OLG Karlsruhe: Verurteilung wegen Beleidigung durch ACAB-Transparent rechtskräftig
Sachverhalt
Das OLG Karlsruhe (Beschluss v. 20.5.2014 – 1 (8) Ss 678/13- AK 15/14) hat eine Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185 StGB) bestätigt. Dem Fall lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte hatte im Oktober 2010 anlässlich einer Zweitliga-Begegnung des Karlsruher SC gegen den Vfl Bochum im Fanblock des Karlsruher Wildparkstadions gemeinsam mit weiteren Personen ein im gesamten Stadion sichtbares großflächiges Banner mit der Aufschrift „A.C.A.B.“ – bekanntlich eine Abkürzung für die Worte „all cops are bastards“ – hochgehalten.
Durch alle Instanzen…
In erster Instant wurde der Angeklagte zunächst vom Amtsgericht freigesprochen. Dies wurde in zweiter Instanz bestätigt. Dieses Berufungsurteil hatte der 1. Strafsenat des OLG Karlsruhe auf die Revision der Staatsanwaltschaft durch Urteil vom 19.07.2012 aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer des LG Karlsruhe zurückverwiesen.
Das OLG kritisierte, dass die Feststellungen der Vorinstanz eine in sich geschlossene Darstellung der für erwiesen erachteten Tatsachen vermissen lassen und daher keine ausreichende Grundlage für die revisionsgerichtliche Überprüfung bieten. Zugleich wies es bzgl. der Strafbarkeit wegen Beleidigung gem. § 185 StGB darauf hin, dass Bewertung einer Äußerung als Beleidigung dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) Rechnung zu tragen sei. Lasse eine Äußerung, wie dies vorliegend der Fall sein könne, nach Wortsinn und bestimmenden Begleitumständen – unmittelbar zuvor wurden auf den heftig kritisierten Polizeieinsatz bei der Großdemonstration im Zusammenhang mit „Stuttgart 21“ bezogene Banner verwendet – mehrere Deutungsmöglichkeiten zu, sei deshalb regelmäßig derjenigen der Vorzug zu geben, welche die Äußerung als von diesem Grundrecht gedeckt erscheinen lasse. Bei der Bewertung der Buchstabenkombination „A.C.A.B.“, die nach allgemeinem Erfahrungswissen die Abkürzung für die englischsprachige Parole „all cops are bastards“ sei, liege es wegen der darin liegenden abwertenden Kennzeichnung einer Person als Bastard allerdings nahe, der Bezeichnung grundsätzlich beleidigenden Charakter im Sinne des § 185 StGB beizumessen. Ebenso liege es nahe, dieses Werturteil auf die bei dem verfahrensgegenständlichen Spiel eingesetzten Polizeibeamten und damit einen umgrenzten, grundsätzlich beleidigungsfähigen Personenkreis zu beziehen. Über diese Revisionsentscheidung haben wir bereits ausführlich berichtet (s. hier).
Das LG Karlsruhe hob in der Folge durch Urteil vom 25.09.2013 den erstinstanzlichen Freispruch auf und verwarnte den Angeklagten unter Vorbehalt der Verurteilung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 30.- EUR (für Referendare: s. § 59 StGB).
Verurteilung rechtskräftig
Durch einen nun vorliegenden Beschluss vom 20.05.2014 hat der 1. Strafsenat des OLG Karlsruhe die Revision des Angeklagten gegen das Berufungsurteil des Landgerichts vom 25.09.2013 verworfen (§ 349 StPO). Damit ist die Verurteilung wegen Beleidigung rechtskräftig.
Der Fall gibt Anlass, sich für das Examen noch einmal mit der Unterscheidung einer Kollektivbeleidigung von einer Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung zu befassen. Der Sachverhalt könnte ohne weiteres als ein Abschnitt einer Klausur im ersten oder zweiten Staatsexamen auftauchen. Aufgrund seiner Aktualität und der anstehenden Fußball-WM bietet er natürlich vor allem auch für die mündliche Prüfung interessanten Stoff.
Kollektivbeleidigung vs. Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung
Eine Kollektivbeleidigung liegt vor, wenn eine Personengesamtheit Opfer der Beleidigung ist. Dies erfordert, dass der betroffene Verband einen einheitlichen Willen bilden kann und eine rechtlich anerkannte Funktion in der Gesellschaft erfüllt (BGHSt 6, 186, 191). Dies ist bei „der Polizei“ gerade nicht der Fall, denn in Deutschland ist die Polizei vornehmlich auf kommunaler Ebene organisiert; „die“ deutsche Polizei ist also eine grundsätzlich nicht beleidigungsfähige unüberschaubare Personenmehrheit. Anders ist dies etwas bei der Bundeswehr (BGHSt 36, 83, 88). Die Polizei ist also nur beleidigungsfähig, wenn eine weitere Eingrenzung stattfindet, wie etwa „die Frankfurter Polizei“ (OLG Frankfurt a.M., NJW 1977, 1353).
Eine Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung ist gegeben, wenn eine Mehrzahl von Einzelpersonen unter einer Sammelbezeichnung beleidigt wird. Opfer ist also nicht die Personengesamtheit selbst, sondern einzelne natürliche Personen. Voraussetzung ist allerdings, dass überhaupt bestimmte Personen unter der Kollektivbezeichnung angesprochen werden, was wiederum erfordert, dass der betroffene Personenkreis überschaubar ist und die ihm zugehörenden Personen individualisierbar sind (vgl. hierzu die berühmte Entscheidung des BVerfG „Soldaten sind Mörder“, BVerfGE 93, 266). Dies wurde im vorliegenden Fall bejaht: Die Polizisten im Fußballstadion stellen einen überschaubaren Personenkreis dar, das beleidigende Plakat richtete sich – so zumindest das LG Karlsruhe – gegen diese Gruppe von natürlichen Personen.
Weitere Hinweise
Abschließend ist auf folgende weitere Fälle zu den §§ 185 ff. StGB hinzuweisen:
- „Homosexueller“ – https://red.ab7.dev/lg-tubingen-bezeichnung-eines-polizeibeamten-als-homosexueller-keine-beleidigung/
- „SS-Methoden“ – https://red.ab7.dev/olg-frankfurt-vorwurf-von-ss-methoden-keine-beleidigung/
Zur Berücksichtigung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) im Strafrecht:
- Staatsverunglimpfung – https://red.ab7.dev/bverfg-entscheidung-zu-meinungsfreiheit-und-staatsverunglimpfung-georg-elser-held-oder-morder/
- Auschwitzlüge / Kneipengespräch über den Holocaust – https://red.ab7.dev/bverfg-zur-strafbarkeit-der-holocaust-luge-kneipengesprach-uber-kriegsschuld-keine-volksverhetzung/
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