Sittenwidrig günstige Miete?
§§ 138, 166, 242 BGB – all dies sind Normen, welche Jurastudierende bereits in den ersten Semestern kennenlernen. Umso bedeutender sind sie, wenn sich der BGH (BGH, Urt. v. 26.03.2025 – VII ZR 152/23) eingehend mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen beschäftigt und dabei auch noch die von ihm entwickelte Figur des sog. Wissensvertreters im Rahmen von § 166 BGB thematisiert. Im Vordergrund steht aber vor allen Dingen die Frage, ob ein Mietvertrag durch einen verhältnismäßig niedrigen Mietzins automatisch sittenwidrig ist.
I. Sachverhalt
Die Beklagte sowie ihr Lebensgefährte und ihre Kinder bewohnten seit Dezember 2017 eine 177m² große Fünfzimmerwohnung in Berlin. Eigentümerin dieser Wohnung war die Klägerin, eine GmbH. Der Mietvertrag wurde nur von der Beklagten und dem damaligen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der GmbH unterzeichnet und sah u.a. vor, dass (1) das Mietverhältnis erst zum 21. Dezember 2017 beginnen (2) die Nettokaltmiete nur 600 Euro und die Bruttomonatsmiete 1.010 Euro betragen sollte. Schließlich (3) sollte die Mietzahlungspflicht der Klägerin erst zum 1. September 2018 beginnen und bis dahin sollte die Mieterin die Wohnung als „Gegenleistung“ fachgerecht renovieren lassen. Im Februar 2021 begehrte die GmbH, nun vertreten durch ihren neuen Geschäftsführer, die Räumung und Herausgabe der Wohnung sowie die Zahlung einer Nutzungsentschädigung für das Jahr 2018. Dabei wurde angeführt, dass der Mietvertrag aufgrund der niedrigen Miete sittenwidrig und zudem auch durch kollusives Zusammenwirken zustande gekommen sei. Das LG Berlin als Berufungsgericht hatte sowohl einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung aus §§ 546 Abs. 1, 985 BGB sowie einen Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung gem. §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 BGB bejaht.
II. Entscheidung
Der erste Aspekt, welcher von dem Berufungsgericht sowie von dem BGH umfassend diskutiert wurde, war eine mögliche Sittenwidrigkeit des Mietvertrags nach § 138 Abs. 1 BGB. Dabei ist eine solche zu bejahen, wenn ein Rechtsgeschäft aus der Gesamtbetrachtung von Inhalt, Beweggrund und Zweck einen solchen Charakter aufweist, der mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren ist. Maßgebend sind dabei sowohl ein objektives als auch ein subjektives Element (Jauernig/Mansel, 19. Aufl. 2023, BGB § 138 Rn. 8).
a) LG Berlin
Die objektive Sittenwidrigkeit stützte das LG Berlin vor allen Dingen auf den Betrag des monatlichen Mietzins. So wurde betont, dass die Nettokaltmiete 60,49% unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liege (LG Berlin, Urt. v. 28.06.2023 – 64 S 105/22, BeckRS 2023, 20664 Rn. 11). Der Bejahung dieses objektiven Tatbestands stehe dabei auch nicht entgegen, dass Renovierungsarbeiten durch die Mieter vereinbart wurden. Der streitgegenständliche § 17 des Mietvertrags, welcher die Pflicht statuieret „die Wohnung fachgerecht zu renovieren außer die Maßnahmen, die vom Vermieter durchgeführt werden müssen“, lasse keine Rückschlüsse auf die konkreten Arbeiten der Mieterin zu. Infolgedessen vermöge er weder die Mietbefreiung von mehreren Monaten noch die anschließende geringere Miete zu begründen sowie die Annahme der Sittenwidrigkeit zu revidieren (LG Berlin, Urt. v. 28.06.2023 – 64 S 105/22, BeckRS 2023, 20664 Rn. 14, 15).
b) BGH
Der BGH betonte zunächst, dass ein Vertrag, den der Vertreter im bewussten Zusammenwirken mit dem anderen Teil zum Nachteil des Vertretenen kollusiv abschließe, nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sei. Liege eine solche Kollusion nicht vor, könne der Vertretene § 242 BGB heranziehen. So könne sich der Vertretene gem. § 242 BGB auf die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts berufen, wenn der andere Vertragsteil den Missbrauch der Vertretungsmacht gekannt hat oder zumindest hätte erkennen müssen.
Im Rahmen der subjektive Voraussetzungen eines kollusiven Zusammenwirkens nach § 138 Abs. 1 BGB, stellte der BGH fest, dass eine grob fahrlässige Unkenntnis vom Missbrauch der Vertretungsmacht nicht genüge um das Merkmal der Sittenwidrigkeit zu erfüllen. Andernfalls würden die Grenzen zwischen Sittenwidrigkeit wegen kollusiven Zusammenwirkens nach § 138 Abs. 1 BGB einerseits und einer nach § 242 BGB unzulässigen Rechtsausübung wegen eines vom Vertragspartner erkannten oder sich aufdrängenden Missbrauchs der Vertretungsmacht andererseits, nicht hinreichend unterschieden werden. Dies würde letztendlich auch darauf hinauslaufen, dass geringere Anforderungen an den subjektiven Tatbestand des kollusiven Zusammenwirkens gestellt werden würden.
2. Unzulässige Rechtsausübung
Von der Kollusion abzugrenzen ist der Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht. Grundsätzlich trifft den Rechtsverkehr und damit den Vertragspartner keine Prüfpflicht dahingehend, ob das Handeln des Vertreters auch im Innenverhältnis rechtmäßig ist. Ausnahmsweise wird der Geschäftsgegner mit den Risiken der Vertretung belastet, wenn er den Missbrauch der Vertretungsmacht kannte oder dieser objektiv evident war (Staudinger/Looschelders/Olzen, 2024, BGB § 242 Rn. 518).
a) Missbrauch der Vertretungsmacht
Fraglich war hier u.a., ob ein solcher Missbrauch der Vertretungsmacht des Geschäftsführers gegenüber der GmbH vorlag. Dies ist der Fall, wenn der Vertreter zwar nicht außerhalb seines rechtlichen Könnens, aber außerhalb seines rechtlichen Dürfen handelt (MüKoBGB/Schubert, 10. Aufl. 2025, BGB § 177 Rn. Rn. 15). Die gesetzliche Vertretungsmacht eines GmbH-Geschäftsführers ist nach außen hin gem. §§ 35 Abs. 1 S. 1, 37 Abs. 2 GmbHG unbeschränkt. Im vorliegenden Fall beabsichtigten die Gesellschafter nicht die Wohnung zu vermieten, sondern diese zu verkaufen. Auch wenn diese Absicht der Gesellschafter keinen Ausdruck in einer abschließenden Willensbildung in Form eines Gesellschafterbeschlusses gefunden hat, so dürfen bestimmte grundlegende Maßnahmen nur mit Zustimmung der Gesellschafter vorgenommen werden, auch wenn es an einer entsprechenden Anordnung in der Satzung oder im Gesellschafterbeschluss fehlt (MüKoGmbHG/Stephan/Tieves, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 37 Rn. 139).
b) Objektive Evidenz
Darüber hinaus müsste die Beklagte den Missbrauch der Vertretungsmacht erkannt haben oder dieser müsste objektiv evident gewesen sein. Insoweit muss der Geschäftspartner wissen oder es muss sich ihm geradezu aufdrängen, dass der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht.
aa) Wissen der Mieterin
Die Mieterin selbst hatte kein Wissen von internen Geschehnissen.
bb) Wissen des Ehegatten – Zurechnung nach § 166 BGB?
Das Landgericht aber kam zu dem Ergebnis, dass zumindest der Lebensgefährte der Mieterin grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich des Missbrauchs der Vertretungsmacht gehabt habe, die ihr nach § 166 BGB zuzurechnen sei (LG Berlin, Urt. v. 28.06.2023 – 64 S 105/22, BeckRS 2023, 20664 Rn. 25).
Eine unmittelbare Anwendung der Norm wurde mangels Stellvertretung gem. der §§ 164 ff. BGB ausgeschlossen. Allein die Ehefrau sowie der Geschäftsführer haben den Mietvertrag unterzeichnet. Damit verlieb nur noch eine entsprechende Anwendung der Norm. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist § 166 Abs. 1 BGB entsprechend auf sog. Wissensvertreter anzuwenden. So sei die Norm auch dann anwendbar, wenn zwar keine rechtsgeschäftliche Vertretung, aber der Tatbestand der Wissensvertretung vorliege (BGH, Urt. v. 24.01.1992 – V ZR 262/90, NJW 1992, 1099, 1100; BGH, Urt. v. 11.12.2018 – KZR 26/17, NJW 2019, 661 Rn. 89). Dabei ist Wissensvertreter jede Person, derer sich der Geschäftsherr wie eines Vertreters bedient und der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn berufen ist, als dessen Repräsentant Aufgaben in eigner Verantwortung zu erledigen und dabei angefallene Informationen weiterzuleiten (BGH, Urt. v. 11.12.2018 – KZR 26/17, NJW 2019, 661 Rn. 89). Die Figur des sog. Wissensvertreters hat ihre Wurzeln im Versicherungsvertragsrecht und ist insbesondere von Bedeutung, wenn es nicht um die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen bei Vertragsschluss, sondern zu einem anderen Zeitpunkt geht (Arman BGB/Finkenauer, 17. Aufl. 2023, BGB § 166 Rn. 25).
Anhaltspunkte dafür, dass die Mieterin ihren Mann mit der Erledigung bestimmter Aufgaben in Bezug auf die Anmietung der Wohnung betraut hatte, lagen nicht vor. Auch die persönliche Nähe der beiden Beklagten reiche nicht per se aus um dies zu bejahen. Gerade weil die Figur des Wissensvertreters große Ähnlichkeit zur Stellvertretung aufweise, müsse die Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter willentlich und bewusst erfolgen und dürfe nicht auf bloßen Vermutungen basieren.
III. Fazit
Gerade weil die Entscheidung bekannte Normen des Zivilrechts mit praxisrelevanten Fragestellungen im Mietrecht kombiniert, lohnt sich eine vertiefte Auseinandersetzung. Das Urteil selbst lässt sämtliche Mieter aufatmen, die ihre Wohnung zu günstige Konditionen erhalten haben.
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