Strafrecht – Die wichtigsten Schemata
Nachdem wir in den vergangenen Tagen bereits zwei Beiträge zu den wichtigsten Definitionen zum Allgemeinen Teil (s. hier) bzw. zum Besonderen Teil des StGB (s. hier) veröffentlicht haben, folgt nun eine Übersicht mit Prüfungsschemata zu den unterschiedlichen Deliktstypen.
Das vorsätzliche, vollendete Begehungsdelikt
I. Tatbestand
1. objektiver Tatbestand, insb. Handlung, Erfolg, Kausalität, objektive Zurechnung bei Erfolgsdelikten
2. subjektiver Tatbestand: Vorsatz + ggf. sonstige subjektive Merkmale, wie z.B. besondere Absichten (§§ 242 I, 263 I StGB)
3. ggf. objektive Bedingung der Strafbarkeit, z.B. die Rauschtat bei § 323a StGB oder der Todeseintritt bei § 231 I StGB
II. Rechtswidrigkeit
1. ggf. positive Feststellung, z.B. Verwerflichkeit i.S.v. § 240 II StGB
2. Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen (insb. §§ 32, 34 StGB, rechtfertigende Einwilligung)
III. Schuld
1. Schuldfähigkeit, §§ 20 f. StGB
2. ggf. spezielle Schuldmerkmale, z.B. Rücksichtslosigkeit bei § 315c StGB
3. persönliche Vorwerfbarkeit, insb. keine Entschuldigungsgründe, Unrechtsbewusstsein (§ 17 StGB), Vorsatzschuld
(IV. Persönliche Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe, z.B. § 258 VI StGB)
Das (vorsätzliche) unechte Unterlassungsdelikt
I. obj. Tatbestand
1. Erfolgseintritt
2. Nichtvornahme/Unterlassen der gebotenen (Rettungs-)Handlung
a. ggf. Abgrenzung Tun vs. Unterlassen
b. die Vornahme der Rettungshandlung ist möglich
3. „Quasi“-Kausalität, d. h. hypothetischer Kausalzusammenhang zwischen Unterlassen und Erfolgseintritt (abgewandelte c.s.q.n.-Formel)
4. Garantenstellung, § 13 I StGB, vgl. Wortlaut § 13 I StGB: „wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt“
5. objektive Zurechnung
6. ggf. Modalitätenäqivalenz
vgl. Wortlaut § 13 I a.E. StGB „wenn das Unterlassen der Verwirklichung (…) durch ein Tun entspricht“; bei sog. verhaltensgebundenden Delikten anprüfen
II. subj. Tatbestand
Vorsatz und sonstige subjektive Merkmale
III. Rechtswidrigkeit
ggf. rechtfertigende Pflichtenkollision!
IV. Schuld
grds. wie bei Begehungsdelikten; als Entschuldigungsgrund stets an die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens denken
(V. persönliche Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe)
Die Anstiftung, § 26 StGB
I. Tatbestand
1. vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat
2. „Bestimmen“
3. Vorsatz
a. bzgl. (vollendeter) Haupttat
b. bzgl. des „Bestimmens“
(4. ggf. Strafrahmenverschiebung gem. § 28 II)
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
(IV. Persönliche Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe)
Die Beihilfe, § 27 StGB
I. Tatbestand
1. vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat
2. Beihilfehandlung
3. Vorsatz
a. bzgl. Haupttat
b. bzgl. Beihilfehandlung
(4. ggf. Strafrahmenverschiebung gem. § 28 II StGB)
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
(IV. Persönliche Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe)
Das erfolgsqualifizierte Delikt
I. Tatbestand des Grunddelikts
1. objektiv
2. subjektiv
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Eintritt der qualifizierenden Folge, z.B. bei § 227 I StGB der Tod
V. spezifischer Gefahrzusammenhang / Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Grunddelikt und Folge
VI. (mindestens) Fahrlässigkeit bzgl. der qualifizierenden Folge, § 18 StGB
1. objektive Fahrlässigkeitselemente, hier idR nur obj. Vorhersehbarkeit problematisch
2. subjektive Fahrlässigkeitselemente, hier idR nur subj. Vorhersehbarkeit problematisch
Der Versuch, §§ 22 ff. StGB
I. Vorprüfung
1. Nichtvollendung
2. Strafbarkeit des Versuchs, d.h. entweder Verbrechen (§§ 23 I, 12 I StGB) oder ausdrücklich erwähnt (z.B. §§ 23 I, 12 II, 242 II StGB); (P) erfolgsqualifizierte Delikte; niemals Fahrlässigkeitsdelikte
II. Tatentschluss
= subjektiver Tatbestand; Vorsatz bzgl. aller objektiven Merkmale des jeweiligen Tatbestands + ggf. besondere subjektive Merkmale, wie z.B. besondere Absichten (§§ 242 I, 263 I StGB), täterbezogene Mordmerkmale
III. unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB
= objektiver Tatbestand
IV. Rechtswidrigkeit
V. Schuld
VI. kein Rücktritt, § 24 StGB
1. kein Fehlschlag
2. Abgrenzung beendeter/unbeendeter Versuch
3. Prüfung der Voraussetzungen der jeweils einschlägigen Variante des § 24
4. Freiwilligkeit
(VII. (sonstige) persönliche Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe)
Der Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts
I. Vorprüfung
1. Nichtvollendung
2. Strafbarkeit des Versuchs
(P) Abgrenzung Versuch der Erfolgsqualifikation vs. erfolgsqualifizierter Versuch
(P) Strafbarkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs?
Nach hM grds. ja wegen § 11 II StGB, aber nur dann, wenn die schwere Folge an die Handlung und nicht an den Erfolg des Grunddelikts anknüpft (str. bei § 227 StGB!) und der Versuch des Grunddelikts strafbar ist (str.).
II. Tatentschluss bzgl. des Grunddelikts
= subjektiver Tatbestand
III. unmittelbares Ansetzen zum Grunddelikt, § 22 StGB
= objektiver Tatbestand
IV. Rechtswidrigkeit
V. Schuld
VI. Eintritt der qualifizierenden Folge
VII. spezifischer Gefahrzusammenhang / Unmittelbarkeitszusammenhang
VIII. (mindestens) Fahrlässigkeit bzgl. qualifizierender Folge, § 18 StGB
1. objektiv
2. subjektiv
IX. kein Rücktritt, § 24 StGB
(P) Rücktritt nach e.A. nicht möglich, wenn schwere Folge schon eingetreten ist
(X. sonstige persönliche Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe)
Das Fahrlässigkeitsdelikt
I. Tatbestand
1. Handlung, d. h. Tun oder Unterlassen; wenn Unterlassen, dann wie beim Vorsatzdelikt § 13 I StGB prüfen
2. Erfolg
3. Kausalität
4. objektiver Fahrlässigkeitsvorwurf, d.h.
a. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
b. bei objektiver Vorhersehbarkeit und
c. objektiver Vermeidbarkeit (str.) des Erfolges
5. objektive Zusrechnung
insb. Schutzzweckzusammenhang und Pflichtwidrigkeitszusammenhang
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
1. subjektiver Fahrlässigkeitsvorwurf, d.h. subjektive/individuelle Vorhersehbarkeit und subjektive/individuelle Vermeidbarkeit
2. Entschuldigungsgründe, insb. Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens; die ersten beiden Punkte sollten stets kurz angeprüft werden, Punkte 3 und 4 nur, wenn fraglich
3. Schuldfähigkeit (wie üblich)
4. spezielle Schuldmerkmale (wie üblich, z.B. „rücksichtslos“ bei § 315c StGB)
(IV. Persönliche Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe)
Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, die objektive Bedingung der Strafbarkeit unter „I. Tatbestand“ zu prüfen“.
Schließlich handelt es sich eben gerade nicht um einen Teil des Tatbestands, sondern Umstände, die außerhalb liegen, weshalb auch § 16 I z.B. keine Anwendung hierauf findet.
Kann man auch auf einen neuen Hauptgliederungspunkt II. hochzonen, RWK dann als III. Wichtig ist nur, dass es in jedem Fall nach dem subjektiven Tatbestand geprüft wird, um deutlich zu machen, dass sich der Vorsatz nicht hierauf beziehen muss – sonst zeigt man eben mangelndes Verständnis. Denke aber, es geht auch so wie oben…