Wir freuen uns, heute eine Gastbeitrag von Lars Stegemann veröffentlichen zu können. Er befasst sich diesmal mit der Reichweite von Räum- und Streupflichten auf privaten Gehwegen.
Das LG Frankfurt entschied mit Urteil vom 21.11.2013 (Az.: 2-05 O 444/12), dass Schadensersatzansprüche eines Fußgängers wegen Verletzung von Räum- und Streupflichten bei einem Sturz auf einem erkennbar nicht geräumten Gehweg wegen überwiegenden Mitverschuldens ausgeschlossen sein können.
Sachverhalt
Dem Fall lag der folgende Sachverhalt zugrunde: In den Tagen vor dem streitgegenständlichen Unfall hatte es mehrfach geschneit. Die Klägerin, wohnhaft in den USA, traf am Tag des Unfalls mit dem Flugzeug aus den USA kommend ein und ließ sich mit einem Taxi vor das Haus der Beklagten fahren. Um zum rückwärtig gelegen Eingang zu gelangen, nahm sie einen schmalen Weg entlang der Rückseite des Anwesens. Der Weg war gut sichtbar nur teilweise vom Schnee befreit und vollständig von einer dicken Eisschicht bedeckt. Bereits nach wenigen Schritten stürzte die Klägerin.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten, der Eigentümerin des Grundstücks, Schadensersatz in Höhe von 82.821,13 € sowie ein angemessenes Schmerzensgeld auf Grund der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Zu Recht?
Entscheidung des LG Frankfurt
Das LG Frankfurt hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
Ansprüche der Klägerin hätten sich sowohl aus § 823 Abs. 1 BGB als auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB ergeben können (s. ausführlich zu Schadensersatzansprüchen auf Grund der Verletzung von Räum- und Streupflichten unseren älteren Übersichtsbeitrag).
Bereits die Verletzung der Verkehrssicherungspflichten war zwischen den Parteien streitig. Während die Klägerin der Beklagten vorwarf, ihren Räum- und Streupflichten nicht nachgekommen zu sein oder zumindest ihren Überwachungspflichten nicht genügt zu haben, verwies die Beklagte auf die Übertragung der Verkehrssicherungspflichten auf die Nebenintervenientin und die Erfüllung ihrer damit einhergehenden Kontrollpflichten (vgl. bereits hier; ferner BGH, Urteil vom 22.1.2008, VI ZR 126/07, NJW 2008, 1440).
Das LG Frankfurt ließ offen, ob die Beklagte zumindest die bei ihr im Falle der Delegierung verbleibenden Kontrollpflichten erfüllt hat, und ging von einem vollständigen Anspruchsausschluss wegen überwiegenden Mitverschuldens gem. § 254 Abs. 1 BGB aus. Ein solcher Anspruchsausschluss komme in Betracht, wenn dem Verhalten eines der Beteiligten für die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts überragende Bedeutung zukomme. Hierfür wird üblicherweise eine Mitverschuldensquote im Rahmen der maßgeblichen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge von 80-90% genannt (Palandt/Grünberg, 70. Auflage 2011, § 254 Rn. 57 ff., 64 ff.).
Dazu führt das Gericht aus, dass jeder Verkehrsteilnehmer sich auf die durch Schnee und Eis entstehenden Gefahren einstellen und zur Schadensverhütung im eigenen Interesse die Maßnahmen ergreifen müsse, die nach der gegebenen Gefahrenlage geboten seien. Insbesondere seien erkennbare, besondere Gefahrenlagen zu umgehen, ein verkehrsgerechtes Verhalten an den Tag zu legen und man dürfe sich der Gefahr nur nach sorgfältiger Abwägung von Beherrschbarkeit und Gefährlichkeit aussetzen.
Die durch den nicht ausreichenden Winterdienst entstandene Gefahrenlage sei erkennbar und der Klägerin wohl auch bewusst gewesen. Nach Auskunft der Klägerin war eine Benutzung des vereisten Weges nicht zwingend, sodass die Klägerin die Gefahrenquelle hätte meiden müssen. Zumindest hätte sie ihn zur Schadensvermeidung im eigenen Interesse nicht mit nicht rutschfesten Schuhen betreten dürfen. Insbesondere sei die Klägerin auf Grund des Schuhwerks, ihres Alters und des langen Fluges nicht in der Lage gewesen, die Gefahrensituation zu bewältigen.
Stellungnahme
Die Entscheidung des LG Frankfurt ist zu begrüßen. Mit Recht hebt das Gericht hervor, dass eine durch Schnee und Glatteis hervorgerufene Gefahrenlage keineswegs zwingend zu einem Sturz führen muss, sondern es auch maßgeblich auf das Verhalten des Geschädigten ankommt. Nach § 254 Abs. 1 BGB hat sich jeder Verkehrsteilnehmer im eigenen Interesse so zu verhalten, dass Schäden möglichst unterbleiben. Überzeugend stellt das Gericht in Anknüpfung an das OLG Hamm (Urteil vom 5.6.1998 – 9 U 217/97, NZV 1999, 127) hier die Leitlinie auf, dass vermeidbare Gefahrenquellen grundsätzlich zu umgehen sind, zumindest aber mögliche Maßnahmen zur Bewältigung der Gefahr zu ergreifen sind.
Im Zusammenhang mit Räum- und Streupflichten sollte deshalb nicht nur das damit einhergehende Problem der Verkehrssicherungspflichten, insbesondere ihre Begründung und ihr Prüfungsstandort, bekannt sein. Es ist darüber hinaus stets an eine Obliegenheitsverletzung durch den Geschädigten zu denken, die nach § 254 BGB zu einer Anspruchskürzung oder, wie das LG Frankfurt in der Entscheidung betont, in besonderen Konstellationen zu einem vollständigen Anspruchsausschluss führen kann.
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