• Lerntipps
    • Examensvorbereitung
    • Fallbearbeitung und Methodik
    • Für die ersten Semester
    • Mündliche Prüfung
  • Examensreport
    • 2. Staatsexamen
    • Baden-Württemberg
    • Bayern
    • Berlin
    • Brandenburg
    • Bremen
    • Hamburg
    • Hessen
    • Lösungsskizzen
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Niedersachsen
    • Nordrhein-Westfalen
    • Rheinland-Pfalz
    • Saarland
    • Sachsen
    • Sachsen-Anhalt
    • Schleswig-Holstein
    • Thüringen
    • Zusammenfassung Examensreport
  • Interviewreihe
    • Alle Interviews
  • Rechtsgebiete
    • Strafrecht
      • Klassiker des BGHSt und RGSt
      • StPO
      • Strafrecht AT
      • Strafrecht BT
    • Zivilrecht
      • AGB-Recht
      • Arbeitsrecht
      • Arztrecht
      • Bereicherungsrecht
      • BGB AT
      • BGH-Klassiker
      • Deliktsrecht
      • Erbrecht
      • Familienrecht
      • Gesellschaftsrecht
      • Handelsrecht
      • Insolvenzrecht
      • IPR
      • Kaufrecht
      • Kreditsicherung
      • Mietrecht
      • Reiserecht
      • Sachenrecht
      • Schuldrecht
      • Verbraucherschutzrecht
      • Werkvertragsrecht
      • ZPO
    • Öffentliches Recht
      • BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker
      • Baurecht
      • Europarecht
      • Europarecht Klassiker
      • Kommunalrecht
      • Polizei- und Ordnungsrecht
      • Staatshaftung
      • Verfassungsrecht
      • Versammlungsrecht
      • Verwaltungsrecht
      • Völkerrrecht
  • Rechtsprechungsübersicht
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Karteikarten
    • Strafrecht
    • Zivilrecht
    • Öffentliches Recht
  • Suche
  • Menü Menü
Du bist hier: Startseite1 > Freizügigkeit

Schlagwortarchiv für: Freizügigkeit

Dr. Lena Bleckmann

COVID-19: Sind Beherbergungsverbote rechtmäßig? Aktelle Entscheidungen aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verwaltungsrecht

Kaum ein Thema hat in der vergangenen Woche die Diskussion um neue Präventionsmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 so dominiert wie die Beherbergungsverbote. Diese wurden von einigen Bundesländern aufgrund stark ansteigender Fallzahlen eingeführt, andere wiederum verweigerten vergleichbare Maßnahmen. Nicht nur diese Uneinheitlichkeit stand in der Kritik – auch die Wirksamkeit solcher Beherbergungsverbote zur Pandemiebekämpfung wurde bezweifelt.
Nun liegen erste Eilentscheidungen der zuständigen Gerichte vor, und es zeigt sich: Einheitlichkeit wird auch die Rechtsprechung hier vorerst nicht herbeiführen. Im Folgenden sollen die aktuellen Entscheidungen des VGH Mannheim, des OVG Lüneburg sowie des OVG Schleswig-Holstein in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Die Examensrelevanz – für Klausuren wie mündliche Prüfungen – liegt auf der Hand.
I. VGH Mannheim: Beherbergungsverbot außer Vollzug gesetzt
In Baden-Württemberg wurde die Beherbergung von Gästen, die sich in einem Land- oder Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik aufgehalten haben oder dort ihren Wohnsitz haben, in dem der Schwellenwert von 50 gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen überschritten wurde, durch § 2 Abs. 1 der Corona-Verordnung Beherbergungsverbot untersagt. Eine Ausnahme sollte nur möglich sein, wenn die betroffenen Gäste einen negativen Coronatest vorlegen konnten, der nicht älter als 48 Stunden ist. Die Reisebeschränkung soll nach Angaben der Landesregierung der Eindämmung des Pandemiegeschehens dienen.
Hiergegen wendete sich eine Familie aus dem Kreis Recklinghausen, in dem die kritische Marke bereits überschritten wurde, mit einem Eilantrag. Die Familie hatte einen mehrtägigen Urlaub in Baden-Württemberg gebucht und wollte diesen auch antreten.

Anmerkung: Das Land Baden-Württemberg hat in § 4 AGVwGO von der Möglichkeit nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht, die Normenkontrolle auch gegen im Rang unter dem Landesrecht stehende Rechtsvorschriften zuzulassen. Bei dem Eilantrag gegen die Verordnung handelt es sich daher um einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen.

Das Gericht gab dem Antrag statt. Dies begründete es vorwiegend mit einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG. Der Eingriff in den Schutzbereich steht hier außer Frage. Kernstück der Prüfung dürfte die Verhältnismäßigkeit eines Verbots sein. Zugunsten der Verordnung ist hier – wie so häufig zur Rechtfertigung von Präventionsmaßnahmen in Zeiten der Pandemie – anzuführen, dass das Beherbergungsverbot dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter dient, da es Gefahren für die körperliche Unversehrtheit und Gesundheit einer Großzahl von Personen abwenden soll und der Bewahrung der Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems dient. Gegen die Verhältnismäßigkeit eines Beherbergungsverbots spricht jedoch nach der Argumentation des VGH Mannheim ganz entscheidend, dass innerdeutsche Urlaubsreisen sowie der Aufenthalt in Beherbergungsbetrieben bisher kein Treiber der Pandemie gewesen sind. Dies seien vielmehr Feiern in größeren Gruppen sowie der Aufenthalt in engen Räumen. Ein Zusammenhang zwischen der Beherbergung und einem besonders hohen Infektionsrisiko bestehe nicht, zumal in Beherbergungsbetrieben nicht zwangsläufig eine größere Zahl von Menschen aufeinandertreffen würde. Dass daher gerade Beherbergungsbetriebe im Gegensatz zu Bars und Vergnügungsstätten Beschränkungen unterworfen werden sollen, erschließe sich nicht.
Hieran soll auch die Befreiungsmöglichkeit aufgrund eines negativen Coronatests nichts ändern: Ob ein solcher in der vorgegebenen Zeit überhaupt erlangt werden könne, sei nicht gesichert. Den Betroffenen sei es daher nicht zumutbar, sich auf diese Möglichkeit der Befreiung verweisen zu lassen.
Insgesamt wurde das baden-württembergische Beherbergungsverbot daher mit sofortiger Wirkung außer Vollzug gesetzt.
(Siehe zum Ganzen: VGH Mannheim, Pressemitteilung vom 15.10.2020, hier abrufbar).
II. OVG Lüneburg: Niedersächsisches Beherbergungsverbot ebenfalls außer Vollzug gesetzt
Ähnlich entschied das OVG Lüneburg zum niedersächsischen Beherbergungsverbot. Dieses war in § 1 der Niedersächsischen Corona-Berherbergungs-Verordnung vorgesehen. Der Betreiber eines Ferienparks wendete sich wiederum mit einem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen das Verbot und hatte Erfolg.
Das niedersächsische Verbot ist nach Ansicht des OVG Lüneburg bereits zu unbestimmt, da es Personen „aus“ Risikoverbieten erfasse, ohne zu präzisieren, ob sie dort ihren Wohnsitz haben oder gewöhnlichen Aufenthalt haben müssten.
Weiterhin bezweifelte das Gericht die Notwendigkeit der infektionsschutzrechtlichen Maßnahme:

 „Angesichts des engen Anwendungsbereichs (Übernachtungen zu touristischen Zwecken in Beherbergungsbetrieben, nicht aber bloße Einreisen und Aufenthalte ohne Übernachtungen zu jedweden Zwecken, unter anderem Fahrten von Berufspendlern und Heimreisen niedersächsischer Bürgerinnen und Bürger aus Urlauben in innerdeutschen Risikogebieten) und zahlreicher Ausnahmen (unter anderem negativer Corona-Test, „triftiger Reisegrund“ und Einzelfallausnahmen des Gesundheitsamts) erfasse das Verbot von vorneherein nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des Reisegeschehens und könne auch nur insoweit überhaupt eine Wirkung auf das Infektionsgeschehen entfalten.“ (OVG Lüneburg, Pressemitteilung vom 15.10.2020).

Im Übrigen argumentierte das Gericht vergleichbar dem VGH Mannheim mit dem fehlenden Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt in Beherbergungsbetrieben und dem Infektionsgeschehen. Das Verbot stelle insgesamt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Betreiber nach Art. 12 GG dar, der auch nicht durch die geltenden Ausnahmen so abgemildert werde, dass eine Verhältnismäßigkeit der Regelung bestehe. Auch hinsichtlich der begrenzten Möglichkeit, innerhalb einer kurzen Zeitspanne einen negativen Coronatest zu erlangen, entspricht die Argumentation des Gerichts der das VGH Mannheim.
Auch das niedersächsische Beherbergungsverbot wurde daher vorläufig außer Vollzug gesetzt.
(Siehe zum Ganzen OVG Lüneburg, Pressemitteilung vom 15.10.2020, hier abrufbar).
III. OVG Schleswig-Holstein: Beherbergungsverbot bleibt in Kraft
Anders entschied demgegenüber das Schleswig-Holsteinsche Oberverwaltungsgericht. Vor dem Hintergrund der stark ansteigenden Infektionszahlen sah sich das Gericht nicht in der Lage, das dort geltende Beherbergungsverbot außer Vollzug zu setzen. Dies könnte zu einem unkontrollierten Anreisen von Touristen nach Schleswig-Holstein führen, was die öffentliche Gesundheit gefährden würde. Im Rahmen der Folgenabwägung müsse eine Entscheidung daher zugunsten des Beherbergungsverbots ausfallen.
(Siehe zum Ganzen die Zusammenfassung der FAZ , eine Pressemitteilung des Gerichts steht noch aus).
IV. Ausblick
Wie so oft zeigt sich: Mit guter Argumentation sind verschiedene Lösungen vertretbar. Die Entscheidungen sollten Studenten wie Examenskandidaten Anlass geben, die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie die Normenkontrolle nach § 47 VwGO zu wiederholen. Ein Augenmerk sollte auch auf den Unterschieden, die sich aus der Situation des Antragstellers ergeben, liegen: Während das baden-württembergische Verbot an Art. 11 GG gemessen wurde, kam es in Niedersachsen auf die Vereinbarkeit mit Art. 12 GG an. 
Im Übrigen sollte im Hinblick auf anstehende Klausuren und mündliche Prüfungen die aktuelle Rechtsprechung zum Pandemiegeschehen im Blick gehalten werden – an den Beherbergungsverboten zeigt sich besonders deutlich, dass sich diese hervorragend in juristische Prüfungen einbinden lässt. 

16.10.2020/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2020-10-16 09:15:592020-10-16 09:15:59COVID-19: Sind Beherbergungsverbote rechtmäßig? Aktelle Entscheidungen aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein
Dr. Maximilian Schmidt

BVerfG: Garzweiler II – Neues zu Art. 14 GG

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Der folgende Beitrag soll die Entscheidung des BVerfG vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 (Garzweiler II), die in den Medien große Beachtung erfuhr, zusammenfassen und die prüfungsrelevantesten Aussagen herausfiltern. Hierzu erfolgt eine starke Vereinfachung sowohl des Sachverhalts als auch der Ausführungen des BVerfG.
Garzweiler II ist ein Braunkohletagebau im Rhein-Kreis-Neuss, für dessen Betrieb unter anderem die Grundstücke der Beschwerdeführer enteignet werden mussten. Verfahrensrechtlich zu beachten war, dass die Beschwerdeführer keine Klagemöglichkeit gegen die Eröffnung des Tagebaus selber hatten, sondern lediglich gegen die spätere Enteignung vorgehen konnten (s. hierzu II. 3.).
I. Zu Art. 11 GG
Zunächst machte der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechtes aus Art. 11 GG geltend, da er nunmehr nicht mehr die Möglichkeit habe im Gebiet des Braunkohletagebaus – und somit seinem Grundstück – seinen Wohnsitz zu nehmen. Hierzu führt das BVerfG aus:

„Freizügigkeit im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG bedeutet das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen (vgl. BVerfGE 2, 266 <273>; 43, 203 <211>; 80, 137 <150>; 110, 177 <190 f.>). Hierzu zählt die Einreise nach Deutschland zum Zwecke der Wohnsitznahme (vgl. BVerfGE 2, 266 <273>; 43, 203 <211>; 110, 177 <191>) und die Freizügigkeit zwischen Ländern, Gemeinden und innerhalb einer Gemeinde (vgl. BVerfGE 110, 177 <191>; siehe auch BVerfGE 8, 95 <97>). Das Grundrecht auf Freizügigkeit garantiert nicht nur die Freiheit des Zuzugs zu einem Ort im Bundesgebiet, es schützt auch das Verbleiben an dem in Freizügigkeit gewählten Ort und damit grundsätzlich auch vor erzwungenen Umsiedlungen.“

Im Hinblick auf beschränkt zugängliche Gebiete stellt es aber fest:

„Das Grundrecht auf Freizügigkeit berechtigt allerdings nicht dazu, an Orten im Bundesgebiet Aufenthalt zu nehmen und zu verbleiben, an denen Regelungen zur Bodenordnung oder Bodennutzung einem Daueraufenthalt entgegenstehen und so bereits den Zuzug ausschließen oder einschränken oder, wenn sie erst nachträglich aufgestellt werden, letztlich zum Wegzug zwingen. Solche Regelungen berühren jedenfalls dann nicht den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG, wenn sie allgemein gelten und nicht gezielt die Freizügigkeit bestimmter Personen oder Personengruppen treffen sollen.“

Darüberhinaus sieht der Beschwerdeführer sein Grundrecht auf „Heimat“, das er ebenfalls aus Art. 11 GG herleiten will, als betroffen an. Das BVerfG setzt sich hiermit im Schutzbereich des Art. 11 GG auseinander und lehnt dies – überzeugend – ab.

„Ein eigenständiges Recht auf Heimat im Sinne des mit dem gewählten Wohnsitz dauerhaft verbundenen städtebaulichen und sozialen Umfelds (in diese Richtung Baer, NVwZ 1997, S. 27 <30 ff.>; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 11 Rn. 17) gewährleistet Art. 11 Abs. 1 GG nicht. Der Parlamentarische Rat hat es mit Blick auf die Folgen von Flucht und Vertreibung bewusst abgelehnt, ein eigenes Recht auf Heimat in das Grundgesetz aufzunehmen (vgl. zweiundvierzigste Sitzung des Hauptausschusses, 18. Januar 1949, in: Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd. 14/2, Hauptausschuss, S. 1293 ff. und Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 9. Sitzung, 6. Mai 1949, S. 175).“

Dies führe auch nicht zu einer Schutzlücke, da diese sozialen und kulturellen Umstände im Rahmen des Grundrechtsschutzes aus Art. 14 GG zu berücksichtigen sind (s. sogleich).
II. Zu Art. 14 GG
1. Schutzbereich

„Die Eigentumsgarantie schützt den konkreten Bestand in der Hand der einzelnen Eigentümer (vgl. BVerfGE 24, 367 <400>; 38, 175 <181, 184 f.>; 56, 249 <260>) und verleiht ihnen die Befugnis, Dritte von Besitz und Nutzung auszuschließen (vgl. BVerfGE 101, 54 <74 f.>). Art. 14 GG schützt den Bestand des konkreten (Wohn-)Eigentums auch in dessen gewachsenen Bezügen in sozialer Hinsicht, soweit sie an örtlich verfestigte Eigentumspositionen anknüpfen.“

2. Eingriff
Zunächst stellt das BVerfG fest, dass der Rahmenbetriebsplan dem Beschwerdeführer noch nicht das Eigentum an seinem Grundstück entzieht. Dies ist auf den ersten Blick einleuchtend, muss doch erst eine Entziehung des Eigentums konkret umgesetzt und angeordnet werden.

„Die Zulassung des Rahmenbetriebsplans entzieht dem Beschwerdeführer allerdings nicht das Eigentum an seinem Grundstück. […] Die Zulassung des Rahmenbetriebsplans greift aber deshalb in das Eigentum des Beschwerdeführers ein, weil sie auch zu seinen Lasten die Feststellung der grundsätzlichen Zulassungsfähigkeit des Tagebauvorhabens enthält ((1)), weil mit ihr gravierende faktische Auswirkungen auf das Wohnumfeld seines Grundstücks in der betroffenen Gemeinde einhergehen ((2)) und weil die Zulassung und die damit eröffnete Verwirklichung des Tagebaus den späteren Rechtsschutz gegen eine Grundabtretung weitgehend entwerten ((3)).“

3. Rechtfertigung
Dieser sei allerdings gerechtfertigt; den Maßstab legt das BVerfG zu Beginn seiner Prüfung fest:

„Die Rahmenbetriebsplanzulassung für einen Tagebau ist danach gegenüber dem betroffenen Grundstücks- oder sonstigen Wohneigentümer mit Blick auf die dadurch dem Grunde nach legitimierte künftige Enteignung nur verfassungsgemäß, wenn das mit dem Tagebauvorhaben verfolgte Gemeinwohlziel sich aus einer hinreichend präzisen, gesetzlichen Gemeinwohlbestimmung ableiten lässt, das Vorhaben zur Erreichung des Gemeinwohlziels vernünftigerweise geboten ist, die Zulassungsentscheidung nicht in einem Entscheidungsfindungsprozess zustande gekommen ist, der verfassungsrechtliche Mindestanforderungen verfehlt, und die Zulassung vertretbar auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtabwägung aller für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange erfolgt.“

Wichtig in diesem Zusammenhang dürfte sein, dass die Energieversorgung als solch wichtiges Gemeinwohlziel anerkannt wird und dem Bund und den Ländern bei der Umsetzung dieses Zieles ein erheblicher Gestaltungs- und Einschätzungsspielraum zugebilligt wird.
Allerdings muss der parlamentarische Gesetzgeber selbst konkret diese Gemeinwohlziele formulieren und ausgestalten (Parlamentsvorbehalt):

„Nach Art. 14 Abs. 3 GG kann eine Enteignung nur durch ein hinreichend gewichtiges Gemeinwohlziel gerechtfertigt werden, dessen Bestimmung dem parlamentarischen Gesetzgeber aufgegeben ist. Das Gesetz muss hinreichend bestimmt regeln, zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen und für welche Vorhaben enteignet werden darf. Allein die Ermächtigung zur Enteignung für „ein dem Wohl der Allgemeinheit dienendes Vorhaben“ genügt dem nicht.“
„Dient eine Enteignung einem Vorhaben, das ein Gemeinwohlziel im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG fördern soll, muss das enteignete Gut unverzichtbar für die Verwirklichung dieses Vorhabens sein. Das Vorhaben ist erforderlich im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, wenn es zum Wohl der Allgemeinheit vernünftigerweise geboten ist, indem es einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels leistet. Eine Enteignung erfordert eine Gesamtabwägung zwischen den für das konkrete Vorhaben sprechenden Gemeinwohlbelangen einerseits und den durch seine Verwirklichung beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belangen andererseits.“

In verfahrensrechtlicher Hinsicht (Art. 19 Abs. 4 GG) stellt das BVerfG fest, dass

„die gesetzliche Ausgestaltung des Entscheidungsfindungsprozesses zur Zulassung eines Braunkohlentagebauvorhabens in Nordrhein-Westfalen […] unter den Gesichtspunkten einer klaren Verteilung von Entscheidungsverantwortung wie auch der verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein transparentes und klares Verfahren, wie sie sich aus rechtsstaatlichen Grundsätzen und den Vorgaben für einen effektiven Grundrechtsschutz (vgl. BVerfGE 53, 30 <59 ff.>) – hier vor allem des Eigentumsgrundrechts – ergeben, Defizite“ aufweist.

Dies deswegen, weil kein Verfahren für die betroffenen Eigentümer bereits gegen die Entscheidung zum Braunkohleabbau zur Verfügung stand, sondern erst gegen die Enteignung. Somit laufe der Rechtsschutz der Betroffenen im Verfahren gegen die Enteignung faktisch ins Leere.

„Schließlich verlangt die auch im Eigentumsgrundrecht wurzelnde Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Eigentumseingriffe (vgl. BVerfGE 45, 297 <322>), dass jedenfalls in komplexen Großverfahren den von der Inanspruchnahme ihres Eigentums bedrohten Eigentümern Rechtsschutz bereits gegen die Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens gewährt wird. Wird in solchen Großverfahren Rechtsschutz erst gegen die Enteignungsentscheidung eröffnet, wird er typischerweise zu spät kommen, sofern der Erfolg des Rechtsbehelfs von der inzident zu prüfenden Rechtmäßigkeit des Gesamtvorhabens abhängt und dieses bereits seit langem ins Werk gesetzt wurde.“

Hieraus zieht das BVerfG praktische Konsequenzen.

„Jedenfalls bei komplexen Vorhaben wie den Braunkohlentagebauten ist auch von Verfassungs wegen eine Ausgestaltung der Entscheidungsfindung erforderlich, welche die Zulassung des Vorhabens nur auf der Grundlage einer Gesamtabwägung aller für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange gestattet. Diese Gesamtabwägung muss als grundsätzlich einheitliche Entscheidung vorgesehen sein, in aller Regel vor Beginn des Abbaubetriebs erfolgen und auch von den Eigentumsbetroffenen rechtzeitig angreifbar sein. […] Der Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Verletzungen der Eigentumsgarantie wird nur genügt, wenn Rechtsschutz gegen einen Eigentumsentzug so rechtzeitig eröffnet wird, dass im Hinblick auf Vorfestlegungen oder den tatsächlichen Vollzug des die Enteignung erfordernden Vorhabens eine grundsätzlich ergebnisoffene Überprüfung aller Enteignungsvoraussetzungen realistisch erwartet werden kann.“

III. Fazit
Letztlich sind die Ausführungen des BVerfG altbewährt – allein die verfahrensrechtlichen Anforderungen sind konkretisiert worden. Nunmehr muss auch eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Planung des Tagebaus selbst bestehen.
In der Klausur kann Garzweiler II sicherlich nur in vereinfachter Form auftauchen, wobei die Prüfung und das Erkennen der Problematik des Art. 19 Abs. 4 GG in einer schwierigeren Klausur durchaus erwartet werden kann. Zudem sollte das Schlagwort „Recht auf Heimat“ bekannt sein, das zwar nicht in Art. 11 GG verankert ist, aber doch durch Art. 14 GG geschützt wird. In einer mündlichen Prüfung kann der Fall zum Anlass genommen werden Art. 14 GG mit seinen Besonderheiten (Junktim-Klausel, Inhalts-und Schrankenbestimmung usw.) zu besprechen. Hierauf sollte man vorbereitet sein.
 

23.01.2014/4 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-01-23 10:00:572014-01-23 10:00:57BVerfG: Garzweiler II – Neues zu Art. 14 GG
Dr. Johannes Traut

Ausweisung von Roma

Europarecht, Öffentliches Recht, Verwaltungsrecht

„Frankreich droht formales Verfahren der EU“ (FAZ v. 27.9.2010, S. 1) – das Thema der Abschiebung von Roma ist weiterhin in der Presse. Entsprechend steigt die Examensrelevanz, das Thema eignet sich besonders für die mündliche Püfung.
In einem Aufsatz „Darf Frankreich Roma ausweisen?“ wurde bereits die Rechtslage aus Sicht des europäischen Primärrechts erläutert. Angesichts der steigenden Examensrelevanz noch einz Ergänzung zu den möglichen Beschränkungen im Sekundär- und nationalem Recht.
Anknüpfungspunkt für diese ist Art. 21 Abs. 1 AEUV, der  das Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der in den „Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen“ gewährt.  Diese Bestimmung müssen von bestimmter Qualität sein, damit das Aufenthaltsrecht nicht unterlaufen werden kann. Gemeint sind in erster Linie – wie bei Art. 45,49 AEUV – Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (vgl. Art. 39 Abs. 3, 52 AEUV).
Diese Vorbehalte nimmt das Sekundärrecht auf. Die Richtlinie 2004/38/EG und ihre nationalen Umsetzungsakte (in Deutschland das Freizügigkeitsgesetz/EU) sind die „Durchführungsvorschriften“ auf die Art. 21 AEUV anspielt.
Die Richtlinie wiederholt in Art. 27 Abs. 1 S. 1 zunächst nur den Vorbehalt für die Trias aus öffentlicher Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit. Immerhin stellt sich jedoch klar, dass eine Beschränkung des Aufenthaltsrechts aus wirtschaftlichen Gründen unzulässig ist und enthältin Art. 31 Verfahrensgarantien.
In dem deutschen Umsetzungsakt werden die mögliche Beschränkungen des Aufenthaltsrechts weiter konkretisiert. In § 6 FreizügG/EU sind die Fälle geregelt, in denen das Recht auf Aufenthalt verloren geht. In § 6 Abs. 1 FreizügG/EU wird zunächst die Formulierung des Art. 27 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie wiederholt.
Im Zusammenhang mit den Romaabschiebungen interessiert vor allem § 6 Abs. 2 FreizügG/EU, der die Verlust des Aufenthaltsrechts wegen Straftaten genauer regelt:

Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Also gilt: Die Begehung einer Straftat kann, muss aber nicht eine Gefährung der öffentlichen Sicherheit bedeuten. Wichtig ist zu erkennen, dass entscheidend nicht ist, ob jemand eine Straftat begangen hat, sondern ob er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Dies sind zwei benachbarte, aber in ihrer Stoßrichtung unterschiedliche Fragen: Die Ausweisung ist keine Bestrafung für in der Vergangenheit liegendes Unrecht. Es ist vielmehr eine in die Zukunft gerichtete Prognose erforderlich, ob der Unionsbürger gegenwärtig (vgl. § 6 Abs. 2 S. 2 FreizügG/EU) eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit darstellt.
Vergleichbar ist die Frage, ob man z.B. für die Zuverlässigkeit i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GastG einen Rückschluss aus Straftaten in der Vergangenheit ziehen kann. Auch hier muss man die in der Strafurteil liegende Beurteilung der Vergangenheit darauf abklopfen, inwiefern sie auch eine Prognose erlaubt.

27.09.2010/0 Kommentare/von Dr. Johannes Traut
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Johannes Traut https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Johannes Traut2010-09-27 10:28:102010-09-27 10:28:10Ausweisung von Roma
Dr. Gerrit Forst

EuGH-Classics: Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften in Europa

Europarecht, Gesellschaftsrecht, Schon gelesen?, Zivilrecht

Limited, S.A.R.L. und BV sind Euch kein Begriff? Nicht wirklich schlimm – im schriftlichen Staatsteil des Examens. Im Schwerpunkt und der Mündlichen kann es da schon anders aussehen. Limited, S.A.R.L. und BV Rechtsformen von EG-Staaten, die der GmbH ähneln. Seit den Urteilen des EuGH in den Rs. Centros, Überseering und Inspire Art tummeln sie sich auch in Deutschland und jagen der GmbH Marktanteile ab.
Der Anfang: Daily Mail
Wir schrieben das Jahr 1988, der Eiserne Vorhang steht noch – auch für Wegzugswillige Gesellschaften aus Europa. Die britische Zeitung „Daily Mail“ will dem drückenden Steuersatz der Queen entfliehen und ihren Verwaltungssitz von der Insel auf den Kontinent verlegen.

Die britischen Finanzbehörden sehen das gar nicht gern und untersagen den Wegzug. Natürlich kommt es zum Rechtsstreit – und dieser gelangt zum EuGH. Luxemburg kommt zu dem Schluss, dass „die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag [jetzt Artt. 43, 48 EG], beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist und in diesem ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nicht das Recht [gewähren], den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.“ Mitgliedstaaten konnten also nationalen Gesellschaften den WEGZUG untersagen.
Die Trilogie: Centros, Überseering, Inspire Art
Jahre später gründet das dänische Ehepaar Bryde eine Limited mit Sitz in London als Briefkastenfirma. Der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft soll in Dänemark liegen, wo aber nur eine Zweigniederlassung der Centros Ltd. registriert werden soll. Das Ganze dient dazu, die dänischen Vorschriften über das Stammkapital einer dänischen GmbH zu umgehen (eine Ltd. kann schon mit 1 Pfund Stammkapital gegründet werden). Es kommt, wie es kommen muss: Das dänische Registergericht verweigert die Eintragung der Zweigniederlassung, weil die Umgehung des dänischen Gesellschaftsrechts rechtsmissbräuchlich sei. 1999 kommt die Sache zum EuGH, und dieser befindet:

„Ein Mitgliedstaat, der die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigert, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmässig errichtet worden ist, aber keine Geschäftstätigkeit entfaltet, verstösst gegen die Artikel 52 und 58 EG-Vertrag [jetzt Artt. 43, 48 EG], wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen soll, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in dem Staat auszuüben, in dem diese Zweigniederlassung errichtet wird, ohne dort eine Gesellschaft zu errichten und damit das dortige Recht über die Errichtung von Gesellschaften zu umgehen, das höhere Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals stellt. Diese Auslegung schließt jedoch nicht aus, daß die Behörden des betreffenden Mitgliedstaats alle geeigneten Maßnahmen treffen können, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen. Das gilt sowohl – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit dem Mitgliedstaat, in dem sie errichtet wurde – gegenüber der Gesellschaft selbst als auch gegenüber den Gesellschaftern, wenn diese sich mittels der Errichtung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber inländischen privaten oder öffentlichen Gläubigern entziehen möchten.“
Demnach war das Vorgehen der Eheleute Bryde grundsätzlich zulässig, den nationalen Gerichten blieb nur die Möglichkeit, betrügerisches Verhalten zu verhindern, wozu die bloße Umgehung von Kapitalaufbringungsvorschriften nicht zählen sollte. Der ZUZUG von Auslandsgesellschaften konnte also nur unter engen Voraussetzungen untersagt werden. Das Urteil war ein Paukenschlag, denn das Gesellschaftsrecht war zu diesem Zeitpunkt nicht in dem Maße harmonisiert, dass die Niederlassung einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat selbstverständlich gewesen wäre. Im Gegenteil: In den meisten Mitgliedstaaten und so auch in Deutschland herrschte die sog. Sitztheorie, eine Gesellschaft wurde nach dem recht des Staates beurteilt, in dem sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hatte. Zog etwa eine britische Ltd. nach Deutschland, fehlte es dieser für eine Anerkennung als GmbH an den Errichtungsvoraussetzungen der §§ 2 ff. GmbHG, sie wurde als GbR behandelt – mit der Folge einer persönlichen Haftung der Gesellschafter entsprechend § 128 HGB (dazu BGHZ 146, 341 – ARGE Weißes Roß).
Kaum hatte sich die erste Aufregung gelegt, folgte im Jahr 2002 schon der zweite Paukenschlag – diesmal war Deutschland betroffen: Die Überseering BV (eine GmbH niederländischen Rechts) verlegte ihren Verwaltungssitz nach Düsseldorf. Dort klagt sie aus einem Werkvertrag gegen einen Schuldner, doch das deutsche Gericht verweigert die BV die Parteifähigkeit (§ 50 ZPO), weil sie nach deutschem Recht nicht rechtsfähig sei. Dazu meint der EuGH:
„Es stellt eine mit den Artikeln 43 EG und 48 EG grundsätzlich nicht vereinbare Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Mitgliedstaat sich u. a. deshalb weigert, die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, anzuerkennen, weil die Gesellschaft im Anschluss an den Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile durch in seinem Hoheitsgebiet wohnende eigene Staatsangehörige, ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in sein Hoheitsgebiet verlegt haben soll, mit der Folge, dass die Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat nicht zu dem Zweck parteifähig ist, ihre Ansprüche aus einem Vertrag geltend zu machen, es sei denn, dass sie sich nach dem Recht dieses Aufnahmestaats neu gründet.“
Insoweit ergaben sich kaum Neuerungen zur Rechtsprechung aus dem Centros-Urteil. Deutschland hatte den ZUZUG einer mitgliedstaatlichen Gesellschaft untersagt, das war mit Centros nicht vereinbar. Neu und daher interessant waren hingegen die Aussagen zur zulässigen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit:
„In dieser Hinsicht lässt es sich zwar nicht ausschließen, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls, wie der Schutz der Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder auch des Fiskus, unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können, solche Ziele können es jedoch nicht rechtfertigen, dass einer Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit abgesprochen wird. Eine solche Maßnahme kommt nämlich der Negierung der den Gesellschaften in den Artikeln 43 EG und 48 EG zuerkannten Niederlassungsfreiheit gleich, so dass sie gegen diese Vorschriften verstößt.“
Der EuGH benennt hier erstmals die Kriterien, nach denen sich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen lässt. In der Sache handelt es sich um den etwa aus der Rs. Keck oder Gebhard bekannten Vier-Stufen-Test, gemünzt auf die Niederlassungsfreiheit. Infolge der Überseering-Entscheidung war der BGH gezwungen, für Gesellschaften aus der EG die Sitztheorie aufzugeben und die Gründungstheorie anzuerkennen. Für Gesellschaften z.B. aus der Schweiz gilt nach wie vor die Sitztheorie (BGH, Urt. v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 – Trabrennbahn).
Die Mitgliedstaaten reagierten. Zwar anerkannten sie, dass sie verpflichtet waren, Zweigniederlassungen von Scheinauslandsgesellschaften einzutragen. Man versuchte aber, diese den heimischen Gesellschaften gleichzustellen. Die Niederlande erließen ein Gesetz, nach dem die für eine BV geltenden Kapitalaufbringungsvorschriften auch für eine Scheinauslandsgesellschaft gelten sollten. Betroffen davon war eine Ltd. mit dem wohlklingenden Namen „Inspire Art“. Inspiriert von seinen vorherigen Urteilen, befand der EuGH im Jahr 2003, nachdem die Ltd. sich gerichtlich gegen die Gleichstellung mit einer BV gewehrt hatte:
„Die Artikel 43 EG und 48 EG stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die die Ausübung der Freiheit zur Errichtung einer Zweitniederlassung in diesem Staat durch eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, die im innerstaatlichen Recht für die Gründung von Gesellschaften bezüglich des Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer vorgesehen sind. Die Gründe, aus denen die Gesellschaft in dem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, sowie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Niederlassung ausübt, nehmen ihr nicht das Recht, sich auf die durch den Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit zu berufen, es sei denn, im konkreten Fall wird ein Missbrauch nachgewiesen.“
Demnach wäre es also unzulässig, wenn Deutschland das Kapitalerfordernis nach § 5 GmbHG auch auf eine Ltd. erstrecken würde, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hat. Umstritten ist, ob das deutsche Mitbestimmungsrecht auf Scheinauslandsgesellschaften Anwendung finden kann oder nicht (dazu etwa Thüsing, ZIP 2004, 381).
Centros Reloaded: SEVIC Systems, Cartesio & Co.
Der EuGH hat seine Rechtsprechung zu den Artt. 43, 48 EG seitdem in einer Reihe von Urteilen bestätigt und konkretisiert. Genannt seien etwa die Entscheidungen SEVIC Systems, Deutsche Shell sowie jüngst Cartesio. Man darf dem EuGH bescheinigen, dass er den Wettbewerb der (gesellschafts-)Rechtsformen in Europa angefacht hat, dadurch aber auch zu einer weiteren Integration des Binnenmarktes beigetragen hat.
Der europäische Gesetzgeber hat inzwischen Schritte unternommen, die Mobilität von Gesellschaften in Europa zu erhöhen: Mit der SE und der SCE stehen inzwischen zwei Rechtsformen zur Verfügung, die ihren Sitz (auch Satzungssitz) ohne Formwechsel in jeden Mitgliedstaat verlegen können. Zudem besteht seit einigen Jahren infolge einer Richtlinie die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Gesellschaften. Mit der SPE steht ein europäischer „GmbH-Konkurrent“ schon in den Startlöchern.
Rechtsprechung: EuGH, Urt. v. 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459 – Centros; EuGH, Urt. v. 5. 11. 2002, Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919 – Überseering; EuGH, Urt. v. 30. 9. 2003, Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155 – Inspire Art.

29.07.2009/4 Kommentare/von Dr. Gerrit Forst
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Gerrit Forst https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Gerrit Forst2009-07-29 00:01:082009-07-29 00:01:08EuGH-Classics: Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften in Europa

Über Juraexamen.info

Deine Zeitschrift für Jurastudium, Staatsexamen und Referendariat. Als gemeinnütziges Projekt aus Bonn sind wir auf eure Untersützung angewiesen, sei es als Mitglied oder durch eure Gastbeiträge. Über Zusendungen und eure Nachrichten freuen wir uns daher sehr!

Werbung

Anzeige

Neueste Beiträge

  • Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“
  • Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“
  • Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Weitere Artikel

Auch diese Artikel könnten für dich interessant sein.

Gastautor

Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Simon Mantsch veröffentlichen zu können. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg tätig. Ein nach §§ 823 […]

Weiterlesen
16.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-16 15:42:082023-01-25 11:42:19Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“
Gastautor

Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“

Alle Interviews, Für die ersten Semester, Interviewreihe, Lerntipps, Rezensionen, Startseite, Verschiedenes

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Maximilian Drews veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und berichtet über sein absolviertes Pflichtpraktikum in einer Bonner Großkanzlei. […]

Weiterlesen
03.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-03 07:26:222023-01-04 10:57:01Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“
Gastautor

Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Tagesgeschehen, Uncategorized

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Theo Peter Rust veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften im siebten Semester an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Mit dem vorliegenden […]

Weiterlesen
23.12.2022/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-12-23 07:42:522022-12-23 08:49:11Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Support

Unterstütze uns und spende mit PayPal

Jetzt spenden
  • Über JE
  • Das Team
  • Spendenprojekt
  • Gastautor werden
  • Mitglied werden
  • Alumni
  • Häufige Fragen
  • Impressum
  • Kontakt
  • Datenschutz

© 2022 juraexamen.info

Nach oben scrollen