In den letzten Tagen war ja viel zum NSU-Prozess zu lesen, insbesondere wurde auch die Anklageschrift gegen Beate Zschäpe näher bekannt, welche ihr – mutmaßliches – Tatverhalten beschreibt (dazu etwa hier). Danach soll Frau Zschäpe als Mittäterin der NSU-Morde anzusehen sein, obwohl sie selbst nie direkt an den Tatorten beteiligt war. Die Bundesanwaltschaft stellt vielmehr darauf ab, dass sie die eigentlich ausführenden Mitglieder der NSU, also Mundlos und Böhnhard, in vielfältiger Weise unterstützt habe. Dazu gehörten zum Beispiel Informationen zu den „Tarnpersonalien“ der beiden, also Angaben zum Lebenslauf der eigentlichen Passinhaber, Namen und Wohnort von Eltern, Arbeitgebern sowie Angaben zu Bekannten. Sie habe auch Wohnmobile angemietet, mit denen die Männer zu Tatorten gefahren seien. Sie habe Zeitungsartikel über die Mordtaten gesammelt und archiviert und so dabei geholfen, aus diesen Artikeln sowie aus Videoaufnahmen einen Bekennerfilm des NSU zu erstellen, außerdem das Geld aus den Raubüberfällen verwaltet und ausgeteilt. Fraglich erscheint, ob die genannten Handlungen, die mit dem Obergriff der „unterstützenden Tätigkeit“ umschrieben werden können, ausreichend sind, um eine Täterschaft von Frau Zschäpe an den angeklagten Taten zu begründen, oder vielmehr eine bloße Teilnahmehandlung, namentlich in Form einer Beihilfe, vorliegt. Die Frage ist nicht rein theoretischer Natur: So würde Frau Zschäpe bei der Annahme einer bloßen Beihilfe die obligatorische Strafmilderung nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB zugute kommen, während ihr dies bei der Einordnung ihres Verhaltens als Täterschaft verwehrt wäre.
1. Täterbegriffe im Strafrecht
Zur Wiederholung zunächst die einzelnen Täterbegriffe, wie sie sich im vorigen Jahrhundert in Rechtsprechung und Schrifttum herausgebildet haben:
a) Nach dem älteren, sog. subjektiven Täterbegriff ist derjenige Täter, der mit „animus auctoris“, also Täterwillen handelt, wohingegen bei solchen Personen, die die Tat nicht als eigene wollen („animus socii“), von einer bloßen Teilnahme auszugehen ist. Die subjektive Täterlehre ist dabei eine Konsequenz der conditio-sine-qua-non- oder Äquivalenz-Formel, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Lehre von der objektiven Zurechnung noch nicht etabliert war: Wenn es für die zurechenbare Verursachung einer Tat nur darauf ankommt, dass ein bestimmtes Verhalten nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der zu vermeidende Erfolg entfiele, also alle Beiträge objektiv gleichwertig (eben äquivalent) sind, kann die Entscheidung über die Zuordnung eines Tatbeitrags zu einer der Beteiligungsfiguren nicht auf der objektiven Ebene getroffen werden, sondern ist in den subjektiven Bereich hinein zu verlagern. Die Konsequenz ist, dass auch objektiv randständige Tathandlungen, etwa die Beschaffung eines Tatwerkzeugs oder der Hinweis, wo ein besonders lohnenswerter Raubzug zu machen ist, zur Täterschaft führen können, wenn der Helfende die Tat nur „als eigene will“, z.B. weil er direkt an der Tatbeute beteiligt wird. Der subjektive Täterbegriff ist freilich dann überholt, wenn man mit der neueren Lehre der objektiven Zurechnung annimmt, dass eben nicht jedes objektiv ursächliche Verhalten gleichzeitig auch den objektiven Unwert eines Delikts ausfüllt, sondern hierzu das Vorliegen weiterer, objektiv verstandener Voraussetzungen einfordert. Zudem steht diese Lehre vor dem Problem, dass der Gesetzgeber in neuerer Zeit auch fremdnützige Delikte (etwa Diebstähle in Drittzueignungsabsicht, Erpressungen mit Drittbereicherungsintention) normiert hat, bei denen es an einem Handeln um des eigenen Vorteils willen gerade fehlt.
b) Nach der sog. objektiv-formellen Täterlehre ist Täter derjenige, der die eigentlichen Tatmerkmale unmittelbar ausfüllt, also etwa den konkreten Tötungsakt begeht, das zu stehlende Objekt ergreift etc.; andere Personen können demgegenüber, auch wenn sie an der Tat ein eigenes Interesse haben, keine entsprechende Rolle beanspruchen. Diese Figur ist indes insoweit überholt, als durch die Vorschrift des § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB sowie § 25 Abs. 2 StGB klargestellt wird, dass auch derjenige, welcher ein Delikt mittelbar (mittelbarer Täter) oder arbeitsteilig mit anderen (Mittäter) verwirklicht, als Täter haftet, ohne dass er zwingend alle Merkmale des Tatbestandes in eigener Person verwirklicht haben muss. Demgemäß ist die objektiv-formelle Täterlehre jedenfalls keine Figur, die diese Beteiligungsform nach der derzeitigen Gesetzesfassung restlos erklären könnte.
c) Nach der sog. objektiv-materiellen Täterlehre kommt es nicht auf die unmittelbare Verwirklichung der konkreten Tatmerkmale an, sondern darauf, dass jemand als „Kernfigur“ das Geschehen beherrscht, also „Tatherrschaft“ innehat; Täter ist danach derjenige, der den Abzug des Revolvers drückt, aber auch derjenige, welcher beim Einstieg in eine fremde Wohnung eine Räuberleiter macht, ohne welche der geplante Einbruchsdiebstahl des Kumpanen nicht vonstatten gehen könnte. Man spricht insofern auch von „funktionaler“, da nicht in bestimmte gesetzliche Merkmale gepresster, Tatherrschaft. Dieser Ansatz führt freilich zu mannigfaltigen Abgrenzungsproblemen und Zweifelsfragen, da z.B. im Detail umstritten ist, ob auch der Bandenchef, der sich nicht am Tatort aufhält, sondern etwa zur Verdeckung seiner Beteiligung am Tatabend die Oper besucht, als Mittäter einzuordnen ist. Während teilweise gefordert wird, dass insofern wenigstens ein fernmündlicher Kontakt zu der die eigentliche Tatausführung in Angriff nehmenden Crew besteht, damit eine Tatherrschaft im Hinblick auf das konkret strafwürdige Geschehen bejaht werden könne, lassen es andere Stimmen ausreichen, dass der Bandenchef als Hintermann die Deliktsausführung geplant hat: Ein Mehr an Gestaltungsherrschaft kompensiert danach ein Weniger an Ausführungsherrschaft.
d) Schlussendlich zu erwähnen ist noch der Ansatz der neueren Rechtsprechung, die sich nicht festlegen lässt, sondern mit einem gemischt objektiv-subjektiven Täterbegriff operiert. Dieser wird auf die folgende, stets wiederkehrende Formel gebracht: „Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Täter begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfaßt sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können sein der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen“ (so etwa BGHSt 37, 289, 291; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 13, 14 und 18). Die Rechtsprechung verwendet also ein Gemisch aus objektiven und subjektiven Kriterien, die dann auch noch mit dem Kunstgriff der „wertenden Gesamtbetrachtung“ bearbeitet werden können. Vorteil dieser Formel ist, dass die Gerichte hiermit so ziemlich jedes Ergebnis, was sie begründen wollen, auch begründen können, indem sie einmal diesen, einmal jenen Aspekt verstärkt in den Vordergrund rücken; die Methode sichert also eine gewisse Flexibilität bei der Rechtsanwendung. Die Kehrseite dieses Verfahrensweise ist freilich, dass keine Rechtssicherheit besteht, da es an verbindlichen Vorgaben, die der Betroffene in jedem Fall erfüllen muss, damit er als Täter einzustufen ist, gerade fehlt. Der Täterbegriff der Rechtsprechung ist also kein trennscharfer, sondern vielmehr ein Typus-Begriff.
2. Anwendung auf den „Fall Zschäpe“
Wendet man die unterschiedlichen Täterbegriffe auf das Verhalten der Angeklagten Zschäpe an, so wie es sich nach der Beschreibung der Anklageschrift darstellt, kann man zu folgenden Ergebnissen gelangen:
a) Der subjektive Täterbegriff der älteren Rechtsprechung würde eine Täterschaft von Frau Zschäpe wohl ohne Weiteres bejahen: Diese war zwar nie an den Tatorten beteiligt und hat nie die Waffe abgedrückt, allerdings hat sie durch ihre Vor- und Nachbereitung der Taten durchaus unterstützende und damit äquivalente Beiträge zu den Morden geleistet. Zudem dürfte sie auch den Willen, die Taten als eigene durchzuführen, gehabt haben, da sie sich, in den Worten der Bundesanwaltschaft, zusammen mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos als einheitliches „Tötungskommando“ sah, so dass sie sich durchaus als wesentlicher Teil der durchgeführten Aktionen verstanden hat.
b) Geht man von dem formal-objektiven Täterbegriff aus, ist demgegenüber eine Einstufung der Angeklagten als Täter klar zu verneinen: Da Frau Zschäpe keines der Merkmale, die etwa der Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB näher umschreibt, in eigener Person erfüllt hat, wäre ihr nach dieser Lehre allein eine Position als Teilnehmer an den Taten der übrigen beiden NSU-Mitglieder zuzubilligen.
c) Die materiell-objektive Theorie kann die Frage nach der Täterschaft von Frau Zschäpe nicht direkt beantworten, da dies maßgeblich vom Vorverständnis des für diese Lehre so zentralen Begriffes der „Tatherrschaft“ abhängig ist: Geht man davon aus, dass sich dieser Begriff immer auf das konkrete, zeitlich-räumliche Geschehen beziehen muss, welches zur Deliktsverwirklichung führt, dürfte eine Tatherrschaft der Angeklagten selbst dann, wenn man hierfür auch nicht gesetzlich umschriebene Verhaltensweisen ausreichen lässt, ausscheiden. Da die Angeklagte weder am Tatort anwesend noch mittels telefonischen Kontakts unmittelbar, etwa durch Ratschläge, auf das konkrete Geschehen einwirken konnte, wäre sie in diesem Fall lediglich als Teilnehmer einzuordnen. Aber auch dann, wenn man den Begriff der Tatherrschaft weiter fasst und ebenfalls Vorbereitungshandlungen mit in die Beurteilung einer täterschaftlichen Deliktsverwirklichung einbezieht, dürfte eine diesbezügliche Erfassung des Verhaltens von Frau Zschäpe schwierig werden: Insofern ist zu berücksichtigen, dass der oben angesprochene „Bandenchef“, dem verschiedene Stimmen unabhängig von seiner Mitwirkung am Tatort die Stellung als Mittäter zubilligen, eine besondere Ausnahme darstellt, da dessen Mittäterschaft mit seiner größeren Gestaltungsherrschaft im Vorfeld begründet wird. Da er der „Boss“ ist, dirigiert er die einzelnen Mitglieder quasi bereits vorab und teilt ihnen mit, wie sie sich bei der Tatausführung im Einzelnen zu verhalten haben. Diese hierarchisch hervorgehobene Position ist bei Frau Zschäpe freilich nicht zu finden. Vielmehr betont die Staatsanwaltschaft, dass keiner der drei NSU-Mitglieder eine Anführerrolle innegehabt habe und alle Entscheidungen gemeinsam getroffen und vorbereitet worden seien. Geht man damit davon aus, dass die Angeklagte Zschäpe ein gleichberechtigtes Mitglied der NSU-Zelle gewesen ist, kann man ihr gegebenenfalls eine „Mittäterschaft“ im Hinblick auf die Gesamtorganisation der Terrorvereinigung zubilligen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass bezüglich der einzelnen Taten, die aus dieser Organisation heraus begangen wurden, die Zuschreibung einer solchen Rolle schwierig bleibt; schließlich wäre es auch schief, würde man behaupten, dass einer ihrer Spießgesellen die Wohnmobile, mit welchen sich das Trio durch Deutschland bewegte, aufgrund seiner Stellung in der Organisation mit angemietet habe, obwohl dies offenbar allein in den Verantwortungsbereich von Frau Zschäpe gefallen ist.
d) Geht man schließlich von der aktuellen Rechtsprechung und ihrem gemischt objektiv-subjektiven Täterbegriff aus, ist, wie bereits angedeutet, jedwede Lösung vertretbar, sofern man sie nur stringent begründet. Danach kann im Hinblick auf die wesentliche Beteiligung der Angeklagten an der Gesamtorganisation und ihrem Willen zur Tat durchaus eine Täterschaft ins Auge gefasst werden.
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