Die Urkundenfälschung ist ein Delikt, dass für Klausursteller ganz besondere Potentiale bietet und Studierende zuweilen zur Verzweiflung bringen kann. Das liegt weniger an der besonderen Komplexität der Prüfung als daran, dass sie geschickt in Sachverhalten versteckt werden und von den Prüflingen allzu leicht übersehen werden kann. Der mehrteilige Grundlagenbeitrag nennt daher zahlreiche Beispiele, die zwar nicht auswendig gelernt werden müssen, aber Klausur- und Examenskandidaten und -kandidatinnen ein Gespür dafür geben sollen, wann an § 267 BGB zu denken ist.
In diesem ersten Teil soll es zunächst um den Begriff der Urkunde gehen. Hieran hängt viel, sodass sich ein wenig Auswendiglernen am Ende doch nicht vermeiden lässt. Die Definition muss sitzen.
I. Definition und Funktionen
Eine Urkunde ist jede verkörperte, aus sich heraus verständliche, menschliche Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt und geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen.
Zentral sind dabei drei Funktionen, die jede Urkunde erfüllen muss und die sich aus dieser Definition herauslesen lassen: Die Perpetuierungsfunktion (in der Definition anlegt im Merkmal der verkörperten, menschlichen Gedankenerklärung), die Beweisfunktion (in der Definition angelegt im Merkmal der Eignung und Bestimmung zum Beweis im Rechtsverkehr) sowie die Garantiefunktion (in der Definition angelegt im Merkmal der Erkennbarkeit des Ausstellers). Der Reihe nach:
1. Perpetuierungsfunktion
Die Urkunde muss eine menschliche Gedankenerklärung mit einer körperlichen Sache verbinden und dadurch gewissermaßen fassbar machen. Zunächst ist daher eine menschliche Gedankenerklärung notwendig. Aus ihr müssen sich menschliche Gedanken erkennen lassen. Durch dieses Merkmal ist die Urkunde insbesondere von einem bloßen Augenscheinsobjekt abzugrenzen (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 4).
- Keine Gedankenerklärungen sind Spuren oder Fingerabdrücke
- Technische Aufzeichnungen sind nur dann Gedankenerklärungen, wenn sie einem Menschen oder einer juristischen Person zugerechnet werden können, etwa weil die Aufzeichnung von der Person veranlasst wurde und/oder sie sich die enthaltene Erklärung zu Eigen gemacht hat. Die Aufzeichnungen eines Fahrtenschreibers selbst sind beispielsweise noch keine Gedankenerklärung (OLG Karlsruhe, NStZ 2002, 653), der Parkschein aus dem Parkscheinautomaten ist demgegenüber als Erklärung des Betreibers darüber zu werten, dass jemand eine Parkgebühr entrichtet hat (OLG Köln, NJW 2002, 527 f.)
- Strittig ist die Einordnung von Wertzeichen wie Rabattmarken und Bons (die Urkundseigenschaft ablehnend BayObLG, NJW 1980, 196; a.A. Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 4 m.w.N.)
Die Gedankenerklärung muss nicht so abgefasst sein, dass sie aus sich heraus für jedermann verständlich ist; der Inhalt der Erklärung muss sich nicht vollständig und offensichtlich aus der Urkunde selbst ergeben. Sonst könnten letztlich nur ausführliche Schriftstücke Urkunden sein. Es genügt vielmehr, dass irgendjemand neben dem Aussteller den Erklärungsgehalt nachvollziehen kann. Unter dieser Voraussetzung (der Verständlichkeit der Urkunde jedenfalls für Eingeweihte) genügt etwa auch die Verwendung von Symbolen (siehe auch Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 7).
Neben einer Erklärung erfordert die Urkunde eine gewisse Fixierung, eine Dauerhaftigkeit des „Datenträgers“, also der körperlichen Sache. Es ist aber nicht erforderlich, dass die Erklärung unveränderlich bzw. unaufhebbar mit der körperlichen Sache verbunden ist.
- Beispiele, in denen die hinreichende Verkörperung fehlt: Nachrichten in Schnee oder Sand, nur lose mit einer Klarsichtfolie verbundene Kaufsache (OLG Köln, NJW 1979, 729), Tonträger, elektronische Daten
- Grenzfälle, in denen eine hinreichende Verkörperung noch vorliegt: Mit Bleistift geschrieben Erklärungen, auf eine Kaufsache aufgeklebtes Preisschild
2. Beweisfunktion
Die verkörperte Erklärung muss objektiv beweisgeeignet für eine rechtserhebliche Tatsache sein. Rechtserheblichkeit liegt vor, wenn die Erklärung „allein oder in Verbindung mit anderen Beweismitteln für die Entstehung, Erhaltung, Veränderung oder das Erlöschen eines Rechts oder Rechtsverhältnisses öffentlicher oder privater Natur von Bedeutung ist“ (so Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 12).
- Problematisch sind hier insbesondere formnichtige Erklärungen. Wenn durch einen Verstoß gegen die vorgeschriebene Form offensichtlich ist, dass die Erklärung im Rechtsverkehr keine Bedeutung entfaltet, fehlt ihr insoweit die Beweiseignung. Das heißt nicht, dass die Erklärung nicht beweisgeeignet für etwas anderes als den Abschluss des gewollten Rechtsgeschäfts sein kann. Auch kann ein Interesse an dem Beweis des Abschlusses des nichtigen Vertrags bestehen. Ein heilbarer Formverstoß steht der Beweiseignung grds. nicht entgegen (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 9).
Daneben muss die Erklärung subjektiv beweisbestimmt sein. Der Aussteller oder Dritte muss die Erklärung also als Beweismittel im Rechtsverkehr einsetzen wollen. Ob es hierzu allein auf den inneren Willen oder aber auf den objektiven Empfängerhorizont ankommt, ist umstritten, in der Klausur aber selten relevant.
- Hier wird zwischen Absichts- und Zufallsurkunden differenziert. Absichtsurkunden werden mit dem Ziel der Nutzung als Beweismittel hergestellt, so z.B. eine Quittung für einen Zahlungsvorgang. Zufallsurkunden erhalten ihre Beweisbestimmung erst später durch den Aussteller oder Dritte. Der BGH nennt als Beispiel einen Brief des Ehegatten an eine dritte Person als Beweismittel im Scheidungsprozess, BGH, NJW 1959, 2174.
Problematisch ist die Abgrenzung von Beweis- und Kenn- bzw. Unterscheidungszeichen. Letztere sollen allein der Individualisierung oder Unterscheidbarkeit dienen und die Urkundseigenschaft nicht erfüllen. In der Literatur wird die Differenzierung vielfach für ihre Undurchsichtigkeit kritisiert (BeckOK StGB/Weidemann, § 267 Rn. 8; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 20). Für Studierende ist das natürlich misslich, letztlich ist in der Prüfungssituation hierdurch aber häufig auch viel vertretbar. Einige Beispiele zur Sensibilisierung:
- Kennzeichen ohne Beweisfunktion sollen sein: Garderobenmarken, Autogramme, abgelöste und gestempelte Briefmarken
- Beweiszeichen sollen sein: Kreidezeichen auf Strandkorb als Markierung für bezahlte Miete, Siegelabdruck eines Weinprüfers, Künstlerzeichen auf Gemälde
- Siehe diese und weitere Beispiele auch bei BeckOK StGB/Weidemann, § 267 Rn. 8 f.
3. Garantiefunktion
Um die sog. Garantiefunktion zu erfüllen, muss die Erklärung die Person ihres Ausstellers erkennen lassen. Wer Aussteller ist, war früher einmal umstritten. Die Körperlichkeitstheorie, nach der Aussteller derjenige ist, der den Herstellungsakt selbst vollzogen hat, wird heute allerdings soweit ersichtlich nicht mehr vertreten. Vielmehr ist die sog. Geistigkeitstheorie anerkannt, nach der Aussteller derjenige ist, der geistig für die Erklärung einsteht. Anders gesagt: Aussteller ist der, von dem die Erklärung geistig herrührt (BeckOK StGB/Weidemann, § 267 Rn. 13). Die Urkunde muss den Anschein erwecken, dass eine individualisierbare Person für die Erklärung einsteht. Wichtig: Das setzt nicht voraus, dass diese Person tatsächlich existiert!
Die Garantiefunktion ist dann nicht erfüllt, wenn der (scheinbare) geistige Urheber der Erklärung anonym bleibt, also nicht ermittelbar ist.
- Sog. offene Anonymität liegt vor, wenn der Aussteller sich gar nicht zu erkennen gibt oder offensichtlich hinter einem Decknamen o.ä. versteckt
- Versteckte Anonymität liegt vor, wenn zwar ein Name angegeben wird, es sich aber um einen Allerweltsnamen handelt und offensichtlich ist, dass die Identität verborgen bleiben soll
- Das heißt natürlich nicht, dass Menschen mit häufigen Namen keine Urkunden erstellen können. Verstecke Anonymität liegt nur vor, wenn deutlich wird, dass der verwendete Name ein persönliches Einstehen für die Erklärung verhindern soll
II. Sonderformen der Urkunde
Neben der „klassischen“ Urkunde, bei der die verkörperte Gedankenerklärung für sich steht und aus sich heraus alle Merkmale und Funktionen der Urkunde erfüllt (klassisches Beispiel: Zeugnis mit Unterschrift), ist als Sonderform die sog. zusammengesetzte Urkunde anerkannt. Bei der zusammengesetzten Urkunde wird die verkörperte Gedankenerklärung i.d.R. durch ein Bezugsobjekt ergänzt, das selbst nicht die Urkundseigenschaften erfüllt, durch eine räumlich feste Verbindung mit der Gedankenerklärung aber zu einer Beweiseinheit verschmilzt.
- Beispiele: Aufgeklebtes Preisschild auf Kaufsache, Kennzeichen auf KFZ bzw. TÜV-Prüfplakette auf KFZ-Kennzeichen, Foto im Personalausweis
- Diskutiert, aber abgelehnt etwa auch für ein Verkehrszeichen in Verbindung mit einem räumlich nicht überschaubaren Straßenabschnitt (OLG Köln, NJW 1999, 1042). Das ist ein Beispiel, das besonders anschaulich zeigt, dass die Urkundenfälschung in der Strafrechtsklausur auch mal an ungewöhnlichen Stellen auftauchen kann.
Das Entfernen oder Auswechseln des Bezugsobjekts kann bei Vorliegen einer zusammengesetzten Urkunde auch schon den Tatbestand der Urkundenfälschung erfüllen, auch wenn die Erklärung selbst streng genommen nicht angetastet wird.
Auch mehrere Urkunden können gemeinsam eine zusammengesetzte Urkunde bilden, wenn eine auf die andere inhaltlich verweist und die Urkunden räumlich fest verbunden sind (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 36b).
Demgegenüber liegt eine weitere Sonderform der Urkunde, nämlich eine sog. Gesamturkunde vor, wenn mehrere Urkunden körperlich so zusammengefasst sind, dass sich aus der Zusammenfassung ein neuer Erklärungs- und Beweisinhalt i.S.e. Vollständigkeits- und Abgeschlossenheitserklärung ergibt.
- Beispiele sind die Personalakte, die Handelsbücher eines Kaufmanns, Strafprozessregister oder Einwohnermeldeverzeichnisse (MüKoStGB/Erb, § 267 Rn. 57).
Entfernt man aus einer Gesamturkunde eine Einzelurkunde, so kann das also unter § 267 StGB fallen, weil aus der Zusammenfassung der einzelnen Urkunden wiederum eine eigenständige Urkunde mit neuem Erklärungswert entsteht.
III. Beliebtes Sonderproblem: Fotokopien und Collagen
Häufiges Klausurproblem ist die Einordnung von Fotokopien. Bei Kopien, die als solche erkennbar sind, ist der Aussteller grundsätzlich nicht erkennbar, sodass sie nach herrschender Ansicht keine Urkundsqualität haben. Man kann darüber hinaus erwägen, ob die Kopie überhaupt eine selbstständige Gedankenerklärung enthalten (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267 StGB Rn. 42a) oder ob sie beweisgeeignet sind (Beweisbedeutung und Garantiefunktion ablehnend etwa OLG Düsseldorf, NJW 2001, 167).
Dass es sich nicht um Urkunden handelt, heißt aber nicht, dass als solche erkennbare Kopien im Rahmen des § 267 StGB irrelevant sind. So kann beispielsweise das Vorlegen einer Kopie einer unechten Urkunde ein Gebrauchmachen eben dieser darstellen und so wiederum strafrechtlich relevant sein (zu den Tathandlungen des § 267 StGB siehe den zweiten Teil dieses Beitrags).
Ist die Kopie allerdings nicht als Kopie erkennbar, sondern erweckt vielmehr den Eindruck eines Originals und soll auch gerade als falsches Original verwendet werden, ist die Urkundseigenschaft zu bejahen (OLG Stuttgart, NJW 2006, 2869).
Feingefühl können KlausurbearbeiterInnen auch beim Umgang mit Collagen beweisen. Wenn der Täter etwa mehrere einzelne Schriftstücke zusammenklebt, dann dürfte das „Kunstwerk“ selbst in aller Regel als selbst zusammengesetzt erkennbar sein, es handelt sich hierbei nicht um eine Urkunde (Kindhäuser/Schramm, Strafrecht BT I, § 55 Rn. 69). Ebenso ist die Kopie der Collage (dasselbe gilt für lose zusammengelegte und kopierte Blätter) keine Urkunde, soweit sie als Kopie erkennbar ist (s.o.). Erweckt sie hingegen selbst den Eindruck, es handle sich um ein Original, wird durch den Kopiervorgang eine Urkunde hergestellt (Kindhäuser/Schramm, Strafrecht BT I, § 55 Rn. 43).
Aufgrund des Sachzusammenhangs sei hier auf ein Problem hingewiesen, dass sich nach Lektüre des zweiten Teils dieses Beitrags, der sich mit den Tathandlungen des § 267 StGB befasst, noch besser erschließen dürfte: Die fehlende Urkundseigenschaft der Collage selbst führt dazu, dass es von vorneherein an einer Urkunde fehlt, die gebraucht werden könnte. Während die Vorlage einer erkennbaren Kopie eines Dokuments, das selbst die Anforderungen an eine unechte oder gefälschte Urkunde erfüllt, wie bereits erwähnt als Gebrauchen eben dieses Dokuments eingeordnet werden kann, kann dieser Kunstgriff bei Collagen nicht gelingen (siehe auch Kindhäuser/Schramm, Strafrecht BT I, § 55 Rn. 69).
In Teil 2 des Beitrags, der bald erscheint, geht es um die Tathandlungen des § 267 StGB sowie den subjektiven Tatbestand der Norm.