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Schlagwortarchiv für: § 80 VwGO

Carlo Pöschke

Brandschutz nur vorgeschoben: Räumung und Abriss von Baumhäusern im Hambacher Forst rechtswidrig

Baurecht, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Mit Urteil vom 08.09.2021 (Az.: 23 K 7046/18, BeckRS 2021, 25334) hat sich das Verwaltungsgericht Köln zur Rechtmäßigkeit der Räumung und des Abrisses von Baumhäusern im Hambacher Forst geäußert. Der Tenor des Urteils dürfte hinreichend bekannt sein, schließlich hat die Entscheidung des VG Köln den vergangenen Bundestagswahlkampf maßgeblich mit beeinflusst. Inzwischen ist das Urteil im Volltext verfügbar. Eine eingehende Beschäftigung mit der Entscheidung ist vor allem für fortgestrittene Studenten ratsam. Die nachfolgenden Ausführungen wurden an das geltende Baurecht angepasst. Freilich bezieht sich die Darstellung auf das nordrhein-westfälische Landesrecht. Angesichts der Tatsache, dass die entscheidenden Aussagen des VG Köln solche des allgemeinen Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrechts sind und das Verwaltungsvollstreckungsrecht in den Ländern an §§ 6 ff. BVwVG angelehnt und damit strukturell weitgehend parallel ist, dürfte der Fall insbesondere aufgrund der großen medialen Aufmerksamkeit auch außerhalb der Landesgrenzen von Nordrhein-Westfalen in Prüfungsaufgaben einziehen.
 
A. Sachverhalt (dem Tatbestand des Urteils entnommen, vereinfacht und leicht abgewandelt)
In den Jahren 2012 bis 2018 errichteten Gegner des Braunkohlebergbaus in den verbliebenen Teilflächen des Hambacher Forstes eine Vielzahl von Baumhäusern, Plattformen in Bäumen, Holzunterständen und Zelten auf dem Erdboden, Lagerflächen und anderen Anlagen. Im Laufe des Jahres 2018 beabsichtigte das dort tätige Energieunternehmen die Rodungen im Hambacher Forst mit Beginn der Rodungsperiode ab Oktober 2018 fortzusetzen, zugleich verstärkten sich die Proteste gegen dieses Vorhaben. Im Juli 2018 beantragte das dort tätige Energieunternehmen bei der großen kreisangehörigen Stadt Kerpen, die Räumung von Waldbesetzungen in Teilbereichen der Reste des Hambacher Forstes zum Zwecke der planmäßigen Fortsetzung des genehmigten Braunkohletagebaus Hambach zu verfügen und zwangsweise durchzusetzen. Diesen Antrag lehnte der Bürgermeister der Stadt Kerpen mit bestandskräftigem Bescheid ab. In der Folge fanden Besprechungen im Ministerium des Innern NRW unter Beteiligung von Vertretern des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW (im Folgenden: Bauministerium), des Verfassungsschutzes, des Kreises Düren und der Stadt Kerpen statt. Ausweislich der in den Akten der Stadt Kerpen befindlichen Niederschriften über diese Besprechungen befürworteten insbesondere die Vertreter der Polizei und des Ministeriums des Innern NRW ein baurechtliches Vorgehen gegen die Anlagen im Hambacher Forst. Die Vertreter der unteren Bauaufsichtsbehörden lehnten dies weit überwiegend ab. In einer E-Mail vom 06.09.2019 erklärte der zuständige Abteilungsleiter an mehrere Beteiligte, das mit Blick auf ein Verfahren beim OVG NRW die geplanten Rodungen im Hambacher Forst nicht vor Ablauf der zweiten Oktoberwoche beginnen würden, sodass spätestens bis zu diesem Zeitpunkt die Räumung erfolgt sein müsse.
Am 12.09.2018 erließ das Bauministerium eine Weisung gegenüber den oberen Bauaufsichtsbehörden (Bezirksregierung Köln und Rhein-Erft-Kreis). Hiermit gab das Ministerium den oberen Bauaufsichtsbehörden unter anderem auf, im Wege der Aufsicht die betroffenen unteren Bauaufsichtsbehörden umgehend anzuweisen, die folgende Maßnahme zu treffen: „Im Wege des Sofortvollzuges sind beginnend ab Donnerstag, dem 13. September 2018, 7:00 Uhr, auf Grundlage von § 20 Abs. 1 S. 2 OBG NRW i.V.m. § 82 Abs. 1 BauO NRW die baulichen Anlagen in Gestalt der Baumhäuser im Hambacher Forst unter vorheriger Ankündigung zu räumen und diese baulichen Anlagen zu beseitigen.“ Zur Begründung führte das Ministerium im Kern aus, im Rahmen der durchgeführten Ortsbesichtigung seien Wohn- und Lagerstrukturen entdeckt worden, die offenkundig der längerfristigen Unterbringung von Menschen dienen sollten. Es seien Verstöße gegen das materielle Bauordnungsrecht gegeben, insbesondere seien Bestimmungen des Brandschutzes verletzt. Die Entscheidung berücksichtige die überragende Rolle der bauordnungsrechtlichen Brandschutzvorschriften. Bei der Einschätzung der Dringlichkeit einer Gefahr mit Bezug auf den Brandschutz seien auch die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Insoweit bestehe die eindeutige Einschätzung, dass bei einem Brand- und Unglücksfall im Hambacher Forst eine zeitnahe Rettung der im Forst befindlichen Personen nicht gewährleistet sei. Aufgrund des Zustands und der Lage der baulichen Anlagen bestehe eine akute Lebensgefahr, sodass die weitere Nutzung der baulichen Anlagen nicht vertretbar sei. Der Abriss der Anlagen sei auch verhältnismäßig, insbesondere sei die alleinige Untersagung der Nutzung nicht hinreichend effektiv, da mit einer Wiederaufnahme der Nutzung zu rechnen sei. Nach Erkenntnissen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden sei die Nutzerstruktur im Hambacher Forst zu einem signifikanten Anteil von gewaltbereiten Personen durchsetzt. Bei erneuter Aufnahme der Nutzung sei davon auszugehen, dass sich Vorfälle wie in der Vergangenheit, bei denen Polizisten angegriffen und zum Teil durch den Beschuss mit „Zwillen“ schwer verletzt worden seien, wiederholen würden. Dies gelte es zu verhindern. Schließlich sei es auch erforderlich, im Wege des Sofortvollzugs zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr vorzugehen. Dies gelte gerade mit Blick auf die erheblichen brandschutzrechtlichen Gefahren.
Am Morgen des 13.09.2018 begann die Räumung der Anlagen im Hambacher Forst, gefolgt von der Beseitigung der Anlagen. So widerfuhr es auch X, der eines der Baumhäuser seit längerer Zeit bewohnte. Zuvor verlas ihm der Bürgermeister der Stadt Kerpen folgenden Text: „Das von Ihnen genutzte Baumhaus ist zu räumen und muss beseitigt werden. Ich untersage Ihnen die weitere Nutzung des Baumhauses. Es besteht Gefahr für Leib und Leben. Es liegen schwerwiegende Verstöße gegen geltendes Bauordnungsrecht vor. Ihr Baumhaus verfügt nicht über die erforderlichen Rettungswege. Es wurde entgegen der einschlägigen brandschutzrechtlichen Vorschriften errichtet, die erforderliche Erschließung ist nicht sichergestellt, die Verkehrssicherheit ist nicht gegeben und die Standsicherheit ist nicht sicher gewährleistet. Sofern Sie das Baumhaus nicht freiwillig innerhalb der nächsten 30 Minuten räumen und dessen Nutzung unterlassen, werde ich die Räumung in Anwendung des unmittelbaren Zwangs vornehmen. Bitte nehmen sie beim Verlassen des Baumhauses ihre persönlichen Gegenstände mit.“
K erhob daraufhin Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht Köln mit dem Antrag, den von der Stadt Kerpen durchgeführten Sofortvollzug zur Räumung und Beseitigung seines Baumhauses aufzuheben.
Hat die Klage des X Aussicht auf Erfolg?
Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass das Baumhaus des K mit dem materiellen Bauordnungsrecht nicht vereinbar ist. Der Falllösung zugrunde zu legen ist die BauO NRW 2018 (im Folgenden: BauO NRW).
 
B. Gutachterliche Falllösung
Die Klage des X hat Erfolg, soweit diese zulässig und begründet ist.
 
I. Die Klage müsste zulässig sein.
 
1. Für eine Klage vor dem Verwaltungsgericht müsste der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung bestimmt sich die Eröffnung der Verwaltungsrechtswegs nach der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit diese Streitigkeiten nicht durch Bundesrecht einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
Öffentlich-rechtlich ist eine Streitigkeit, wenn die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht angehören. Streitentscheidend sind vorliegend §§ 55 VwVG NRW, die die Vollzugsbehörde einseitig berechtigen, Mittel des Verwaltungszwangs gegenüber dem Bürger anzuwenden. Somit gehören §§ 55 ff. VwVG nach Maßgabe der modifzierten Subjektstheorie dem öffentlichen Recht an.
Weder X noch die Stadt Kerpen sind Verfassungsorgane. Auch geht es vorliegend schwerpunktmäßig um die Anwendung und Auslegung verwaltungsrechtlicher und nicht verfassungsrechtlicher Norm, weshalb die Streitigkeit mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art ist.
Eine abdrängende Sonderzuweisung ist ebenfalls nicht ersichtlich, sodass der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet ist.
 
2. Die statthafte Klageart bestimmt sich gemäß § 88 VwGO nach dem klägerischen Begehren; an die Fassung der Anträge ist das Gericht jedoch nicht gebunden. K hat die Aufhebung des von der Stadt Kerpen durchgeführten Sofortvollzugs zur Räumung und Beseitigung seines Baumhauses beantragt.
 
a) Möglicherweise ist eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Dies würde voraussetzen, dass es sich bei den durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen um Verwaltungsakte i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG handelt.
Problematisch ist insofern vor allem das Merkmal der Regelungswirkung. Eine Maßnahme zeitigt eine Regelungswirkung, wenn sie unmittelbar auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Die Wirkung einer Vollstreckungsmaßnahme erschöpft sich jedoch im rein tatsächlichen Bereich; der Stadt Kerpen kam es auf den Abriss des Baumhauses und nicht auf die Setzung einer Rechtsfolge an. Zwar begründete insbesondere die frühere Rechtsprechung die Regelungswirkung unter Rückgriff auf die Figur der konkludenten Duldungsverfügung. Dieses auf das Preußische Recht zurückgehende Vorgehen wirkt jedoch bereits vom äußeren Geschehensablauf her konstruiert. Zudem ist unter Geltung der VwGO der Rückgriff auf die Figur der konkludenten Duldungsverfügung nicht erforderlich, da mit der Feststellungsklage und der allgemeinen Leistungsklage auch ein effektiver Rechtsschutz gegen Realakte gewährt wird. Mithin stellt die Vollstreckungsmaßnahme mit der heute ganz herrschenden Meinung mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsakt dar.
Möglicherweise ist, obwohl es sich bei der Räumung und der Beseitigung des Baumhauses um einen Realakt handelt, dennoch eine Anfechtungsklage statthaft. Zu diesem Ergebnis kommt – unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der OVG NRW – auch das VG Köln:

Denn ungeachtet der Verwaltungsaktsqualität sind gemäß § 18 Abs. 2 BVwVG gegen die Anwendung von Zwangsmitteln ohne vorausgehenden Verwaltungsakt die Rechtsmittel zulässig, die gegen Verwaltungsakte allgemein gegeben sind. Jedenfalls in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift für landesrechtliche Vollstreckungsmaßnahmen kann damit die Aufhebung der Versiegelung wegen Rechtswidrigkeit begehrt werden.
(OVG NRW, Urt. v. 16.10.2008 – 7 A 696/07 – juris Rn. 35)

Fraglich ist, ob dieses Vorgehen Zustimmung verdient. Vorliegend wurde nicht durch eine Bundesbehörde vollstreckt, sodass das BVwVG jedenfalls keine direkte Anwendung findet. Eine Parallelvorschrift zu § 18 Abs. 2 BVwVG findet sich im VwVG NRW nicht. In Betracht kommt somit lediglich eine analoge Anwendung des § 18 Abs. 2 BVwVG. Die analoge Anwendung einer Norm setzt das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage voraus. Aufgrund des Fehlens einer Parallelvorschrift zu § 18 Abs. 2 BVwVG im VwVG NRW besteht eine Regelungslücke. Diese wäre planwidrig, wenn anzunehmen ist, dass der nordrhein-westfälische Gesetzgeber eine derartige Regelung schlichtweg übersehen hat, wobei insbesondere auch auf verfassungsrechtliche Wertungen zu rekurrieren ist. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven Rechtsschutz. Wie bereits dargelegt vermittelt das Rechtsschutzsystem der VwGO jedoch auch auf anderem Wege als über eine Anfechtungsklage effektiven Rechtsschutz. Deshalb erscheint zumindest aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel die Annahme einer Anfechtungsklage nicht zwingend geboten. Bei § 18 Abs. 2 BVwVG handelt es sich vielmehr um eine spezifische Entscheidung des Bundesgesetzgebers. Mangels eines anderweitig zutage getretenen Willens darf das ausdifferenzierte Rechtsschutzsystem der VwGO nicht durch die analoge Anwendung des § 18 Abs. 2 BVwVG unterlaufen werden.
Aus diesem Grund ist die Anfechtungsklage nicht die statthafte Klageart.
 
b) In Betracht kommt weiterhin eine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO. Eine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO ist statthaft, wenn der Kläger die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt und der Subsidiaritätsgrundsatz des § 43 Abs. 2 VwGO gewahrt ist. Unter einem Rechtsverhältnis versteht man die sich aus einem konkreten Sachverhalt aus einer öffentlich-rechtlichen Norm ergebenden Rechtsbeziehungen einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Der Kläger muss also die gerichtliche Beantwortung einer konkreten streitigen Rechtsfrage begehren. Zur Konkretheit der Rechtsfrage gehört es, dass sie sich auf einen fest umrissenen und überschaubaren Sachverhalt bezieht. Um konkrete Rechtsfragen handelt es sich insbesondere dann, wenn zwischen Bürger und Behörde einzelne Rechte oder Pflichten, die sich aus einer Rechtsvorschrift ergeben, umstritten sind. Hier steht in Frage, ob der Bürgermeister der Stadt Kerpen in dem konkreten Lebenssachverhalt auf Grundlage der §§ 55 ff. VwVG NRW berechtigt war, X gegenüber Verwaltungszwang auszuüben. X begehrt also die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. Wie bereits dargelegt kommt eine Gestaltungsklage in Form einer Anfechtungsklage nicht in Betracht, weshalb auch der Subsidiaritätsgrundsatz des § 43 Abs. 2 VwGO gewahrt wird. Dass die Räumung und der Abriss des Baumhauses bereits abgeschlossen sind und daher ein vergangenes Rechtsverhältnis in Rede stehen könnte, schadet nicht. Nach einhelliger Auffassung ist nämlich auch ein vergangenes Rechtsverhältnis nach § 43 Abs. 1 VwGO feststellungsfähig.
 
c) Statthafte Klageart ist somit eine Feststellungsklage im Sinne des § 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO.
 
3. X müsste über ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung verfügen. Unter das Feststellungsinteresse fällt jedes schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Sollte das Rechtsverhältnis, dessen Nichtbestehen X festgestellt wissen will, ein vergangenes sein, müsste es über seine Beendigung hinaus anhaltende Wirkungen äußern. In diesem Fall kämen mit dem Fortsetzungsfeststellungsinteresse vergleichbare Fallgruppen zum Tragen. Zu klären ist daher, ob vorliegend ein vergangenes Rechtsverhältnis in Rede steht, wovon auszugehen wäre, wenn sich die Rechtsbeziehung zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits erledigt hätte. Nach Ansicht des VG Köln habe sich die angegriffene Maßnahme noch nicht erledigt:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, […], der sich die Kammer anschließt, tritt eine Erledigung einer Vollstreckungsmaßnahme nicht ein, so lange diese noch Grundlage einer Kostenforderung sein kann. Dies ist vorliegend der Fall, weil nach § 77 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 2 Nr. 7 und 8 VwVG-VO NRW die Beträge, die bei der Ersatzvornahme oder der Anwendung unmittelbaren Zwangs an Beauftrage und an Hilfspersonen zu zahlen sind sowie sonstige Kosten der Ausführung des unmittelbaren Zwangs vom Ordnungspflichtigen zu erstatten sind.

Selbst wenn man entgegen der Rechtsprechung Erledigung annehmen würde, stünde dies der Zulässigkeit der Klage jedoch nicht entgegen, da sich ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse jedenfalls aus dem Gesichtspunkt einer sich kurzfristig erledigenden Eingriffsmaßnahme ergibt.
 
4. Nach herrschender Meinung muss der Kläger auch bei Feststellungsklage analog § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt sein. Demnach müsste nach den substantiierten Behauptungen des Klägers die Möglichkeit bestehen, dass er durch die angegriffenen Maßnahmen in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt ist. Hier ergibt sich die Klagebefugnis jedenfalls unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Ob angesichts der Tatsache, dass sich X in dem betreffenden Bereich des Hambacher Forsters „wohnmäßig“ aufgehalten hat, auch ein Eingriff in Art. 13 GG im Raum steht, könne – so die Kölner Richter – offenbleiben.
 
5. Unter Zugrundelegung des allgemeinen Rechtsträgerprinzips ist die Klage gegen die Stadt Kerpen zu richten.
 
6. X ist gem. §§ 61 Nr. 1 Alt. 1, 63 Nr. 1, 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO beteiligungs- und prozessfähig. Als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts ist die Stadt Kerpen nach §§ 61 Nr. 1 Alt. 2, 63 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig und nach § 62 Abs. 3 VwGO, vertreten durch den Bürgermeister (§ 63 Abs. 1 S. 1 GO NRW), prozessfähig.
 
7. Die Klage des X ist zulässig.
 
II. X wendet sich sowohl gegen die Räumung als auch gegen die Beseitigung seines Baumhauses. Er verfolgt also mehrere Klagebegehren. Die Voraussetzungen der objektiven Klagehäufung gemäß § 44 VwGO sind vorliegend erfüllt, sodass die Begehren zusammen verfolgt werden können.
 
III. Die Klage des X ist begründet, soweit die zu den Vollstreckungsmaßnahmen berechtigenden Rechtsverhältnisse nicht bestanden. Dies wäre dann der Fall, wenn die Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig waren.
 
1. Die Räumung des Baumhauses ist rechtmäßig, soweit diese auf einer Ermächtigungsgrundlage beruht, von der in formell und materiell rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht wurde.
 
a) Rechtsgrundlage für die Räumung des Baumhauses ist §§ 55, 57 Abs. 1 Nr. 3, 62 VwVG NRW.
 
b) Die Räumung müsste formell rechtmäßig sein.
 
aa) Die Zuständigkeit des Bürgermeisters zur Räumung des Baumhauses ergibt sich aus § 56 Abs. 1 VwVG NRW.
 
bb) Mangels Verwaltungsaktsqualität der Räumung musste X nicht gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört werden.
 
cc) Somit ist die Räumung formell rechtmäßig.
 
c) Die Maßnahme müsste auch materiell rechtmäßig sein.
 
aa) Dann müsste der Verwaltungszwang gemäß § 55 VwVG NRW zulässig sein.
 
(1) In Betracht kommt zunächst das gestreckte Verfahren nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW.
 
(a) Dann müsste zunächst ein Verwaltungsakt vorliegen, der auf die Vornahme einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gerichtet ist. Ein solcher Verwaltungsakt ist in der Aufforderung des Bürgermeisters zu erblicken, das von X genutzte Baumhaus zu räumen.
 
(b) Der Verwaltungsakt müsste vollziehbar gewesen sein. Die Aufforderung, das Baumhaus zu räumen, und die Räumung erfolgten am selben Tag. Somit war die Klagefrist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO noch nicht abgelaufen. Möglicherweise hatte die Aufforderung des Bürgermeisters jedoch keine aufschiebende Wirkung. Der Bürgermeister ist nicht Polizeivollzugsbeamter, sodass die aufschiebende Wirkung nicht bereits gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO entfallen ist. Fraglich ist, ob die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO angeordnet wurde. Jedenfalls ordnete der Bürgermeister die sofortige Vollziehung nicht ausdrücklich an. Mit den gewählten Formulierungen („Gefahr für Leib und Leben“, „innerhalb der nächsten 30 Minuten“) bringt der Bürgermeister jedoch eine besondere Dringlichkeit zum Ausdruck. Zu klären ist daher, ob hierin eine konkludente Anordnung der sofortigen Vollziehung liegt. Aus den unmissverständlichen gesetzlichen Anforderungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO („besonders angeordnet“) und § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO („schriftlich zu begründen“) folgt jedoch, dass die Vollziehungsanordnung nicht konkludent möglich ist. Somit war der Verwaltungsakt nicht vollziehbar.
 
(c) Der Bürgermeister der Stadt Kerpen konnte also auch nicht nach dem gestreckten Verfahren gemäß § 55 Abs. 1 VwVG vorgehen.
 
(2) Damit stellt sich die Frage, ob der Verwaltungszwang im gekürzten Verfahren gemäß § 55 Abs. 2 VwVG NRW zulässig war.
 
(a) Dann müsste der Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet worden sein. Problematisch erscheint hier, dass der Bürgermeister zuvor einen Verwaltungsakt mit dem Inhalt erließ, das Baumhaus zu räumen. Hat die Behörde schon eine Grundverfügung erlassen, ist sie deshalb jedoch nicht automatisch auf das gestreckte Verfahren festgelegt. Zwar hat dieser Fall keine gesetzliche Regelung gefunden, es wäre jedoch sinnwidrig, wenn die Behörde nach dem Erlass der Grundverfügung die Dringlichkeit der Gefahrenlage erkennt, aber im gestreckten Verfahren vollziehen müsste. Wenn die Behörde im Sofortvollzug gänzlich ohne Grundverfügung vollstrecken kann, so muss ihr dies – bei Vorliegen der anderen Tatbestandsvoraussetzungen des Sofortvollzuges – vielmehr erst recht möglich sein, wenn sie vorher eine Grundverfügung erlassen hat. Auch droht keine Umgehung der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 VwVG NRW, da die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 VwVG NRW strenger sind als die des § 55 Abs. 1 VwVG NRW. Dass der Bürgermeister der Vollstreckung vorausgehend eine Räumungsverfügung erlassen hat, steht der Zulässigkeit des Verwaltungszwangs gemäß § 55 Abs. 2 VwVG NRW nicht entgegen.
 
(b) Weiterhin verlangt § 55 Abs. 2 VwVG, dass die Vollzugsbehörde innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt hat. Mit dem Handeln innerhalb der Befugnisse meint § 55 Abs. 2 VwVG NRW dabei die Rechtmäßigkeit eines hypothetischen Grundverwaltungsakts. Hier hat der Bürgermeister der Stadt Kerpen sogar einen Grundverwaltungsakt erlassen, sodass die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung zu prüfen ist. Auch bezüglich des Grundverwaltungsakts gilt, dass dieser rechtmäßig wäre, soweit dieser auf einer formell und materiell ordnungsgemäß angewendeten Ermächtigungsgrundlage beruht.
 
(aa) Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung, das Baumhaus zu räumen, ist § 82 Abs. 1 S. 2 BauO NRW.
 
(bb) Der Grundverwaltungsakt müsste formell rechtmäßig sein.
 
(aaa) Der Bürgermeister der Stadt Kerpen war gemäß § 57 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 Nr. 3 lit. a) BauO NRW für den Erlass der Räumungsverfügung zuständig.
 
(bbb) Grundsätzlich hätte der Bürgermeister X gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW vor Erlass der Räumungsverfügung anhören müssen. Angesichts der Tatsache, dass wegen Missachtung der Brandschutzvorschriften bei einem Brand- und Unglücksfall im Hambacher Forst eine zeitnahe Rettung der im Forst befindlichen Personen nicht gewährleistet gewesen ist, bestand akute Lebensgefahr. Somit war eine Anhörung wegen Gefahr im Verzug gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW entbehrlich.
 
(ccc) Grundsätzlich hätte der Bürgermeister gemäß § 58 Abs. 1 S. 1 BauO NRW, §§ 12, 20 Abs. 1 S. 1 OBG NRW eine schriftliche Ordnungsverfügung erlassen müssen. Wegen Gefahr im Verzug bedurfte es gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 OBG NRW ausnahmsweise nicht der Schriftform.
 
(ddd) Der Grundverwaltungsakt ist formell rechtmäßig.
 
(cc) Der Grundverwaltungsakt müsste auch materiell rechtmäßig sein.
 
(aaa) Zunächst müsste es sich bei dem Baumhaus um eine Anlage handeln. § 2 Abs. 1 S. 4 BauO NRW legaldefiniert den Begriff der Anlagen als bauliche Anlagen und sonstigen Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 BauO NRW. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 S. 1 BauO NRW ist eine bauliche Anlage wiederum eine mit dem Erdbunden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlage. Daran, dass das Baumhaus aus Bauprodukten hergestellt wurde, bestehen keine Zweifel. Allerdings wirft die Tatsache, dass das Baumhaus nicht unmittelbar mit dem Erdboden verbunden ist, Probleme auf. Ob auch eine mittelbare Verbindung mit dem Erdboden ausreicht, ist durch Auslegung des § 2 Abs. 1 S. 1 BauO NRW zu ermitteln. Zweck der bauordnungsrechtlichen Begriffsbestimmungen ist es, Anlagen zu erfassen, von denen für Bauwerke typische Gefahren ausgehen können. Das Baumhaus ist für den dauerhaften Aufenthalt von Menschen geeignet und wird hierfür auch genutzt. Auch von einem Baumhaus gehen daher Gefahren aus, die typischerweise mit Mitteln des Bauordnungsrechts abgewehrt werden. Insbesondere eine am Telos des § 2 Abs. 1 BauO NRW orientierte Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Baumhaus um eine Anlage handelt.
 

Anmerkung: In seinem Urteil ließ das VG Köln dahinstehen, ob es sich bei einem Bauhaus um eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 BauO NRW handelt. In einer gutachterlichen Fallbearbeitung wird jedoch erwartet, dass auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Rechtsfragen eingegangen wird. Hier wurde – ebenso wie im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsakts – der Argumentation des Bauministerium gefolgt, um zu dem Hauptproblem des Falles zu gelangen, ohne ein Hilfsgutachten anfertigen zu müssen.

 
(bbb) X müsste das Baumhaus im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt haben. Ausweislich des Bearbeitervermerks ist von der materiellen Bauordnungsrechtswidrigkeit des Baumhauses auszugehen, sodass diese Voraussetzung erfüllt ist.
 
(ccc) Als Bewohner des Baumhauses ist X jedenfalls Verhaltensverantwortlicher im Sinne des § 58 Abs. 1 S. 1 BauO NRW, §§ 12, 17 Abs. 1 OBG NRW.
 
(ddd) Auf Rechtsfolgenseite eröffnet § 81 S. 2 BauO NRW einen Ermessensspielraum. Zu prüfen ist daher, ob beim Erlass der Räumungsverfügung Ermessensfehler im Sinne des § 114 S. 1 VwGO begangen wurden.
 
Eine Besonderheit ergibt sich im vorliegenden Fall daraus, dass der Bürgermeister der Stadt Kerpen nicht aufgrund einer autonomen Entscheidung handelte, sondern vielmehr eine an ihn gerichtete Weisung ausführte. Zwar eröffnet § 81 S. 1 BauO NRW der unteren Bauaufsichtsbehörde Ermessen, allerdings wollen die Ermessensnormen die Verwaltungshierarchie nicht außer Kraft setzen. Daraus hat das VG Köln gefolgert:
 

Die Weisung verschiebt daher nur die Anforderungen an eine rechtmäßige Ermessensausübung „eine oder zwei Stufen höher“, ohne sie inhaltlich zu verändern. Die angewiesene Behörde hat somit die Ermessenserwägungen, die die anweisende Behörde vorgenommen hat, zu übernehmen und zur Grundlage ihres Handelns zu machen.

 
Vorliegend könnte das Bauministerium das ihr zustehende Ermessen zweckwidrig i.S.d. § 114 S. 1 Alt. 2 VwGO ausgeübt haben:
 

Ein besonderer Fall der zweckwidrigen Ermessensausübung ist dabei die „Vorwegbindung“ der Behörde. Voraussetzung jeder Ermessensausübung ist der unvoreingenommene Blick auf den Sachverhalt. Die Unbefangenheit des entscheidenden Verwaltungsbeamten ist eine wesentliche allgemeine Voraussetzung des Verwaltungsverfahrens und muss es wegen des größeren Freiraums erst recht für die Ermessensentscheidung sein. Die bewusste Berücksichtigung unsachlicher Motive ist daher nicht nur ein beachtlicher Verfahrensfehler, sondern zugleich zumindest Fehler der Ermessensausübung. Vorwerfbare subjektive Motive oder Haltungen des konkreten Amtswalters, der den Verwaltungsakt erlässt, widersprechen der aus der Ermessensnorm entstehenden Pflicht zur Berücksichtigung der maßgeblichen einschlägigen Gesichtspunkte.
[…]
Weiter ist zu berücksichtigen, dass es bei mehreren Ermessensgründen für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ausreicht, wenn der maßgebliche Grund dem Gesetz entspricht. Dieser Grund muss jedoch wirklich tragend und nicht nur Vorwand sein. Umgekehrt führt es zum Ermessensfehler, wenn ein zweckwidriger Grund für die im Ermessensweg getroffene Entscheidung gewichtige Bedeutung hatte.
[…]
Gemessen hieran ist die Ermessenausübung in der Weisung vom 12. September 2018 in tragenden Teilen zweckwidrig und damit fehlerhaft.
Zweck der hier herangezogenen Ermächtigungsnorm […] [ist], das formelle und materielle Baurecht (Bauordnungsrecht wie Bauplanungsrecht) durchzusetzen. Hiervon ausgehend muss die Ermessenausübung darauf bezogen sein, ob bauordnungs- und/oder bauplanungsrechtliche Ziele verfolgt bzw. Missstände beseitigt werden sollen.
In der Weisung vom 12. September 2018 wird […] zunächst – dem Zweck der Ermächtigungsnorm entsprechend – der hohe Stellenwert des Brandschutzes und der damit verbundene Schutz von Leib und Leben der Bewohner betont. Sodann folgen jedoch umfangreiche Ausführungen dazu, welche Personen nach Erkenntnissen der Polizei und des Verfassungsschutzes zu der Waldbewohnerszene gehören, welche Art von erheblichen Angriffen (z.B. Zwillenbeschuss) von diesen Personen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte […] ausgegangen sind und dass diese Personen nach Angriffen immer wieder in den „Wohn- und Lagerstrukturen im Wald“ untergetaucht sind. Dieser gewichtige Teil der Ermessenserwägungen weist keinen Bezug zu [§ 82 BauO NRW] auf. Schon der sprachliche Wechsel von „baulichen Anlagen“ zu „Wohn- und Lagerstrukturen“ führt klar vor Augen, dass es hier nicht mehr um Bauplanungs- und/oder Bauordnungsrecht geht, sondern dass die Räumungsmaßnahme der allgemeinen Gefahrenabwehr dient. […] Damit lösen sich die Ermessenserwägungen vollständig vom dem Zweck der Ermächtigungsnorm.
Darüber hinaus zeigt der Inhalt der Akte deutlich, dass hier – mit Blick auf die gewählte Eingriffsnorm aus dem Bauordnungsrecht – ein Fall der „inneren Vorwegbindung“ gegeben ist. Schon in der ersten Besprechung im Ministerium des Innern NRW am 25. Juli 2018 bestand am gewünschten Ergebnis, nämlich der Beseitigung sämtlicher Anlagen im Hambacher Forst, kein Zweifel. […] Letztlich ging es erkennbar darum, für die polizeilichen Aktionen eine Rechtsgrundlage zu finden, die – aus Gründen, die sich der Akte nicht entnehmen lassen – nicht im Polizei- und Ordnungsrecht liegen sollte.
Dass der dem Schutz der Bewohner dienende Brandschutz lediglich als „Vehikel“ genutzt wurde, um [§ 82 BauO NRW] als Ermächtigungsgrundlage heranziehen zu können, zeigt auch die E-Mail des zuständigen Abteilungsleiters des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW […] an die Bezirksregierung Köln, den Kreis Düren und die Beklagte […]. Während in den Weisungen die besondere Dringlichkeit des Eingreifens mit dem hohen Stellenwert des Brandschutzes und den akuten Gefahren für die Bewohner der Baumhäuser begründet wurde, führt der Abteilungsleiter in dieser E-Mail u.a. aus, da sich das Land aufgrund eines Verfahrens beim Oberverwaltungsgericht NRW dafür einsetze, dass die Rodungen nicht vor Ablauf der zweiten Oktoberwoche beginnen, komme eine Verschiebung der Fristen (für die Räumung) um wenige Tage in Betracht. Damit wird in bemerkenswerter Klarheit zum Ausdruck gebracht, dass die besondere Eile und das Ziel des schnellen Eingreifens nicht den Brandgefahren geschuldet waren.

 
(eee) Mithin ist die Grundverfügung ermessensfehlerhaft und damit materiell rechtswidrig.
 
(d) Die Räumungsverfügung ist rechtswidrig. Damit handelte der Bürgermeister der Stadt Kerpen nicht innerhalb seiner Befugnisse.
 
(c) Die Anwendung von Verwaltungszwang im gekürzten Verfahren gemäß § 55 Abs. 2 VwVG NRW war nicht zulässig.
 
(3) Der Verwaltungszwang war nicht gemäß § 55 VwVG NRW zulässig.
 
bb) Die Räumung des Baumhauses war materiell rechtswidrig.
 
d) Die Räumung des Baumhauses war rechtswidrig.
 
2. Zu beantworten bleibt schließlich die Frage, ob auch die Beseitigung des Baumhauses rechtswidrig war. Als Ermächtigungsgrundlage für die Beseitigung des Baumhauses kommen §§ 55 Abs. 2, 57 Abs. 1 Nr. 1, 59 VwVG NRW in Betracht. Die der Vollstreckung zugrunde liegende, auf § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW gestützte Beseitigungsverfügung leidet allerdings unter denselben Ermessensfehlern wie die Räumungsverfügung. Somit war auch die Beseitigung des Baumhauses rechtswidrig.
 
3. Demzufolge waren sowohl die Räumung als auch die Beseitigung des Baumhauses rechtswidrig. Die zu den Vollstreckungsmaßnahmen berechtigenden Rechtsverhältnissen bestanden also nicht. Die Klage des X ist begründet.
 
III. Die Klage des X hat Erfolg.
 
C. Summa
Angesichts der Länge der Ausführungen soll die Summa umso knapper ausfallen: Der vom VG Köln entschiedene Fall erscheint wie gemalt für eine Examensklausur. Er kombiniert Probleme aus dem Baurecht mit solchen aus dem Verwaltungsvollstreckungs-, allgemeinen Verwaltungs- sowie Verwaltungsprozessrecht. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die angesprochenen Zulässigkeitsprobleme sowie die Frage, auf wessen Ermessenserwägungen abzustellen ist, wenn eine Behörde eine Maßnahme in Ausführung einer an sie gerichteten Weisung anordnet. Auch sollte man sich vergegenwärtigen, dass die „Vorwegbindung“ der Behörde einen Unterfall der Zweckverfehlung darstellt.
Insgesamt bietet der Fall einen Anlass, die Grundzüge des Verwaltungsvollstreckungsrechts zu wiederholen. Bei Prüfungsaufgaben im Verwaltungsvollstreckungsrecht ist es – wie der vorliegende Fall zeigt – besonders wichtig, den Überblick zu bewahren.  Dies gilt insbesondere dann, wenn statt der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme die Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheids zu prüfen ist, wodurch der Prüfungsaufbau durch eine weitere Ebene weiter verkompliziert wird.

08.11.2021/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2021-11-08 08:39:542021-11-08 08:39:54Brandschutz nur vorgeschoben: Räumung und Abriss von Baumhäusern im Hambacher Forst rechtswidrig
Carlo Pöschke

BVerfG: Antrag der AfD-Bundestagsfraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt

Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Ungefähr drei Monate sind vergangen, seit eine nächtliche Sitzung des Deutschen Bundestags für unerwartetes Aufsehen sorgte: Obwohl ein Abgeordneter der Fraktion „Alternative für Deutschland“ (AfD) die Beschlussfähigkeit des Bundestags bezweifelte und Schätzungen zufolge nur noch ca. 100 der 709 Parlamentarier im Sitzungssaal anwesend waren, wurde die Abstimmung u.a. über zwei europarechtliche Datenschutzvorlagen fortgesetzt. Am Tag danach erklärte die AfD-Vize-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch, es werde geprüft, was gegen die Willkür, „mit der ein offenkundig nicht beschlussfähiger Bundestag in tiefer Nacht unter erkennbar offener Missachtung der Geschäftsordnung Gesetze durchdrückt“, unternommen werde könne. Daraufhin reichte die AfD-Bundestagsfraktion beim BVerfG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein, die es dem Bundespräsidenten untersagen sollte, die durch den Bundestag beschlossenen Gesetze gegenzuzeichnen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden. Mit Beschluss vom 17.09.2019 – 2 BvQ 59/19, BeckRS 2019, 21913 lehnte der Zweite Senat den Erlass der einstweiligen Anordnung ab. Da der Vorgang auch erhebliche mediale Aufmerksamkeit erfahren hat, liegt die gesteigerte Prüfungsrelevanz auf der Hand. Gleichzeitig bietet die Entscheidung die Gelegenheit, die Grundlagen der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG zu wiederholen, die im Studium im Vergleich zum vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nach §§ 80 Abs. 5, 80a, 123 VwGO häufig nur geringe Aufmerksamkeit erfährt.

A. Sachverhalt (im Wesentlichen den Gründen des Beschlusses entnommen, leicht abgewandelt)

Doch was genau ist geschehen?

Die 107. Sitzung des 19. Deutschen Bundestages dauerte vom 27. bis in die frühen Morgenstunden des 28.06.2019. Als Tagesordnungspunkte 22a und 22b rief die Vizepräsidentin des Bundestages zwei Gesetzentwürfe zur Beratung auf. Bevor die Abgeordneten mit den Abstimmungen über die Gesetzentwürfe begannen, bezweifelte am 28.06.2019 gegen 1:27 Uhr ein Abgeordneter der AfD-Fraktion die Beschlussfähigkeit der Versammlung, woraufhin die Bundestagsvizepräsidentin für den Sitzungsvorstand erwiderte, dass nach dessen Meinung die Beschlussfähigkeit gegeben sei. Schätzungen zufolge waren jedoch nur ca. 100 der 709 Bundestagsabgeordneten im Plenarsaal anwesend. Für den Sitzungsvorstand war es auch eindeutig erkennbar, dass weniger als die Hälfte der Bundestagsabgeordneten im Plenarsaal anwesend waren. Dennoch wurden zunächst die beiden Gesetzentwürfe sowie später noch ein dritter Entwurf zur Abstimmung gestellt. Alle erhielten die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Die AfD-Bundestagsfraktion stellte beim BVerfG daraufhin schriftlich einen den Anforderungen des § 23 Abs. 1 BVerfGG genügenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Der Antrag war darauf gerichtet, dem Bundespräsidenten bis auf Weiteres zu untersagen, die durch den Bundestag beschlossenen Gesetze gegenzuzeichnen, auszufertigen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden.

Nach Ansicht der AfD-Fraktion verletzte die Nicht-Durchführung des sog. Hammelsprungs nicht nur § 45 Abs. 2 iVm. § 51 GOBT, sondern v.a. auch den Grundsatz der parlamentarischen Demokratie und speziell die Mitwirkungsrechte des gesamten Bundestags bei der Gesetzgebung. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG sei zulässig. Zunächst sei ein Organstreit in der Hauptsache grundsätzlich zulässig, denn eine Verletzung verfassungsmäßiger Rechte des Bundestages infolge des offensichtlich willkürlichen Vorgehens der Sitzungsleitung sei keineswegs ausgeschlossen. Gegen die Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung könne ferner nicht eingewendet werden, dass im noch anzustrengenden Organstreitverfahren nicht der Bundespräsident, sondern v.a. der Bundestag selbst als Antragsgegner in Betracht komme. Auch werde es in der späteren Hauptsache nur um die Feststellung der Verletzung organschaftlicher Rechte gehen und nicht wie hier um eine vorläufige Unterlassung. Jedoch könnten die verfassungsmäßigen Rechte des Bundestages anders nicht effektiv geschützt werden. Der Antrag sei schließlich auch begründet. Selbst unter Anlegung strenger Maßstäbe sprächen im Rahmen einer Folgenabwägung die besseren Gründe für den Erlass der einstweiligen Anordnung. Für den Fall, dass dem Eilantrag stattgegeben werde, der Hauptsacheantrag aber ohne Erfolg bliebe, entstehe kein nennenswerter Schaden. Die betroffenen Gesetze träten lediglich einige Monate später in Kraft, was durch die Gewissheit ihrer formellen Verfassungskonformität kompensiert werde. Hingegen sei das rasche Inkrafttreten der Gesetze vergleichsweise ohne Wert, denn sie seien mit dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit bemakelt. Für Rechtsfrieden könnten sie so nicht sorgen. Sollte hingegen der Eilantrag abgelehnt werden, der Organstreit in der Hauptsache aber erfolgreich sein, entstehe eine Art „verfassungsrechtlicher Notstand“. Denn das Bundesverfassungsgericht könne im Organstreitverfahren nur die Verletzung von Organrechten feststellen, nicht aber einen verfassungswidrig zustande gekommenen Rechtsakt für nichtig erklären. Es wären dann formell verfassungswidrige, aber weiterhin fortgeltende Gesetze in der Welt. Nur durch den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung könnten die Gesetze in einem ordnungsgemäßen Verfahren durch einen beschlussfähigen Bundestag abermals verabschiedet werden. Daher dürften sie jetzt jedenfalls noch nicht ausgefertigt werden.

Hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Aussicht auf Erfolg?

B. Rechtliche Würdigung

Das BVerfG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung „abgelehnt“. Bereits am Tenor wird damit deutlich, dass sich die Entscheidung strukturell in die Rechtsprechung des BVerfG einfügt, die nicht zwischen Zulässigkeit und Begründetheit abgrenzt (vgl. dazu auch MKSB/Graßhof, BVerfGG, 56. EL Februar 2019, § 32 Rn. 37 f.). Auch wenn die praktische Bedeutung dieser Abgrenzung gering ist, ist Klausurbearbeitern gleichwohl zu raten, die Prüfung nach den Erfolgsaussichten der Übersichtlichkeit halber wie gewohnt in Zulässigkeit und Begründetheit zu gliedern.

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung hat also Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit

Der Antrag müsste zulässig sein.

1. Eröffnung des Rechtswegs zum BVerfG

Dazu müsste zunächst der Rechtsweg zum BVerfG eröffnet sein, was dann der Fall ist, wenn das mit dem Hauptsacheverfahren verfolgte oder zu verfolgende (sog. isolierter Eilantrag) Anliegen einer der in Art. 93 Abs. 1 GG, § 13 BVerfGG abschließend aufgezählten Verfahrensarten zuzuordnen ist. Im Hauptsacheverfahren wäre ausweislich der Begründung des Antrags zu klären, ob durch das Vorgehen der Sitzungsleitung verfassungsmäßige Rechte des Bundestags verletzt wurden. Einschlägig wäre damit in der Hauptsache ein Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG, sodass auch vorliegend der Rechtsweg zum BVerfG eröffnet ist.

2. Zuständigkeit des BVerfG

Gem. § 32 Abs. 1 BVerfGG ist das BVerfG zur Entscheidung über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zuständig.

3. Antragsberechtigung

Weiterhin müsste die AfD-Fraktion antragsberechtigt sein. Die Antragsberechtigung ergibt sich dabei aus dem betreffenden Hauptsacheverfahren. Antragsberechtigt sind somit die Beteiligten des Hauptsacheverfahrens. Die Beteiligungsfähigkeit im Organstreitverfahren richtet sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG. Nach § 63 BVerfGG sind der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundestags und des Bundesrats mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe beteiligungsfähig. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG ist hinsichtlich der Beteiligungsfähigkeit weiter gefasst und lässt die Anträge eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das GG oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind, zu. Eine Fraktion wird durch §§ 10 ff., 57 Abs. 2, 75 f. GOBT mit eigenen Rechten ausgestattet und ist damit ein Teil des Bundestags iSd. § 63 BVerfGG bzw. ein anderer Beteiligter iSd. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Die AfD-Fraktion ist somit im Organstreitverfahren beteiligungsfähig und damit auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung antragsberechtigt.

4. Keine Vorwegnahme der Hauptsache

Außerdem dürfte die einstweilige Anordnung nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, da sie nur der vorläufigen Regelung eines Zustands dient. Vorliegend begehrt die Antragstellerin dem Bundespräsidenten bis auf Weiteres zu untersagen, die durch den Bundestag beschlossenen Gesetze gegenzuzeichnen, auszufertigen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden. Auch nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens könnte der Bundespräsident die beschlossenen Gesetze noch gegenzeichnen und im Bundesgesetzblatt verkünden. Dadurch würden die Folgen der einstweiligen Anordnung gleichsam rückgängig gemacht. (Salopp formuliert könnte man sagen, Gegenzeichnung und Verkündung werden durch eine einstweilige Anordnung bloß aufgeschoben, nicht aufgehoben.) Die einstweilige Anordnung nimmt daher die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg.

 5. Form

Die Formvorschriften des § 23 Abs. 1 BVerfGG wurden gewahrt.

Anmerkung: An dieser Stelle wurde der Sachverhalt aus didaktischen Gründen leicht abgewandelt: Das BVerfG hat im zu entscheidenden Fall zusätzlich die Frage aufgeworfen (aber letztendlich dahinstehen lassen), ob der Antrag überhaupt den Anforderungen des § 23 Abs. 1 BVerfGG genügt. Dies sei fraglich, da sich aus der bisherigen Begründung womöglich nicht deutlich genug ergebe, welche organschaftliche Rechtsposition die Antragstellerin in einem etwaigen Organstreitverfahren gedenkt geltend zu machen.

6. Zwischenergebnis

Der Antrag ist zulässig.

II. Begründetheit

Fraglich ist, ob der Antrag auch begründet ist.

Im Rahmen der (vom BVerfG nicht explizit als Begründetheitsprüfung bezeichneten) Begründetheitsprüfung arbeitet das BVerfG nach ständiger Rechtsprechung anders als vom verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz bekannt mit einer spezifischen Folgenabwägung, bei der die konkreten Erfolgsaussichten der Hauptsache grds. außer Betracht bleiben. Stattdessen rekurriert das Gericht auf die sog. Doppelhypothese, bei der die Nachteile, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, abgewogen werden mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Hauptsacheverfahren aber letztlich der Erfolg zu versagen wäre. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 32 Abs. 1 BVerfGG („Abwehr schwerer Nachteile“, „Verhinderung drohender Gewalt“, „anderer wichtiger Grund“) gehen bei dieser Formel im Begriff des Nachteils auf. Das BVerfG tritt in die Abwägung nach der Doppelhypothese jedoch nur ein, wenn sich das Hauptsacheverfahren weder als offensichtlich unzulässig noch als offensichtlich unbegründet erweist (hierzu m.w.N. BeckOK BVerfGG/Walter, 7. Ed. 01.06.2019, § 32 Rn. 42 f.).

1. Offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit in der Hauptsache

Die Hauptsache dürfte nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet sein. Dies wäre der Fall, wenn das Gericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung der Auffassung ist, dass kein Gesichtspunkt erkennbar ist, der dem Hauptsacheverfahren zum Erfolg verhelfen könnte.

Das BVerfG schneidet in dem Beschluss jedoch Zulässigkeits- und Begründetheitsfragen des Hauptsacheverfahrens nicht einmal an, sondern löst den Fall über die bereits angesprochene spezifische Folgenabwägung. Dies ist typisch für Entscheidungen des BVerfG über einstweilige Anordnungen, da in der verfassungsgerichtlichen Praxis die Zulässigkeit und Begründetheit des Hauptsacheverfahrens noch nicht abschließend geklärt sein müssen. Um auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Fragen in der gutachterlichen Bearbeitung eingehen zu können, ist Klausurbearbeitern dennoch zu empfehlen, die Zulässigkeit und Begründetheit des Hauptsacheverfahrens inzident zu prüfen.

Als erster problematischer Punkt einer inzidenten Zulässigkeitsprüfung wäre damit die Frage zu beantworten, wer der Antragsgegner ist und ob dieser ebenfalls beteiligungsfähig gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG ist. Die AfD-Fraktion führt in ihrem Antrag bereits selbst aus, dass im noch anzustrengenden Organstreitverfahren nicht der Bundespräsident, sondern v.a. der Bundestag selbst als Antragsgegner in Betracht komme. Da vorliegend jedoch die Stellvertreterin des Bundestagspräsidenten handelte, erscheint es naheliegender, den Bundestagspräsidenten als Antragsgegner zu wählen. Dabei handelt der Stellvertreter des Präsidenten bei der Leitung von Bundestagssitzungen als „amtierender Präsident“ iSd. § 8 Abs. 1 GOBT. Der Bundestagspräsident wird z.B. durch §§ 7 Abs. 1 S. 1, S. 2 a.E., 22 S. 1 GOBT auch mit eigenen Rechten ausgestattet und ist damit sowohl gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG als auch nach § 63 BVerfGG beteiligungsfähig.

Ebenfalls näheren Ausführungen bedarf es bei der Frage, ob die AfD-Fraktion auch antragsbefugt ist, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 64 Abs. 1 BVerfGG. Dazu müsste die Antragstellerin geltend machen, d.h. die Möglichkeit aufzeigen, dass sie oder das Organ, dem sie angehört, durch die Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners (hier: Ablehnung des Antrags auf Durchführung eines Hammelsprungs durch den Sitzungsvorstand) in ihren ihr durch das GG übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Weil das Organstreitverfahren ein kontradiktorisches Streitverfahren ist, bei dem der Antragsteller eine Verletzung eigener durch das GG übertragener Rechte oder im Rahmen einer Prozessstandschaft die Verletzung von Rechten der Organs, dem er angehört, geltend machen muss, genügt eine Berufung auf eine bloße Missachtung der GOBT oder objektiver Verfassungsprinzipien nicht. Im vorliegenden Fall erscheint eine Verletzung eigener verfassungsrechtlicher Rechte der AfD-Fraktion nicht einmal möglich, da der Sitzungstermin bekannt war und die gesamte Fraktion an der Sitzung des Bundestags hätte teilnehmen können. Gleiches gilt, soweit die AfD-Fraktion prozessstandschaftlich die Rechte des Bundestags geltend machen würde: Der Sitzungstermin wurde rechtzeitig bekanntgemacht und Hinweise zu etwaigen Behinderungen der parlamentarischen Abläufe im Vorfeld lagen nicht vor. Auch das Gesetzgebungsrecht des Bundestags wurde nicht beeinträchtigt, da die Verweigerung des Hammelsprungs gerade dazu führte, dass es zu den Gesetzesbeschlüssen kommen konnte (hierzu s. Deger, Verfassungsblog v. 14.08.2019).

Somit könnte man (jedenfalls in einer Klausurbearbeitung) den Antrag bereits wegen offensichtlicher Unzulässigkeit des Hauptsacheverfahrens als unbegründet ansehen.

2. Folgenabwägung

Der Zweite Senat hingegen ist von einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens ausgegangen und hat somit direkt die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, gegen die Folgen abgewogen, die eintreten würden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre.

Nach Ansicht des Gerichts drohte der AfD-Fraktion kein schwerer Nachteil, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen würde und ein Organstreitverfahren später Erfolg hätte. Das Argument, für diesen Fall sei der Eintritt einer Art „verfassungsrechtlichen Notstands“ zu befürchten, überzeugte das BVerfG nicht. Denn:

„Was […] [die AfD-Fraktion] […] in der Sache rügt, ist das Auseinanderfallen der möglichen Rechtsfolgen von Organstreitverfahren einerseits und Normenkontrollverfahren andererseits. Nach § 67 BVerfGG stellt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über einen Organstreit nur fest, ob die beanstandete Maßnahme gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt; Rechtsfolge der abstrakten Normenkontrolle kann hingegen nach § 78 BVerfGG die Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht sein. Eine Rechtsschutzlücke für mögliche Antragsteller des Organstreits folgt hieraus jedoch nicht, sondern dies ist Ausdruck der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GG, dem objektiven Normenbeanstandungsverfahren mit dem Organstreit ein kontradiktorisches Streitverfahren ausschließlich zur Klärung eines bestimmten Verfassungsrechtsverhältnisses zur Seite zu stellen. Für eine sich von diesem gesetzlich gezogenen Rahmen lösende Ausdehnung der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts ist kein Raum […].“

Auch durch das Inkraftbleiben eines zunächst formell verfassungswidrigen Gesetzes im Falle eines späteren Erfolgs im Organstreitverfahren stelle – so das BVerfG – keinen schweren Nachteil für die AfD-Fraktion dar. An dieser Stelle verweist das Gericht erneut auf eine grundgesetzliche Kompetenzentscheidung: Verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz sei grds. nachgelagerter, kassatorischer Rechtsschutz, wobei das BVerfG insb. die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten zu respektieren habe.

Ebenfalls nicht überzeugte das Gericht das Argument, nur durch den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung könnten die fraglichen Gesetze in einem ordnungsgemäßen Verfahren durch einen beschlussfähigen Bundestag abermals verabschiedet werden. Dazu führt das BVerfG in seiner Entscheidung aus, dass der

„Bundestag […] zu jedem Zeitpunkt erneut über die seitens der Antragstellerin bemängelten Gesetze abstimmen [kann], und zwar unabhängig sowohl von einem Erlass der einstweiligen Anordnung als auch von einer Feststellung der Verletzung organschaftlicher Rechte der Antragstellerin in einem späteren Organstreitverfahren.“

Im Ergebnis gewichtete das BVerfG somit ein späteres Inkrafttreten der verabschiedeten Gesetze für den Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Hauptsacheantrag aber ohne Erfolg bleibt, schwerer als die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte. Dies auch deshalb, weil die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darstellt und daher bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung unter diesen Umständen ein besonders strenger Maßstab anzulegen ist.

3. Zwischenergebnis

Der Antrag der AfD-Fraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.

III. Ergebnis

Der Antrag hat keinen Erfolg.

C. Stellungnahme/Ausblick

Was bleibt?

  • Die Entscheidung des BVerfG ist im Ergebnis richtig, das allgemeine Vorgehen des Verfassungsgerichts bei der Prüfung von einstweiligen Anordnungen erweist sich jedoch als wenig systematisch. Weshalb auf eine Unterteilung zwischen Zulässigkeit und Begründetheit verzichtet wird, ist nicht ersichtlich. Ebenfalls nicht erklären lässt sich, weshalb statt auf eine summarische Prüfung wie beim verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz auf eine Folgenabwägung gesetzt wird: Laut BVerfG müssen „bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung […] die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht […] bleiben“, um im gleichen Atemzug festzustellen, dass dies nicht gelte, wenn sich die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Gerade dadurch wird jedoch der Erlass der einstweiligen Anordnung vom prognostischen Ausgang des Hauptsacheverfahrens abhängig gemacht. Der Unterschied zwischen Folgenabwägung und summarischer Prüfung ist daher höchstens graduell. Prüflingen ist dennoch zu raten, die Terminologie und die Struktur der Prüfung durch das BVerfG mit Ausnahme der bereits geschilderten Abweichungen in die eigene gutachterliche Falllösung zu übernehmen, um dem Prüfer zu zeigen, dass die Unterschiede zwischen verwaltungsgerichtlichem Eilrechtsschutz und einstweiliger Anordnung nach § 32 BVerfGG bekannt sind.
  • Der vorliegende Fall kann nicht nur als Ganzes, sondern auch in vielfältigen anderen Konstellationen in verfassungs- oder verwaltungsgerichtlichen Klausuren Bedeutung erlangen. Insb. kann die Problematik um die Verweigerung eines Hammelsprungs immer dann eingestreut werden, wenn die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes geprüft werden soll. Bei der Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Gesetzgebungsverfahrens (Art. 76 ff. GG) iRd. formellen Verfassungsmäßigkeit wäre dann zu prüfen, ob die Geschäftsordnungsvorschriften der §§ 45, 51 GOBT durch die Verweigerung des Hammelsprungs verletzt wurden (zu dieser Frage ausführlicher Deger, Verfassungsblog v. 14.08.2019). Kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung von §§ 45, 51 GOBT vorliegt, wäre weiter zu erörtern, ob ein bloßer Verstoß gegen Geschäftsordnungsvorschriften vorliegt oder ob §§ 45, 51 GOBT zudem Verfassungsrecht konkretisieren. Nur im letztgenannten Fall führt eine Missachtung von §§ 45, 51 GOBT auch zur Verfassungswidrigkeit des betreffenden Gesetzes.

07.10.2019/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2019-10-07 09:17:412019-10-07 09:17:41BVerfG: Antrag der AfD-Bundestagsfraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt

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