Das BVerfG hat das umstrittene Betreuungsgeld mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes für verfassungswidrig erklärt. Der Erste Senat hat im Rahmen eines vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg betriebenen abstrakten Normenkontrollverfahrens damit zugleich diejenigen bundesgesetzlichen Regelungen, die einen Anspruch auf die in der Öffentlichkeit auch kritisch unter dem Schlagwort „Herdprämie“ diskutierte Sozialleistung begründen, für nichtig erklärt. Die Einführung des Betreuungsgeldes war politisch stark umstritten, da vor allem erhebliche inhaltliche Bedenken gegen die Leistung geäußert wurden. Das BVerfG hat die Regelung nun bereits aus formellen Gründen für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt und musste sich mangels Zuständigkeit des Bundes daher auch nicht mehr zu materiellen Gesichtspunkten äußern. Dieser Beitrag soll aufgrund der Aktualität sowie der Bedeutung der Entscheidung einen ersten Überblick über die Beantwortung der wesentlichen Rechtsfragen durch das BVerfG liefern, die einen Kernbereich des Staatsorganisationsrechts betreffen und somit eine Vorbereitung für eine kurzfristig anstehende Klausur bzw. mündliche Prüfung erleichtern.
A. Sachverhalt
Im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nach Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG (abstrakte Normenkontrolle) hatte sich der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg vor dem BVerfG gegen die mit dem Betreuungsgeldgesetz des Bundes vom 15. Februar 2013 eingefügten §§ 4a-d des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes gewandt. Diese Regelungen sahen im Wesentlichen vor, dass Eltern in der Zeit vom 15. Lebensmonat bis zum 36. Lebensmonat ihres Kindes einkommensunabhängig Betreuungsgeld in Höhe von zunächst 100 € und mittlerweile 150 € pro Monat beziehen können, sofern für das Kind weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch genommen wird.
B. Wesentliche Erwägungen des BVerfG
I. Kompetenztitel
Fraglich war zunächst, ob sich der Bund beim Erlass der in Rede stehenden Regelungen überhaupt auf einen Kompetenztitel berufen konnte. Bereits dies war vom Antragsteller verneint worden, da es sich um eine Zahlung für die Nichtinanspruchnahme öffentlicher Leistungen handle, bei der kein Kompetenztitel des Grundgesetzes greife. Das BVerfG hat in dem Urteil allerdings demgegenüber klargestellt, dass die Regelungen zum Betreuungsgeld dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zuzuordnen seien, welches im Kern die Unterstützung Hilfsbedürftiger in wirtschaftlichen Notlagen umfasst (vgl. dazu näher Degenhart in: Sachs, GG, Art. 74, Rn. 35):
Der Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist nicht eng auszulegen. Er setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert. Dabei genügt es, wenn eine – sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute (ähnlich BVerfGE 88, 203 (329 f.); 97, 332 (342); 106, 62 (134)) – Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>) einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt.
Diese Anforderungen sind nach Ansicht des BVerfG im konkreten durch die vom Bund erlassenen Regelungen erfüllt worden, da der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung auf die Belastung von Familien mit Kleinkindern und eine damit verbundene besondere Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit habe reagieren wollen. Im Rahmen seines gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums habe er auch von einem typischerweise in dieser Altersphase auftretenden besonderen Aufwand bei der Betreuung von Kleinkindern ausgehen dürfen.
II. Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG
Der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG fällt zwar in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, allerdings kann der Bund, anders als im Rahmen des Art. 72 Abs. 1 GG, nicht uneingeschränkt tätig werden, da der Bereich der öffentlichen Fürsorge der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG unterfällt, die zusätzliche Anforderungen für die Zulässigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung statuiert. Nach Art. 72 Abs. 2 GG hat der Bund auf den dort genannten Gebieten nämlich nur das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen. Erforderlich ist eine bundesgesetzliche Regelung daher nur, wenn ohne sie die vom Gesetzgeber für sein Tätigwerden im konkret zu regelnden Bereich in Anspruch genommene Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG nicht oder nicht hinlänglich erreicht werden kann (BVerfGE 106, 62 (149); zur Wiederholung der Erforderlichkeitsklausel eignet sich insbes. Degenhart in: Sachs, GG, Art. 72, Rn. 10 f.). Fraglich ist, ob die vom Bund erlassenen Regelungen diesen vom BVerfG traditionell streng ausgelegten Anforderungen genügen:
1. Art. 72 Abs. 2 Var. 1 GG: Erforderlichkeit zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse
Möglicherweise könnte die Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich gewesen sein.
a) Das BVerfG hat in seinen Leitentscheidungen in BVerfGE 106, 62 und BVerfGE 112, 226 klargestellt, dass eine Bestimmung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht schon dann erforderlich ist, wenn es sich nur um das Inkraftsetzen einer bundeseinheitlichen Regelungen handelt oder die Regelung nur eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse beinhaltet. Der Bundesgesetzgeber dürfe vielmehr erst dann eingreifen,
wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet (vgl. BVerfGE 106, 62 (144); 112, 226 (244)). Ein rechtfertigendes besonderes Interesse an einer bundesgesetzlichen Regelung kann auch dann bestehen, wenn sich abzeichnet, dass Regelungen in einzelnen Ländern aufgrund ihrer Mängel zu einer mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unvereinbaren Benachteiligung der Einwohner dieser Länder führen und diese deutlich schlechter stellen als die Einwohner anderer Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 (153 f.); 112, 226 (244 f.)).
b) Diesen Anforderungen genügt das vom Bund eingeführte Betreuungsgeld allerdings nach Auffassung der entscheidenden Richter nicht:
aa) So kann das Erfordernis einer bundesgesetzlichen Regelung insbesondere nicht damit begründet werden, dass nur ein kleiner Teil vergleichbare Sozialleistungen vorsehe, während andere Länder derartige Leistungen nicht gewähren:
Zwar gibt es gegenwärtig nach den Landeserziehungsgeldgesetzen in Bayern, in Sachsen und noch in Thüringen, nicht aber in anderen Ländern, dem Betreuungsgeld ähnliche staatliche Leistungen. Diese Konsequenz föderal vielfältiger Gestaltungen führt jedoch nicht zu einer erheblichen Schlechterstellung von Eltern in jenen Ländern, die solche Leistungen nicht gewähren. Ohnehin könnte das Bundesbetreuungsgeld ein bundesweit gleichwertiges Förderungsniveau von Familien mit Kleinkindern schon deshalb nicht herbeiführen, weil keine Anrechnungsvorschrift bezüglich bereits bestehender Landesregelungen existiert, sodass Eltern neben dem Bundesbetreuungsgeld in den drei genannten Ländern bei Erfüllen der jeweiligen Bezugsvoraussetzungen weiterhin zusätzlich das Landeserziehungsgeld beziehen können.
bb) Darüber hinaus führen auch nicht durch die Förderung der Kinderbetreuung durch Dritte entstehende Ungleichbehandlungen gegenüber der Betreuung von Kleinkindern im häuslichen Umfeld zu einer nicht mehr hinnehmbaren dramatischen Veränderungen des Sozialgefüges:
Die Gewährung von Betreuungsgeld ist nicht deshalb nach Art. 72 Abs. 2 GG zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse erforderlich, weil der Ausbau der Kindertagesbetreuung von Bund und Ländern seit Jahren gefördert und damit diese Form der frühkindlichen Betreuung bereits durch finanzielle Leistung unterstützt wird, sodass es einer Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte bedürfte (vgl. aber BTDrucks 17/9917, S. 9 linke Spalte). Das Merkmal der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zielt auf den Ausgleich spezifisch föderaler Nachteile der Einwohner einzelner Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 (153 f.); 112, 226 (244 f.)) zur Vermeidung daraus resultierender Gefährdungen des bundesstaatlichen Sozialgefüges, nicht aber auf den Ausgleich sonstiger Ungleichheiten. Wenn die Kleinkindertagesbetreuung durch Dritte stärker gefördert wird als die Betreuung von Kleinkindern im häuslichen Umfeld, so liegt darin jedenfalls kein spezifisch föderaler Nachteil.
cc) Auch aus den Grundrechten könne ungeachtet der Frage, ob sich aus diesen im Hinblick auf das Kriterium gleichwertiger Lebensverhältnisse überhaupt ein Gesetzgebungsrecht des Bundes nach Art. 72 Abs. 2 GG ergeben kann, keine Erforderlichkeit zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse angenommen werden:
Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich jedoch aus dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, die Pflege- und Erziehungsleistung der Eltern zu unterstützen, nicht herleiten. Der Bundes- und die Landesgesetzgeber sind verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, eine Leistung der hier in Rede stehenden Art zu gewähren… Auch Gleichheitsgründe gebieten weder dem Bundes- noch dem Landesgesetzgeber, ein Betreuungsgeld zu gewähren, um eine vermeintliche Benachteiligung von die Betreuung eigenständig durchführenden Eltern gegenüber jenen Eltern zu vermeiden, die einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in Anspruch nehmen. Das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung steht allen Eltern offen. Nehmen Eltern dies nicht in Anspruch, verzichten sie freiwillig, ohne dass dies eine verfassungsrechtliche Kompensationspflicht auslöste.
dd) Zudem kann nach Ansicht des BVerfG ebenfalls nicht der in der Gesetzesbegründung angeführte Umstand, dass bis heute zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Verfügbarkeit öffentlicher und privater Angebote im Bereich der frühkindlichen Betreuung bestehen (vgl. BTDrucks 17/9917, S. 8 rechte Spalte), die Erforderlichkeit der Einführung des Betreuungsgeldes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse begründen.
Zwar bestehen – in abnehmendem Maße – bis heute zwischen den neuen und den alten Ländern Unterschiede hinsichtlich der Betreuungsquote…Ungeachtet der Frage, ob damit hinsichtlich der Verfügbarkeit von öffentlich geförderten Betreuungsplätzen überhaupt eine nach Art. 72 Abs. 2 GG relevante Schlechterstellung der Einwohner bestimmter Länder vorliegt, bezweckt das Betreuungsgeld aber nicht, etwaige Engpässe bei der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen für Kleinkinder zu beheben. Es ist dafür auch weder geeignet noch erforderlich.
Das Betreuungsgeld ist nicht als Ersatzleistung für den Fall ausgestaltet, dass ein Kleinkind keinen Platz in einer Betreuungseinrichtung erhält. Der Anspruch auf Betreuungsgeld setzt nach § 4a BEEG nicht voraus, dass kein öffentlich geförderter Betreuungsplatz verfügbar ist; vielmehr genügt die Nichtinanspruchnahme auch dann, wenn ein Betreuungsplatz vorhanden ist. Das Betreuungsgeld könnte etwaige Engpässe bei der Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen auch nicht beheben, da es nicht den gewünschten Betreuungsplatz schafft, sondern eine alternative Förderung bietet, die zudem angesichts der Höhe des Betreuungsgeldes zur Finanzierung eines privaten Betreuungsplatzes bei Weitem nicht ausreichte….
Vor allem aber ist der Zugang zu öffentlich geförderten Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder seit dem Jahr 2013 rechtlich so ausgestaltet, dass jedem Kind, dessen Eltern einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz wünschen, ein solcher Platz auch zur Verfügung gestellt werden muss. Nach § 24 Abs. 2 SGB VIII besteht diesbezüglich ein einklagbarer Leistungsanspruch, der nicht unter Kapazitätsvorbehalt gestellt ist. Danach kann das Betreuungsgeld von vornherein nicht auf die Schließung einer Verfügbarkeitslücke gerichtet sein…
2. Art. 72 Abs. 2 Var. 2 und 3 GG : Erforderlichkeit zur Wahrung der Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse
Zwar erfüllt die Regelung des Betreuungsgeldes nicht die Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 Var. 1 GG, allerdings könnte sie jedoch zur Wahrung der Rechtseinheit oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein:
a) Allerdings legt das BVerfG auch diese beiden Zielvorgaben restriktiv aus:
Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann (vgl. BVerfGE 125, 141 (155)). Sie ist zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten (vgl. BVerfGE 106, 62 (146 f.); 112, 226 (248 f.)….
b) Diesen Anforderungen entspricht das bundesgesetzlich normierte Betreuungsgeld jedoch ebenfalls nicht:
Der Annahme, die angegriffene Bundesregelung sei zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, steht bereits entgegen, dass sie zusätzliche vergleichbare Leistungen in einzelnen Ländern bestehen lässt, so dass eine Rechtsvereinheitlichung ohnehin nicht herbeigeführt wird …. Die bundesgesetzliche Bereitstellung von Betreuungsgeld ist auch nicht zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich. Die Einführung eines Bundesbetreuungsgeldes war nicht Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik. Unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder haben keine erkennbaren erheblichen Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich gebracht. Auch der Gesetzgeber hat einen solchen Wirkzusammenhang nicht behauptet.
Auch Erforderlichkeitserwägungen, die im Gesetzgebungsverfahren zum Kinderförderungsgesetz angestellt wurden und dieses rechtfertigen können, sind nach Auffassung des BVerfG nicht auf das Betreuungsgeld übertragbar. So sieht das BVerfG nämlich erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Regelungszweckes der beiden gesetzlichen Regelungen:
Während beim Kinderförderungsgesetz unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit maßgeblich auf den Zusammenhang zwischen Kinderbetreuungsmöglichkeit und Möglichkeiten der Beteiligung von Eltern am Arbeitsleben abgestellt und damit an die Bedeutung der Regelungen als Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsfaktor angeknüpft wurde, fördert das hier zu beurteilende Betreuungsgeld die Erwerbsbeteiligung von Eltern nicht. Insbesondere ist das Betreuungsgeld weder dazu bestimmt noch ist es angesichts seiner Höhe dazu geeignet, eine private, nicht öffentlich geförderte Kinderbetreuung zu finanzieren.
Gleiches müsse auch auch für Erwägungen im Zusammenhang mit dem Elterngeld gelten, da dieses mit einer Höhe von 67 % des vorherigen Eikommens einen erheblichen Faktor für die Frage einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit darstelle, während nicht erkennbar sei, dass das Betreuungsgeld mit einer monatlichen Zahlung von 150 € geeignet wäre, einen auch nur annähernd ähnlichen Unterbrechungseffekt zu entfalten.
3. Erforderlichkeit der Regelungen „als Teil eines schon dem Kinderförderungsgesetz zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zur Bewältigung der Probleme der Lebenssituation von Familien mit kleinen Kindern hinsichtlich der Kinderbetreuung“.
Zudem erteilt das BVerfG der von der bayerischen Staatsregierung vertretenen Ansicht, dass die Regelungen zum Betreuungsgeld „ als Teil eines schon dem Kinderförderungsgesetz zugrunde liegenden Gesamtkonzepts zur Bewältigung der Probleme der Lebenssituation von Familien mit kleinen Kindern hinsichtlich der Kinderbetreuung“ erforderlich seien, eine Absagen. So könne die Erforderlichkeit des Betreuungsgelds nicht damit begründet werden, dass das Betreuungsgeld im Verbund mit dem Kinderförderungsgesetz kompetenzrechtlich als Ausdruck eines Gesamtkonzepts zu sehen sei:
a) Das BVerfG betont, dass grundsätzlich jede unter den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG fallende Fürsorgeleistung den Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG entsprechen müsse. Dies sei grundsätzlich auch in den Fällen erforderlich, in denen der Gesetzgeber selbständige Leistungen der öffentlichen Fürsorge als Teil eines Gesamtkonzeptes ansehe:
Wenn der Bundesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 2 GG für die nach dem Kinderförderungsgesetz gewährten Leistungen von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der öffentlichen Fürsorge Gebrauch machen durfte, begründet dies jedoch nicht auch die Zulässigkeit des Kompetenzgebrauchs hinsichtlich des Betreuungsgeldes. Will der Bundesgesetzgeber verschiedene Arten von Leistungen der öffentlichen Fürsorge begründen, muss grundsätzlich jede Fürsorgeleistung für sich genommen den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG genügen. Allein die Verbindung mit einer Bestimmung, die bundesrechtlicher Regelung unterliegt, schafft demnach noch nicht den bundesrechtlichen Regelungsbedarf für eine Bestimmung, die für sich genommen nicht die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt. Auch wenn der Bundesgesetzgeber selbständige Leistungen der öffentlichen Fürsorge als Teile eines Gesamtkonzepts begreift, teilen diese nicht allein wegen dieses Verknüpfungswillens das kompetenzrechtliche Schicksal. Grundsätzlich ist der Bundesgesetzgeber bei der Realisierung legislativer Gesamtförderungskonzepte vielmehr auf jene Fürsorgeinstrumente beschränkt, die für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllen. Im Übrigen verbleibt ihm die Möglichkeit, eine übergreifende Konzeption in Kooperation mit den Ländern und in Abstimmung mit deren Gesetzgebung zu verfolgen.
b) Allerdings könne es Fälle geben, in denen zwischen zwei Förderinstrumenten ein untrennbarer Zusammenhang bestehe, der dazu führe, dass die Erforderlichkeit der einen Regelung ausnahmsweise auf die andere Regelung übertragen werden könne. Das BVerfG verlangt jedoch für einen solchen untrennbaren Zusammenhang, dass die
Instrumente dafür objektiv in einem sachlichen Unteilbarkeitsverhältnis stehen, so dass das für sich genommen nach Art. 72 Abs. 2 GG nicht erforderliche Instrument integraler Bestandteil des Gesamtkonzepts wäre und sein Herausbrechen die Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion gefährdete (vgl. BVerfGE 106, 62 (149 f.); 113, 167 (197 f.), 199>).
Dieses Erfordernis sei allerdings hier nicht erfüllt, da zwischen dem Betreuungsgeld sowie dem Kinderförderungsgesetz ein solcher Zusammenhang nicht bestehe:
Die Regelungen des Kinderförderungsgesetzes verlören nichts von ihrer Tragfähigkeit, wenn das anderweitig geregelte Betreuungsgeld entfiele. Insbesondere veränderte sich dadurch nicht der Charakter der Leistungen und Regelungen des Bundes zur Kinderbetreuung in öffentlich geförderten Betreuungseinrichtungen. Entfiele das Betreuungsgeld, blieben die Regelungen und Ziele des Kinderförderungsgesetzes, namentlich der Ausbau der Betreuung von Kleinkindern sowie die Einführung eines entsprechenden Betreuungsanspruchs, unberührt… Auch wenn der Gesetzgeber ein Gesamtkonzept der frühkindlichen Betreuung schaffen wollte, sind das Kinderförderungsgesetz und die Regelungen über das Betreuungsgeld in kompetenzrechtlicher Hinsicht selbständige Teile dieses Gesamtkonzepts, von denen einer entfallen könnte, ohne dass der andere seinen Sinn verlöre oder auch bloß seinen Gehalt veränderte.
c) Nach Ansicht des BVerfG führe auch nicht die dem Gesetzgeber im Rahmen des Art. 72 Abs. 2 GG zustehende Einschätzungsprärogative zu einem anderen Ergebnis. Zwar stehe dem Gesetzgeber eine solche Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Einschätzung sowie Bewertung derjenigen tatsächlichen Entwicklungen, von denen die Erforderlichkeit bundesrechtlicher Regelungen hinsichtlich der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke abhängt, zu. Allerdings reiche diese nicht so weit, dass dieser vollständig ohne gerichtliche Kontrolle beurteilen könne, ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gegeben sind. So führt das BVerfG dazu aus:
Dem Bundesgesetzgeber hier eine nicht justiziable Verknüpfungskompetenz zu überlassen, verbietet sich nicht zuletzt angesichts der Entstehungsgeschichte des Art. 72 Abs. 2 GG. In der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 war Art. 72 Abs. 2 GG im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung noch als sogenannte Bedürfnisklausel ausgestaltet. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Frage, ob ein Bedürfnis im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG a.F. nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, als eine Frage des pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers bezeichnet, die ihrer Natur nach nicht justiziabel und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen sei (…).
Durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I S. 3146) wurde die Bedürfnisklausel durch die heute geltende Erforderlichkeitsklausel ersetzt. Ziel der Neufassung war es, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zu konzentrieren, zu verschärfen und zu präzisieren, um die „als unzureichend empfundene Justiziabilität der Bedürfnisklausel durch das Bundesverfassungsgericht zu verbessern“ (vgl. BTDrucks 12/6633, S. 8 rechte Spalte). Nach dieser Maßgabe hat das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen der Bundesgesetzgebungskompetenzen aus Art. 74 GG und aus Art. 75 GG a.F. auf der Grundlage der neuen Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG heutiger Fassung strengerer Prüfung unterzogen als zuvor (…).
Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 hat er den Anwendungsbereich der im Jahr 1994 in den Kriterien enger gefassten Erforderlichkeitsklausel auf bestimmte Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 GG beschränkt, nicht aber die Erforderlichkeitsklausel selbst gelockert (…).
Vor diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund kann es nicht der einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogenen Einschätzungsprärogative des Bundesgesetzgebers überlassen bleiben, im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge selbständige Förderinstrumente mit der Folge zu einem politischen Konzept zu verbinden, dass bereits hierdurch die Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung umfassend zu bejahen wäre. Könnte der Bundesgesetzgeber kraft politisch gewollter Verklammerung verschiedener Fürsorgeinstrumente auch für jene Instrumente die Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes begründen, die für sich genommen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllen, hätte der Bund die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nach wie vor selbst in der Hand. Dies wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber im Jahr 1994 durch die Reform des Art. 72 Abs. 2 GG gerade ausschließen (vgl. BVerfGE 106, 62 (148)).
Mangels Gesetzgebungskompetenz verstoßen die §§ 4a bis 4d BEEG in der durch das Betreuungsgeldgesetz vom 15. Februar 2013 erlangten Fassung gegen das Grundgesetz.