Der EGMR hat am 26.06.2012 ein aufsehenerregendes Urteil (Beschwerdenummer 9300/07) gefällt, das sowohl für die Praxis aber vor allem auch für das juristische Examen von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist (Pressemitteilung). Es geht dabei um die Zulässigkeit der deutschen Regelungen zum Jagdrecht und insbesondere um die Zulässigkeit der Zwangsbildung einer Jagdgenossenschaft und dem Bestehen eines gemeinsamen Jagdbezirks. Die Rechtsprechung ist deshalb von sehr hoher Bedeutung, da sie sich (teilweise) gegen ein entsprechendes Urteil des BVerfG vom 13.12.2006 (1 BvR 2084/05) wendet. Ohne sich weit aus dem Fenster zu lehnen, kann man diese Konstellation damit als absoluten Pflichtstoff für die Klausur bezeichnen.
Entscheidend sind folgende Normen:
§ 7 Abs. 1 Satz 1 BJagdG: Zusammenhängende Grundflächen mit einer land-, forst- oder fischereiwirtschaftlich nutzbaren Fläche von 75 Hektar an, die im Eigentum ein und derselben Person oder einer Personengemeinschaft stehen, bilden einen Eigenjagdbezirk.
§ 8 Abs. 1 BJagdG: Alle Grundflächen einer Gemeinde oder abgesonderten Gemarkung, die nicht zu einem Eigenjagdbezirk gehören, bilden einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk, wenn sie im Zusammenhang mindestens 150 Hektar umfassen.
§ 9 Abs. 1 Satz 1 BJagd G: Die Eigentümer der Grundflächen, die zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehören, bilden eine Jagdgenossenschaft.
§ 8 Abs. 5 BJagdG: In gemeinschaftlichen Jagdbezirken steht die Ausübung des Jagdrechts der Jagdgenossenschaft zu.
Dies bedeutet, dass jeder Eigentümer eines entsprechenden Grundstücks automatisch Mitglied der Jagdgenossenschaft wird, mit der Folge, dass er die Ausübung des Jagdrechts auf seinem Grundstück dulden muss. Dies bedeutet, dass die Mitglieder der Jagdgenossenschaft oder entsprechende Pächter ( 10 Abs. 1 Satz 1 BJagdG) die Jagd auf einem fremden Grundstück durchführen dürfen.
Diese Regelung war Bestandteil zahlreicher Streitigkeiten im deutschen Verfassungsrecht. Diese rührten daher, dass sich der jeweilige Grundstückseigentümer in seinem Recht an einer selbstgewählten Nutzung des Grundstücks verletzt sah. Zudem wird dieses Problem dann noch verstärkt, wenn der Betroffene die Jagd aus Gewissensgründen ablehnt. Mit gleichen Gründen kann auch bereits die Mitgliedschaft in der jeweiligen Jagdgenossenschaft abgelehnt werden.
Offensichtlich bestehen also eine Vielzahl von Grundrechten, deren Verletzung in Betracht kommt.
I. Urteil des BVerfG
In seinem Urteil prüfte das BVerfG eine Verletzung der Grundrechte aus
Art. 2,
3,
4,
9 und
14 GG, jeweils einzeln und in Verbindung mit
Art. 19,
20,
20 a GG.
1. Verletzung Art. 14
Zentral ist wohl die Frage nach einer möglichen Verletzung des Eigentumsschutzes aus
Art. 14 GG. Es handelt sich bei den Regelungen zum BJagdG nicht um eine Enteignung (
Art. 14 Abs. 3 GG) sondern lediglich um eine
Inhalts- und Schrankenbestimmung nach
Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.
Fraglich ist aber, ob eine solche Bestimmung verhältnismäßig ist. Das BVerfG definiert das wie folgt:
Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weitergehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. Der Kernbereich der Eigentumsgarantie darf dabei nicht ausgehöhlt werden. Zu diesem gehört sowohl die Privatnützigkeit, also die Zuordnung des Eigentumsobjekts zu einem Rechtsträger, dem es als Grundlage privater Initiative von Nutzen sein soll, als auch die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand.
a) Keine Verletzung Kernbereich
Die Zulässigkeit einer entsprechenden Bestimmung ergibt sich damit daraus, wie stark der soziale Bezug der jeweiligen Regelung ist bzw. wie massiv in den individuellen Bereich des Eigentümers eingegriffen wird. Unzulässig wäre ein Eingriff in den Kernbereich des Eigentums. Dieser wäre nur dann erfasst, wenn ohne das genommene Recht, die verbliebene Position so schwach wäre, dass sie nicht mehr als Eigentum angesehen werden kann. Im konkreten Fall wird dem Eigentümer eine bestimmte Pflicht auferlegt, die sein Eigentum betrifft und die ihn damit das Grundstück nicht mehr vollsttändig so nutzen lässt, wie er es wünscht, es verbleiben aber noch ausreichend freie Nutzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Das BVerfG formuliert das wie folgt:
Mit dem Jagdausübungsrecht wird dem Beschwerdeführer nur ein inhaltlich klar umrissener, begrenzter Teil der Nutzungs- und Gestaltungsmöglichkeiten genommen, die ihm sein Grundeigentum einräumt. Dem Beschwerdeführer verbleibt auch nach Übergang des Jagdausübungsrechts auf die Jagdgenossenschaft eine Rechtsposition, die den Namen „Eigentum“ noch verdient (vgl. nur
BVerfGE 24, 367 <389>).
b) Damit allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung
Es ist damit eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen und zu ermiteln, ob die Regelung von einem legitimen Zweck erfasst ist und erforderlich und angemessen ist.
Das Ziel der Regelung wird dabei bereits in § 1 Abs. 2 BJagdG deutlich, wo es heißt: „Die Hege hat zum Ziel die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepaßten artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen; […].“ Diese Zielbestimmung entspricht auch gerade den grundgesetzlich vorgegebenen Bestimmungen zum
Tierschutz (Art. 20a GG) und widerspricht diesen nicht etwa. Ist aber das Ziel sogar im Grundgesetz vorgegeben und ergibt sich, dass die Regelung auch dieses Ziel erfüllen will, so muss es als legitim angesehen werden. Weiterhin steht der
Schutz der Natur als Gut der Allgemeinheit im Fokus der Betrachtung. Daneben ist auch noch der
Schutz des Eigentums Dritter als verfolgtes Ziel zu bejahen.
Auch das in
Art. 20 a GG aufgenommene Staatsziel des Tierschutzes führt zu keiner anderen Beurteilung. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat mit seiner Einfügung in
Art. 20 a GG vornehmlich den ethisch begründeten Schutz des Tieres als je eigenes Lebewesen (vgl. dazu
BVerfGE 104, 337 <347>) stärken wollen, wie er bereits bisher Gegenstand des Tierschutzgesetzes war (vgl.
BTDrucks 14/8860, S. 1; 14/8360, S. 1). Zu Recht weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz daher nur Einfluss auf die Art und Weise der Jagdausübung haben, nicht aber die Legitimität der mit den angegriffenen Bestimmungen des Jagdrechts verfolgten Ziele einer dem Gemeinwohl verpflichteten Jagd und Hege in Frage stellen kann.
Weiterhin legt das BVerfG dar, dass die Regelung auch erforderlich ist. Die Nichtdurchführung der Jagd auf einzelnen Grundstücken würde die effektive Durchsetzung des Ziels vereiteln oder zumindest erschweren. Alternativen werden damit nicht gesehen:
Würde man einzelnen oder allen Eigentümern das Jagdrecht zur freien Ausübung belassen, bedürfte es – um die genannten Jagd- und Hegeziele zu erreichen – eines voraussichtlich erheblich höheren Regelungs- und Überwachungsaufwands durch den Staat, als dies gegenwärtig gegenüber den auch selbstverwaltend tätigen Jagdgenossenschaften der Fall ist. Ein solches System dürfte zumindest nicht geringere Belastungen des Grundeigentums mit sich bringen als das gegenwärtige.
Auch die Angemessenheitsprüfung führt zu keinem anderen Ergebnis. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass der Betroffene die Handlungen der Jagdgenossenschaft nicht passiv erdulden muss, sondern selbst aktiv mitwirken darf, bzw. zumindest einen Anspruch auf anteilsmäßige Zuweisung der Jagderträge hat. Er bekommt damit zumindest eine Art „Ersatz“. Dieser Ersatz hat zumindest einen objektiven Wert, nur hierauf kann es ankommen. Insgesamt stellt sich damit der Eingriff als verhältnismäßig mild dar und es überwiegen die Interessen, die für die Jagdgenossenschaft sprechen.
Ebenso wird auch eine Verletzung der Vereinigungsfreiheit aus
Art. 9 Abs. 1 GG abgelehnt. Es handelt sich hierbei um einen
öffentlich-rechtlichen Zwangszusammenschluss, der bereits nicht von
Art. 9 GG erfasst ist.
Der Schutzbereich der durch
Art. 9 Abs. 1 GG geschützten Vereinigungsfreiheit ist schon nicht berührt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts garantiert die Vereinigungsfreiheit nur das Recht, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen, ihnen beizutreten oder fernzubleiben (
BVerfGE 10, 89 <102>;
15, 235 <239>;
38, 281 <297 f.>). Eine Anwendung des Grundrechts auf öffentlich-rechtliche Zwangszusammenschlüsse scheidet aus. Dies folgt nicht zuletzt aus der Entstehungsgeschichte des
Art. 9 Abs. 1 GG (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 7. Dezember 2001 –
1 BvR 1806/98 -,
NVwZ 2002, S. 335 <336>).
Zwar ist offensichtlich der Schutzbereich der Gewissensfreiheit aus
Art. 4 GG eröffnet, auch hier ist der Eingriff aber durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt. Es gilt hier Vergleichbares wie bei
Art. 14 GG.
Der Gewissensfreiheit des Beschwerdeführers stehen mithin kollidierende Verfassungsgüter aus
Art. 14 GG und
Art. 20 a GG gegenüber. Es handelt sich dabei um die gleichen, auf verfassungsrechtliche Wertentscheidungen rückführbaren Ziele des Jagdrechts, die auch die jagdrechtliche Inhalts- und Schrankenbestimmung des Grundeigentums rechtfertigen.
Zwangsverbände sind danach nur zulässig, wenn sie öffentlichen Aufgaben dienen und ihre Errichtung, gemessen an diesen Aufgaben, verhältnismäßig ist. Voraussetzung für die Errichtung eines öffentlich-rechtlichen Verbands mit Zwangsmitgliedschaft ist, dass der Verband legitime öffentliche Aufgaben erfüllt.
Diese legitimen Aufgaben werden, wie gezeigt, von der Bundesjagdgenossenschaft erfüllt.
Auch eine unzulässige Ungleichbehandlung muss abgelehnt werden, denn hier liegt (wie gezeigt) ein sachlicher Grund vor, große und kleine Grundstücke unterschiedlich zu behandeln. Ebensogut wäre es hier auch möglich, bereits die Gleichheit der beiden Gruppen zu verneinen.
6. Zwischenergebnis
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts scheidet damit eine Verletzung des Klägers in Grundrechten aus.
II. Das Urteil des EGMR vom 26.6.2012
Eine neue Dynamik der Diskussion könnte sich aber durch eine aktuelle Entscheidung des EGMR ergeben. Das Urteil bezog sich auf den identischen Sachverhalt wie das BVerfG und ist eine Folgeentscheidung hierzu. Interessant ist, dass sich der EGMR bereits zum zweiten Mal mit der Frage der Bundesjagdgenossenschaft auseinanderzusetzen hatte: Nachdem in einer Kammerentscheidung vor einem Jahr (20.01.2011) eine Verletzung von Menschenrechten noch (mit knapper Mehrheit) verneint wurde, so hat die Große Kammer diese nunmehr bejaht.
Dass der EGMR eine solche Frage überhaupt zu entscheiden hat, ergibt sich daraus, dass vergleichbare Rechte wie die deutschen Grundrechte von der EMRK geschützt sind:
Artikel 9 EMRK (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit),
Artikel 11 EMRK (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) sowie insbesondere Artikel 1 Protokoll Nr. 1 zur EMRK (zum Schutz des Eigentums).
Art. 1 EMRK Schutz des Eigentums: Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.
Absatz 1 beeinträchtigt jedoch nicht das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält.
1. Eingriff in Eigentum
Klar ist, dass ein Eingriff in das Eigentum vorliegt. Dieser könnte aber durch die Erfüllung der Allgemeininteressen gerechtfertigt sein. Eine solche Möglichkeit sieht die Regelung explizit vor. Der Gerichtshof stellte fest, dass zu den Zwecken des Bundesjagdgesetzes die Hege mit dem Ziel der Erhaltung eines artenreichen und gesunden Wildtierbestandes gehört. Es muss ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen gefunden werden. Insbesondere prüft der EGMR, ob die kritisierten Regelungen tatsächlich erforderlich sind, um die (anerkannten) Ziele zu erreichen, oder ob nicht eine andere weniger belastende Regelung geboten ist. Zudem wird auch eine Art Plausibilitätskontrolle der vorgebrachten Ziele durchgeführt.
Die Regelung wäre jedenfalls dann nicht plausibel, wenn sie nicht bundeseinheitlich gilt, da das verfolgte Ziel nur einheitlich geschützt werden kann. Durch die Föderalismusreform steht nun den Bundesländern die Möglichkeit zu, eigenständige Regelungen zu treffen. Diese haben sie allerdings (noch) nicht wahrgenommen, sodass die Regelung des BjagdG weiterhin bundeseinheitlich gilt. Aus diesem Grund lässt sich hieraus keine fehlende Plausibilität der Norm herleiten. Dessen ungeachtet scheint der EGMR die Möglichkeit der nicht bundeseinheitlichen Regelung zumindest als Gesichtspunkt gegen eine Rechtfertigung anzusehen.
Noch schwerer scheint nach Ansicht des EGMR zu wiegen, dass es von der Regelung des BJagdG Ausnahmen zu geben scheint. Auch dies widerspricht der Annahme, dass eine Regelung – ohne Abweichungsmöglichkeiten für den Einzelnen – zwingend notwendig sei.
Im Übrigen sieht die Gesetzgebung in allen drei Ländern bestimmte räumliche und personenbezogene Ausnahmen vor. So sind Natur- und Wildschutzgebiete in Frankreich und Deutschland von Jagdbezirken ausgeschlossen. In Frankreich und Luxemburg sind staatlicher Grundbesitz bzw. Land im Eigentum des Großherzogs von Jagdbezirken ausgeschlossen, während es in Deutschland unterschiedliche Regelungen je nach Größe des Grundeigentums gibt.
Dieses Argument erscheint allerdings wenig überzeugend. Zwar existieren in § 6 Abs. 1 BJagdG und § 20 BjagdG Ausnahmen, diese knüpfen allerdings an übergeordnetet Interessen an und sind damit sachlich begründet. Die Ausnahmen für Inhaber großer Grundstücke über 75 Hektar lässt zudem die Pflicht zur Jagd nicht entfallen, sondern weist sie dem Eigentümer allein zu, der dies effektiv erfüllen kann.
Ein weiterer Aspekt für die Unzulässigkeit der Regelung ergibt sich daraus, dass dem Betroffenen zwar finanzielle Ansprüche zustehen, diese aber explizit geltend gemacht werden müssen. Dies erscheint bei einer Belastung des Gewissens allerdings gerade problematisch.
In Deutschland muss der Anspruch auf eine solche Auszahlung ausdrücklich geltend gemacht werden. Der Gerichtshof war der Auffassung, dass die Verpflichtung eines Jagdgegners, für die von ihm abgelehnte Tätigkeit eine Entschädigung geltend zu machen, nicht mit der Achtung für die Ablehnung der Jagd aus Gewissensgründen in Einklang zu bringen war. Es war zweifelhaft, ob tiefe persönliche Überzeugungen durch eine Entschädigungszahlung aufzuwiegen waren.
Die Verletzung des Eigentums wird damit mit einer Verletzung der Gewissensfreiheit gemischt. Insgesamt ergibt sich nach Ansicht des EGMR der Befund, dass der Eingriff in die Eigentumsrecht nicht gerechtfertigt ist: Zum einen weil der Zweck schon nicht erforderlich und unplausibel sei, zum anderen weil die Geltendmachung des möglichen Ersatzes nicht zumutbar ist. Hinsichtlich des Ersatzanspruchs erscheint die Entscheidung sehr gut vertretbar; hinsichtlich der Widerspruchsfreiheit der deutschen Regelung bleibt sie allerdings in einigen Punkten unklar. Aus der mangelnden Bundeseinheitlichkeit lassen sich noch Argumente gegen die Zielverfolgung des Gesetzes herleiten. Das Abstellen auf die Ausnahmen überzeugt hingegen nicht.
2. Eingriff in Gewissensfreiheit und Vereinigungsfreiheit
Ein Eingriff in weitere Vorschriften der EMRK wurde mangels Relevanz nicht mehr geprüft. Konsequenterweise müsste allerdings zumindest eine Verlettzung der Gewissensfreiheit bejaht werden.
Hinsichtlich der Vereinigungsfreiheit sieht der EGMR hingegen gleiche Wertungen wie das BVerfG vor:
Unter Berücksichtigung dieser Umstände kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die auf dem Jagdgesetz des Landes Rheinland-Pfalz beruhenden Jagdgenossenschaften als Einrichtungen des öffentlichen Rechts anzusehen sind. Folglich ist Artikel 11 der Konvention in der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar.
3. Kurze Anmerkung zum Urteil
Hier wurde versucht, das Urteil so aufzubereiten, wie es in der Klausur zu prüfen wäre. Liest ma das urteil, so fällt im Gegensatz dazu auf, dass die Prüfung anders strukturiert ist: Hier wendet der EGMR eine Art case law Methode an. Für das luxemburgische und französische Jagdrecht ist ein ähnlicher Sachverhalt bereits entscheiden worden. Der EGMR hat deshalb nur begründet, warum sich die Fälle nicht strukturell unterscheiden und damit ein identisches Ergebnis (Unzulässigkeit der Jagdgenossenschaft) geboten war.
Einen solchen Unterschied lehnte er ab, so dass im Gegensatz zum BVerfG die Unzulässigkeit der Regelung zur Bundesjagdgenossenschaft bejaht worden.
III. Folgen für das deutsche Recht
- Die Argumente des EGMR könnten durch den Kläger im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde vorgebracht werden und damit suggeriert werden, dass es noch kein Urteil des EGMR gibt. In der Klausur müsste man sich damit nur fragen, ob diese Argumente plausibel sind. In der Besprechung wurde bereits versucht hierauf einzugehen.
- Ebensogut ist es aber möglich, die „alte“ Verfassungsbeschwerde ohne die Argumente des EGMR abzuprüfen (wer diese dann trotzdem ansatzweise bringt, ist natürlich umso besser zu bewerten) und eine Zusatzfrage zu stellen, was passiert, wenn die Verfassungsbeschwerde unbegründet ist, der EGMR aber eine Verletzung mit der EMRK feststellt. Kernfrage wäre dann, wie ein deutsches Gericht bzw. das BVerfG die Entscheidung einzubeziehen hat.
Die Antwort auf diese zweite Fallkonstellation soll an dieser Stelle kurz vorkonturiert werden:
Normenhierarchisch handelt es sich bei der EMRK um eine Regelung unterhalb der Verfassung. Sie hat den gleichen Rang wie einfaches nationales Recht, sodass das Urteil des EGMR nicht zu einer Unwirksamkeit oder Unanwendbarkeit der Regelungen des BjagdG führen kann. Hier zeigt sich damit auch ein zentraler Unterschied zum unionsrechtlichen Primärrecht.
Allerdings gleicht der Gewährleistungsrahmen der EMRK weitestgehend demjenigen des GG. Das BVerfG hat aus diesem Grund in der
Entscheidung Görgülü am 14.10.2004 (2 BvR 1481/04) ausdrücklich festgestellt, dass Urteile des EGMR in der Entscheidung zu berücksichtigen sind. Alle staatlichen Organe sind damit verpflichtet (unter Berücksichtigung der Bindung an Recht und Gesetz aus
Art. 20 Abs. 3 GG) einen Konventionsverstoß zu beenden. Das BVerfG hat zudem weiterhin konkretisiert, welche Folgen im Einzelnen aus einem Urteil des EGMR resultieren:
Zur Bindung an Gesetz und Recht gehört aber auch die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische „Vollstreckung“ können deshalb gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen.
Die über das Zustimmungsgesetz ausgelöste Pflicht zur Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs erfordert zumindest, dass die entsprechenden Texte und Judikate zur Kenntnis genommen werden und in den Willensbildungsprozess des zu einer Entscheidung berufenen Gerichts, der zuständigen Behörde oder des Gesetzgebers einfließen.
Der Richter ist damit verpflichtet, das Urteil des EGMR in seine Rechtsfindung einzubeziehen. Eine entsprechende Nichtberücksichtigung kann – schlussendlich auch beim BVerfG – gerügt werden.
Vor diesem Hintergrund muss es jedenfalls möglich sein, gestützt auf das einschlägige Grundrecht, in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu rügen, staatliche Organe hätten eine Entscheidung des Gerichtshofs missachtet oder nicht berücksichtigt. Dabei steht das Grundrecht in einem engen Zusammenhang mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vorrang des Gesetzes, nach dem alle staatlichen Organe im Rahmen ihrer Zuständigkeit an Gesetz und Recht gebunden sind (vgl.
BVerfGE 6, 32 <41>)
Unzulässig ist es allerdings, diekt ein Verletzung der EMRK beim BVerfG zu rügen.
Die Frage wäre damit wir folgt zu beantworten: Das Gericht muss das entsprechende Urteil des EMRK berücksichtigen und nach Möglichkeit die nationale Rechtsordnung hiermit in Einklang zu bringen. Eine Berücksichtigung scheidet aber dann aus, wenn das nationale Verfassungsrecht eine Nichtberücksichtigung zwingend gebietet, wenn also ein Verstoß gg.
Art. 14 GG und
Art. 9 GG ausgeschlossen ist. Dies kann wiederum nur durch das BVerfG festgestellt werden. Eine Verpflichtung des BVerfG nunmehr also anders zu entscheiden besteht damit nicht. Es ist allerdings zu erwarten, dass das Urteil dennoch entsprechend umgesetzt und beachtet wird, ist die Auslegung des EuGH doch nicht so massiv abweichend zur bisherigen Ansicht des BVerfG, als dass das Urteil des EGMR verfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht. Zwingend ist dies allerdings nicht.
IV. Fazit
Viel gesagt werden muss zu dem Fall nicht mehr: Er wird sowohl die Gerichte als auch vor allem Studenten noch einige Jahre beschäftigen und hat das Zeug ein echter „Klassiker“ zu werden. Gerade die neuen Wertungen des EGMR und die Frage nach dem Verhältnis zum nationalen Recht erhöhen die Brisanz und Bedeutung der Fragestellung. Die Beschäftigung mit diesem Fall ist damit ein absolutes „Muss“.
>