Das Bundesarbeitsgericht hat kürzlich eine Entscheidung vom 6.9.2012 (2 AZR 858/11) veröffentlicht, die von sehr hoher Bedeutung für das Staatsexamen ist und sicherlich abgeprüft werden wird, auch weil sie Probleme des BGB AT mit Standardproblemen des Arbeitsrechts vermischt.
I. Sachverhalt
Inhaltlich geht es um die Frage, wann der Beginn der Klagefrist des § 4 KSchG (die bekanntlich als materielle Präklusionsfrist anzusehen ist) ist. Besonderheiten ergeben sich hier daraus, dass die Kündigung zwar formwirksam war (§ 4 S. 1 KSchG fordert den Zugang einer schriftlichen Kündigung, ansonsten ist ein Fristbeginn gar nicht möglich), aber ein Mangel bei der Vertretungsmacht des Handelnden bestand.
Zu unterscheiden sind damit drei Fälle:
- Kündigung ohne Vertretungsmacht, keine Genehmigung nach § 184 BGB
- Kündigung ohne Vertretungsmacht, nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) nach § 184 BGB lag vor
- Kündigung mit Rechtsscheinsvollmacht
II. Beginn der Frist nach § 4 KSchG
Das BAG prüft hier alle drei möglichen Konstellationen mustergültig durch.
1. Keine Genehmigung
Am einfachsten zu beurteilen ist der Fall der fehlenden nachträglichen Zustimmung durch den Arbeitgeber. Hier fehlt es bereits an einer wirksamen Kündigung, sodass die Frist des § 4 KSchG gar nicht greift.
Eine Kündigung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht ist dem Arbeitgeber nicht zuzurechnen, weil sie nicht von seinem Willen getragen ist.
2. Genehmigung durch den Arbeitgeber
Genehmigt der Arbeitgeber die Kündigung nach § 184 BGB, so wird diese rückwirkend wirksam (vgl. § 184 Abs. 1 BGB). Fraglich ist dann, ob diese Rückwirkung auch auf die Präklusionsfrist durchschlägt. Dies wird vom BAG zurecht unter Darlegung des Schutzzweckes der Norm verneint.
Da aber § 4 Satz 1 KSchG den Beginn der Frist an den Zugang der Kündigungserklärung knüpft und damit von der Kenntnismöglichkeit des Arbeitnehmers abhängig macht, ist auch für die Genehmigung – ebenso wie im Fall des § 4 Satz 4 KSchG – auf ihren Zugang beim Arbeitnehmer abzustellen (ErfK/Kiel, 12. Aufl., §4 KSchG, Rn. 6; APS/Hesse, 4. Aufl., §4 KSchG, Rn. 10c; v. Hoyningen-Huene/Linck, 14.Aufl., §4 KSchG, Rn. 20). Die materiellrechtliche Rückwirkung der Genehmigung (§ 184 Abs. 1 BGB) ist für den Lauf der Klagefrist ohne Bedeutung (vgl. allgemein Palandt/Ellenberger, 72. Aufl., §184, Rn. 2; zur Verjährung: Staudinger/Gursky, 2009, §184 BGB, Rn. 38 mwN). Das Interesse des Arbeitgebers an der raschen Klärung der Frage, ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat, beginnt im Fall der Kündigung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht erst mit der Genehmigung.
Die Argumentation anhand des Schutzzweckes überzeugt hier. Der Arbeitgeber soll nach dem Ablauf der drei Wochen keine Streitigkeiten mehr zu befürchten haben. Er kann aber nur ein Interesse an Rechtssicherheit haben, wenn er von der (wirksamen) Kündigung weiß. Anzuknüpfen ist folglich an den Zeitpunkt des Zugangs der Genehmigung beim Arbeitnehmer.
Letztlich wird hier der Grundgedanke des § 4 S. 1 KSchG entsprechend angewandt. Dies hat zur Folge, dass eine Kündigung zwar durch Genehmigung ggü. dem Vertreter wirksam werden kann (§ 182 Abs. 1 BGB), für den Fristbeginn des § 4 Abs. 1 KSchG die Information des Arbeitnehmers entscheidend ist. Konsequenterweise ist hierfür dann auch die Einhaltung der Schriftform zu fordern. Ob die bloße Kenntnis oder formlose Information des Arbeitnehmers genügt (vgl. bspw. § 4 S. 4 KSchG) oder ob hier die Genehmigung in Schriftform vorliegen muss, ist von der Rechtsprechung nicht entschieden. Hier wäre mit guter Argumentation dann beides vertretbar.
3. Vorliegen Rechtsschein
Am problematischsten zu beantworten ist die Frage, welche Folgen eine Kündigung dann hat, wenn der Vertreter Rechtsscheinsvollmacht gehabt hat. Im Grundsatz würde dies dazu führen, dass die Kündigung wirksam wäre, mit der Folge des Fristbeginns nach § 4 KSchG mit Zugang der Kündigung. Diese Ansicht vertrat auch das LAG Hamburg als Vorinstanz. Das BAG lehnt dies nun aber mit sehr guter Argumentation ab. Hierbei greift es erneut auf den Schutzzweck von § 4 KSchG bzw. des Rechtsscheins zurück.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt allein der Rechtsschein einer solchen Bevollmächtigung nicht dazu, dass die Kündigungserklärung der Beklagten zurechenbar wäre. § 4 KSchG dient dem Schutz des Arbeitgebers.
Hier kann auf das oben Gesagte verwiesen werden. Einen anderen Schutzzweck hat hingegen die Rechtsscheinsvollmacht.
Die gewohnheitsrechtlich anerkannte Figur der Anscheinsvollmacht (vgl. Palandt/Ellenberger 72. Aufl. BGB § 172 Rn. 6) dient hingegen dem Schutz des Arbeitnehmers als des Erklärungsempfängers.
Gerade der Adressat (hier der Arbeitnehmer) soll in seinem Vertrauen auf die Wirksamkeit geschützt werden. Dieser Schutz würde aber dazu führen, dass die Frist des § 4 KSchG beginnen würde; ohne den Schutz würde dies nicht eintreten. Dies erkennt auch das BAG und legt dar:
In dessen [des Arbeitnehmers] Interesse aber liegt eine Zurechenbarkeit der Kündigung zum Arbeitgeber gerade nicht. Der Arbeitgeber wiederum ist bei Vorliegen eines bloßen Rechtsscheins wegen des Fehlens einer tatsächlich von seinem Willen getragenen Erklärung nicht im Sinne von § 4 KSchG schutzbedürftig. Die Sichtweise des Landesarbeitsgerichts ist weder mit dem Schutzzweck des § 4 Satz 1 KSchG noch mit dem der Anscheinsvollmacht vereinbar.
Im Ergebnis wird damit bei Abwägung der Interessen ein Fristbeginn nach § 4 KSchG verneint, sodass auch hier die Genehmigung entscheidend sein muss.
III. Fazit
Das Urteil verbindet zivilrechtliche Probleme mit arbeitsrechtlichen Standardproblemen, die häufig in Klausuren geprüft werden. Aus diesem Grund eignet es sich perfekt für eine Klausur. Hier muss dann die Argumentation des BAG (insbesondere die teleologische Betrachtung der Normen) bekannt sein, da ansonsten das Problem sehr schwer auffindbar und zu lösen ist.