer Hinsicht arg- und wehrlos. Dieser Ansicht folgend handelte A heimtückisch.
Teile der Literatur fordern anstelle der feindlichen Willensrichtung bzw. zusätzlich einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch. Zwischen A und K bestand keine Vertrauensbeziehung. Dieser Ansicht folgend wäre die Heimtücke abzulehnen.
Streitentscheid:
Für die zweite Ansicht spricht die restriktive Auslegung der Mordmerkmale von Verfassungs wegen. Gegen sie spricht jedoch, dass der Vertrauensbegriff keine festen Konturen aufweist und unklar ist. Zudem führt sie zu nicht zufrieden stellenden Ergebnisse: Sie würde beispielsweise den Überfall auf einen Ahnungslosen (sog. Meuchelmord) niemals erfassen, da in diesen Fällen Täter und Opfer in keinerlei persönlicher Beziehung zueinander stehen.
Der h.M. ist mithin zu folgen.
Der BGH dazu in dieser Entscheidung:
Der Senat teilt schon die tatsächliche Bewertung der Feststellungen nicht. Der Angeklagte hat nicht nur ausgenutzt, dass der Käufer ihm die Lüge glaubte, der Kfz-Brief könne in dem Ordner sein, sondern er hat den Käufer zunächst betrogen und dann planmäßig in Tötungsabsicht in die Wohnung gelockt. Dies geht weit über bloßes Ausnutzen eines Überraschungseffektes hinaus. Unabhängig von diesen Umständen des Einzelfalles teilt der Senat aber auch den rechtlichen Ansatz der Revision nicht.
Regelmäßig erfordert Heimtücke nicht, dass sich im bewussten Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit noch eine besondere Tücke und Verschlagenheit, ein verwerflicher Vertrauensbruch, zeigt (vgl. schon BGHSt11, 13a, 144 f.; BGHSt30, 105, 115 f.; vgl. auch eingehend Schneider in MK § 211 Rn. 152 ff., 159 mwN). Von besonderen, hier offenbar nicht in Betracht kommenden Fallgestaltungen abgesehen, bei denen die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit nicht notwendig zur Annahme von Heimtücke führt (vgl. z.B. BGHSt 30, 105, 119; Fischer, StGB, 57. Aufl. § 211 Rn. 48 jew. mwN), kann daher schon allein die Ausnutzung eines Überraschungseffekts die Annahme von Heimtücke tragen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 10).
Im Ergebnis hat sich hier der K des versuchten Mordes an K gem. §§ 212, 211, 22, 23 StGB strafbar gemacht.
Weitere Anmerkungen (insbesondere auch zu den Fällen, bei denen die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit auch nach dem BGH nicht notwendig zur Annahme von Heimtücke führt):
Die Definition der Rechtsprechung für das Mordmerkmal der Heimtücke ist sehr weit gefasst. Sie erfasst praktisch jede überraschende Tötung. Doch der BGH hält an seiner Rechtsprechung weiter fest. Nur in Fällen, in denen Umstände hinzukommen, die eine Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe unverhältnismäßig erscheinen lassen, wie z.B. bei einer vorherigen schweren Kränkung des Täters durch das Opfer, korrigiert er den weiten Rahmen mithilfe einer Strafmilderung nach dem Maßstab des § 49 I Nr. 1 StGB – so etwa BGHSt 30,105 ff., wo der Täter seinen Onkel, der seine Ehefrau vergewaltigt hatte, erschoss, als dieser mit drei Landsleuten Karten spielte und ganz in das Kartenspiel vertieft war. In der Entscheidung BGHSt 48, 207 ff. hat der BGH den zu weiten Rahmen durch die Normativierung der Arglosigkeit korrigiert. In diesem Fall hatte der Erpresser vom späteren Täter Geld erpresst. Als der Erpresser ihn Vollendung der Erpressung aufforderte, ihm auch noch etwas zu trinken zu geben, ging er in die Küche, brachte aber statt eines Drinks ein großes Küchenmesser ins Wohnzimmer und tötete ihn damit. Auch hier hat der BGH das Mordmerkmal der Heimtücke verneint.