Examensrelevante Änderungen des Reiserechts
Zum 01.07.2018 ist das Reiserecht grundlegend reformiert worden. Damit kommt die Bundesrepublik Deutschland der Umsetzungspflicht der Pauschalreiserichtlinie (EU) 2015/2302 nach. Die durch Art. 4 der besagten Richtlinie angestrebte Vollharmonisierung führt dazu, dass den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der Richtlinie nur wenig Raum für nationale Abweichungen bleibt, was an mancher Stelle zu einer Absenkung des Schutzniveaus führt, indes aber auch einige Verbesserungen für Reisende mit sich bringt (dazu Führich, NJW 2017, 2945). Umgehungsmöglichkeiten bieten sich insbesondere durch die alleinige Buchung von Einzelreiseleistungen. Die mit der Umgestaltung des Reiserechts verbundenen Änderungen sowie die dadurch deutlich gestiegene Examensrelevanz dieses Gebiets nimmt der nachfolgende Beitrag zum Anlass, die wesentlichen Grundsätze des neuen Pauschalreiserechts überblicksartig zusammenzufassen.
- § 651a I BGB regelt die Hauptleistungspflichten des Vertrages. Hier ändert sich außer der Begrifflichkeit „Pauschalreisevertrag“ wenig, ein Reiseveranstalter (Unternehmer) muss dem Reisenden eine Pauschalreise verschaffen, der Reisende dafür den vereinbarten Reisepreis zahlen.
- § 651a II 1 BGB definiert eine Pauschalreise als Gesamtheit von mindestens zwei Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise. Neu ist indes, dass eine Pauschalreise gemäß § 651a II 2 BGB auch dann vorliegt, wenn die Reiseleistungen auf Wunsch des Reisenden oder seiner Auswahl entsprechend zusammengestellt wurden. Dies ist letztlich eine Reaktion darauf, dass immer mehr Reisen über das Internet gebucht werden, wo zumeist eine Auswahl zwischen verschiedenen Reiseleistungen besteht.
- § 651a III 1 BGB erweitert die klassische Vorstellung von einer Reiseleistung. Eine solche kann in der Beförderung von Personen, der Beherbergung, der Vermietung von Kfz und – als Auffangklausel – sonstigen touristischen Leistungen liegen.
- Eine Reiseleistung liegt allerdings dann nicht vor, wenn es um Tagesreisen geht oder aber solche gelegentlich und nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung für einen nur begrenzten Personenkreis angeboten werden, § 651a V BGB. Für Klausuren eher weniger relevante, weitere Ausschlussgründe enthält § 651a IV BGB.
- Besonders examensrelevant: Bislang ging die höchstrichterliche Rechtsprechung hinsichtlich der Anwendbarkeit des Reiserechts davon aus, dass dieses entsprechend auf eine Hotelbuchung anzuwenden sei, soweit der Veranstalter die Leistung in eigener Verantwortung und mit gleichen oder ähnlichen Organisationspflichten wie bei einer Reise erbringt, zu der eine weitere Reiseleistung gehört (BGH, Urt. v. 20.05.2014 – X ZR 134/13, NJW 2014, 2955). Gleiches galt für die Buchung von Ferienwohnungen oder Ferienhäusern – auch hier wurde selbst dann, wenn allein die Verpflichtung zur Bereitstellung der vorgenannten Unterkunft übernommen wurde, eine entsprechende Anwendung befürwortet (BGH, Urt. v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308). Zur Beibehaltung dieser Rechtsprechung bietet die Richtlinie Raum, der nationale Gesetzgeber hat diesen indes nicht genutzt, sodass mangels vorliegender planwidriger Regelungslücke die Voraussetzungen einer Analogie nicht mehr vorliegen und Hotel- wie Ferienwohnungsbuchungen nunmehr allein nach dem schwächeren (da durch AGB gestaltbaren) Schutzstandard des Beherbergungsrechts zu beurteilen sind (instruktiv Führich, NJW 2017, 2495, 2496).
- § 651b BGB grenzt die Vorschriften des Reiserechts von der Reisevermittlung ab. Hier wurden – wohl auf Druck der Touristikbranche – verschiedene Fallkonstellationen geregelt. Relevant dürften insbesondere Beratungsgespräche sein, in denen nach § 651b I 4 BGB noch nicht vom Beginn des Buchungsvorgangs ausgegangen werden kann.
- Besonders examensrelevant: § 651c BGB regelt neuerdings das sog. verbundene Online-Buchungsverfahren („Click-Through-Verfahren“). Demnach sind nunmehr nicht nur klassische Buchungsvorgänge (etwa per Prospekt) erfasst, sondern auch Online-Buchungen. Mithin ist ein Unternehmer auch dann als Reiseveranstalter zu qualifizieren, wenn er mit dem Reisenden einen Vertrag über die Buchung einer Einzelleistung schließt und anschließend durch einen Link binnen 24 Stunden eine weitere Reiseleistung eines anderen Unternehmens mittels Übertragung der persönlichen Daten des Reisenden vermittelt. Um es plastisch zu machen: Bietet das Flug-Vergleichsportal A nach der Flugbuchung einen Link zu einem Partnerunternehmen an, etwa der Autovermietung B oder dem Hotel C, so ist das Flug-Vergleichsportal als Reiseveranstalter anzusehen.
- § 651d BGB regelt Informationspflichten des Reiseveranstalters. Diese sind für die Praxis von enormer, für das Examen von eher geringer Relevanz.
- Besonders examensrelevant: 651e BGB normiert wie bereits § 651e BGB a.F. das Recht auf Vertragsübertragung. Der Reisende kann also seinen Reisevertrag auf einen Dritten übertragen. Dabei darf der Reiseveranstalter nur angemessene und tatsächlich entstandene Mehrkosten verlangen, § 651e III 2 BGB. Interessant ist allerdings, dass im Falle der Vertragsübertragung Reisender und Dritter dem Reiseveranstalter als Gesamtschuldner haften, § 651e III 1 BGB. Hier ließe sich durch den Klausurersteller per Aufnahme einer Haftungsfreizeichnung des Reisenden gegenüber dem Dritten eine gestörte Gesamtschuld konstruieren, was das Reiserecht für Prüfungen noch interessanter werden lässt.
- § 651f BGB und § 651g BGB regeln Preis- und Leistungsänderungen. Da die Normen umfassend formuliert sind, ist hier allein eine saubere Subsumtion des Sachverhalts unter den Gesetzestext gefragt. Aufmerksamkeit sollte jedoch auf jeden Fall der Regelung des § 651f I 1 BGB geschenkt werden, der eine einseitige Preiserhöhung durch den Reiseveranstalter auf 8 % des Reisepreises deckelt.
- § 651h I BGB betrifft den Rücktritt des Reisenden vor Reisebeginn (Stornierung), der voraussetzungslos möglich ist, aber einen Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters auslöst. Spiegelbildlich normiert § 651h IV Rücktrittsmöglichkeiten des Reiseveranstalters vor Reisebeginn. Auffällig ist, dass das beidseitige Kündigungsrecht wegen höherer Gewalt, das § 651j BGB a.F. noch vorsah, nicht mehr besteht.
- Besonders examensrelevant: § 651i BGB beschreibt die Rechte des Reisenden bei Reisemängeln. Das Gewährleistungsrecht ist den aus dem Kauf- und Werkrecht bekannten Systemen angenähert. Dennoch ändert sich im Vergleich zum bislang bekannten Reiserecht nur wenig. Der Mangelbegriff ist subjektiv, vorrangig ist also auf die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit, subsidiär auf die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder die gewöhnliche Beschaffenheit abzustellen. Interessant ist, dass eine verspätete Erbringung von Reiseleistungen durch den Reiseveranstalter ebenso einen Reisemangel auslöst. Die bei Vorliegen eines Pauschalreisemangels bestehenden Gewährleistungsrechte listet § 651i III BGB für den Rechtsanwender dankenswerterweise auf. So „kann der Reisende, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nichts anderes bestimmt ist,1. nach § 651k Absatz 1 BGB Abhilfe verlangen,
2. nach § 651k Absatz 2 BGB selbst Abhilfe schaffen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen,
3. nach § 651k Absatz 3 BGB Abhilfe durch andere Reiseleistungen (Ersatzleistungen) verlangen,
4. nach § 651k Absatz 4 und 5 BGB Kostentragung für eine notwendige Beherbergung verlangen,
5. den Vertrag nach § 651l BGB kündigen
6. die sich aus einer Minderung des Reisepreises (§ 651m BGB) ergebenden Rechte geltend machen und
7. nach § 651n BGB Schadensersatz oder nach § 284 BGB Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.“
- Besonders examensrelevant: Das Verhältnis des Reiserechts zum allgemeinen Leistungsrecht ändert sich nicht; auch weiterhin ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen (sog. Einheitslösung BGH, Urt. v. 20.03.1986 – VII ZR 187/85, NJW 1986, 1748: „Alle nach Vertragsschluß auftretenden, nicht allein in der Person des Reisenden liegenden Umstände, die die gesamte Reise oder Einzelleistungen wie Beförderung, Unterbringung, Verpflegung und sonstige Betreuung ganz oder teilweise unmöglich machen, verhindern oder mindern den nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen der Reise und werden daher von § 651c BGB erfaßt […]. Nach Abschluß des Reisevertrags haftet nämlich der Reiseveranstalter für den Erfolg und trägt grundsätzlich die Gefahr des Nichtgelingens […].“; zitiert nach BT-Drucks. 18/10822, S. 77). Zudem verzichtet auch das neue Reiserecht auf ein Verschuldenserfordernis des Reiseveranstalters für den Reisemangel.
- Besonders examensrelevant: Gemäß § 651j BGB verjähren die oben aufgezählten Ansprüche des Reisenden zwei Jahre nach dem im Vertrag vorgesehenen Ende der Reise. Wichtig: Die bisherige einmonatige Ausschlussfrist nach § 651g I BGB a.F. zur Geltendmachung von reiserechtlichen Ansprüchen entfällt (dank der Richtlinie, die hierfür keinen Raum lässt), ebenso die formularvertragliche Möglichkeit zur Verkürzung der Verjährung auf ein Jahr. Aber: Auch nach künftiger Rechtslage muss der Reisende im Sinne des § 651o I BGB einen entdeckten Reisemangel unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, anzeigen (sog. Mängelanzeige).
- In Bezug auf die vorbezeichneten Mängelrechte des § 651i III BGB ergeben sich keine wesentlichen Änderungen im Vergleich zur alten Rechtslage. Hinzuweisen ist allein auf den nun in § 651n BGB enthaltenen Schadensersatzanspruch, der ebenso wie vormals § 651f I, II BGB a.F. auch weiterhin nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Schäden (für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit) erfasst. Entlasten kann sich der Reiseveranstalter nur, wenn einer der drei abschließend aufgezählten Gründe des § 651n I BGB vorliegt. Das ist der Fall, wenn der Reisemangel(Nr. 1) vom Reisenden verschuldet wurde,
(Nr. 2) von einem Dritten verschuldet, der weder Leistungserbringer ist noch in anderer Weise an der Erbringung der von dem Pauschalreisevertrag umfassten Reiseleistungen beteiligt ist, für den Reiseveranstalter nicht vorhersehbar oder nicht vermeidbar war oder
(Nr. 3) durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht wurde. - § 651t BGB schützt den Reisenden vor unberechtigten Vorauszahlungen vor Reiseantritt und verpflichtet den Reiseveranstalter zur Schaffung von Sicherheiten für die geleistete Zahlung.
- § 651w BGB vermittelt ein unter dem Level von Pauschalreisen angesetztes Schutzniveau für die Vermittlung verbundener Reiseleistungen.
- § 651x BGB regelt eine neue Anspruchsgrundlage auf Schadensersatz für Buchungsfehler.
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