LG Lüneburg: Unaufgefordertes Zusenden von Werbung rechtswidrig
Das LG Lüneburg (Urt. v. 30.9.2011 – 4 S 44/11, hier im Volltext) hat eine Entscheidung gefällt, die möglicherweise im Examen laufen könnte, vor allem aber jeden Privathaushalt in Deutschland betrifft. Danach greift ein Unternehmen rechtswidrig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) des Empfängers von Werbesendungen ein, wenn dieser die Werbung nicht zu empfangen wünscht. Dabei ist der Empfänger nach Ansicht der Kammer nicht verpflichtet, einen „Keine Werbung“-Aufkleber an seinem Briefkasten anzubringen. Dem Empfänger stehe – insoweit ist das Urteil examensrelevant – ein Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 BGB analog sowie wegen einer Verletzung des Eigentums bzw. des Besitzes am Briefkasten aus den §§ 903, 862 BGB zu. Die entscheidende Urteilspassage lautet:
Das Zusenden von Postwurfsendungen gegen den ausdrücklichen Willen des Empfängers stellt einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, nämlich dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dar sowie eine Eigentums- oder Besitzstörung.
Zwar ist grundsätzlich Werbung durch Einwurf von Postwurfsendungen in die Briefkästen von Verbrauchern rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dient auch dem Interesse des Verbrauchers, über das Leistungsangebot des werbenden Unternehmens einen Überblick zu erhalten. Daher kann nicht von vornherein angenommen werden, der Verbraucher lehne diese Art der Werbung ab. Gibt aber der Empfänger der Postwurfsendung ausdrücklich zu erkennen, dass er derartiges Werbematerial nicht zu erhalten wünscht, so ist eine solche Willensäußerung grundsätzlich zu beachten. Das folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen gemäß Art. 2 GG. Denn das Interesse des Einzelnen am Schutze seiner Individualsphäre hat grundsätzlich Vorrang vor dem Interesse des Unternehmens an Werbung (vgl. BGHZ 106, 229). Deshalb ist er zur Abwehr eines unerwünschten Eindringens von Werbung in seinen rechtlich geschützten Eigenbereich, das sich über seinen erklärten Willen hinwegsetzt, berechtigt (BGH WRP 1989, 308 ff.). Gerade weil die Werbung von Postwurfsendungen sehr verbreitet ist, stellt sie, wenn sie trotz einer entgegenstehenden Willensäußerung erfolgt, eine erhebliche Belästigung des Betroffenen und eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Der Einzelne hat gerade ein schutzwürdiges Interesse daran, dass sein Briefkasten nicht überfüllt wird, dass er nicht mit der Mühe der Entsorgung belastet wird und vor allem, dass er sich nicht gegen seinen Willen mit der Werbung geistig auseinander setzen muss (Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Auflage, § 7, Rn. 111). Dies gilt bereits schon dann, wenn sich der Betroffene gegen vereinzelte unerwünschte Werbung wendet, es brauchen also nicht zwingend Werbemüllberge angehäuft worden zu sein (BGHZ 106, 229, 233).
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die entscheidende Passage ist für mich eher im letzten Absatz zu finden. „Im Hinblick auf die erhebliche Anzahl von Werbeverweigerern wird dies gegebenenfalls dazu führen, dass die bisher bekannte Form der Postwurfsendungen nicht mehr möglich sein wird.“
Für die Praxis ist das sicherlich die entscheidende Aussage, für die rechtliche Würdigung des Gerichts ist sie aber unerheblich, denn diese Folgerung steht ja erst am Ende der Entscheidung und damit auch am Ende des Abwägungsprozesses. Richtig ist allerdings, dass Art. 12 GG der Unternehmen in die Abwägung einfließen muss.