Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Charlotte Schippers veröffentlichen zu können. Die Autorin hat an der Universität Bonn Rechtswissenschaft studiert und ist am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit tätig.
In der Praxis ergehen selten neue Entscheidungen zur Tierhaftung. Ist dies doch einmal der Fall, sind diese Entscheidungen immer examensrelevant, da sich hierbei deliktsrechtliche Fragen mit komplizierten Einzelfragen der Verschuldens- und Gefährdungshaftung verknüpfen lassen. § 833 S. 1 BGB regelt die Gefährdungshaftung des Tierhalters für Schäden, die durch ein sog. Luxustier verursacht werden: Für solche Schäden haftet er unabhängig von seinem Verschulden. Wird der Schaden hingegen durch ein sog. Nutztier verursacht, normiert § 833 S. 2 BGB eine Verschuldenshaftung des Tierhalters, sodass er sich u.U. exkulpieren kann. Das OLG Stuttgart hat sich in seinem Urteil vom 7.6.2018 (Az.: 13 U 194/17) mit der Frage beschäftigt, ob Kamele als Haustiere i.S.d. § 833 S. 2 BGB einzustufen sind, was wir zum Anlass genommen haben, einen Blick auf die Tierhaftung des BGB zu werfen.
A. Prüfungsschema: Schadensersatzanspruch gem. § 833 S. 1 BGB
I. Rechtsgutsverletzung
II. Durch ein Tier
III. Haltereigenschaft
IV. Kein Ausschluss, § 833 S. 2 BGB
V. Rechtsfolge: Schadensersatz
Zunächst muss für den Anspruch gem. § 833 S. 1 BGB eine Rechtsgutsverletzung vorliegen, also ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt worden sein. Insoweit sind die Begriffe so auszulegen wie i.R.v. § 823 BGB.
Diese Schadensverursachung muss durch ein Tier geschehen sein. Erfasst sind nach einem biologischen und funktionellen Begriffsverständnis Tiere jeder Art, unabhängig von ihrer Größe.[1]
Voraussetzung ist zunächst, dass das Tier den Schaden kausal (mit-)verursacht hat. Darüber hinaus ist wichtig, sich zu merken, dass sich auch die spezifische Tiergefahr im Erfolg realisiert haben muss. Diese ist zwar nicht explizit in der Norm genannt, wird aber in den Tatbestand hineingelesen und äußert sich nach der ständigen Rspr. des BGH in „einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres“[2]. Typische Beispiele hierfür sind Fälle, in denen Pferde scheuen, ausschlagen oder durchgehen oder Hunde jemanden anspringen oder beißen.[3] Zu beachten ist, dass keine Realisierung der Tiergefahr gegeben ist, wenn ein Tier unter menschlicher Leitung einen Schaden zufügt, denn in diesem Fall dient es lediglich als Werkzeug.[4]
Eine der zentralen Fragen bei der Prüfung des Anspruchs aus § 833 S. 1 BGB ist, wer Tierhalter ist. Dies erschließt sich aus dem Zweck der Norm, demjenigen, der die tatsächliche Gewalt über das Tier ausübt, also die Kontrolle hat, haftungsrechtliche Anreize zur Beherrschung der Kreatur im Interesse der Schadensvermeidung zu geben.[5] Tierhalter i.S.d. § 833 BGB ist mithin derjenige, dem „die Bestimmungsmacht über das Tier zusteht und [d]er aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt und das wirtschaftliche Risiko seines Verlustes trägt“[6]. Eigentum und unmittelbarer Eigenbesitz sind für die Haltereigenschaft irrelevant, sodass auch mittelbarer Besitz gem. § 868 BGB ausreichend ist.[7]
An diesem Punkt ist außerdem von der Tierhalterhaftung die Haftung des Tieraufsehers gem. § 834 BGB abzugrenzen. Tieraufseher ist, wer die selbstständige Sorge über das Tier übernimmt, ohne aber Halter zu werden, weil er das Tier nicht im eigenen Interesse und auf eigene Rechnung versorgt.[8] Hierbei setzt § 834 BGB die Übernahme der Aufsichtspflichten durch Vertrag voraus, wobei aber auch die konkludente Übernahme ausreichend ist, aber weder die gesetzliche Pflicht zur Führung der Aufsicht noch die rein tatsächliche Übernahme der Aufsicht sind erfasst.[9]
Des Weiteren dürfte der Anspruch nicht gem. § 833 S. 2 BGB ausgeschlossen sein. Hierbei kommt es maßgeblich auf die Unterscheidung von Luxus- und Nutztieren an, denn gem. § 833 S. 2 BGB tritt die Ersatzpflicht dann nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist. Darüber hinaus ist für den Ausschluss erforderlich, dass der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde: § 833 S. 2 BGB stellt also auf ein vermutetes Verschulden des Nutztierhalters ab, sodass es hier auch nicht auf die Realisierung einer typischen Tiergefahr ankommt. Folglich wird der gewerbliche Tierhalter privilegiert – er kann sich exkulpieren. In dieser Hinsicht wird § 833 S. 2 BGB allerdings auch kritisiert, da schwer einzusehen sei, warum jemand, der sein Tier regelmäßig besser unter Kontrolle habe und die Kosten eher abwälzen könne als eine Privatperson, privilegiert werden solle.[10]
Entscheidender für die Fallbearbeitung im Examen ist unabhängig davon jedenfalls die Einordnung als Haus- und Nutztier i.S.d. § 833 S. 2 BGB in Abgrenzung zu Luxustieren: Haustiere sind zahme Tiere, die zur Nutzung gezogen und gehalten werden, wie Hund, Katze, Schaf, Rind etc.,[11] wobei insb. die inländische Verkehrsauffassung entscheidend ist,[12] wie sich auch an der Entscheidung des OLG Stuttgart zeigt (s.u.). Darüber hinaus müsste das Tier dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt sein. Maßgeblich ist die allgemeine Widmung bzw. Zweckbestimmung des Tieres: Danach zählen zu den Nutztieren bspw. Tiere, die zur Milch- und Fleischproduktion gehalten werden, aber auch Blindenhunde.[13] Bei sog. „doppelfunktionalen“ Tieren, die sowohl dem Erwerbsstreben als auch der Freizeitgestaltung dienen, kommt es nicht darauf an, welchem Bereich die im Zeitpunkt der Schadensverursachung ausgeübte Tätigkeit zuzuordnen ist, sondern es ist auf die allgemeine Widmung des Tieres abzustellen.[14]
Liegt nun ein Haus- und Nutztier vor, kann der Tierhalter sich entlasten, wenn er entsprechend seiner Sorgfaltspflichten, deren Umfang und Intensität sich allgemein nach Größe des drohenden Schadens und Wahrscheinlichkeit seines Eintritts richten, dafür gesorgt hat, dass das Tier nicht außer Kontrolle gerät, wobei eine Begrenzung auf zumutbare Anstrengungen gilt.[15]
B. Entscheidung des OLG Stuttgart vom 7.6.2018 (Az.: 13 U 194/17)
In diesen Kontext reiht sich nun die o.g. Entscheidung des OLG Stuttgart vom 7.6.2018 ein, der (in Kurzfassung) folgender Sachverhalt zugrunde lag:
I. Sachverhalt
Die Klägerin unternahm mit ihrer Mutter bei der Kamelfarm des Beklagten einen Kamelausritt, wobei die Tiere vom Beklagten geführt wurden. Wegen der vorhergehenden Aussage des Beklagten, dass die meisten Kunden keinen Helm tragen würden, hatten die Klägerin und ihre Mutter sich auch dagegen entschieden. Als die Kamele beim Ausritt durch bellende Hunde erschreckt wurden, hielt der Beklagte sie kurz an. Nachdem das Bellen nachließ, führte er sie weiter, aber die Hunde bellten erneut los, sodass die Reittiere nach vorne liefen und eine plötzliche Linkswendung vollzogen. Die Klägerin fiel aufgrund dessen kopfüber zu Boden und zog sich schwere Kopfverletzungen zu.
II. Lösung
Das OLG bejahte hier nun zunächst unproblematisch Rechtsgutsverletzung, die Realisierung einer spezifischen Tiergefahr durch die Schreckreaktion der Kamele, die zu dem Sturz führte, sowie die Tierhaltereigenschaft des Beklagten. Zentral in der Entscheidung war schließlich die Frage, ob es sich bei dem Kamel um ein Haus- und Nutztier handelt und der Beklagte sich demnach auf den § 833 S. 2 BGB berufen konnte.
Das OLG hat zur Beantwortung dieser Frage maßgeblich auf die inländische Verkehrsauffassung abgestellt: Auch wenn Kamele andernorts als Haustiere einzuordnen seien, sei dies in Deutschland nicht der Fall. Zwar könnten sich Verkehrsauffassung und in der Folge auch der Haustierbegriff bzgl. einzelner Gattungen im Laufe der Zeit natürlich ändern, bzgl. Kamelen sei das allerdings – anders als beim Beispiel des Meerschweinchens, das das OLG nennt – in Ermangelung einer Verbreitung in Deutschland (noch) nicht geschehen. Vielmehr sei Kamelhaltung in Deutschland sehr selten. Ebenso stünde der gewöhnliche Sprachgebrauch, soweit dieser überhaupt maßgeblich sei (was der Beklagte vorgebracht hatte – damit hat sich das OLG aber nicht weiter befasst), der Ansehung eines Kamels als Haustier in Deutschland entgegen. Dass das Kamel domestiziert wurde, sei ebenfalls irrelevant, denn dies sei nicht in Deutschland geschehen.
Trotzdem prüfte das OLG noch, ob der Beklagte sich hätte exkulpieren können. Maßgeblich sei das Maß an Sorgfalt, das von einem besonnenen und umsichtigen Tierhalter in der jeweiligen Situation verlangt werden müsse. Für das schreckhafte Verhalten der Kamele, mit dem der Beklagte habe rechnen müssen, habe er daher Vorsorge treffen müssen. Insoweit reiche es nicht aus, dass er die beiden Tiere alleine führte. Es sei einleuchtend, dass derjenige, der zwei Kamele führe, weniger Kontrolle über die Tiere habe, als der, der alleine ein Tier führt. Mit einer dann möglichen kürzeren Leine hätte das Kamel auch nicht den großen Bogen gehen können, der zum Sturz der Klägerin führte. Eine Exkulpation des Beklagten war also auch unter diesem Gesichtspunkt nicht möglich.
Schließlich lehnte das Gericht auch ein Mitverschulden der Klägerin an der Verletzung wegen des fehlenden Helmes ab, da der Beklagte quasi vom Helmtragen abgeraten habe.
Durch diese Entscheidung des OLG wird vor allem deutlich, welche Relevanz der inländischen Verkehrsauffassung i.R.d. Prüfung von § 833 S. 2 BGB zukommen kann: Vorliegend ist sie fallentscheidend, denn der Beklagte konnte sich vor dem Hintergrund der Verkehrsauffassung in Deutschland nicht darauf berufen, dass es sich bei den Kamelen um Haustiere handelt. Das Privileg des § 833 S. 2 BGB war ihm damit verwehrt und folglich auch die Exkulpation durch den Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens (den er sowieso nicht führen konnte). Dass die deutsche Verkehrsauffassung insoweit relevant ist, ergibt auch Sinn, denn, wie das OLG selbst klarstellt, es gibt keine gemeinsame internationale Verkehrsauffassung.
C. Fazit
Es bleibt festzuhalten, dass es sich bei der Tierhaftung des BGB um ein examensrelevantes Thema handelt, da neben Einzelwissen – wobei es bei den o.g. Abgrenzungsfragen natürlich regelmäßig auf eine gute Argumentation ankommt – auch die Grundlagen zur Gefährdungs- und Verschuldenshaftung abgefragt werden können.
Aus der Entscheidung des OLG Stuttgarts lässt sich jedenfalls mitnehmen, dass die inländische Verkehrsauffassung eine entscheidende Rolle bei der Anspruchsprüfung haben kann!
[1] HK-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 833 Rn. 3.
[2] Vgl. nur BGH, Urt. v. 27.1.2015 – VI ZR 467/13, NJW 2015, 1824 (1825).
[3] Diese und weitere Bsp. aus der Rspr. in MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 13 m.w.N.
[4] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 17 f.
[5] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 2.
[6] BGH, Urt. v. 19.1.1988 – VI ZR 188/87, NJW-RR 1988, 655 (656).
[7] HK-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, § 833 Rn. 6.
[8] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 834 Rn. 3.
[9] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 834 Rn. 5.
[10] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 BGB Rn. 3.
[11] BeckOK BGB/Spindler, 48. Ed. 2018, § 833 Rn. 27.
[12] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 39.
[13] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 47.
[14]MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 49.
[15] MüKo BGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 833 Rn. 54.
Schlagwortarchiv für: § 833 BGB
Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag
“Gefährdungshaftung” von Prof. Dr. Anne Röthel
befasst sich mit einem besonderen Bereich der deliktischen Haftung. Tierhalterhaftung (§ 833 BGB) und Fahrzeughalterhaftung (§ 7 StVG) sind die wohl examensrelevantesten Anwendungsfälle der Gefährdungshaftung und sollten unbedingt beherrscht werden. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der beiden Tatbestände.
Ihr findet den Beitrag hier.
Das Oberlandesgericht Hamm hat sich in seiner Entscheidung vom 18.09.2012 (erschienen am 29.05.2013, Az. 9 U 162/11) mit den Anforderungen an den Nachweis der Verwirklichung einer Tiergefahr i.S.d. § 833 S. 1 BGB befasst.
I. Sachverhalt
Die Klägerin, eine erfahrene Reiterin, erlitt am 28.12.2007 mit einem von der Beklagten gehaltenen Pferd einen Reitunfall. Sie stürzte auf einem unbegleiteten Ausritt von dem Pferd und zog sich schwere Verletzungen zu. Darüber hinaus erlitt sie ein Unfalltrauma, so dass sie über keine konkrete Erinnerung an das Unfallgeschehen verfügt.
Sie behauptet, das Tier habe unerwartet gescheut und sei unkontrolliert durchgegangen, so dass sich in dem Unfall eine typische Tiergefahr verwirklicht habe. Das Pferd sei ins Unterholz durchgebrochen, weswegen sie mit einem Ast kollidiert und vom Pferd gestürzt sei.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz, u.a. ein Schmerzensgeld und den Ausgleich einer monatlichen Erwerbsminderung.
Das Landgericht Bielefeld hatte die Klage abgewiesen.
II. Entscheidung
Das Oberlandesgericht Hamm hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.
Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, die Voraussetzungen einer Tierhalterhaftung der Beklagten gem. §§ 833 S. 1, 253 Abs. 2 BGB lägen nicht vor. Es sei nicht festzustellen, dass der Unfall gem. § 833 S. 1 BGB „durch ein Tier“, also durch das Pferd der Beklagten, verursacht worden sei und sich eine typische Tiergefahr verwirklicht habe. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht Hamm auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwiesen. Nach dieser äußere sich eine typische Tiergefahr in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres. Folgt das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen und resultiert nur daraus der Schaden, weil er in einem solchen Fall durch den Menschen verursacht werde, könne diese Voraussetzung fehlen.
Die Beweislast dafür, dass die Verletzung bzw. der Schaden durch ein Tier eingetreten sei, trage nach Ansicht von Literatur und Rechtsprechung der Verletzte. Dies sei der Klägerin vorliegend nicht gelungen. Sie habe nicht beweisen können, dass ein der tierischen Natur entsprechendes Verhalten des Pferdes zu dem Unfall geführt hat. Nicht jeder Sturz eines Reiters vom Pferd sei auf ein tierisches Verhalten zurückzuführen. Es gebe keine Vermutung oder einen Beweis des ersten Anscheins, dass ein solcher Sturz Folge eines unberechenbaren Verhaltens des Pferdes ist. Die Gefahr, vom Pferd zu stürzen sei untrennbar mit dem Reitsport verbunden. Der Sturz von einem Pferd könne auch durch das Verhalten des Reiters verursacht worden sein.
III. Examensrelevanz
Die Rechtssprechung hat in der Vergangenheit einige Fälle zur Tierhalterhaftung gem. § 833 BGB entschieden. Außerdem haben in letzter Zeit häufig Pferde eine Rolle in Sachverhalten von Examensklausuren gespielt. Daher sollten die Grundzüge des § 833 BGB, an den stets im Zusammenhang mit Tieren zu denken ist, im Staatsexamen beherrscht werden.
1. Die Gefährdungshaftung gem. § 833 S. 1 BGB
Unter der Voraussetzung, dass das von ihm gehaltene Tier einem Dritten rechtswidrig einen Schaden zufügt, wird eine Haftung des Tierhalters begründet. Die Haftung tritt dabei ohne Verschulden des Tierhalters ein. Der Schaden muss dabei „durch ein Tier“ verursacht worden sein, es muss ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten des Tieres und dem Schaden bestehen. Dabei muss sich eine besondere Gefahr, die typische Tiergefahr, realisiert haben. Diese besteht darin, dass ein unberechenbares und selbstständiges Verhalten (z.B.: Durchgehen eines Pferdes, Beißen eines Hundes) der tierischen Natur entspricht. Dies ist auch der Grund für die strenge Tierhalterhaftung: Dieses unberechenbare und selbstständige Verhalten kann der Tierhalter nicht vollständig beherrschen, daher eröffnet er mit der Haltung des Tieres eine Gefahrenquelle. Dadurch ist eine strenge verschuldensunabhängige Haftung gerechtfertigt.
Auch andere Tätigkeiten werden von der Rechtsordnung trotz ihrer erhöhten Gefährlichkeit erlaubt, weil sie sozial besonders nützlich und erwünscht sind (z.B. der Betrieb eines Kfz). Realisiert sich diese Gefahr und kommt es ohne Verschulden des Halters zu einem Schaden bzw. kann der Verletzte das Verschulden nicht nachweisen, wäre es unbillig, den Verletzten den Schaden tragen zu lassen. Die Gefährdungshaftung soll deshalb Schäden erfassen, die sich aus der besonderen Gefahr der betreffenden Handlung ergeben. Die Tierhalterhaftung gem. § 833 BGB ist der einzige Gefährdungshaftungstatbestand, der im BGB geregelt ist. Weitere Tatbestände der Gefährdungshaftung, denen eine besondere Bedeutung sowohl für die Praxis als auch für das Studium zukommt, sind insbesondere die Fahrzeughalterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG und die Produkthaftung nach § 1 Abs. 1 ProdHaftG.
2. Die Haftung für vermutetes Verschulden, § 833 S. 2 BGB
Für Nutztiere hingegen besteht gem. § 833 S. 2 BGB eine eingeschränkte Haftung für vermutetes Verschulden. Nutztiere sind Haustiere, die dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt sind (z.B. vom Landwirt gehaltenes Nutzvieh). Es werden unter den Voraussetzungen des S. 1 zwei Vermutungen zugunsten des Geschädigten begründet: zum einen, dass der Tierhalter seine Pflicht schuldhaft verletzt hat und zum anderen, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Es wird also grundsätzlich davon ausgegangen, dass den Tierhalter ein Verschulden trifft und er zum Schadensersatz verpflichtet ist. Gelingt dem Tierhalter jedoch der Nachweis, dass er bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat (Widerlegung der Verschuldensvermutung) oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre (Widerlegung der Kausalitätsvermutung), haftet er nicht nach § 833 BGB.
IV. Fazit
Wird ein Fall wie der solche in einer Examensklausur gestellt, könnte man dazu neigen, unter dem Stichwort der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung vorschnell eine Haftung des Tierhalters nach § 833 BGB anzunehmen.
§ 833 S.1 BGB als Tatbestand der Gefährdungshaftung soll zwar die Haftung des Tierhalters verschärfen und ihn auch haften lassen, wenn ihn kein Verschulden trifft bzw. dem Verletzten der Nachweis des Verschuldens nicht gelingt. Dass aber überhaupt die Voraussetzungen des Tatbestands vorliegen, also insbesondere dass die Rechtsgutsverletzung durch ein Tier verursacht wurde und sich eine typische Tiergefahr realisiert hat, muss der Verletzte auch bei der Gefährdungshaftung beweisen. Alleine die Tatsache, dass der Schaden kausal auf dem Verhalten des Tieres beruht, genügt nicht für eine Haftung nach § 833 S. 1 BGB. In dem Schaden muss sich also stets die Unberechenbarkeit und Selbstständigkeit des tierischen Verhaltens und die daraus resultierende Gefährdung realisieren. Beruht die Verursachung des Schadens auf einem tierischen Verhalten unter menschlicher Leitung und gehorcht das Tier dem Willen seines Lenkers, liegt keine tierspezifische Gefahr vor. Sie liegt jedoch vor, wenn das Tier anders reagiert, als vom Menschen beabsichtigt (z.B. Durchgehen, Losgaloppieren). Hätte die Klägerin also vorliegend beweisen können, dass das Pferd unerwartet gescheut und durchgegangen ist, wäre eine tierspezifische Gefahr anzunehmen gewesen.
Wir freuen uns, heute einen weiteren Gastbeitrag von Matthias Murr veröffentlichen zu können. Matthias hat in Marburg studiert und promoviert aktuell zu einem kapitalmarktrechtlichen Thema an der Universität Köln. Nebenbei ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Rechtsanwaltskanzlei in Frankfurt am Main tätig.
In seinem jüngst veröffentlichten Urteil vom 15.02.2013 (19 U 96/12) hatte das OLG Hamm über Fragen der Tierhalterhaftung (§ 833 Satz 1 BGB) zu entscheiden.
I. Sachverhalt
Die Klägerin kaufte in einem Geschäft der Beklagten zu 2. ein, in dem auch die Beklagte zu 1. als Verkäuferin beschäftigt war. Als die Klägerin nach Beendigung ihres Einkaufs das Geschäft wieder verlassen wollte, stürzte sie über den im Eingangsbereich liegenden Hund der Verkäuferin. Durch den Sturz zog sich die Klägerin eine schwere Knieverletzung zu, wegen der sie die Beklagten nunmehr auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nimmt. Der Hund der Verkäuferin verweilte regelmäßig mit Zustimmung der Beklagten zu 2. im Ladengeschäft. Am Tag des Unfalls hatte er sich eigenmächtig in den ca. 1,5 m von der Kasse entfernten Eingangsbereich begeben und sich dort so niedergelegt, dass er den Zugang zum Ladengeschäft weitgehend versperrte. Da er im Rücken der Klägerin lag, hatte diese ihn beim Verlassen des Geschäfts übersehen, wodurch es zu dem Sturz kam.
II. Vorbemerkung zur systematischen Einordnung der Tierhalterhaftung
Das Deliktsrecht ist zweispurig ausgestaltet. Den (auch für die Ausbildung) zentralen Anspruchsgrundlagen der §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 und 826 BGB liegt das Verschuldensprinzip zu Grunde. Daneben stehen zahlreiche (teilweise auch außerhalb des BGB geregelte) Tatbestände der sog. verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung. Außerhalb des BGB sind hier vor allem § 7 StVG, § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG, §§ 33 ff. LuftVG und §§ 25 ff. AtomG zu nennen. Die Gefährdungshaftung kommt immer dann zur Anwendung, wenn das Verschuldenserfordernis den Interessen des Geschädigten nicht ausreichend Rechnung trägt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn eine unberechenbare Gefahrenquelle geschaffen wird. Auch bei der Tierhalterhaftung nach § 833 Satz 1 BGB handelt es sich um einen solchen Fall der (bürgerlich-rechtlichen) Gefährdungshaftung. Ein Verschulden des Tierhalters ist folglich nicht Voraussetzung für dessen Haftung aus § 833 Satz 1 BGB. Dem liegt die gesetzgeberische Annahme des grundsätzlich unberechenbaren und selbstständigen Verhaltens von Tieren zu Grunde, welches eine nicht vollends beherrschbare Gefahrenquelle eröffnet und den strengeren Haftungsmaßstab rechtfertigt.
III. Haftung der Beklagten zu 1. aus §§ 833 Satz 1, 249 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB
1. Tatbestandsvoraussetzungen
Das OLG Hamm bejaht in seiner Entscheidung einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1. aus Gefährdungshaftung (§§ 833 Satz 1, 249 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB). Es sieht sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 833 Satz 1 BGB (Hund = Tier, Beklagte = Tierhalter, Rechtsgutsverletzung, Kausalität und Realisierung der tierspezifischen Gefahr, keine Exkulpation nach § 833 Satz 2 BGB) als gegeben an. Längere Ausführungen macht das Gericht in diesem Zusammenhang lediglich zum Prüfungspunkt der tierspezifischen Gefahr.
2. Zurechnungszusammenhang: Verwirklichung der tierspezifischen Gefahr
Voraussetzung für einen Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB ist stets, dass sich in der Verletzung des Opfers gerade die tierspezifische Gefahr verwirklicht hat. Nur wenn dies der Fall ist, kommt eine verschuldensunabhängige Haftung des Tierhalters aus § 833 Satz 1 BGB in Betracht:
Es ist auf die tierimmanente Gefahr des Hundes zurückzuführen, dass die Klägerin unstreitig beim Verlassen des Ladenlokals über ihn stürzte und sich am rechten Knie verletzte. Bei der Rechtsgutsverletzung der Geschädigten hat sich gerade die dem Tier typischerweise anhaftende Gefahr verwirklicht, indem der Schaden auf der Unberechenbarkeit und Selbstständigkeit tierischen Verhaltens sowie der dadurch hervorgerufenen Gefährdung beruht. Dies ist nach der Rechtsprechung auch der Fall, wenn ein Tier ein gefährliches Verkehrshindernis bildet, weil es sich eigenmächtig ohne Rücksicht auf den Verkehr in den Verkehrsraum begeben hat und dort ruht. Ein solches unbekümmertes Verhalten entspricht der tierischen Natur; in ihm wirkt sich die Gefahr aus, die die Haltung des Tieres mit sich bringt und derentwegen die besondere Tierhalterhaftung geschaffen worden ist. Demgemäß ist nicht darauf abzustellen, dass der Hund regungslos auf dem Boden lag und schlief, sondern darauf, wie das Tier in seine Lage gelangt ist. Der Hund hat sich nicht etwa aufgrund irgendeiner Einwirkung durch einen Menschen, die ihm keine andere Freiheit ließ, sondern unstreitig frei und von selbst in den einzigen Zugang des Ladens begeben und schlafen gelegt, wobei er diese für den eröffneten Publikumsverkehr neuralgische Stelle aufgrund der Größenverhältnisse so gut wie versperrte.
3. Keine Exkulpation nach § 833 Satz 2 BGB
Im Anschluss an seine Ausführungen zur Realisierung der tierspezifischen Gefahr stellt das OLG Hamm fest, dass eine Exkulpation nach § 833 Satz 2 BGB nicht in Betracht kommt. Danach tritt die Haftung nach Satz 1 nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines dieser Tatbestandsmerkmale sieht das Gericht nicht. Der Hund diente weder dem Beruf, noch der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt der Beklagten zu 1. Es handelt sich vielmehr um ein nicht unter § 833 Satz 2 zu subsumierendes „Luxustier“.
III. Haftung der Beklagten zu 1. auch wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten
Des Weiteren bejaht das OLG Hamm unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung aber auch einen verschuldensabhängigen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1. aus §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.
1. Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht
Für die Prüfung ist zunächst zu erkennen, dass es an einer aktiv-schädigenden Handlung (Verletzungshandlung) der Beklagten fehlt. Der Umstand, dass sie ihren Hund nicht aus dem Eingangsbereich entfernte, ist rechtlich als Unterlassen zu bewerten. In Fällen des Unterlassens (genau wie bei mittelbaren Rechtsgutsverletzungen) liegt eine unerlaubte und damit rechtswidrige Handlung aber nur dann vor, wenn eine Pflicht zur Vermeidung oder Abwendung der konkreten Gefahr bestand. Nach allgemeiner deliktsrechtlicher Dogmatik entspringen Handlungspflichten aus einer Garantenstellung (Ingerenz, Vertrag, Gefahrengemeinschaft u.a.) oder aus Verkehrssicherungspflichten. Da eine Garantenstellung hier offensichtlich nicht vorlag, ist Stichwort für den Examenskandidaten nun also die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (siehe dazu etwa auch hier).
Das Gericht stellt zunächst allgemeine Erwägungen zu den Verkehrssicherungspflichten an und führt dabei aus, dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, die erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen zur Abwendung von Gefahren zu treffen hat, die bei der im Einzelfall gebotenen Sorgfalt nach dem typischen, am Ort zu vermutenden Verkehr zu erwarten sind.
Voraussetzung für derartige Vorkehrungen sei es, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Somit hätte die Beklagte zu 1., so das Gericht, jedenfalls eingreifen müssen, wenn sie konkreten Anlass dafür hatte, dass es durch die Anwesenheit ihres Hundes im Geschäft zu einer Gefährdung anderer kommen könnte. Danach ist von einer Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf die Entfernung des Hundes vom Kassenbereich auszugehen.
2. Schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
Das OLG Hamm nimmt nun Bezug auf den konkreten Sachverhalt und stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Beklagte zu 1. den oben genannten konkreten Anlass zur Annahme einer möglichen Gefährdung anderer hatte. Das Unterlassen von Vorkehrungsmaßnahmen begründet, so das Gericht, demnach den Fahrlässigkeits-Vorwurf (§ 276 Abs. 2 BGB) gegenüber der Beklagten:
Danach habe die Beklagte zu 1., als sie mehrere Minuten die Klägerin an der Kasse bediente, bemerkt, dass der Hund neben der Kassentheke, wo er sich bis dahin befand, aufstand und wegging. Sie habe deshalb –zutreffend- damit gerechnet, dass er sich, wie schon gewohnt und ihr bekannt, auf seinem Lieblingsplatz auf der Matte im einzigen Ladenzugang ablegte. Damit lag er in Gehrichtung zum Ausgang unstreitig nur etw 1,5 m- für einen Erwachsenen kaum zwei Schritte- unmittelbar im Rücken der Klägerin, die bezahlte und das Lokal verlassen würde. Es war deshalb nicht nur objektiv vorhersehbar, sondern für die Beklagte zu 1. zu erkennen, dass die Klägerin, die erkennbar den Hund dort nicht bemerkt hatte, ihn beim Hinausgehen übersehen und über ihn stürzen konnte. Die Beklagte zu 1. hätte sie deshalb davor warnen bzw. den Hund wegschaffen müssen. Dass die Beklagte dies unstreitig nicht tat, begründet bei der gegebenen Sachlage den Vorwurf der Fahrlässigkeit, weil sie außer Acht gelassen hat, was von einem Verständigen in ihrer Lage und mit ihrer Kenntnis zu erwarten war.
IV. Haftung der Beklagten zu 2. aus §§ 433, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 249 Abs. 1, 253 Abs.2 BGB
Im Anschluss an die Haftung der Beklagten zu 1. widmet sich das OLG Hamm noch der Beklagten zu 2. Es führt hierzu aus, die Beklagte zu 1. sei als ihre Erfüllungsgehilfin i.S. v. § 278 Satz 1 Alt. 2 BGB anzusehen. Mithin sei ihr die oben bezeichnete schuldhafte Pflichtverletzung zuzurechnen.
Eine Zurechnung der Pflichtverletzung des Erfüllungsgehilfen an den Geschäftsherrn erfolgt nur dann nicht, wenn der Erfüllungsgehilfe die Pflichtverletzung lediglich bei Gelegenheit der Vertragserfüllung begeht, ohne dass ein sachlicher Zusammenhang mit den ihm obliegenden Aufgaben besteht. Einen solchen Fall sieht das OLG Hamm vorliegend jedoch nicht gegeben. Bereits die Tatsache, dass die Beklagte zu 2. die Mitnahme des Hundes schon seit längerer Zeit gestatte, führe zur Zurechnung der Pflichtverletzung.
Die Verkehrssicherung stellt eine Nebenpflicht aus dem Kaufvertrag gemäß § 241 Abs. 2 BGB dar. Das OLG Hamm weist darauf hin, dass sich die vertraglichen Verkehrssicherungspflichten mit den zu § 823 BGB entwickelten Fallgruppen decken (siehe dazu auch bereits hier). Aufgrund der Zurechnung der Pflichtverletzung hat die Beklagte zu 2., so das OLG Hamm, folglich ihre vertraglichen Nebenpflichten verletzt, sodass ein Anspruch der Klägerin aus §§ 433, 241 Abs. 2, 280 Abs.1, 249 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB besteht.
V. Kein Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 Abs. 1 BGB.
Das Gericht schließt seine Entscheidung mit der Frage ab, ob der Klägerin ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB anzulasten ist. Dieses würde sich als rechtsvernichtende Einwendung auf alle oben bejahten Ansprüche anspruchsmindernd auswirken. Hierzu stellt das Gericht jedoch fest, dass die Klägerin vorliegend kein Mitverschulden trifft, da sie die Sorgfalt gewahrt habe, die ein ordentlicher und verständiger Mensch in der Situation zu beobachten hatte, um eigenen Schaden zu vermeiden. Aufgrund der räumlichen Enge und des zeitlichen Ablaufs habe die Klägerin den Hund nicht wahrnehmen können. Eine Pflicht ohne Anhaltspunkt sofort den vor sich liegenden Boden auf etwaige Hindernisse zu kontrollieren bestehe nicht.
VI. Fazit
Die Entscheidung des OLG Hamm reiht sich in eine Vielzahl von Entscheidungen zur Tierhalterhaftung ein (siehe etwa hier, hier und hier). Sie eignet sich gut als Teil einer Examensklausur oder aber auch für das mündliche Prüfungsgespräch. Das zentrale Problem des Falles stellt die Frage der Realisierung der tierspezifischen Gefahr im Rahmen der Haftung nach § 833 BGB dar. Dieses sollte unbedingt gesehen und ausführlich dargestellt werden. Darüber hinaus sollte im Rahmen der Prüfung des § 823 Abs. 1 BGB die Verkehrssicherungspflicht wegen Schaffung einer Gefahrenquelle ordentlich herausgearbeitet und der vorliegende Sachverhalt darunter subsumiert werden. Bei der Prüfung der Haftung der Beklagten zu 2. kann dann beim Prüfungspunkt der vertraglichen Nebenpflichten auf die obigen Ausführungen zu den Verkehrssicherungspflichten verwiesen und das Gutachten so sauber abgerundet werden. Das Mitverschulden sollte im Rahmen der Prüfung des ersten Anspruchs angesprochen werden. Bei den nachfolgend zu prüfenden Ansprüchen kann dann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
Nicht geprüft hat das OLG Hamm in seiner Entscheidung eine mögliche Haftung der Beklagten zu 2. aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB. Anders als § 278 BGB stellt § 831 BGB keine Zurechnungsnorm, sondern eine eigene Anspruchsgrundlage dar. Der Sachverhalt enthält keine Angaben darüber, ob der Beklagten zu 2. bereits bei der Einstellung der Beklagten zu 1. ein Auswahlverschulden angelastet werden kann, welches eine Exkulpation nach § 833 Abs. 1 S. 2 BGB verhindern würde. Über den gesetzlichen Wortlaut hinaus wird jedoch von der Rechtsprechung eine Verpflichtung zur fortwährenden Überwachung des Verrichtungsgehilfen anerkannt. Diese Überwachungspflicht führt zu einer Reaktionspflicht, wenn sich Anhaltspunkte für die Ungeeignetheit oder Unzuverlässigkeit des Gehilfen ergeben. In einer Klausur fürs erste Examen wäre diese Frage anhand weiterer Sachverhaltsangaben zu erörtern.
Das OLG Celle hat in einem Urteil vom 11.06.2012 (20 U 38/11) bestimmt, wie weit die Haftung des Tierhalters nach § 833 BGB reicht und ob diese dann ausgeschlossen ist, wenn sich das Tier in der Obhut eines Dritten befindet.
I. Sachverhalt
Dem Ganzen lag folgende Fallgestaltung zu Grunde: Ein Schäferhund wurde für eine ärztliche Behandlung in eine Kleintierklinik gebracht. Zum Zwecke einer Operation wurde eine Narkose durchgeführt. Beim Erwachen biss der Hund den Arzt in dessen Hand mit der Folge, dass dieser seine Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Aus diesem Grund begehrt der Tierarzt einen Schadensersatzanspruch aus § 833 BGB.
III. Rechtsnatur der Tierhalterhaftung
Grundsätzlich handelt es sich bei der Regelung des § 833 S. 1 BGB um eine Norm der Gefährdungshaftung (St Rspr, vgl BGH NJW 1992, 2474; NJW 1974, 234, 235; NJW 1977, 2158). Hintergrund der Regelung ist, dass von einem Tier grundsätzlich eine nicht gänzlich auszuschließende Gefahr ausgeht, die nicht vollständig steuerbar ist. Aus diesem Grund gebietet sich ein weiter Haftungsmaßstab.
II. Möglicher Haftungsausschluss?
Fraglich ist aber, ob nicht in Ausnahmefällen ein Ausschluss der Haftung geboten sein kann. Nach Ansicht der Rechtsprechung soll die Haftung in zwei Fällen ausgeschlossen sein: bei einem konkludent geschlossenen Haftungsausschluss oder bei einer besonderen Tiergefahr, die freiwillig übernommen wird (BeckOK/Spindler, § 833 BGB Rn. 19). Gerade im letzten Fall muss die spezifische Gefahr aber freiwillig übernommen und erkannt worden sein.
Im Ergebnis wird damit differenziert, ob eine allgemeine Gefahr bestanden hat (dann kein Ausschluss) oder eine besondere Gefährdungslage vorlag (dann ggf. Haftungsausschluss). Dies stößt in der Literatur zuweilen auf starke Kritik (vgl. BeckOK/Spindler, § 833 BGB Rn. 21). Aus diesem Grund wird erwogen, als Maßstab das Handeln auf eigene Gefahr heranzuziehen und damit maßgeblich auf § 254 BGB abzustellen.
IV. Jedenfalls Haftung auch bei fehlendem Einfluss
Im konkreten Fall werden diese Ansichten vermischt: Eine Prüfung, ob die Tiergefahr freiwillig übernommen worde, unterbleibt hier. In der Klausur wäre dies ein Fehler, müsste man sich zumindest mit dem Haftungsausschluss auseinandersetzen. Das Gericht wirft lediglich die Frage auf, ob nicht die Norm bereits auf den konkreten Fall gar nicht mehr anwendbar ist, weil der Tierhalter keine Möglichkeit hatte Einfluss zu nehmen. Dies verneint das Gericht wie folgt:
Das Oberlandesgericht ist der Auffassung, dass allein der Umstand, dass man sein Tier zum Zweck der Behandlung o.ä. in die Obhut einer anderen Person gibt, nicht dazu führen kann, dass die Haftung des Halters ausgeschlossen ist. Denn die Haftung des Tierhalters bestehe unabhängig von der Möglichkeit seiner Einflussnahme. Der Halter eines Tieres hafte für Schäden, die durch typisches Tierverhalten wie etwa das Beißen eines Hundes oder Austreten eines Pferdes verursacht werden.
Diese Ansicht erscheint auch vollständig überzeugend, denn es ist gerade Inhalt der Gefährdungshaftung, dass der Halter des Tieres für alle denkbaren Gefahren zu haften hat. Die potentielle Unkontrollierbarkeit eines Tieres ist gerade Motiv der Haftung des § 833 BGB.
V. Allenfalls Mitverschulden
Es bleibt damit beim Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB. Dieser kann allenfalls – wie das OLG Celle erkennt – über § 254 BGB gemindert werden:
Allerdings könne die Haftung beschränkt werden, wenn der Geschädigte durch inadäquates Verhalten zu der Verletzung selbst beigetragen habe. Da Hunde während des Erwachens aus der Narkose mitunter außergewöhnlich und aggressiv reagieren würden, hätte der Tierarzt im zu entscheidenden Fall besondere Vorsicht beim Herangehen an den Hund walten lassen müssen, was er jedoch nicht getan hatte. Dementsprechend konnte er nur einen Teil der geltend gemachten Schäden ersetzt verlangen.
VI. Fazit
Der Fall eignet sich gut als Teil einer Examensklausur. Dort müsste aber zumindest ein möglicher Haftungsausschluss angeprüft werden. Dass aber zumindest die Anwendbarkeit der Norm bejaht wurde, überzeugt vollkommen, denn sonst würde der Charakter der Regelung entscheidend verkannt.
In einer aktuellen Entscheidung des BGH (Az. VI ZR 312/09, Urteil v. 21.12.2010) geht es um die Frage, ob sich ein Verein, der eine sog. „Reittherapie“ für Menschen mit Behinderung anbietet, bei einem Sturz eines Teilnehmers gemäß § 833 Satz 1 BGB entlasten kann. Der Fall eignet sich dazu, Standardfragen im Bereich des Vereinsrechts (Gründung, Zweckbestimmung, etc.) mit Problemen der deliktischen Tierhalterhaftung sowie des Mitverschuldens des Geschädigten nach § 254 I BGB zu verknüpfen. Als (Teil-) Aspekte einer Examensklausur sicherlich interessant.
Sachverhalt
Die Klägerin K ist körperlich behindert und nimmt mit ihrer Tochter zusammen an einer sog. „Reittherapie“ des Vereins B teil, die speziell für Behinderte konzipiert ist. Die Tochter reitet voraus, die K reitet hinter ihr auf dem Pferd „Ronny“. Durch ein selbstständiges, unvorhergesehenes Verhalten „Ronnys“ (der genaue Geschehensablauf, der zu der Reaktion des Pferdes geführt hat, ist in der Revision nicht mehr streitig) wird die K zu Boden geschleudert und bricht sich einen Lendenwirbel. Sie verlangt Schadensersatz, sowie Schmerzensgeld von B gemäß § 833 S.1 BGB. B beruft sich auf § 833 S.2 BGB. Zurecht?
„Nutztier“ nur bei überwiegend wirtschaftlicher Betätigung des Halters
Der BGH stellt klar, worauf für die Zweckbestimmung abzustellen ist, wenn es sich bei dem Halter nicht um eine natürliche Person, sondern um einen Verein handelt. In einer Klausur böte sich hier schon Raum, bei dem Merkmal „dem Beruf, usw. …. zu dienen bestimmt ist“ eine Abgrenzung zu treffen.
Das Gesetz räumt nach § 833 Satz 2 BGB dem Tierhalter die Möglichkeit, sich von der Gefährdungshaftung des § 833 Satz 1 BGB zu entlasten, nur dann ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht worden ist, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist. Dabei ist auf die allgemeine Zweckbestimmung abzustellen, die dem Tier von seinem Halter gegeben worden ist […]. Daher zählen die von einem nicht wirtschaftlichen Verein (§ 21 BGB) zur Erfüllung seiner satzungsgemäßen Aufgaben zur Reittherapie von Behinderten gehaltenen Pferde ebenso wie die eines nicht wirtschaftlichen allgemeinen Reitsportvereins nach der vorgenannten Rechtsprechung nicht zu den sogenannten „Nutztieren“ im Sinne des § 833 Satz 2 BGB.
Und wenn der Verein zumindest teilweise mit dem Tier „wirtschaftet“? Im vorliegenden Fall hatte B nichts entsprechendes vorgetragen, überdies war B ein „nicht wirtschaftlicher“ Verein, der BGH sieht gleichwohl genügend Anlass, zu dieser (bedeutenden) Frage Stellung zu nehmen.
Dies gilt selbst dann, wenn die Tiere nicht ausschließlich dem vorgenannten Zweck dienen, sondern nebenbei in geringem Umfang auch zu einer Erwerbstätigkeit des Vereins verwendet werden. Einem Reitverein – auch wenn er sich wie hier der Reittherapie von Behinderten widmet – stünde deshalb die Entlastungsmöglichkeit nach § 833 Satz 2 BGB nur dann zu, wenn er seine Reitpferde überwiegend oder jedenfalls in einem so erheblichen Umfang wie ein wirtschaftliches Unternehmen zu Erwerbszwecken nutzt. Dann stünden allerdings die tatsächlichen Gegebenheiten mit der satzungsmäßig ideellen Zweckbestimmung des Vereins nicht mehr in Einklang (vgl. Senatsurteil vom 26. November 1985 – VI ZR 9/85, aaO).
Kein Mitverschulden gemäß § 254 I BGB bei einer „Reittherapie“
Zu überlegen ist, ob sich K ein eigenes Mitverschulden zurechnen lassen muss. K könnte insofern auf „eigene Gefahr“ gehandelt haben, als sie sich bewusst und freiwillig den typischen Gefahren des Reitens ausgesetzt hatte. Der BGH steht dem ablehnend gegenüber und bestätigt die Auffassung des OLG Hamm.
Es hat ihm jedoch ohne Rechtsfehler deshalb keine Bedeutung beigemessen, weil sich der Beklagte […] gerade nach seinem Vereinszweck der Reittherapie von Behinderten widmet und vor dem Reitunterricht die Behinderung der Klägerin bekannt war. Insoweit lässt sich der Streitfall nicht mit den Fällen vergleichen, in denen der erkennende Senat ein Handeln auf eigene Gefahr unter dem Blickpunkt angenommen hat, dass sich der Verletzte freiwillig in eine besondere Gefahr begeben hat (vgl. Senatsurteil vom 13. November 1973 – VI ZR 152/72, VersR 1974, 356 mwN). Vielmehr konnte die Klägerin unter den besonderen Umständen des Streitfalls damit rechnen, dass die Reitausbildung bei dem Beklagten […] ihrer Behinderung Rechnung trug.
Darüber hinaus fehlte es nach den Feststellungen der Vorinstanzen schon an einer ausreichenden Mitursächlichkeit des Verhaltens der K für den Sturz.