Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 29.3.2017 – VIII ZR 45/16 Leitlinien formuliert, unter welchen Voraussetzungen die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses durch den Vermieter zum Zwecke der Eigennutzung zu (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken möglich ist. Die Entscheidung wird (ausnahmsweise) zu Recht als „Grundsatzentscheidung“ bezeichnet und ist von enormer Praxis- und Examensrelevanz. Daher sollten die wesentlichen Aussagen, die in diesem Beitrag zusammengefasst und erläutert werden, von Examenskandidaten in Vorbereitung der schriftlichen Prüfungen durchgearbeitet werden. Auch ein vergleichender Pendelblick zur Entscheidung des BGH v. 26.9.2012 – VIII ZR 330/11, in der es ebenfalls bereits um die Eigenbedarfskündigung für berufliche Zwecke ging, sei empfohlen (s. unseren Beitrag).
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)
Der Beklagte ist seit dem 1. Juli 1977 Mieter einer 27 qm großen Zweizimmerwohnung in Berlin. Die Klägerin hat die Wohnung im Jahr 2008 durch Zuschlag im Rahmen einer Zwangsversteigerung erworben und ist als Vermieterin in den Mietvertrag eingetreten. Der Ehemann der Klägerin betreibt nach ihrer Darstellung im ersten Geschoss des Vorderhauses des Anwesens, in dem sich die vom Beklagten genutzte Wohnung befindet, ein Beratungsunternehmen. Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis mit der Begründung, ihr Ehemann benötige die Wohnung zur Erweiterung seines seit 14 Jahren ausgeübten Gewerbes, da die räumliche Kapazität der hierzu im ersten Obergeschoss des Anwesens angemieteten Räume ausgeschöpft sei. Die auch als Beratungsräume genutzten Büroräume seien überfrachtet mit bis an die Decke reichenden, überfüllten Aktenregalen. Ihr Ehemann beabsichtige daher, in der Wohnung des Beklagten einen weiteren Arbeitsplatz samt Archiv einzurichten. Zur Verwirklichung dieses Vorhabens wolle sie ihm die vom Beklagten genutzte Mietwohnung zur Verfügung stellen.
II. Lösungshinweise
Die Kündigung setzt einen Kündigungsgrund voraus. Dieser könnte sich aus § 573 Abs. 2 Nr. 2, 3 BGB ergeben, wonach der sog. „Eigenbedarf“ des Vermieters diesen zur Kündigung berechtigen kann.
Kurz zur Systematik der Eigenbedarfskündigung:
- § 573 Abs. 1 S. 1 BGB enthält für die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses eine Generalklausel, wonach der Vermieter nur kündigen kann, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Dieses kann nicht in der bloßen Erhöhung der Miete bestehen, S. 2.
- § 573 Abs. 2 BGB regelt daneben, wann ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt. Es handelt sich um vertypte Fallgruppen, in denen das Interesse der Vermieters an der Auflösung des Mietverhältnisses das gegenläufige Bestandsinteresse des Mieters überwiegt.
- Die Eigenbedarfskündigung ist hierbei in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB geregelt und ermöglicht eine Kündigung, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Zudem sieht § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Lösungsmöglichkeit für den Vermieter vor, wenn dieser durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleidet.
- Vorteil des Eingreifens des § 573 Abs. 2 BGB ist für den Vermieter, dass keine Einzelfallprüfung hinsichtlich der Abwägung von Lösungsinteresse und Bestandsschutz vorzunehmen ist – anders als im Rahmen von § 573 Abs. 1 BGB.
Unterfällt nun die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3, wenn der Vermieter bzw. ein naher Familienangehöriger die Fläche zu gewerblichen Zwecken nutzen möchte? Nein, sagt der BGH nunmehr:
Wenn der Vermieter die Wohnung – wie vorliegend – jedoch nicht zu Wohnzwecken benötigt, sondern sie einer gewerblichen Nutzung zuführen will, ist der Kündigungstatbestand des Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB* nicht erfüllt. Ebenso wenig stellt die Eigennutzung der vermieteten Wohnräume zu (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken eine wirtschaftliche Verwertung im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB* dar.
§ 573 ABs. 2 Nr. 2 BGB will allein verhindern, dass sich ein Vermieter in der unglücklichen Lage sieht, die Wohnung zu eigenen bzw. familiären Wohnzwecken nutzen zu wollen, und dennoch sich nicht vom Mieter trennen zu können. Geht es hingegen nur um gewerbliche Interessen, kann man nicht von einem generellen Überwiegen der Vermieterinteressen gegenüber dem Bestandsschutz des Mieters ausgehen.
Daher muss die Generalklausel des § 573 Abs. 1 BGB Anwendung finden:
Bei Anwendung der Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB* hingegen verlangt das Gesetz stets eine einzelfallbezogene Feststellung und Abwägung der beiderseitigen Belange der betroffenen Mietvertragsparteien. Für die Bestimmung des berechtigten Interesses haben die Gerichte zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschützt sind. Allgemein verbindliche Betrachtungen verbieten sich dabei.
Das „berechtigte“ Interesse i.S.d. § 573 Abs. 1 BGB ist also als unbestimmter Rechtsbegriff Einfallstor für die mittelbare Wirkung der Grundrechte, da diese als objektive Wertordnung von der Rechtsordnung anerkannte Interessen bereitstellen. Es stehen sich gegenüber:
- Art. 14 GG des Mieters auf der einen Seite – dazu die Rspr. des BVerfG, BVerfG WM 1993, 377, die auch dem Mieter einen grundrechtlichen „Eigentumsschutz“ angedeihen lässt). Ergänzend vielleicht noch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), weil Frage der persönlichen Lebensgestaltung.
- Art. 14 GG des Vermieters sowie hier auch noch Art. 12 GG (auch für nahe Angehörige, insofern ist wegen Art. 6 GG auch das Berufen auf „fremde“ Interessen zulässig). Bei Wohnnutzung kann man auch hier noch ergänzend das allgemeine Persönlichkeitsrecht heranziehen, ebenso wie bei Mieter Frage der persönlichen Lebensgestaltung.
Nun nimmt der BGH eine an der Systematik des § 573 Abs. 2 BGB orientierte Auslegung vor und kommt zu folgenden grundlegenden Einordnungen:
- Mischnutzung sowohl zu Wohn- als auch gewerblichen Zwecken: Nähe zu § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Daher genügt es in diesen Fällen regelmäßig , dass dem Vermieter bei verwehrtem Bezug ein beachtenswerter Nachteil entstünde.
- Ausschließlich gewerbliche Nutzung: Nähe zu § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Daher muss der Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses für den Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, was etwa dann anzunehmen sein kann, wenn die geschäftliche Tätigkeit andernfalls nicht rentabel durchgeführt werden könnte oder die konkrete Lebensgestaltung die Nutzung der Mietwohnung erfordert (z.B. gesundheitliche Einschränkungen, Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen).
Im zur Entscheidung vorliegenden Fall lag eine ausschließlich gewebliche Nutzung vor, wobei Nachteile von einigem Gewicht nicht dargelegt worden waren. Allein die Auslagerung des Aktenbestandes reichte nicht aus.
Die Eigenbedarfskündigung spielt in Examensklausuren immer wieder eine Hauptrolle, weswegen unser überblickartiger Artikel hierzu dringend zur Lektüre empfohlen sei.