Heise online berichtet, dass die Piratenpartei im Wege des Organstreitverfahrens gegen die neue 3%-Hürde bei der Europawahl vorgeht. Die Partei strebt dabei eine Entscheidung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG an, um eine Rechtsdurchsetzung noch vor der Europawahl am 25.05.2014 zu erwirken. Das angegriffene Gesetz wurde von Bundespräsident Joachim Gauck zuvor am 07.10.2013 unterzeichnet.
Entscheidung des BVerfG aus 2011
Über die Verfassungsmäßigkeit von prozentualen Hürden als Voraussetzung für den Einzug in das Europaparlament hatte das BVerfG bereits in einer damaligen Entscheidung aus dem Jahre 2011 zu urteilen (Urteil vom 9.11.2011 – 2 BvC 4/10, 2 BvC 6/10, 2 BvC 8/10). Seinerzeit ging es um eine 5%-Hürde, die allerdings vom BVerfG als verfassungswidrig eingestuft wurde. Die Entscheidung fiel damals im zuständigen Senat des BVerfG mit 5:3 Stimmen denkbar knapp aus. Zudem gaben die Richter Mellinghoff und di Fabio ein ergänzendes Sondervotum zu der Problematik ab. Gerade diese Uneinigkeit zeigt schon, dass das Urteil nicht unumstritten ist und dass verschiedene Ansichten zu diesem Thema vertretbar sind.
Examensrelevanz
Wir berichteten im Jahr 2011 ausführlich über die leitende Argumentation des BVerfG sowie die Erwägungen nach den Sondervoten (den Beitrag findet ihr hier). Die Lektüre dieses Beitrages sei nicht nur vor dem Hintergrund anstehender mündlicher Examensprüfungen angeraten. Auch in öffentlich-rechtlichen Klausuren im ersten Staatsexamen kann die Thematik abgefragt werden.
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In den letzten Tagen machte ein Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen die Runde, dem jetzt auch die SPD-Fraktion zustimmen will: Es geht um die Einführung einer Dreiprozentklausel bei Europawahlen. Ausgangspunkt ist ein Urteil des BVerfG vom 9.11.2011 – Az. 2 BvC 4/10, 2 BvC 6/10, 2 BvC 8/10, das die bis dahin bestehende Fünfprozentklausel für verfassungswidrig erklärt hatte. Wir hatten darüber ausführlich berichtet.
Berücksichtigt man dies, stellt sich die berechtigte Frage nach der Verfassungswidrigkeit des neuen Gesetzes. Kann es so einfach sein, dass eine bloße Änderung des Zahlwerts zu einer Verfassungsmäßigkeit der Regelung führt? Um diese Frage zu beantworten, muss das Urteil des BVerfG näher betrachte werden.
I. Verletzung der Gleichheit der Wahl
Unumstritten ist, dass sowohl eine Fünf- als auch eine Dreiprozentklausel gegen die Gleichheit der Wahl verstoßen. Bei der Europawahl ist dieser Grundsatz aus Art. 3 GG und nicht aus Art. 38 GG herzuleiten. Der Erfolgswert der Stimmen ist abhängig vom Überspringen der Fünf- bzw. Dreiprozenthürde.
II. Rechtfertigung
1. Strenger Maßstab des BVerfG
Fraglich ist aber, ob dieser Grundrechtsverstoß bei einer Dreiprozentklausel leichter gerechtfertigt werden kann. Es muss dafür ein sachlicher Grund vorliegen und der Eingriff muss geeignet und erforderlich sein. Bei der Fünfprozenthürde war dies nach Ansicht des BVerfG nicht der Fall, da als sachlicher Grund nur eine drohende schwerwiegende Funktionsstörung des Parlaments angeführt werden kann. Eine solche ist nicht ersichtlich. Außerdem fehlt auch die Wahl einer Regierung, so dass eine solche Klausel nicht notwendig ist.
Nimmt man diese Entscheidung so hin, so muss für eine Dreiprozentklausel Gleiches gelten. Dass der Eingriff hier weniger intensiv ist, vermag an der Beurteilung nichts zu ändern. Da ein sachlicher Grund fehlt, ist jede Differenzierung unzulässig. Negativ an dieser Ansicht ist aber, dass eine Differenzierung unterbleibt. Aus diesem Grund wäre eine 25%-Klausel ebenso wie eine 1%-Klausel unzulässig. Dies erscheint wenig überzeugend.
2. Abweichende Sondervoten
Fraglich ist aber, wie die Intensität des Eingriffs berücksichtigt werden kann. Helfen kann hier das Sondervotum dreier Richter im genannten Verfahren des BVerfG. Diese bejahten zwar auch einen Eingriff in die Gleichheitsgrundsätze der Wahl, prüften aber bei der Rechtfertigung zusätzlich die Intensität des Eingriffs. Je weniger intensiv der Eingriff sei, desto einfacher müsste die Rechtfertigung sein. Eine drohende schwerwiegende Funktionsstörung des Parlaments wird nicht stets für notwendig erachtet. Vielmehr reichen sachliche Gründe, wenn die Eingriffsintensität weniger stark ist. Durch 3 von 5 Richtern wurde bereits bei der Fünfprozentklausel eine solch hohe Intensität verneint. Deshalb ist es jetzt nicht unwahrscheinlich, dass noch mehr Richter dieser Ansicht zugeneigt sind und damit die Neuregelung für rechtmäßig halten.
III. Stellungnahme
Es erscheint damit nicht ausgeschlossen, dass die Richter des BVerfG aufgrund des geringeren Grades des Eingriffs im Rahmen einer Dreiprozentklausel einen Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit für gerechtfertigt halten. Sicher ist dies aber keineswegs. Mit dem Gesetzentwurf wird also ein sehr hohes Risiko eingegangen. Es droht die Gefahr, dass zum wiederholten Mal ein Wahlrechtsgesetz durch das BVerfG gecancelt wird.
Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes entschied vor Kurzem mit Urteil vom 22.03.2012 (Az. Lv 3/12) zur Zulässigkeit der Fünf-Prozent-Klausel bei einer Landtagswahl. Der VerfGH sah gewichtige Gründe für die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel. Ohne die Klausel bestünde die Gefahr einer Zersplitterung des Parlaments, womit im Ergebnis die Regierungsbildung beeinträchtigt wäre. Insbesondere verändere sich diese rechtliche Beurteilung nicht, wenn bereits von vornherein fest stehe, dass die Bildung einer Großen Koalition angestrebt wird. Inbesondere für anstehende mündliche Prüfungen bietet diese Entscheidung also Anlass, sich noch einmal intensiver mit den verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätzen und insbesondere der Gleichheit der Wahl auseinanderzusetzen.