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Schlagwortarchiv für: Anstiftung

Lena Bleckmann

BGH: Neues zur Anstiftung durch den agent provocateur

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, StPO, Strafrecht, Strafrecht AT

In seinem Urteil vom 16.12.2021 (Az. 1 StR 197/21) äußerte sich der BGH zur allseits beliebten Fallkonstellation der An- bzw. Aufstiftung durch einen verdeckten Ermittler. Die sog. agent provocateur-Fälle sind ein Klassiker im Allgemeinen Teil des Strafrechts – die neue Entscheidung sollte Anlass geben, die wichtigsten Eckpunkte der Problemstellung zu wiederholen.
I. Was ist passiert? (Sachverhalt gekürzt und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt. Die nicht einschlägig vorbestraften T und M handelten gemeinsam mit Betäubungsmittelprodukten. Hiervon erfuhren offenbar auch die Strafverfolgungsbehörden – Anfang März 2020 nahm daher der verdeckte Ermittler V Kontakt zu T auf, um eine kleinere Menge Marihuana zu erwerben. Zugleich fragte V, ob es auch möglich sei, größere Mengen zu erwerben. Hieran schlossen sich mehrere Betäubungsmittelkäufe des V bei T an, bei denen V immer wieder nach größeren Mengen fragte (3kg Marihuana und 50 bis 100g Kokain). Das entsprach nicht den Mengen, mit denen T und  M üblicherweise handelten, sie konnten aber schließlich über den D die Betäubungsmittel in entsprechendem Umfang besorgen. Bei der vereinbarten Übergabe an V erfolgte die Festnahme von T und M.
II. Die Strafbarkeit des Lockspitzels in der Strafrechtsklausur
Derartige Konstellationen sind der Strafrechtswissenschaft nicht unbekannt. Unter dem Begriff des Lockspitzels oder agent provocateur wird insbesondere die Problematik der Strafbarkeit desjenigen erörtert, der – beispielweise als verdeckter Ermittler – andere zu einer Straftat veranlasst, gerade um deren Festnahme zu veranlassen (vgl. BeckOK StGB/Kudlich, § 26 Rn. 22; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, § 26 Rn. 21). Hier nur eine knappe Rekapitulation der Problematik – sofern hier Lücken bestehen, wird eine entsprechende Wiederholung dringend empfohlen.
Zu erörtern ist das Problem beim Prüfungspunkt des doppelten Anstiftervorsatzes. Dieser muss sich, so viel sollte bekannt sein, sowohl auf die Anstiftung, d.h. auf die Bestimmenshandlung, als auch auf die Vollendung der vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat beziehen (BeckOK StGB/Kudlich, § 26 Rn. 19). Auf dieser Grundlage lässt sich die Strafbarkeit des Lockspitzels, der auf eine Festnahme des Täters schon im Versuchsstadium abzielt, bereits verneinen: Er hat keinen Vorsatz hinsichtlich der Vollendung der Haupttat und verwirklicht damit nicht den subjektiven Tatbestand der Anstiftung (so die hM, siehe (BeckOK StGB/Kudlich, § 26 Rn. 22; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, § 26 Rn. 21). Grund für die Einschränkung dahingehend, dass sich der Vorsatz des Anstifters auch auf die Vollendung der Haupttat richten muss, ist der Strafgrund der Teilnahme: Das Unrecht der Teilnahme besteht darin, dass ein über den Haupttäter vermittelter Angriff auf das geschützte Rechtsgut erfolgt oder nach dem Vorsatz zumindest erfolgen soll, denn nur dann liegt ein strafwürdiges, sozialschädliches Verhalten vor (vgl. Rönnau, JuS 2015, 19).
Schwieriger – und damit umso klausurrelevanter – ist die Frage der Strafbarkeit des agent provocateur, der zwar die formelle Vollendung der Haupttat anstrebt bzw. vorhersieht, nicht aber deren materielle Beendigung. Lehrbuchbeispiel ist der Einbruchdiebstahl, bei dem die Festnahme des angestifteten Haupttäters erst nach Verlassen des Hauses erfolgen soll (Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, § 26 Rn. 23; Rönnau, JuS 2015, 19 (20)). Auch und gerade beim Handel mit Betäubungsmitteln, um den es auch in der genannten Entscheidung des BGH ging, spielt diese Konstellation eine Rolle. Der Handel als solcher ist zum Zeitpunkt der Festnahme meist bereits erfolgt (BeckOK StGB/Kudlich, § 26 Rn. 78). Dasselbe Problem stellt sich auch bei allen anderen Tätigkeitsdelikten (Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, § 26 Rn. 23). Auch hier gelangt die herrschende Meinung jedoch zur Straflosigkeit des Lockspitzels – weil eine tatsächliche Verletzung des geschützten Rechtsguts nicht gewollt ist, soll trotz materieller Vollendung der Tat keine strafrechtlich relevante Anstiftung vorliegen (Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, § 26 Rn. 23 m.w.N.; ausführlich auch Rönnau, JuS 2015, 19 (20 f.); zu Betäubungsmitteldelikten insbesondere OLG Oldenburg, Beschl. v. 4.3.1999 – Ss 40-00, NJW 1999, 2751).
III. Die Verurteilung des zur Tat provozierten Haupttäters
Doch all das soll an dieser Stelle gar nicht im Fokus stehen. Bevor sich der Klausurkandidat mit der Strafbarkeit des agent provocateurs auseinandersetzt, wird er in aller Regel zunächst diejenige des Haupttäters prüfen. Auch wenn die Verwirklichung des jeweiligen Straftatbestands, das Vorliegen aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale sowie die Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit des Verhaltens unproblematisch sind, muss das nicht heißen, dass der Betroffene am Ende tatsächlich bestraft werden kann. Zugegebenermaßen handelt es sich bei den Fragen, welche spezifisch die Verurteilung des zur Tat Provozierten betreffen, um solche der Strafzumessung bzw. Strafverfolgung, die für Kandidaten des Ersten Staatsexamens von untergeordneter Bedeutung sind. Insbesondere in einer mündlichen Prüfung kann die Kenntnis der Problematik jedoch auch hier durchaus vorausgesetzt werden – das gilt insbesondere im Lichte der nun ergangenen Entscheidung des BGH.
Problematisch sind hier insbesondere Fälle der Tatveranlassung durch polizeiliche Ermittlungspersonen. Diese kann zu einem Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Rechtsstaatlichkeit führen, wenn bislang unverdächtige oder nicht tatgeneigte Personen angestiftet werden oder eine besonders intensive Einwirkung etwa durch beträchtliche Erhöhung des Unrechtsgehalts (Aufstiftung) erfolgt (vgl. auch Rönnau, JuS 2015, 19 (21)).
Schon früh führte der BGH insoweit aus:

„Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BGH ist im Rahmen der Ermittlung und Bekämpfung besonders gefährlicher und schwer aufklärbarer Straftaten, zu denen auch der Rauschgifthandel gehört, der Einsatz polizeilicher Lockspitzel im Grundsatz geboten und rechtmäßig. Dies gilt aber nicht uneingeschränkt. Es ist anerkannt, daß dem tatprovozierenden Verhalten des Lockspitzels Grenzen gesetzt sind, deren Außerachtlassung als ein dem Staat zuzurechnender Rechtsverstoß in das Strafverfahren gegen den Täter hineinwirken würde. Das dem GG und der StPO immanente Rechtsstaatsprinzip untersagt es den Strafverfolgungsbehörden, auf die Verübung von Straftaten hinzuwirken, wenn die Gründe dafür vor diesem Prinzip nicht bestehen können; wesentlich für die Beurteilung sind dabei Grundlage und Ausmaß des gegen den Täter bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflußnahme des Lockspitzels, Tatbereitschaft und eigene, nicht fremdgesteuerte Aktivitäten dessen, auf den er einwirkt.“ (BGH, Urt. v. 6.2.1981 – 2 StR 370/80, NJW 1981, 1626, Nachweise im Zitat ausgelassen).

a) Grundlegende Entscheidung des BGH im Jahr 1984
Ein Überschreiten dieser durch das Rechtsstaatsprinzip gesetzten Grenzen führte allerdings bislang nach Ansicht des BGH nicht zu einem Verfahrenshindernis. Ein solches soll nur unter strengsten Voraussetzungen in Betracht kommen, die nicht bei jedem Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip vorliegen sollen:

„Als Verfahrenshindernisse kommen nur Umstände in Betracht, die nach dem ausdrücklich erklärten oder aus dem Zusammenhang ersichtlichen Willen des Gesetzes für das Strafverfahren so schwer wiegen, daß von ihrem Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im ganzen abhängig gemacht werden muß. Dies gilt auch für Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip. Bei der Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips und der in ihm angelegten Gegenläufigkeiten verbieten sich unterschiedslose verfahrensrechtliche Sanktionen für Verletzungen von selbst.“  (BGH, Urt. v. 23.5.1984 – 1 StR 148/84, NJW 1984, 2300 (2301), Nachweise im Zitat ausgelassen).

Stattdessen soll die nachhaltige und erhebliche Einwirkung des Lockspitzels auf den Täter, mag sie auch mit den Grundsätzen des Rechtsstaats nicht mehr vereinbar sein, lediglich zu einem Strafmilderungsgrund führen (BGH, Urt. v. 23.5.1984 – 1 StR 148/84, NJW 1984, 2300 (2302)).
b) Die Rechtsprechung des EGMR
Anders die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser nimmt einen Verstoß gegen das Verbot des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) an, wenn eine polizeiliche Provokation zur Tat erfolgt, der Täter zuvor nicht tatverdächtig war und die verdeckte Ermittlungstätigkeit der Polizei nicht durch ein Gericht kontrolliert war (EGMR, Urt. v. 9.6.1998 – 44/1997/828/1034, NStZ 1999, 47). Der Gerichtshof führt aus:

„Die Nutzung von verdeckt arbeitenden Ermittlern („undercover agents“) muß begrenzt werden, und Sicherungen sind auch für die Fälle der Bekämpfung des Drogenhandels zu gewährleisten. Wenn auch der Anstieg der organisierten Kriminalität zweifellos das Ergreifen angemessener Maßnahmen erfordert, nimmt das Recht auf eine faire Rechtspflege doch einen derart hervorragenden Platz ein (a. Delcourt gegen Belgien, Urt. v. 17. 1. 1970, Serie A Nr. 11, S. 15, § 25), daß es nicht um der Nützlichkeit willen geopfert werden kann. Die allgemeinen Erfordernisse der Fairneß, wie sie in Art. 6 niedergelegt sind, sind auf Verfahren jeglicher Art von Kriminalität anzuwenden, von der einfachsten bis hin zu der kompliziertesten. Das öffentliche Interesse kann nicht die Verwendung von Beweismaterial rechtfertigen, das aus polizeilicher Anstiftung resultiert. (…) Letztlich stellt der Gerichtshof fest, daß die nationalen Gerichte in ihren Entscheidungen ausführen, daß der Bf. hauptsächlich aufgrund der Aussagen der beiden Polizeibeamten verurteilt worden ist. Im Lichte aller dieser Überlegungen folgert der Gerichtshof, daß die Handlungen der beiden Polizeibeamten über die von verdeckten Ermittlern hinausgingen, weil sie zu der Tat anstifteten und es keinen Hinweis darauf gibt, daß diese Tat ohne ihr Einschreiten begangen worden wäre. Dieses Eingreifen und dessen Verwendung im angefochtenen Strafverfahren bedeutet, daß dem Bf. von Beginn an vollständig ein faires Verfahren entzogen war. Damit lag eine Verletzung von Art. 6 I vor (…)“ (EGMR, Urt. v. 9.6.1998 – 44/1997/828/1034, NStZ 1999, 47 (48)).

Hieran anknüpfend fanden sich in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur Stimmen, nach denen der Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nur dann hinreichend sanktioniert würde, wenn der rechtsstaatswidrige Einsatz von Lockspitzeln ein Verfahrenshindernis darstellen würde (siehe BeckOK StGB/Kudlich, § 26 Rn. 23.1 m.w.N.). Der BGH jedoch hielt an der Strafzumessungslösung fest (BGH, Urt. v. 18.11.1999 – 1 StR 221/99, NStZ 2000, 269).
In einer Entscheidung aus dem Jahr 2020 wurde der EGMR noch deutlicher. Dort heißt es:

„Liegt eine konventionswidrige Anstiftung vor, so sind die zuständigen Behörden bzw. Gerichte verpflichtet, entweder das Verfahren wegen Verfahrensmissbrauchs einzustellen oder alle durch die Anstiftung erlangten Beweise auszuschließen bzw. auf andere Weise vergleichbare Ergebnisse herbeizuführen. Eine erhebliche Milderung der Strafe führt nicht zu vergleichbaren Ergebnissen. Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation kann daher nicht lediglich auf der Ebene der Strafzumessung Berücksichtigung finden; hierdurch wird die durch die Tatprovokation verursachte Verletzung von Art. 6 I EMRK nicht ausreichend kompensiert und der Beschwerdeführer kann weiterhin behaupten, Opfer einer Verletzung von Art. 6 I EMRK zu sein.“ (EGMR, Urt. v. 15.10.2020 – 40495/15, 40913/15, 37273/15, NJW 2021, 3515).

c) Die aktuelle Entscheidung des BGH
Diese nunmehr eindeutige Rechtsprechung des EGMR hat auch der BGH zur Kenntnis genommen. In der Pressemitteilung zum Urteil v. 16.12.2021 heißt es:

„Läge eine nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte rechtsstaatswidrige Tatprovokation vor, dann würde dies ein Verfahrenshindernis begründen. Dafür kommt es entscheidend darauf an, ob der Täter und gegebenenfalls in welchem Umfang („Aufstiftung“ zu deutlich gewichtigeren Straftaten) bereits in Betäubungsmittelgeschäfte verwickelt war und inwieweit der Verdeckte Ermittler physischen oder psychischen Druck aufgebaut hat.“ (PM Nr. 227/2021).

Die Vorinstanz, das LG Freiburg, hatte demgegenüber noch die oben geschilderte Strafzumessungslösung angewandt und dem Betroffenen lediglich eine Strafmilderung gewährt. Eine endgültige Entscheidung konnte der BGH noch nicht treffen, da er ausweislich der Pressemitteilung eine weitere Aufklärung der für die Beurteilung der polizeilichen Tatprovokation notwendigen Tatsachen für notwendig hielt. Die Sache wurde an das LG zurückverwiesen.
III. Was bleibt?
Lockspitzel- bzw. agent-procovateur-Fälle werden den meisten Studierenden und Examenskandidaten ein Begriff sein. Erörtert werden sie insbesondere im ersten Examen gerade aus der Perspektive der Strafbarkeit des Lockspitzels, d.h. unter dem Gesichtspunkt der Anstiftung. Auch die strafrechtliche Behandlung des Haupttäters ist jedoch nicht unproblematisch. Durch die aktuellen Entscheidungen des EGMR und des BGH dürfte Bewegung in die diesbezüglich noch anhaltende Diskussion gekommen sein. Gerade von gut informierten Kandidaten in mündlichen Prüfungen könnte die Kenntnis des Problems daher erwartet werden. Davon unabhängig wird selbstverständlich auch eine Wiederholung der Anstiftungskonstellation wärmstens empfohlen – auch diese taucht in Klausuren in Studium und Examen immer wieder auf.

17.12.2021/1 Kommentar/von Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lena Bleckmann2021-12-17 10:30:292021-12-17 10:30:29BGH: Neues zur Anstiftung durch den agent provocateur
Christian Muders

BGH: Zu den Anforderungen an eine Beihilfe beim „Schmierestehen“.

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht AT

Anm. zu BGH, Urteil v. 29.11.2011 – 1 StR 287/11, wistra 2012, 180 ff.
1. Worum geht es?
Die Vorinstanz, das LG Traunstein, verhandelte einen Fall von (teilweise versuchten) Vermögens- und Körperverletzungsdelikten, bei denen das Opfer R im Auftrag eines Dr. S durch verschiedene Attacken in Re. eingeschüchtert werden sollte, um von S erhobene Forderungen, die tatsächlich nicht bestanden, zu begleichen. Beteiligt an diesen Attacken sollte u.a. der Angeklagte B sein. Dieser hat „im Laufe der Hauptverhandlung“ zunächst mündlich und am zehnten Verhandlungstag schriftlich über seinen Verteidiger Folgendes erklärt: Er sei von einem Mitglied der „Hells Angels“ beauftragt worden, in Re. bei einer „Abreibung (…) Schmiere zu stehen“ und erforderlichenfalls einzugreifen. Der Tatort sei ihm genannt worden, sonst nichts. Die Täter der Abreibung seien ihm ebenso unbekannt gewesen wie der Auftraggeber. Er habe aus der Ferne beobachtet, wie zwei Männer R angriffen. Als diesem eine Frau zu Hilfe kam, seien die Männer geflüchtet, worauf er (der Angeklagte) ebenfalls geflüchtet sei. Sonst wisse er nichts. Das LG hat den B u.a. mit der Erwägung freigesprochen, dass nach seiner (als glaubhaft bewerteten) Aussage keine Strafbarkeit wegen Beihilfe in Betracht komme.
2. Was sagt der BGH dazu?
Der BGH hat zunächst der Rechtsansicht des LG zugestimmt. Dabei differenziert er zwischen mehreren Beihilfeformen, die vorliegend in Betracht kommen: Zunächst führt er aus, dass aufgrund der bloßen Anwesenheit des B am Tatort eine psychische Beihilfe vorliegen könne (Beihilfe durch Bestärken des Tatentschlusses); diese setze aber im Gegensatz zu einer die Tat objektiv fördernden, physischen Beihilfe eine Kenntnis des Täters von der Anwesenheit des Gehilfen voraus, was hier nach der Einlassung des B nicht gegeben sei (Rz. 18 f. – zitiert nach juris). Daneben komme aber auch eine psychische Beihilfe in Betracht, da B nach eigenen Angaben am Tatort nicht nur anwesend sein, sondern auch Schmierestehen sollte (Rz. 19). Insoweit fehle es aber am Eintritt einer tauglichen Beihilfehandlung: Das bloße Bereitstehen für ein Eingreifen sei noch kein objektiver, die Tat fördernder Beitrag, sondern bloße Vorbereitungshandlung hierzu. Dass dadurch der Bereich strafbaren Verhaltens noch nicht erreicht sei, folge aus der Straflosigkeit der gegenüber einer Vorbereitung sogar weiter gehenden versuchten Beihilfe (Rz. 20). Nach Auffassung des BGH hat die Vorinstanz allerdings eine ausreichende Beweiswürdigung im Hinblick auf das Tatgeschehen insoweit vermissen lassen, als nach den Darlegungen in den Urteilsgründen eine bloß isolierte Würdigung der Aussage des B zu befürchten sei. Insbesondere könne nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Haupttäter tatsächlich keine Kenntnis von der Anwesenheit des B gehabt hätten (Rz. 21); u.a. deswegen hat der BGH die Sache an eine andere Kammer des LG zurückverwiesen.
3. Warum ist die Entscheidung wichtig?
Der BGH behandelt in dem vorliegenden Urteil einige wichtige Fragen bzgl. der Anforderungen an eine taugliche Beihilfehandlung (ein Prüfungsschema zur Beihilfe findet sich hier):
a) Zunächst erscheint hierbei seine Feststellung kritikwürdig, dass die „bloße objektiv die Tat nicht fördernde Anwesenheit am Tatort (…) ‚psychische‘ Beihilfe sein“ kann. Denn sofern allein auf die bloße Anwesenheit des Gehilfen am Tatort abgestellt wird, geht es im Grunde genommen um den Vorwurf eines Unterlassens (nicht weggehen, nicht einschreiten), was aber nur im Falle einer Garantenstellung strafwürdig sein kann (vgl. Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar StGB, 4. Aufl. 2010, § 27 Rn. 11). Da der BGH in früheren Entscheidungen die bloße Anwesenheit am Tatort gerade noch nicht als ausreichend für die Erfüllung einer Beihilfehandlung angesehen hat (dazu BGH, NStZ 2002, 139 m.w.N.; anders für den Fall, dass darüber hinaus eine Billigung der Tat gegenüber dem Täter zum Ausdruck gebracht wird, BGH, a.a.O.), ist die vorliegende Formulierung zumindest missverständlich.
b) Soweit das Gericht sodann feststellt, dass bei einer psychischen Beihilfe eine Kenntnis des Haupttäters vom Gehilfen zwingend erforderlich ist, erscheint diese Anforderung bereits aus der Natur der Sache einleuchtend. Zusätzlich ist eine solche Position auch deswegen konsistent, weil ebenso bei der Anstiftung als „großem Bruder“ der psychischen Beihilfe nach überwiegender Auffassung eine Kenntnis des Haupttäters vom beeinflussenden Teilnehmer gefordert wird (was, wenn man mit einer M.M. bei der Anstiftung keinen „Kommunikationsakt“ einfordert, sondern auch das Herstellen eines situativen Tatanreizes für ausreichend erachtet, bei Weitem nicht selbstverständlich ist).
c) Die interessanteste Aussage zur Beihilfe findet sich dann aber am Schluss der einschlägigen Textpassage: Wenn der BGH dort ausführt, dass ein Schmierestehen am Tatort die Haupttat noch nicht unmittelbar „fördert“, sondern als bloße Vorbereitungshandlung hierzu zu bewerten sei, überrascht dies insoweit, als dem BGH oft der Vorwurf gemacht wird mit seiner „Förderungstheorie“, die explizit das Erfordernis einer Kausalität des Teilnehmerbeitrags für die Haupttat zurückweist, Vorschub für die Einbeziehung auch versuchter Beihilfehandlungen zu leisten (vgl. nur Roxin, AT/2, 1. Aufl. 2003, § 26/189). Dass sich der BGH zur Begründung seiner vorliegenden Wertung dabei gerade auf einen Aufsatz von Roxin beruft (Miyazawa-FS, 1995, S. 504 ff – s. Rz. 19, 20 des Urteils), verblüfft noch zusätzlich: Denn Roxin führt in seinem Beitrag zwar im Einklang mit der hiesigen Entscheidung aus, dass bei einem bloßen „Bereithalten“ des Gehilfen, von dem der Haupttäter nichts weiß, keine (objektive) Beihilfe anzunehmen sei (hierzu bedient er sich des Schulbeispiels, dass der „Kollege“ eines Taschendiebes sich – von diesem unbemerkt – in der Nähe aufstellt, um ihm notfalls unter Verursachung eines künstlichen Gedränges die Arbeit zu erleichtern). Eine taugliche Beihilfehandlung scheidet hierbei nach Roxin deswegen aus, da zwar durch ein solches Verhalten die Chancen des Haupttäters ex ante gesteigert würden, es aber an einer kausalen Veränderung des Tatablaufs fehle, wenn weder eine Verabredung mit dem Täter bestehe noch ein äußerer Deliktsbezug des Verhaltens erkennbar sei (Miyazawa-FS, S. 504 [511 f.]). Roxin lässt die Beihilfe hier also an einem Merkmal, nämlich der Kausalität, scheitern, dessen Erfordernis für eine taugliche Beihilfehandlung vom BGH gerade bestritten wird. Wenn man aber wie die Rspr. keine Kausalität für die Beihilfe fordert, bietet es sich an mit einem Teil der Literatur (insbesondere zur Abgrenzung vom [straflosen] untauglichen Versuch der Beihilfe) für die „Förderung“ der Haupttat allein darauf abzustellen, ob sich durch die Beihilfehandlung das Risiko zu Lasten des Opfers erhöht und sich diese Risikoerhöhung in der Haupttatbegehung niedergeschlagen hat (so z.B. S/S/W-Murmann, 1. Aufl. 2009, § 27 Rn. 3 m.w.N.). Ein solches könnte man im vorliegenden Fall aber durchaus vertreten: Denn aufgrund des „Bereithaltens“ des B am Tatort sind die Chancen zur erfolgreichen Deliktsbegehung ex-ante sicherlich gesteigert worden (vgl. hierfür auch Maurach/Gössel/Zipf, AT/2, 7. Aufl. 1989, § 52/8; S/S/W-Murmann, 1. Aufl. 2009, § 27 Rn. 4; die vorhandene Risikosteigerung räumt ja auch Roxin ein, s.o.). Damit ist im Ergebnis festzuhalten, dass die Verneinung einer Beihilfe durch den BGH in Hinblick auf das „Schmierestehen“ des B, jedenfalls unter Zugrundelegung der eigenen Prämissen des Gerichts, fragwürdig erscheint. Hinzu kommt, dass auch die Wertungen, die Roxin in seinem Festschriftbeitrag trifft, nicht unbedingt einleuchtend erscheinen: So möchte er es nur einige Textzeilen vor der vom BGH angeführten Stelle für eine taugliche Beihilfehandlung ausreichen lassen, dass eine Absicherung der Tat durch Schmierestehen des Gehilfen vorgenommen wird, auch wenn diese sich ex post als überflüssig darstellt (Miyazawa-FS, S. 504 [511]). Der wesentliche Unterschied zu seinem später gebrachten Schulbeispiel des Taschendieb-Kollegen ist aber offensichtlich in der dort fehlenden Kenntnis des Täters von der Hilfe zu erblicken: Denn der bereits vorhandene, objektive Tatbeitrag des Gehilfen ist in beiden Fällen mit einem konzentrierten Abwarten und Bereithalten für die jeweils erforderliche Eingriffshandlung (Verursachung eines Gedränges hier, Warnrufe dort) zutreffend beschrieben. Damit wird aber der Unterschied zwischen der gerade auf eine Kenntnis des Täters verzichtenden, objektiv chancensteigernden physischen Beihilfehandlung und der einer solche Kenntnis bedürftigen, täterbeeinflussenden psychischen Gehilfenschaft verwischt.

06.06.2012/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-06-06 09:00:402012-06-06 09:00:40BGH: Zu den Anforderungen an eine Beihilfe beim „Schmierestehen“.
Dr. Stephan Pötters

Strafrechts-Klassiker: Der Rose-Rosahl-Fall

Klassiker des BGHSt und RGSt, Schon gelesen?, Strafrecht

Preußisches Obertribunal, Urteil v. 05.05.1859 – Crimin.-S. Nr. 6 (= PrObTrE 42, 36 ff. = GA 7, 322 ff.)

Ist bei dem Morde ein Seitens des Thäters vorgefallener Irrthum in der Person des Getödteten von Einfluß auf die Zurechnung des eingetretenen Erfolges und auf die Starfbarkeit des Thäters, desgleichen auf die des Theilnehmers durch Anstiftung oder Hülfeleistung?

1. Der Sachverhalt
Das Geschehen spielt im Jahre 1858: Der Holzhändler Rosahl aus Schiepzig versprach dem Arbeiter Rose, ihn reichlich dafür zu belohnen, wenn er den Zimmermann Schliebe aus Lieskau erschösse. Rose legte sich daraufhin zwischen Lieskau und Schiepzig (nahe Halle) in einem Hinterhalt, um Schliebe, den er genau kannte, aufzulauern. Während der Dämmerung sah er einen Mann des Weges daherkommen. Diesen erschoss er, da er ihn für Schliebe hielt. In Wirklichkeit war es der 17-jährige Gymnasiast Harnisch.
2. Die Kernfrage
Der Rose-Rosahl-Fall ist einer der Klassiker zum sog. error in persona. Problematisch ist hier zum einen die Frage, wie sich ein Identitätsirrtum des Haupttäters auf diesen selbst sowie – v.a. – den ihn zur Tat verleitenden Anstifter auswirkt. Daneben ging es in der Original-Entscheidung auch um das Problem, ob bei einem solchen Irrtum des Täters noch ein Handeln „mit Überlegung“ vorliegt, was in der damaligen Zeit entscheidend dafür war, ob über einen bloßen Totschlag hinaus auch ein Mord (bzw. eine Anstiftung hierzu) bejaht werden konnte, worauf die Todesstrafe (!) stand. Die Vorinstanz, dass Schwurgericht Halle (Saale), hatte beide Fragen zu Lasten der Beteiligten beantwortet, wogegen selbige eine sog. „Richtigkeits-Beschwerde“ zum Preußischen Obertribunal eingelegt hatten. Im Folgenden soll der Fokus allein auf den ersten, heute noch relevanten Problemkomplex gelegt werden, also die Auswirkungen einer Objektverwechslung des Haupttäters auf die Beteiligten.
3. Das sagt das Gericht
Das Preußische Obertribunal hat die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt, also den ausführenden Täter Rose wegen Mordes und den Anstifter Rosahl wegen Anstiftung hierzu verurteilt.
a) Dabei führt es (in einem selbst für juristische Texte bemerkenswert langen Bandwurmsatz) zunächst aus, dass der Irrtum über die Person des Getöteten für den Haupttäter als unbeachtlicher Motivirrtum einzuordnen ist, da er kein nach dem Gesetz relevantes Merkmal berühre und somit (nach heutiger Terminologie) nicht als Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB gewertet werden kann:

(…) so ist man doch im Wesentlichen darüber einig und es entspricht insbesondere auch der Bedeutung, welche nach dem Strafgesetzbuche (…) den Ausdrücken „Vorsatz“ und „Absicht“ beizulegen ist, daß, wenn bei doloser verbrecherischer Thätigkeit Seitens des Thäters ein Irrthum in dem Gegenstande, gegen welchen seine Thätigkeit gerichtet war (error in corpore oder in persona) vorgefallen ist, und dieser Irrthum zur Folge hat, daß seine Thätigkeit einen andern Erfolg, als den beabsichtigten hatte, dieser Irrthum (…) zunächst nur dasjenige Moment der verbrecherischen Willensbestimmung berührt, welches der Denkthätigkeit, (…) nicht aber dem Vorsatze (dem Willen) angehört und daß durch einen solchen Irrthum (…) das Wesen der Handlung nicht aufgehoben wird, daß jene Folge, ungeachtet solchen Irrthums, eine zurechenbare bleibt, ein im ursächlichen Zusammenhange mit dem Vorsatze und mit der Handlung stehender Erfolg ist, daß daher ein solcher Irrthum ohne Einfluß auf die Zurechnung des Erfolges ist.

b) Sodann sieht das Preußische Obertribunal den Irrtum des Haupttäters auch für die Person des Anstifters, hier also den Holzhändler Rosahl, als unbeachtlich an. Es führt hierzu aus:

Seine Strafbarkeit ist von der Thätigkeit des Angestifteten, in dessen Hand er die Ausführung gelegt, und dessen Geschicktheit oder Ungeschicktheit er diese anvertraut hat, dergestalt abgängig, daß nur ein wirklicher Exceß, – wo ein Mehreres oder Anderes gethan ist, – ihm nicht zuzurechnen ist. Ein solcher wirklicher Exceß liegt aber da nicht vor, wo, wie hier, der gedungene Angestiftete, der Lohnmörder, nur durch Irrthum in der Person desjenigen, gegen welchen er, um dem Auftrage des Anstifters zu genügen, seine Thätigkeit richtet, sich in dem Schlachtopfer vergreift. Dieser handelt auch dann nicht etwa bloß auf Veranlassung des Anstifters oder bei Gelegenheit der Ausführung des Auftrages, (…) sondern die Anstiftung ist für ihn dergestalt fortdauernd bestimmend gewesen, daß seine That als Product der Anstiftung erscheint. Es hat Causalnexus zwischen der Anstiftung zu einem Morde und der, eine qualitativ gleiche Handlung ausmachenden That stattgefunden, und nur hat der Anstifter, in Folge des bei der Ausführung eingetretenen Irrthums des Thäters seinen Zweck nicht erreicht, was für den Thatbestand des angestifteten Verbrechens und für die Strafbarkeit des Anstifters eben so wenig, als für die des angestifteten Thäters von rechtlicher Bedeutung ist.

Damit geht das Preußische Obertribunal davon aus, dass auch hinsichtlich des Vorsatzes des Anstifters eine vollendete (und nicht bloß versuchte) Tat gegeben ist, da die Tötung der „richtigen“ Person eben nur dem – wie sich das Gericht ausdrückt – „Zweck“ der Tat zuzuordnen ist, der zwar nicht erreicht wurde, aber den hiervon zu trennenden Vorsatz, der sich allein auf die Tötung einer Person beziehen muss, unberührt lässt.
4. Fazit
Das Urteil des Preußischen Obertribunals ist DER Klassiker strafgerichtlicher Entscheidungen – es soll sogar Juristen geben, die noch heute ehrfürchtig zum Ort des dem Urteil zugrundeliegenden Geschehens pilgern, an welchem ein Gedenkstein an den getöteten Harnisch erinnert (sog. Blutstein bei Lieskau). Die gleiche Konstellation wurde übrigens auch schon vom BGH mit einem identischen Ergebnis entschieden, und zwar im kaum minder berühmten sog. „Hoferben-Fall“ (Urteil v. 25.10.1990 – 4 StR 371/90 = BGHSt 37, 214 ff.): In diesem sollte der namensgebende „Hoferbe“ durch einen von seinem Vater gedungenen Killer getötet werden. Dieser verwechselte den „Hoferben“ allerdings am geplanten Tatort, dem väterlichen Pferdestall, mit einer zufällig eintretenden, ähnlichen Person, die dann anstelle desselben umgebracht wurde.
a) Inhaltlich liegt der Knackpunkt der Konstellation bei der Frage, ob der error in persona des Täters, der nach heute wohl allgemeiner Meinung jedenfalls bei diesem keinen Vorsatzausschluss bedingt, eine entsprechende Wirkung auch beim Anstifter entfaltet. Als Alternative wäre hier an einen (grundsätzlich vorsatzrelevanten) Irrtum des Teilnehmers über den Kausalverlauf, der teilweise als sog. „aberratio ictus“ eingeordnet wird, zu denken, was lediglich zur Bestrafung wegen Anstiftung zur versuchten Tat führen würde. Für eine generelle Unbeachtlichkeit der Objektverwechslung auch zu Lasten des Anstifters könnte dabei zunächst einmal angeführt werden, dass die Anstiftung akzessorisch zur begangenen Haupttat ist; daher – so die Argumentation – muss ein Irrtum, der für die Strafbarkeit des Haupttäters ohne Relevanz ist, „erst Recht“ auch für den sich an dessen Tat nur anlehnenden Teilnehmer bedeutungslos sein. Eine solche Begründung verdeckt indes, dass unabhängig von der Akzessorietät der Teilnahme, die sich genau genommen nur auf das Erfordernis einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat (sowie eine in der Rechtsfolge grundsätzlich identische Bestrafung) bezieht, der Teilnehmende auch einen eigenständigen „doppelten“ Vorsatz, nämlich sowohl bezüglich seiner Anstiftungshandlung wie auch dem ausgeführten Delikt, aufweisen muss. Im Hinblick auf dieses Delikt kann aber die Begründung, die für die Irrelevanz des Irrtums beim Haupttäter gegeben wird, nicht auch eins zu eins auf den Anstifter übertragen werden: Da dieser das getötete Opfer ja nicht eigenhändig anvisiert und damit von seinem Willen zur Tötung umfasst hat, kann genau genommen auch kein Vorsatz zu einem Eingriff in dessen Rechtsgüter unterstellt werden, der sich bei dem Anstifter ja auf eine gänzlich andere Person bezieht. Dass beim Teilnehmer die Person des späteren Tatopfers durchaus bedeutsam ist wird auch daran ersichtlich, dass der Hintermann unstrittig dann nicht wegen Anstiftung zur vollendeten Tat herangezogen würde, wenn der Haupttäter mutwillig eine andere Person, die zufällig des Weges gekommen wäre und gegen die er einen persönlichen Groll hegte, niedergeschossen hätte, obwohl auch hier das für § 212 (und § 211) StGB einzig vorsatzrelevante Merkmal, nämlich die „Tötung eines Menschen“, vorgelegen hätte. Daneben wird gegen eine Unbeachtlichkeit des Irrtums zu Lasten des Anstifters teilweise auch noch das Argument angeführt, dass im Fall der Zurechnung der irrtumsbehafteten Ersttötung an selbigen konsequenterweise dann, wenn der Haupttäter seinen Irrtum bemerkt und sodann fröhlich weitere Morde begeht, bis er schließlich den „Richtigen“ trifft, der Anstifter ebenfalls für die übrigen Taten verantwortlich gemacht werden müsste (sog. „Blutbadargument“ von Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 3, 1918, S. 213 f.). Hiergegen wird freilich eingewendet, dass jedenfalls in diesem Fall ein dem Anstifter nicht zuzurechnender Exzess insofern vorliegt, als von dessen Vorsatz i.d.R. nur eine Tötung erfasst sein wird, nicht auch weitere Tatbegehungen, die darüber hinaus reichen (so LK-Schünemann, 12. Aufl. 2009, § 26 Rn. 87).
b) Geht man mit den vorgehenden Erwägungen dennoch unabhängig von dem zuletzt genannten „Blutbadargument“ davon aus, dass der Irrtum des Anstifters nicht per se als unbeachtlicher Motivirrtum eingeordnet werden kann, sondern vielmehr als Fehlvorstellung über den Kausalverlauf zu werten ist, wird man allerdings auch die für diese Irrtumsform anerkannten Einschränkungen zu beachten haben. Selbige werden von der Rechtsprechung des BGH allgemein dahingehend formuliert, dass eine Zurechnung trotz Fehlvorstellungen über den Kausalverlauf dann möglich ist, wenn die Abfolge der Tat sich noch im „Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren“ hält. So führt das Gericht im bereits oben erwähnten „Hoferben-Fall“ Folgendes aus:

Der Irrtum des Mitangeklagten stellte sich für den Angeklagten zwar als eine Abweichung von dem geplanten Tatgeschehen dar (…), sie ist aber rechtlich unbeachtlich, weil sie sich in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren hielt, so daß eine andere Bewertung der Tat nicht gerechtfertigt ist (BGHSt 7, 325, 329; vgl. auch Wolter a.a.O.). (…) Hier wollte der Angeklagte zwar nicht, daß Bernd Sch. getötet werde. Er wollte aber die Tötung seines Sohnes, und den von diesem Plan abweichenden Tatverlauf muß er sich zurechnen lassen, da eine Verwechslung des Opfers durch den Täter nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung lag. Der Angeklagte hat nämlich, als er den Pferdestall verließ, das Geschehen bewußt aus der Hand gegeben. Angesichts der Lichtverhältnisse bestand durchaus die Gefahr, daß der Täter andere Personen, die sich zufällig dem Pferdestall näherten, mit dem ins Auge gefaßten Opfer verwechselte. Diese Möglichkeit war dem Angeklagten sogar bewußt, weil er sich vor dem Fortgehen durch die Frage vergewisserte, ob St. seinen Sohn identifizieren könne.

In die gleiche Richtung geht tendenziell auch ein Vorschlag aus der Literatur, der für die Entscheidung, ob eine Anstiftung zur vollendeten oder lediglich versuchten Tat vorliegt, darauf abstellt, ob der Anstifter dem Ausführenden die Individualisierung des Tatopfers selbst überlassen hat oder nicht (vgl. dazu nur MüKo/StGB-Joecks, 2. Aufl. 2011, § 26 Rn. 85; Kindhäuser, LPK, 4. Aufl. 2010, Vor § 25 Rn. 75): Wenn nämlich der Anstifter dem Haupttäter eine konkrete Person beschreibt, letzterer sich aber nicht an diese Beschreibung hält, liegt i.E. ein bewusstes Abweichen des Haupttäters vor, so dass sich die schlussendlich falsche Tötung, mag sie selbst auch unbewusst geschehen, für den Hintermann als nicht vorhersehbarer „Exzess“ darstellt. Allerdings spricht viel dafür, eine Haftung des Anstifters nicht auf solche Fälle zu beschränken, in denen eine genaue Identifizierung des Opfers durch den Anstifter unterlassen wurde: Das zeigt gerade der Fall Rose-Rosahl, bei welchem dem Haupttäter Rose das geplante Opfer Schliebe durchaus bekannt war, sein Irrtum aber insofern vorhersehbar erscheint, als er die Tat in der Dämmerung ausführte, bei der die schlechten Lichtverhältnisse eine Fehleinschätzung über die tatsächlich anvisierte Person begünstigten. Hier wird man eine Zurechnung an den Anstifter Rosahl daher jedenfalls dann annehmen dürfen, wenn dieser dem Rose den (ungefähren) Zeitpunkt der Tat selbst vorgegeben hat, so dass ihm auch das gesteigerte Risiko einer Verwechslung zu diesem Zeitpunkt „vorhersehbar“ war. Darüber hinausgehend kann Rosahl m.E. aber auch dann, wenn er Rose gegenüber überhaupt keine näheren Angaben zur Tatausführung gemacht hat, eine Anstiftung zur vollendeten Tötung angelastet werden: Da dem Haupttäter in dieser Konstellation nämlich eigenverantwortlich seine Entscheidungen über das „wie“ der Deliktsausführung überlassen bleibt, ist auch dessen naheliegender Gedanke, die Tat im Schutze der Dunkelheit zu begehen, im Verhältnis zum Teilnehmer nicht als „Exzess“ zu bewerten. In der Konsequenz können den Anstifter danach naheliegende (Fehl-)Planungen des Haupttäters nie entlasten, sondern nur – umgekehrt – genauere Vorgaben, welche der eigentlich Ausführende dann nicht einhält. Dieses Ergebnis erscheint insofern stimmig, als der Einsatz eines „selbsttätig“ handelnden Menschen zur Tatausführung – im Gegensatz zu einer vom Anstifter eigenhändig durchgeführten Tötung – regelmäßig ein geringeres Maß an Kontrolle über die Tat bedingt. Dieser Kontrollverlust kann sich aber, da der Anstifter selbigen inklusive der hiermit begründeten Risiken durch Einschaltung des Dritten bewusst in Kauf genommen hat, grundsätzlich nicht zu seinen Gunsten auswirken. In den (leicht abgewandelten) Worten des Preußischen Obertribunals: „Seine Strafbarkeit ist [dann] von der Thätigkeit des Angestifteten, in dessen Hand er die Ausführung gelegt, und dessen Geschicktheit oder Ungeschicktheit er diese anvertraut hat, (…) abgängig (…).“

29.07.2009/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2009-07-29 09:40:562009-07-29 09:40:56Strafrechts-Klassiker: Der Rose-Rosahl-Fall

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