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Schlagwortarchiv für: Reform

Alexandra Ritter

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 3: Der Lieferantenregress

Aktuelles, Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Kaufrecht, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderung im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem dritten Teil der Reihe steht der Regressanspruch des Verkäufers gegen seinen Lieferanten im Fokus.
 
I.       Vorbemerkungen
Auch im Lieferantenregress des BGB hat die Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/711 Änderungen bewirkt: Die Meisten sind redaktioneller Natur, um bspw. die Änderungen von § 439 BGB aufzunehmen. Dennoch werfen sie klärungsbedürftige Rechtsfragen auf. Der Prüfungsaufbau jedoch bleibt unverändert.
Die Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/711 enthält in ihrem Art. 18 die Vorgaben für die Umsetzung des Regresses des Verkäufers auf den Lieferanten. Dort steht:

„Haftet der Verkäufer dem Verbraucher aufgrund einer Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens einer Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette, einschließlich des Unterlassens, Aktualisierungen für Waren mit digitalen Elementen gemäß Artikel 7 Absatz 3 zur Verfügung zu stellen, ist der Verkäufer berechtigt, bei den oder dem innerhalb der Vertragskette Haftenden Rückgriff zu nehmen. Bei welcher Person der Verkäufer Rückgriff nehmen kann, sowie die diesbezüglichen Maßnahmen und Bedingungen für die Geltendmachung der Rückgriffsansprüche bestimmt das nationale Recht.“

Die unionsrechtlichen Vorgaben haben erkennbar einen geringen Umfang und gem. Art. 18 S. 2 RL (EU) 2019/711 werden einige Regelungsaspekte den Mitgliedstaaten überlassen.
Der Lieferantenregress im Kaufrecht wird weiterhin in den §§ 445a, 445b und 478 BGB geregelt.
 
II.    § 445a Abs. 1 BGB
In § 445a BGB beschränken sich die Änderungen auf den ersten Absatz; Die Absätze 2 und 3  bleiben unverändert.
 
1.      Erweiterung der Bezugnahme auf § 439 BGB
Zunächst wird die Bezugnahme von § 445a Abs. 1 BGB auf § 439 BGB erweitert, sodass auch die Rücknahmekosten des Verkäufers gem. § 439 Abs. 6 S. 2 BGB (zu dieser Änderung s. den zweiten Beitrag dieser Reihe) in den Anwendungsbereich des Regressanspruchs fallen.
 
2.      Regressmöglichkeit für Aufwendungen des Verkäufers wegen § 475b Abs. 4 BGB
§ 445a aE BGB gibt dem Verkäufer nunmehr die Möglichkeit Regress beim Lieferanten zu nehmen für Aufwendungen, die ihm im Verhältnis zum Käufer wegen eines Mangels, der auf der Verletzung einer objektiven Aktualisierungspflicht gem. § 475b Abs. 4 BGB beruht, entstehen.
Diese Ergänzung am Ende von § 445a Abs. 1 BGB kann problematisch gesehen werden: Der Regressanspruch des Verkäufers gegen den Lieferanten beruht auf dem Gedanken, dass der Grund für die Inanspruchnahme des Verkäufers durch den Käufer ein Mangel ist, der aus der Sphäre des Lieferanten stammt (Looschelders, Schuldrecht BT, 15. Aufl. 2020, § 9 Rn. 1). Dies geht auch daraus hervor, dass gem. § 445a Abs. 1 BGB der Mangel bereits beim Übergang der Gefahr vom Lieferanten auf den Letztverkäufer vorgelegen haben muss. Der Lieferant haftet also über den Regressanspruch, weil er eine Pflicht, die er bereits gegenüber dem Verkäufer hatte, verletzt hat.
Eine Aktualisierungspflicht gem. § 475b Abs. 4 BGB hat der Lieferant gegenüber dem Verkäufer jedoch nicht (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2067). In den Gesetzesmaterialien heißt es hierzu:

„Da in der Regel nicht der Verkäufer, sondern der Hersteller technisch und rechtlich in der Lage ist, die erforderlichen Aktualisierungen anzubieten, ist eine Aktualisierungsverpflichtung nur dann tatsächlich effektiv, wenn die Pflicht, Aktualisierungen bereitzustellen, durch die Lieferkette bis zum Hersteller weitergereicht wird.“ (BT-Drucks. 19/27424, S. 27)

Man geht also davon aus, dass der Verkäufer die Aktualisierung nicht anbieten kann. Dann allerdings stellt sich ein Folgeproblem: § 445a Abs. 1 BGB i.V.m. § 475b Abs. 4 BGB verpflichtet den Lieferanten nicht unmittelbar zur Vornahme der Aktualisierung, sondern zum Ersatz der Aufwendungen, die der Verkäufer im Rahmen der Nacherfüllung zu tragen hat. Solche Aufwendungen können einem Verkäufer, der die Aktualisierung nicht anbieten kann, jedoch gar nicht erst entstehen. Das vom umsetzenden Gesetzgeber angestrebte Ergebnis, eine Aktualisierungsverpflichtung herbeizuführen, kann mit § 445a Abs. 1 aE BGB nicht erreicht werden (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2068). Insbesondere bei einer längeren Lieferantenkette, müsste eine solche Pflicht über § 445a Abs. 3 BGB, also vermittelt über die gesamte Lieferkette bis zum Hersteller, hergestellt werden.
Der Lösungsvorschlag von Lorenz (NJW 2021, 2065, 2068) begegnet dem Problem mit einer teleologische Reduktion des § 445a Abs. 1 aE BGB, Der Regress des Verkäufers gegen den Lieferanten ist dann zu untersagen, „wenn das unterlassene Zurverfügungstellen von Aktualisierungen beim Verbraucher allein aus der Sphäre des Verkäufers selbst herrührt und nicht auf den Lieferanten oder einen Dritten zurückzuführen ist.“ (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2068). Diese Lösung steht in Einklang mit dem Wortlaut von Art. 18 S. 1 RL (EU) 2019/771. Denn nach Art. 18 S. 1 RL (EU) 2019/771 soll ein Regressanspruch bestehen, wenn ein voriges Glied der Vertragskette es unterlassen hat, „Aktualisierungen für Waren mit digitalen Elementen gemäß Artikel 7 Absatz 3 zur Verfügung zu stellen“, das heißt, es darf nicht allein der Verkäufer selbst für die unterlassene Aktualisierung verantwortlich sein.
 
III. § 445b BGB
§ 445b BGB regelt weiterhin Besonderheiten der Verjährung von Ansprüchen des Verkäufers gegen den Lieferanten nach § 445a BGB. § 445b Abs. 1 BGB wurde nicht geändert. In § 445b Abs. 2 BGB dagegen wurde Satz 2 aF gestrichen. Das bedeutet die Ablaufhemmung für die Ansprüche des Verkäufers gegen den Lieferanten aus gem. § 445a Abs. 1 BGB und gem. § 437 BGB ist nicht mehr auf fünf Jahre begrenzt.
Diese Änderung ist durch die Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 nicht vorgegeben. Hintergrund ist die soeben erläuterte Vorstellung des Gesetzgebers, dass über § 445a Abs. 1 aE BGB eine Verpflichtung des (Hersteller-)Lieferanten zur Aktualisierung bestehe und solche Aktualisierung über eine Dauer von mehr als fünf Jahren notwendig sein können (vgl. BT-Drucks. 19/27424, S. 28).
 
IV. § 478 BGB
Zuletzt sind die Änderungen von § 478 BGB zu betrachten. § 478 BGB modifiziert die Regelungen der §§ 445a und 445b BGB für den Fall, dass der letzte Verkauf in der Kette ein Verbrauchsgüterkauf i.S.v. § 474 Abs. 1 S. 1 BGB ist. Während § 478 Abs. 1 und Abs. 3 BGB unverändert sind, wurde in Absatz 2 ein Verweis auf die §§ 475b und 475c BGB eingefügt.
478 Abs. 2 BGB regelt die Haftungsbeschränkung des Lieferanten, bzw. deren Unwirksamkeit. Der Lieferant kann sich nicht auf eine Vereinbarung berufen, die vor Mitteilung des Mangels getroffen wurde und zum Nachteil des Unternehmers (Verkäufers) von §§ 478 Abs. 1, 433 bis 435, 437, 439 bis 443, 445a Absatz 1 und 2 sowie den §§ 445b, 475b und 475c BGB abweicht, wenn dem Rückgriffsgläubiger kein gleichwertiger Ausgleich eingeräumt wird. Neu ist die Aufnahme der §§ 475b und 475c BGB. Jedoch kommen diese Normen bei dem Regress des Unternehmers gegen den Lieferanten nicht zur Anwendung (Lorenz, NJW 2021, 2065, 2068). Fraglich ist insoweit, wie zum Nachteil des Unternehmerverkäufers von den §§ 475b und 475c BGB abgewichen werden soll, wenn dem Unternehmerverkäufer die entsprechenden Rechte gar nicht zustehen. In den Gesetzesmaterialien beschränkt man sich auf den Hinweis, dass es sich um „Folgeänderungen“ handele, mit denen „der Einfügung der §§ 475b und 475c BGB-E Rechnung getragen“ werde (BT-Drucks. 2019/27424, S. 44). Die Ergänzung um §§ 475b und 475c BGB ist auch nicht für einen effektiven Verbraucherschutz notwendig, da seine Rechte aus §§ 475b und 475c BGB schon durch § 476 Abs. 1 S. 2 BGB geschützt sind.
 
V.    Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es wie auch bezüglich der Nacherfüllung gem. § 439 BGB keine grundlegenden Änderungen im Lieferantenregress durch die Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (RL) 2019/771 gibt.
Problematisch ist aber die Ergänzung von § 445a Abs. 1 aE BGB um den pauschalen Verweis auf § 475b Abs. 4 BGB. Hier gilt es zu beobachten, wie Rechtsprechung und weitere Stimmen der Literatur dazu Stellung beziehen werden und welche Auswirkungen der Verweis in der Praxis haben wird.
Zudem ist der Verweis in § 478 Abs. 2 BGB auf die §§ 475b und 475c BGB kritisch zu hinterfragen. Für Studierende in der Klausursituation gilt es hier – wie immer in Konstellationen mit mehreren Beteiligten –, die einzelnen Vertrags- und Leistungsbeziehungen klar zu ordnen. Auch wenn es banal erscheinen mag, sollte eine Fallskizze mit den einzelnen Beziehungen der Beteiligten angefertigt und bei der Anfertigung der Lösung im Auge behalten werden.

18.01.2022/1 Kommentar/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2022-01-18 09:00:522022-01-18 09:00:52Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 3: Der Lieferantenregress
Dr. Lena Bleckmann

Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 1: Der Sachmangelbegriff des § 434 BGB

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Jurastudenten und auch Praktiker werden die Nachricht mit gemischten Gefühlen entgegengenommen haben – mit dem Beginn des Jahres 2022 stehen größere Änderung im allseits prüfungs- und praxisrelevanten Kaufrecht an. Juraexamen.info gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die aufgrund der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 im Kaufrecht der §§ 433 ff. BGB erfolgen. Hierzu veröffentlichen wir eine Reihe von Beiträgen – in diesem ersten Teil der Reihe steht neben allgemeinen Informationen zur Richtlinie der neue Sachmangelbegriff im Fokus.
I. Warum eine Kaufrechtsreform?
Doch zunächst einige Hintergrundinformationen zum Grund für die doch recht umfangreichen Änderungen im BGB. Man mag sich fragen, was den deutschen Gesetzgeber dazu veranlasst hat, grundlegende Fragen das Kaufrechts neu zu regeln. Wie so oft steckt hierhinter eine Umsetzungsverpflichtung aus dem Europarecht (Art. 288 Abs. 3 AEUV).
Die Richtlinie (EU) 2019/771 hat es sich ausweislich ihres Art. 1 zum Ziel gesetzt, „zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen und gleichzeitig für ein hohes Verbraucherschutzniveau zu sorgen, indem gemeinsame Vorschriften über bestimmte Anforderungen an Kaufverträge zwischen Verkäufern und Verbrauchern festgelegt werden, insbesondere Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit der Waren, die Abhilfen im Falle einer Vertragswidrigkeit, die Modalitäten für die Inanspruchnahme dieser Abhilfen sowie über gewerbliche Garantien.“
Die Mitgliedsstaaten wurden zur Umsetzung der Richtlinie bis zum 1. Juli 2021 verpflichtet, ab dem 1. Januar 2022 sollen die neuen Regelungen gelten (Art. 26 Richtlinie (EU) 2019/771). Der deutsche Gesetzgeber hat die Umsetzungsfrist mit dem Erlass des Gesetzes zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags v. 25. Juni 2021 (BGBl. 2021, I, S. 2133) haarscharf eingehalten. Viel Spielraum bei der Umsetzung der Richtlinie blieb ihm nicht – anders als noch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die im Zuge der Schuldrechtsreform 2002 umgesetzt wurde, ist die aktuelle Warenkaufrichtlinie vollharmonisierend. Dies geht aus Art. 4 der Richtlinie hervor: „Sofern in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist, dürfen die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht keine von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichenden Vorschriften aufrechterhalten oder einführen; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Vorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus.“ Die Mitgliedsstaaten dürfen das von der Richtlinie vorgegebene Schutzniveau mithin nicht nur nicht unter- sondern ebenso nicht überschreiten – die Vorgaben sollen im gesamten europäischen Binnenmarkt gleichermaßen gelten.
Die zentralen Begrifflichkeiten werden in Art. 2 der Richtlinie (EU) 2019/771 definiert, ihr Anwendungsbereich ist mit Kaufverträgen zwischen einem Verbraucher und einem Verkäufer (Art. 3 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/771) grundsätzlich weit gefasst, wobei die Einschränkungen der Abs. 3-7 zu berücksichtigen sind.
II. Anforderungen der Richtlinie (EU) 2019/771 an die Vertragsmäßigkeit von Waren
Nun zum Sachmangel. Ein Sachmangel liegt nach allgemeinem Verständnis vor, wenn die Ist-Beschaffenheit der Kaufsache von der Soll-Beschaffenheit abweicht. Ganz maßgeblich ist daher, welche Anforderungen an die Soll-Beschaffenheit der Kaufsache zu stellen sind bzw. wie diese zu bestimmen ist. Hierzu machen die Art. 5 ff. der Richtlinie (EU) 2019/771 nähere Vorgaben. Nach Art. 5 Richtlinie (EU) 2019/771 liefert der Verkäufer dem Verbraucher Waren, die – soweit anwendbar – die Voraussetzungen der Art. 6, 7 und 8 der Richtlinie erfüllen. Ausweislich der Überschrift des Artikels ist dies als Definition dessen zu verstehen, was die Vertragsgemäßheit von Waren voraussetzt. Art. 6 Richtlinie (EU) 2019/771 bezieht sich auf subjektive Anforderungen an die Vertragsgemäßheit von Waren, Art. 7 Richtlinie (EU) 2019/771 demgegenüber auf objektive Anforderungen, sowie schließlich Art. 8 Richtlinie (EU) 2019/771 auf die Vertragswidrigkeit der Waren aufgrund unsachgemäßer Montage oder Installation. Da Art. 5 Richtlinie (EU) 2019/771 die Voraussetzungen der Art. 6, 7 und 8 kumulativ als Anforderungen nennt, ist eine Ware nur dann als vertragsgemäß anzusehen, wenn die Vorgaben aller drei Artikel erfüllt sind, soweit nicht Ausnahmen greifen.
III. Die Umsetzung im deutschen Recht
So hat auch der deutsche Gesetzgeber die Anforderungen der Richtlinie verstanden. Aus diesem Grund nennt § 434 Abs. 1 BGB in der ab dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung drei kumulative Voraussetzungen für die Freiheit der Kaufsache von Sachmängeln: „Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht.“
Zu betonen ist auch hier wieder das Wörtchen „und“ – dass die genannten Anforderungen alternativ erfüllt sind, genügt für die Sachmangelfreiheit nicht, sie müssen vielmehr kumulativ vorliegen. Wohlgemerkt gilt dieser neue Mangelbegriff nicht nur für Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern, sondern für das Kaufrecht im Allgemeinen. In den Absätzen 2, 3 und 4 des § 434 BGB n.F. präzisiert das Gesetz, wann eine Sache den subjektiven, objektiven sowie Montageanforderungen entspricht. Hierauf wird näher einzugehen sein.
Zunächst jedoch ein Vergleich mit dem (noch) geltenden Recht. Bislang geht der strukturiert arbeitende Klausurkandidat auf der Suche nach einem Sachmangel in mehreren Schritten vor: Ausgehend vom subjektiven Fehlerbegriff prüft er, ob eine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt. Ist das der Fall, ist allein diese ausschlaggebend. Die Anforderungen an das Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung sind jedoch nicht zu niedrig anzusetzen: Erforderlich ist mindestens eine konkludente Einigung, wobei nicht bereits die übliche Beschaffenheit als konkludent vereinbart gilt (BeckOK BGB/Faust, § 434 Rn. 41). Die übliche Beschaffenheit als objektives Kriterium ist vielmehr erst später in der Prüfung unter § 434 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB zu berücksichtigen. Vorher noch ist bei Fehlen einer Beschaffenheitsvereinbarung zu fragen, ob sich die Kaufsache gem. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Man arbeitete sich mithin vom subjektiven Fehlerbegriff, von der spezifischen Parteivereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB, über die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung erst hin zu objektiven Anhaltspunkten nach § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB. Weiterhin konnte sich die Mangelhaftigkeit aus abweichenden Werbeangaben (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB), aus Montagefehlern (§ 434 Abs. 2 BGB) oder aber aus Aliud- oder Mankolieferungen (§ 434 Abs. 3 BGB) ergeben.
Ist all das bislang Gelernte nun hinfällig, wenn subjektive und objektive sowie Montageanforderungen kumulativ erfüllt sein müssen? Ganz so ist es wohl nicht.
1. Zu den subjektiven Anforderungen
Zum einen findet sich auch im neuen § 434 BGB viel Bekanntes wieder. So entspricht eine Sache nach § 434 Abs. 2 S. 1 BGB n.F. den subjektiven Anforderungen, wenn sie (1) die vereinbarte Beschaffenheit hat, (2) sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und (3) mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen, übergeben wird – vieles ist insoweit bereits aus dem bisherigen § 434 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 sowie Abs. 2 S. 2 BGB geläufig.
Über die vorausgesetzte Verwendung müssen sich die Parteien einigen – Art. 6 lit. b Richtlinie (EU) 2019/771 setzt insoweit die Zustimmung des Verkäufers voraus, die Vollharmonisierung verbietet hier jedenfalls im Anwendungsbereich der Richtlinie eine zugunsten des Verbrauchers günstigere Interpretation, die eine übereinstimmend unterstellte Verwendung genügen lässt (vgl. Wilke, VuR 2021, 283).
Ob die fehlende Montageanleitung bislang unter § 434 Abs. 2 S. 2 BGB fiel, war umstritten (hierfür BeckOK BGB/Faust, § 434 Rn. 102 m.W.N.; für die Anwendung des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Palandt/Weidenkaff, § 434 Rn. 48), in der neuen Fassung der Norm ist die Zuordnung nunmehr eindeutig. Damit das Fehlen von Zubehör und Montageanleitung einen Sachmangel im subjektiven Sinne darstellen kann, ist erforderlich, dass ihr Vorhandensein vereinbart wurde – insoweit ergibt sich keine Änderung in der Rechtslage, auch nach dem bisherigen § 434 BGB hätte ein solches Fehlen vereinbarter Lieferbestandteile einen Sachmangel begründet (Lorenz, NJW 2021, 2065 (2066)).
§ 434 Abs. 2 S. 2 n.F. präzisiert weiter, dass zu der Beschaffenheit nach S. 1 Nr. 1 auch die Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale der Sache, für die die Parteien Anforderungen vereinbart haben, gehört. Die Begriffe der Funktionalität, Kompatibilität und Interoperabilität sind in Art. 2 Nr. 8, 9 und 10 Richtlinie (EU) 2019/771 definiert.
Dass die Art der Sache Merkmal der Beschaffenheit ist, könnte ein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachmangels bei Aliud-Lieferungen sein. Andererseits regelt § 434 Abs. 5 BGB n.F. ausdrücklich, dass die Lieferung einer anderen Sache als die vertraglich geschuldete einem Sachmangel gleichsteht. Anwendungsfälle, in denen die Art der Sache nicht der Vereinbarung entspricht, zugleich aber nicht bereits ein Aliud geliefert wird, sind jedenfalls auf den ersten Blick nicht ersichtlich (ähnlich Wilke, VuR 2021, 283 (285)). Die Rechtsprechung wird hier zeigen müssen, ob sich die Regelungsbereiche des § 434 Abs. 5 n.F. und § 434 Abs. 2 S. 2 Var. 1 BGB n.F. tatsächlich vollständig decken. Sollte dem so sein, wäre § 434 Abs. 5 n.F. überflüssig – dass das Aliud als Sachmangel gilt, ist dann unerheblich, wenn die Abweichung in der Art der Sache bereits ein Sachmangel ist.
Die Aufnahme des Merkmals der Menge in § 434 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BGB n.F. könnte bislang bestehende Fragen hinsichtlich der Zuviel-Lieferung klären – oder aber weitere aufwerfen. Während § 434 Abs. 3 BGB in der aktuellen Fassung dem Wortlaut nach nur die zu geringe Menge umfasst, ist § 434 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB n.F. insoweit offener formuliert. Da das Äquivalenzinteresse durch eine Zuviellieferung allerdings nicht beeinträchtigt wird, kann durchaus bezweifelt werden, ob eine solche trotz der nun möglichen Subsumtion unter den Wortlaut erfasst sein soll (Wilke, VuR 2021, 283 (285)). Gegen eine Einbeziehung auch der Zuviellieferung spricht auch die Gesetzesbegründung zu § 434 Abs. 5 BGB n.F.: Der deutsche Gesetzgeber bezieht sich hier ausdrücklich nur auf zu geringe Liefermengen (BT-Drucks. 19/27424, S. 25). Ob dies dem Verständnis des europäischen Richtliniengebers entspricht, ist damit natürlich nicht gesagt.
Die Aufzählung der Beschaffenheitsmerkmale ist nicht abschließend, wie der Zusatz „oder sonstige Merkmale“ zeigt. Die Parteien können also weitere Merkmale als Bestandteile der Beschaffenheit vereinbaren.
2. Zu den objektiven Anforderungen
Die objektiven Anforderungen an die Kaufsache stellt § 434 Abs. 3 n.F. auf. Hierzu gehört, dass die Kaufsache (1) sich für die gewöhnliche Verwendung eignet, (2) eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann unter Berücksichtigung a) der Art der Sache und b) der öffentlichen Äußerungen, die von dem
Verkäufer oder einem anderen Glied der Vertragskette oder in deren Auftrag, insbesondere in der Werbung oder auf dem Etikett, abgegeben wurden, sowie (3) der Beschaffenheit einer Probe oder eines Musters entspricht, die oder das der Verkäufer dem Käufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat, und (4) mit dem Zubehör einschließlich der Verpackung, der Montage- oder Installationsanleitung sowie anderen Anleitungen übergeben wird, deren Erhalt der Käufer erwarten kann.
Die erstgenannten Punkte sind weitgehend aus § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB a.F. bekannt. Dass die Sache einer zur Verfügung gestellten Probe oder einem Muster entsprechen muss, ist als ausdrückliche Regelung neu, inhaltlich dürfte dies indes kaum eine Erweiterung des Mangelbegriffs bedeuten. Bislang ging man insoweit von einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung aus (Wilke, VuR 2021, 283 (284)). Ebenfalls nicht neu ist, dass das Fehlen zu erwartenden Zubehörs oder zu erwartender Verpackung oder Montage- oder Installationsanleitungen oder anderen Anleitungen zu einem Mangel führt (bislang über § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, vgl. Wilke, VuR 2021, 283 (284), zu vereinbarten Bestandteilen der Lieferung siehe bereits oben 1.).
In S. 2 werden wiederum, wie schon für die subjektiven Anforderungen, Merkmale aufgeführt, die zur Beschaffenheit – diesmal der üblichen Beschaffenheit – gehören. Überwiegend kann hier auf die Ausführungen unter 1. verwiesen werden. Zu den objektiven Merkmalen der Beschaffenheit zählt allerdings insbesondere auch die Haltbarkeit der Sache. „Haltbarkeit“ ist dabei die Fähigkeit der Sache, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung zu behalten, Art. 2 Nr. 13 Richtlinie (EU) 2019/771. In Erwgr. 32 der Richtlinie (EU) 2019/771 heißt es hierzu:

„Damit Waren vertragsgemäß sind, sollten sie eine Haltbarkeit haben, die für Waren derselben Art üblich ist und die der Verbraucher in Anbetracht der Art der spezifischen Waren, einschließlich der möglichen Notwendigkeit einer vernünftigen Wartung der Waren, wie etwa der regelmäßigen Inspektion oder des Austausches von Filtern in einem Auto, und unter Berücksichtigung öffentlicher Erklärungen, die von dem Verkäufer oder im Auftrag des Verkäufers oder einer anderen Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette abgegeben wurden, vernünftigerweise erwarten kann. Bei der Beurteilung sollten auch alle anderen maßgeblichen Umstände berücksichtigt werden, wie beispielsweise der Preis der Ware und die Intensität oder Häufigkeit der Verwendung seitens des Verbrauchers“

Mithin geht es insbesondere darum, welche berechtigten Erwartungen der Käufer an die Haltbarkeit einer Sache haben darf, wobei Preis sowie übliche Nutzung der Sache zu berücksichtigen sind. Hingegen begründet § 434 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. keine Haltbarkeitsgarantie, wie die Gesetzesbegründung ausdrücklich klarstellt:

„Daraus folgt, dass der Verkäufer dafür einzustehen hat, dass die Sache zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs die Fähigkeit hat, ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung zu behalten. § 434 Absatz 3 BGB-E begründet hingegen keine gesetzliche Haltbarkeitsgarantie. Der Verkäufer haftet nach § 434 Absatz 3 BGB-E nicht dafür, dass die Sache tatsächlich ihre erforderlichen Funktionen und ihre Leistung bei normaler Verwendung behält.“ (BT-Drucks. 19/27424, S. 24)

Insgesamt sind die nun geregelten, objektiven Anforderungen für sich genommen nicht neu. Die genannten Merkmale waren auch nach bisheriger Rechtslage bereits zu berücksichtigen, soweit es auf die objektive Beschaffenheit der Kaufsache ankam. Neu ist allerdings das Rangverhältnis der objektiven Beschaffenheitsmerkmale zu den subjektiven Anforderungen an die Kaufsache – hierzu sogleich unter 3.
3. Zu den Montageanforderungen
Schnell abgehandelt werden können die Montageanforderungen, die in § 434 Abs. 4 BGB n.F. geregelt sind. Die dortige Umsetzung des Art. 8 Richtlinie (EU) 2019/771 entspricht dem Regelungsgehalt nach dem bisherigen § 434 Abs. 2 BGB (vgl. BT-Drucks. 19/27424, S. 25; Lorenz, NJW 2021, 2065 (2066)).
4. Zur Gleichrangigkeit der objektiven und subjektiven Anforderungen
So steht nun fest, was unter den in § 434 Abs. 1 BGB n.F. genannten Anforderungskategorien zu verstehen ist. Zeit, sich mit der dort angeordneten und für das deutsche Recht neuen Gleichrangigkeit dieser Anforderungen auseinanderzusetzen.
Wenn Mangelfreiheit nur dann vorliegt, wenn die Kaufsache den subjektiven und objektiven Anforderungen entspricht, kann sie dann wegen objektiver Mängel vertragswidrig sein, obwohl die Parteien sich zuvor über diese verständigt hatten? Das ginge zu weit. In einem solchen Fall könnte etwa ein gebrauchtes Auto, das stärkere Abnutzungen aufweist, als es bei Fahrzeugen desselben Alters üblicherweise zu erwarten ist, kaum noch verkauft werden. Das entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Neuregelungen. Einem solchen Ergebnis beugt § 434 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. vor: Dort heißt es „Soweit nicht wirksam etwas anderes vereinbart wurde, entspricht die Sache den objektiven Anforderungen, wenn sie (…)“. Die Parteien können die Bedeutung der objektiven Anforderungen mithin durch eine negative Beschaffenheitsvereinbarung zurücktreten lassen. Soweit es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, kann eine solche auch konkludent abgeschlossen werden, was bei Kenntnis und Billigung der Abweichungen von der objektiven Beschaffenheit durch den Käufer regelmäßig der Fall sein dürfte.
Nicht so allerdings im Verbrauchsgüterkaufrecht. Der negativen Beschaffenheitsvereinbarung sind insoweit durch § 476 Abs. 1 S. 2 BGB n.F. Grenzen gesetzt. Dort heißt es:

„Von den Anforderungen nach § BGB § 434 Absatz BGB § 434 Absatz 3 oder § BGB § 475b Absatz BGB § 475B Absatz 4 kann vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer durch Vertrag abgewichen werden, wenn 1.) der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht, und 2.) die Abweichung im Sinne der Nummer 1 im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.“

Soweit die objektiven Anforderungen (siehe oben 2.) nicht eingehalten sind, muss der kaufende Verbraucher eigens, dürfte heißen mittels individueller Information (Lorenz, NJW 2021, 2065 (2073)), und vor Abgabe seiner Vertragserklärung, sei es nun Angebot oder Annahme, hierüber informiert werden. Selbst die Zustimmung zum Abschluss eines Vertrages nach entsprechender Information genügt jedoch nicht für die Annahme einer negativen Beschaffenheitsvereinbarung, vielmehr muss zusätzlich (siehe Wortlaut „und“ in § 476 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB n.F.) ausdrücklich und gesondert vereinbart werden, dass die Abweichung von der objektiven Beschaffenheit keine Mangelhaftigkeit der Kaufsache bedeutet.
Sind diese Anforderungen beim Verbrauchsgüterkauf nicht eingehalten, ist die Abweichung von den objektiven Anforderungen nicht i.S.d. § 434 Abs. 3 S. 1 BGB n.F. wirksam vereinbart worden und kann daher einen Sachmangel begründen. Nun mag man denken, die praktischen Auswirkungen könnten nicht allzu groß sein – kennt der Käufer den Mangel oder kennt er ihn grob fahrlässig nicht und hat der Verkäufer ihn weder arglistig verschwiegen noch eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen, sind doch seine Rechte wegen des Mangels nach Maßgabe des durch die Reform unberührten § 442 BGB ausgeschlossen. Auf diesem Wege sollen die Grenzen des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB n.F. jedoch nicht ausgehebelt werden können (vgl. Lorenz, NJW 2021, 2065 (2068)). Die Anwendung des § 442 BGB ist im Verbrauchsgüterkaufrecht nach § 475 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. ausgeschlossen. Soll mithin eine nicht den objektiven Anforderungen nach § 434 Abs. 3 BGB n.F. entsprechende Sache im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs verkauft werden, kann der Ausschluss der Mängelgewährleistung wegen dieser Abweichung von den objektiven Anforderungen nur erreicht werden, indem der Verbraucher eigens und vor Abgabe seiner Vertragserklärung unterrichtet wird und die Abweichung ausdrücklich und gesondert vereinbart wird.
III. Summa
Damit kommt diese erste Betrachtung des „neuen Kaufrechts“ zu einem Ende. Die Änderungen hinsichtlich des Sachmangelbegriffs sind im Wortlaut durchaus umfangreich, wie schon die im Vergleich zur bisherigen Fassung des § 434 BGB erheblich gewachsene Länge der Norm zeigt. Die inhaltlichen Auswirkungen sind letztlich jedoch nicht so gravierend, wie es die erste Lektüre insbesondere des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. befürchten lassen mag. Mit einer sauberen und gewissenhaften Arbeit anhand des Gesetzestextes dürften sich hier schon viele Probleme lösen lassen. Aufmerksamkeit ist indes insbesondere im Verbrauchsgüterkaufrecht geboten. Hier dürfte die Gleichrangigkeit von subjektiven und objektiven Anforderungen für die Mangelfreiheit aufgrund der erschwerten Möglichkeit negativer Beschaffenheitsvereinbarungen größere Bedeutung erlangen.

21.12.2021/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-12-21 08:00:252021-12-21 08:00:25Das „neue“ Kaufrecht 2022 – Teil 1: Der Sachmangelbegriff des § 434 BGB
Gastautor

Einführungsbeitrag zum neuen Polizeigesetz in Brandenburg

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Daniel Dräger veröffentlichen zu können. Der Autor studiert an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und ist in Berlin in einer großen Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft tätig.
 

Terrorismusbekämpfung zwischen Pritzwalk und der Niederlausitz:

Ein Einführungsbeitrag zum neuen Polizeigesetz in Brandenburg

 

I. Hintergrund

Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt vom 19. Dezember 2016 durch Anis Amri zieht Brandenburg als weiteres Bundesland[1] nach im Reigen um die größte Verschärfung der Polizeigesetze der letzten Jahrzehnte. Die teils noch nicht mal abgeschlossenen Anschlagsuntersuchungen durch Kontrollgremien[2], Sonderermittler[3]und Untersuchungsausschüsse[4] in NRW, Berlin sowie auf Bundesebene hatten ergeben, dass Lücken in der Sicherheitsarchitektur den Anschlag erst ermöglichten. Die Politik fand recht schnell die ultimative Lösung der Probleme: neue und tiefer eingreifende Befugnisse für Polizei und Nachrichtendienste. Den ersten Schritt machte – auch noch unter den zusätzlichen Eindrücken der Anschläge in Würzburg[5] und Ansbach[6]– Bayern 2017 mit einer Reform seines PAG, dessen Medienecho[7] weit über die Grenzen des Freistaats hinaus vernehmbar war.
Mit Gesetz vom 01.04.2019 (GVBI. I 2019, Nr. 3 S. 1) reformiert nun auch Brandenburg sein Polizeigesetz[8], um der laut Gesetzentwurf „angespannten Terror- und Gefährdungslage“[9] zu begegnen. Es ist gegenüber seinen süddeutschen Pendants in einigen Teilen abgemildert, erweitert aber die Befugnisse der Polizei- und Ordnungsbehörden gegenüber Bürgern trotzdem deutlich spürbar. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet dabei die wichtigsten, examensrelevanten Änderungen.
 
II. Was ist neu? Das Wichtigste in Kürze zuerst

  • neuer Abschnitt 1a (§§ 28a – 28e[10]) zur Abwehr von Gefahren des Terrorismus,
    Vorverlagerung von

    • Befragungsrecht & Auskunftspflicht
    • Identitätsfeststellung & erkennungsdienstlichen Maßnahmen
    • Ingewahrsamnahme bis zu 4 Wochen
    • erstmals überhaupt: die Aufenthaltsvorgabe
  • Ausweitung der Schleierfahndung
  • Meldeauflagen als Standardmaßnahme
  • Einsatz von Bodycams
  • neue formelle Rechtmäßigkeit für Observationen
  • Erweiterung der Öffentlichkeitsfahndung
  • erstmals Einsatz von Sprengmitteln

 
III. Was hat es nicht ins Gesetz geschafft?

  • kein Staatstrojaner/Online-Durchsuchungen, aber auf Bundesebene (§ 49 BKAG)
  • keine elektronische Fußfessel

 
IV. Die Reform im Detail
1. Abwehr der Gefahren des Terrorismus, §§ 28a ff.
Kernstück der Gesetzesreform sind die Ausweitung und Vorverlagerung der polizeirechtlichen Eingriffsbefugnis im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung. Der neue Abschnitt 1a (§§ 28a bis 28e) setzt niedrigschwellige, speziellere und damit vorgehende Eingriffsbefugnisse zu den Standardmaßnahmen der § 11 ff.
 
a) Geltungsbereich, § 28a Abs. 1
In § 28a Abs. 1 wird zunächst ein eigener Geltungsbereich für die nachfolgenden Befugnisse festgelegt. Darin wird die klassische Abwehr von (konkreten) Gefahren des Terrorismus und die Verhütung von Straftaten genannt. Zentraler Bezugspunkt ist dabei § 129a StGB der in seinen Abs. 1 und Abs. 2 StGB jenen Katalog terroristischer Straftaten ausrollt, auf den § 28a Abs.1 verweist; v.a. §§ 211 f. StGB, §§ 239a f. StGB oder §§ 306 ff. StGB. Die Taten müssen zudem dazu bestimmt sein, (Nr. 1) die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern oder (Nr. 2) eine Behörde/eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder (Nr. 3) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates, Landes oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen. Zusätzlich muss die Art der Begehung oder die Tatauswirkungen ein Staat, Land oder eine internationale Organisation erheblich schädigen können. Erstaunlich ist hierbei, dass der brandenburgische Gesetzgeber für die Regelung des Anwendungsbereichs dynamisch auf eine Norm des StGB und damit des Bundesgesetzgebers verweist. Letzterer hätte es folglich in der Hand durch Gesetzänderung damit auch gleichzeitig das Landesrecht zu ändern, was im Lichte von föderal-abgegrenzter Gesetzgebungszuständigkeit, Gewaltenteilung, Wesentlichkeitsgrundsatz und Parlamentsvorbehalt kritisch zu sehen ist.[11]
 
b) Ausweitung der Eingriffsbefugnisse der §§ 11 ff., § 28b
In § 28b finden die Standardmaßnahmen der §§ 11 ff. eine Vorverlagerung bzw. Ausweitung. Die Rechtsvoraussetzungen der ersten drei Maßnahmenbündel sind gestuft. Absatz 3 Satz 2 setzt dann einheitlich die Voraussetzungen aller nachfolgenden Datenerhebungsmaßnahmen.
 

 
c) Aufenthaltsvorgabe und Kontaktverbot, § 28c
Die Aufenthaltsvorgabe enthält sowohl Maßnahmen des (allbekannten) Aufenthaltsverbots als auch des Aufenthaltsgebots, eine in Land wie Bund völlig neue Polizeimaßnahme. Zur Gefahrenabwehr oder Verhütung von § 28a-Straftaten kann einer Person untersagt werden, sich (ohne polizeiliche Erlaubnis) aus einem bestimmten Bereich (z.B. Wohn- oder Aufenthaltsort) zu entfernen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Person prognostisch in Zukunft eine § 28a-Straftat begehen wird. Die Prognose wird bejaht, wenn (a) bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen oder (b) das individuelle Verhalten der verdächtigen Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person in Zukunft auf eine konkretisierte Art eine § 28a-Straftat begehen wird. Die nicht unerhebliche Eingriffsintensität des Aufenthaltsgebots wird teilweise[12]als unverhältnismäßig betrachtet.
Unter den gleichen Voraussetzungen kann die Polizei auch einer Person den Kontakt mit bestimmten Personen(-gruppe) untersagen (Kontaktverbot). Die Maßnahme steht unter Richtervorbehalt (Abs. 3) und ist auf den erforderlichen Umfang beschränkt (Abs. 4); max. 3 Monate möglich (+ Verlängerung). Zur besonderen Verschärfung trägt auch bei, dass die Zuwiderhandlung einer Anordnung des § 28c nach § 28e mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe pönalisiert wird.
 
d) Ingewahrsamnahme, § 28d
Wenn es unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung/Fortsetzung einer § 28a-Straftat zu verhindern, kann die Polizei eine Person in Gewahrsam (vgl. § 17) nehmen. Eine Zuwiderhandlung gegen die Aufenthaltsvorgabe oder das Kontaktverbot, durch die der Anordnungszweck gefährdet wird, kann hierfür bereits ausreichen.
 
2. Ausweitung der Schleierfahndung, § 12 Abs. 1 Nr. 6
Bisher galt, dass die Schleierfahndung nur in dem 30 km tiefen Korridor diesseits der deutsch-polnischen Bundesgrenze möglich war. Die Reform erweitert jetzt die Einsatzgebiete der Schleierfahndung um sämtliche Bundes- und Europastraßen sowie öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs (womit erstaunlicherweise laut Gesetzentwurf[13] Park-/Rastplätze und Autohöfe gemeint sind). Diese erhebliche Ausweitung einer Befugnis, die sich ausdrücklich des Wortlauts der vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität zum Zweck gesetzt hat, wurde unter anderem mit der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung begründet. Dabei ist die zeitliche und örtliche Ausweitung europa- wie verfassungsrechtlich kritisch zu sehen. Dies schon deshalb, weil sie anlass- und verdachtslos auch Nichtstörer betrifft.
 
3. Meldeauflagen, § 15a
Bisher wurden Meldeauflagen, vor allem bei bekannten Hooligans mit Wiederholungsgefahr, stets auf die Generalklausel des § 10 Abs. 1 gestützt, was zumindest in Teilen der Literatur[14] durchaus kritisch gesehen wurde. Insofern ist die Einführung als Standardmaßnahmein das BbgPolG zunächst unkritisch zu sehen. Bedenklich ist jedoch die Absenkung der Voraussetzungsschwelle. Nunmehr ist die Meldeauflage nach Abs. 1 bereits zur Verhütung von Straftaten (ohne Anfangsverdacht oder Gefahr) zulässig. Kritisch zu sehen ist auch die zeitliche Grenze von einem Monat (sowie Verlängerung um je einen Monat, Abs. 2 S. 1 und 2).
 
4. Sicherstellung, § 25 Abs. 2
Die Pfändung von Forderungen und sonstigen Vermögensrechtenkann nun unter den Voraussetzungen des Abs. 1 (der dem § 25 a.F. entspricht),zur Sicherstellung angeordnet werden. Damit soll Buchgeld genauso sichergestellt werden können, wie Bargeld. Voraussetzung ist also z.B. die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr im Moment der Sicherstellung und für jeden nachfolgenden Moment der Sicherstellung (vgl. § 28 Abs. 1 S. 1). Die gegenwärtige Gefahr liegt nach h.L. und laut Gesetzentwurf[15] vor, wenn ein zu erwartender Schadenseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in allernächster Zeit bejaht werden kann. Ob die Sicherstellung von Buchgeld wirklich ein geeignetesMittel ist, darf hinterfragt werden.
 
5. Einschränkung der Datenerhebung, § 29 Abs. 6
In § 29 Abs. 6 S. 1 wird die Erhebung von personenbezogener Daten für den Kernbereich privater Lebensgestaltung beschränkt. Damit wird die BVerfG-Rechtsprechung in Gesetzesform gegossen. Ausnahmen gelten für Betriebs- und Geschäftsräume sowie für Äußerungen und Handlungen mit unmittelbarem Bezug zu einer dringenden Gefahr.
 
6. Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen usw., § 31 Abs. 2
Neben der rein redaktionellen Änderung des S. 1 wurden die Speicherfristen in S. 3 deutlich ausgeweitet. Das bei der Beobachtung und Aufzeichnung öffentlicher Straßen und Plätze gespeicherte Material muss in Zukunft statt nach 48 Stunden erst nach zwei Wochen gelöscht werden. Die längere Datenspeicherung soll laut Gesetzesentwurf der Verfolgungsvorsorge dienen, was einige Stimmen[16] als repressiv-polizeiliche Maßnahme eher der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuordnen würden.
 
7. Erweiterte Datenerhebung durch Bodycams, § 31a
Schon bisher galt, dass die Polizei (zum Zwecke der Eigensicherung) bei Personen- oder Fahrzeugkontrollen Bild- und Tonaufnahmen und –aufzeichnungen (u.U. auch personenbezogene Daten von Dritten) durch den Einsatz technischer Mittel in Polizeifahrzeugen herstellen konnte. Nach dem neu gefassten Abs. 2 können nun auch Bild-/Ton- aufnahmen/-aufzeichnungen durch den Einsatz körpernah getragener technischer Mittel (Bodycams) herstellen. Voraussetzung ist, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dies zum Schutz von Polizeivollzugsbeamten/-innen oder Dritten gegen eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit erforderlich ist. Eingeschränkt wird die Bodycam-Befugnis für befriedetes Besitztum das nicht Wohnzwecken dient, wie Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen. Hier sind Aufnahmen nur zulässig, wenn die Gefahr dringend ist. Gänzlich unzulässig sind Aufnahmen (1) in Wohn- und Nebenräumen sowie (2) in Bereichen zur Ausübung der Tätigkeit von Berufsgeheimnisträgern i.S.d. §§ 53, 53a StPO.
Die Maßnahme selbst stellt einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar und wird vor allem wegen des anlasslosen pre-recording (ein, sich nach je 60 Sekunden stetig automatisch überschreibender Bereitschaftsbetrieb im Zwischenspeicher) in Abs. 2 S. 4 bis 7 skeptisch gesehen. Kritisiert wird die Neuerung auch mangels vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Bodycams (Geeignetheit).[17] Die Löschungsfrist wurden zudem von einem Tag auf zwei Wochen merklich erweitert (Abs. 1 S. 4).
 
8. Verlängerte kurzfristige Observation & Verfahren bei längerfristiger Observation, § 32
Bisher galt für die voraussetzungsärmere kurzfristige Observation(§ 32 Abs. 4 S. 1) eine Höchstdauer von durchgehend 24 Stunden oder 2 (Kalender-)Tagen. Die Zeitgrenzen wurden erhöht auf 48 Stunden bzw. 3 Tage. In diesem Punkt wird das Brandenburger Polizeigesetz zum ersten Mal schärfer als sein süddeutschen Gegenstücke. Darüber hinaus wurde der längerfristigen Observation (§ 32 Abs. 1 S. 1) ein Richtervorbehalt eingefügt (bei Gefahr im Verzug durch den/die Behördenleiter/-in mit unverzüglicher richterlicher Bestätigung).
 
9. Formelle Rechtmäßigkeit bei der Datenerhebung nach §§ 33, 34 und 35
Relativ identisch werden die Verfahrensvorschriften des § 33 Abs. 2 (verdecktes Abhören, Fotografieren auf Filmen) des § 34 Abs. 2 (Einsatz von V-Leuten) sowie des § 35 Abs. 5 (Einsatz verdeckter Ermittler) neu geregelt. Alle drei Maßnahmen (der § 33-Einsatz nur, wenn durchgehend über 48h/3d) werden unter Richtervorbehalt gestellt bzw. dürfen nur noch bei Gefahr im Verzug durch den Behördenleiter (mit unverzüglich nachzuholender richterlichen Bestätigung) angeordnet werden.
 
10. Erweiterung der Öffentlichkeitsfahndung, § 44 Abs. 2
Personenbezogene Daten und Abbildungen einer Person können zur Ermittlung der Identität, des Aufenthaltsorts oder zur Warnung öffentlich bekannt gegeben werden. Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person muss dafür dringend sein und die Maßnahme unerlässlich (§ 44 Abs. 2 Nr. 1). Alternativ ist die Öffentlichkeitsfahndung zur Straftatverhütung möglich, wenn es sich um eine erhebliche Straftat (i.S.d. § 10 Abs. 3 S. 1) handelt und die Verhütung auf keine andere Weise möglich ist (§ 44 Abs. 2 Nr. 2). 
 
11. Weitere Änderungen in Kürze

  • die Grundrechtseinschränkungen in § 8 werden in Nr. 3 um die Versammlungsfreiheit ergänzt
  • die Definition der erheblichen Straftaten (jetzt nach § 100a Abs. 2 StPO) und der besonders schweren Straftaten (jetzt nach § 100c Abs. 2 StPO) des § 10 Abs. 3 S. 1 und 2 wird geringfügig verändert
  • das Verfahren zur Befragung nach § 11 Abs. 3 S. 3 wurde geringfügig geändert: Die Anordnung erfolgt nun durch den/die Behördenleiter/-in bzw. Vertretung
  • die formelle Rechtmäßigkeit wurde geringfügig geändert: für die Wohnungsüberwachung in § 33a Abs. 4 S. 7 und für die Überwachung der Telekommunikation in § 33b Abs. 5 S. 7
  • Dokumentationspflicht bei der automatischen Kfz-Kennzeichenfahndung, § 36a Abs. 1 S. 2, veränderte Berichtspflicht nach Abs. 3
  • erstmals ist der Einsatz von Explosivmitteln nach § 69 gegen Personen als unmittelbarer Zwang zur Terrorabwehr möglich, wenn die Angreifer Schuss- bzw. Kriegswaffen i.S.d. § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG gebrauchen, andere Mittel erfolglos sind und die Gefährdung Unbeteiligter ausgeschlossen werden kann.

 
Weitere Links zum Nachlesen und Nachhören

  • https://polizeigesetz.brandenburg.de/polg/de/was-hat-sich-geaendert%3f/
  • https://www.deutschlandfunk.de/neue-polizeigesetze-in-den-bundeslaendern-mehr-befugnisse.724.de.html?dram:article_id=444777
  • https://www.landtag.brandenburg.de/media_fast/5701/Stellungnahme%20Prof.%20Arzt%20Polizeigesetz%20%28003%29.pdf
  • https://www.amnesty.de/informieren/positionspapiere/deutschland-stellungnahme-zur-einfuehrung-einer-bodycam-durch-einen#_ftn6
    (zum Polizeigesetz in Sachsen)

[1]BY, B-W, HE, R-P, S-A und NRW haben bereits reformiert; in S wird es zum 1.1.2020, in NDS am 1.6.2019 in Kraft treten; in B, S-H und M-V diskutieren zurzeit; HH und SL planen noch; in BR wurde ein Gesetzentwurf abgelehnt; nur TH will nichts verändern.
[2]https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/125/1812585.pdf
[3]https://www.berlin.de/sen/inneres/presse/weitere-informationen/abschlussbericht-bruno-jost.pdf
[4]https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/30-000-Menschen-protestieren-gegen-das-Polizeiaufgabengesetz-id51076681.html; https://www.nopagby.de/
[5]https://www.zeit.de/2016/31/anschlag-in-wuerzburg-islamischer-staat
[6]https://www.spiegel.de/panorama/bayern-explosion-in-ansbacher-innenstadt-ein-toter-a-1104496.html
[7]Kommentatoren sprechen sogar vom schärfsten Polizeigesetz seit 1945 (https://www.handelsblatt.com/meinung/kolumnen/expertenrat/nocun/expertenrat-katharina-nocun-bayern-koennte-das-schaerfste-polizeigesetz-seit-1945-bekommen/21254002.html).
[8]https://www.landesrecht.brandenburg.de/dislservice/public/gvbldetail.jsp?id=8071; https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/03/polizeigesetz-brandenburg-landtag-abstimmung-linke-spd-schroeter.html
[9]Bbg-Drucks. 6/9821, Gesetzesentwurf d. LandesReg., S. 1
[10]Alle nachfolgenden §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des BbgPolG.
[11]Weitere Kritikpunkte: Arzt in seiner Stellungnahme zur Reform des BbgPolG vom 7.1.2019, S. 24 ff.
[12]Klageschrift von Prof. Dr. Dr. Ino Augsberg an BayVerfGH zum BayPAG vom 26.03.2018, S. 59 ff.
[13]Bbg-Drucks. 6/9821, S. 7
[14]z.B. Behnsen, NordÖR 2013, 1/2 ff.; Trute, Verwaltung 2013, 537/545 ff.
[15]Bbg-Drucks. 6/9821, S. 11
[16]Arzt a.a.O., S. 13 f.
[17]Dazu auch Amnesty International zum Sächs. PolG unter B. II.: https://www.amnesty.de/informieren/positionspapiere/deutschland-stellungnahme-zur-einfuehrung-einer-bodycam-durch-einen#_ftn6
 
 

29.05.2019/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-05-29 09:35:272019-05-29 09:35:27Einführungsbeitrag zum neuen Polizeigesetz in Brandenburg
Dr. Sebastian Rombey

Examensrelevante Änderungen des Reiserechts

Aktuelles, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Reiserecht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Zum 01.07.2018 ist das Reiserecht grundlegend reformiert worden. Damit kommt die Bundesrepublik Deutschland der Umsetzungspflicht der Pauschalreiserichtlinie (EU) 2015/2302 nach. Die durch Art. 4 der besagten Richtlinie angestrebte Vollharmonisierung führt dazu, dass den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der Richtlinie nur wenig Raum für nationale Abweichungen bleibt, was an mancher Stelle zu einer Absenkung des Schutzniveaus führt, indes aber auch einige Verbesserungen für Reisende mit sich bringt (dazu Führich, NJW 2017, 2945). Umgehungsmöglichkeiten bieten sich insbesondere durch die alleinige Buchung von Einzelreiseleistungen. Die mit der Umgestaltung des Reiserechts verbundenen Änderungen sowie die dadurch deutlich gestiegene Examensrelevanz dieses Gebiets nimmt der nachfolgende Beitrag zum Anlass, die wesentlichen Grundsätze des neuen Pauschalreiserechts überblicksartig zusammenzufassen.

  • § 651a I BGB regelt die Hauptleistungspflichten des Vertrages. Hier ändert sich außer der Begrifflichkeit „Pauschalreisevertrag“ wenig, ein Reiseveranstalter (Unternehmer) muss dem Reisenden eine Pauschalreise verschaffen, der Reisende dafür den vereinbarten Reisepreis zahlen.
  • § 651a II 1 BGB definiert eine Pauschalreise als Gesamtheit von mindestens zwei Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise. Neu ist indes, dass eine Pauschalreise gemäß § 651a II 2 BGB auch dann vorliegt, wenn die Reiseleistungen auf Wunsch des Reisenden oder seiner Auswahl entsprechend zusammengestellt wurden. Dies ist letztlich eine Reaktion darauf, dass immer mehr Reisen über das Internet gebucht werden, wo zumeist eine Auswahl zwischen verschiedenen Reiseleistungen besteht.
  • § 651a III 1 BGB erweitert die klassische Vorstellung von einer Reiseleistung. Eine solche kann in der Beförderung von Personen, der Beherbergung, der Vermietung von Kfz und – als Auffangklausel – sonstigen touristischen Leistungen liegen.
  • Eine Reiseleistung liegt allerdings dann nicht vor, wenn es um Tagesreisen geht oder aber solche gelegentlich und nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung für einen nur begrenzten Personenkreis angeboten werden, § 651a V BGB. Für Klausuren eher weniger relevante, weitere Ausschlussgründe enthält § 651a IV BGB.
  • Besonders examensrelevant: Bislang ging die höchstrichterliche Rechtsprechung hinsichtlich der Anwendbarkeit des Reiserechts davon aus, dass dieses entsprechend auf eine Hotelbuchung anzuwenden sei, soweit der Veranstalter die Leistung in eigener Verantwortung und mit gleichen oder ähnlichen Organisationspflichten wie bei einer Reise erbringt, zu der eine weitere Reiseleistung gehört (BGH, Urt. v. 20.05.2014 – X ZR 134/13, NJW 2014, 2955). Gleiches galt für die Buchung von Ferienwohnungen oder Ferienhäusern – auch hier wurde selbst dann, wenn allein die Verpflichtung zur Bereitstellung der vorgenannten Unterkunft übernommen wurde, eine entsprechende Anwendung befürwortet (BGH, Urt. v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308). Zur Beibehaltung dieser Rechtsprechung bietet die Richtlinie Raum, der nationale Gesetzgeber hat diesen indes nicht genutzt, sodass mangels vorliegender planwidriger Regelungslücke die Voraussetzungen einer Analogie nicht mehr vorliegen und Hotel- wie Ferienwohnungsbuchungen nunmehr allein nach dem schwächeren (da durch AGB gestaltbaren) Schutzstandard des Beherbergungsrechts zu beurteilen sind (instruktiv Führich, NJW 2017, 2495, 2496).
  • § 651b BGB grenzt die Vorschriften des Reiserechts von der Reisevermittlung ab. Hier wurden – wohl auf Druck der Touristikbranche – verschiedene Fallkonstellationen geregelt. Relevant dürften insbesondere Beratungsgespräche sein, in denen nach § 651b I 4 BGB noch nicht vom Beginn des Buchungsvorgangs ausgegangen werden kann.
  • Besonders examensrelevant: § 651c BGB regelt neuerdings das sog. verbundene Online-Buchungsverfahren („Click-Through-Verfahren“). Demnach sind nunmehr nicht nur klassische Buchungsvorgänge (etwa per Prospekt) erfasst, sondern auch Online-Buchungen. Mithin ist ein Unternehmer auch dann als Reiseveranstalter zu qualifizieren, wenn er mit dem Reisenden einen Vertrag über die Buchung einer Einzelleistung schließt und anschließend durch einen Link binnen 24 Stunden eine weitere Reiseleistung eines anderen Unternehmens mittels Übertragung der persönlichen Daten des Reisenden vermittelt. Um es plastisch zu machen: Bietet das Flug-Vergleichsportal A nach der Flugbuchung einen Link zu einem Partnerunternehmen an, etwa der Autovermietung B oder dem Hotel C, so ist das Flug-Vergleichsportal als Reiseveranstalter anzusehen.
  • § 651d BGB regelt Informationspflichten des Reiseveranstalters. Diese sind für die Praxis von enormer, für das Examen von eher geringer Relevanz.
  • Besonders examensrelevant: 651e BGB normiert wie bereits § 651e BGB a.F. das Recht auf Vertragsübertragung. Der Reisende kann also seinen Reisevertrag auf einen Dritten übertragen. Dabei darf der Reiseveranstalter nur angemessene und tatsächlich entstandene Mehrkosten verlangen, § 651e III 2 BGB. Interessant ist allerdings, dass im Falle der Vertragsübertragung Reisender und Dritter dem Reiseveranstalter als Gesamtschuldner haften, § 651e III 1 BGB. Hier ließe sich durch den Klausurersteller per Aufnahme einer Haftungsfreizeichnung des Reisenden gegenüber dem Dritten eine gestörte Gesamtschuld konstruieren, was das Reiserecht für Prüfungen noch interessanter werden lässt.
  • § 651f BGB und § 651g BGB regeln Preis- und Leistungsänderungen. Da die Normen umfassend formuliert sind, ist hier allein eine saubere Subsumtion des Sachverhalts unter den Gesetzestext gefragt. Aufmerksamkeit sollte jedoch auf jeden Fall der Regelung des § 651f I 1 BGB geschenkt werden, der eine einseitige Preiserhöhung durch den Reiseveranstalter auf 8 % des Reisepreises deckelt.
  • § 651h I BGB betrifft den Rücktritt des Reisenden vor Reisebeginn (Stornierung), der voraussetzungslos möglich ist, aber einen Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters auslöst. Spiegelbildlich normiert § 651h IV Rücktrittsmöglichkeiten des Reiseveranstalters vor Reisebeginn. Auffällig ist, dass das beidseitige Kündigungsrecht wegen höherer Gewalt, das § 651j BGB a.F. noch vorsah, nicht mehr besteht. 
  • Besonders examensrelevant: § 651i BGB beschreibt die Rechte des Reisenden bei Reisemängeln. Das Gewährleistungsrecht ist den aus dem Kauf- und Werkrecht bekannten Systemen angenähert. Dennoch ändert sich im Vergleich zum bislang bekannten Reiserecht nur wenig. Der Mangelbegriff ist subjektiv, vorrangig ist also auf die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit, subsidiär auf die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder die gewöhnliche Beschaffenheit abzustellen. Interessant ist, dass eine verspätete Erbringung von Reiseleistungen durch den Reiseveranstalter ebenso einen Reisemangel auslöst. Die bei Vorliegen eines Pauschalreisemangels bestehenden Gewährleistungsrechte listet § 651i III BGB für den Rechtsanwender dankenswerterweise auf. So „kann der Reisende, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nichts anderes bestimmt ist,1. nach § 651k Absatz 1 BGB Abhilfe verlangen,
    2. nach § 651k Absatz 2 BGB selbst Abhilfe schaffen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen,
    3. nach § 651k Absatz 3 BGB Abhilfe durch andere Reiseleistungen (Ersatzleistungen) verlangen,
    4. nach § 651k Absatz 4 und 5 BGB Kostentragung für eine notwendige Beherbergung verlangen,
    5. den Vertrag nach § 651l BGB kündigen
    6. die sich aus einer Minderung des Reisepreises (§ 651m BGB) ergebenden Rechte geltend machen und
    7. nach § 651n BGB Schadensersatz oder nach § 284 BGB Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.“
  • Besonders examensrelevant: Das Verhältnis des Reiserechts zum allgemeinen Leistungsrecht ändert sich nicht; auch weiterhin ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen (sog. Einheitslösung BGH, Urt. v. 20.03.1986 – VII ZR 187/85, NJW 1986, 1748: „Alle nach Vertragsschluß auftretenden, nicht allein in der Person des Reisenden liegenden Umstände, die die gesamte Reise oder Einzelleistungen wie Beförderung, Unterbringung, Verpflegung und sonstige Betreuung ganz oder teilweise unmöglich machen, verhindern oder mindern den nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen der Reise und werden daher von § 651c BGB erfaßt […]. Nach Abschluß des Reisevertrags haftet nämlich der Reiseveranstalter für den Erfolg und trägt grundsätzlich die Gefahr des Nichtgelingens […].“; zitiert nach BT-Drucks. 18/10822, S. 77). Zudem verzichtet auch das neue Reiserecht auf ein Verschuldenserfordernis des Reiseveranstalters für den Reisemangel. 
  • Besonders examensrelevant: Gemäß § 651j BGB verjähren die oben aufgezählten Ansprüche des Reisenden zwei Jahre nach dem im Vertrag vorgesehenen Ende der Reise. Wichtig: Die bisherige einmonatige Ausschlussfrist nach § 651g I BGB a.F. zur Geltendmachung von reiserechtlichen Ansprüchen entfällt (dank der Richtlinie, die hierfür keinen Raum lässt), ebenso die formularvertragliche Möglichkeit zur Verkürzung der Verjährung auf ein Jahr. Aber: Auch nach künftiger Rechtslage muss der Reisende im Sinne des § 651o I BGB einen entdeckten Reisemangel unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, anzeigen (sog. Mängelanzeige).
  • In Bezug auf die vorbezeichneten Mängelrechte des § 651i III BGB ergeben sich keine wesentlichen Änderungen im Vergleich zur alten Rechtslage. Hinzuweisen ist allein auf den nun in § 651n BGB enthaltenen Schadensersatzanspruch, der ebenso wie vormals § 651f I, II BGB a.F. auch weiterhin nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Schäden (für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit) erfasst. Entlasten kann sich der Reiseveranstalter nur, wenn einer der drei abschließend aufgezählten Gründe des § 651n I BGB vorliegt. Das ist der Fall, wenn der Reisemangel(Nr. 1) vom Reisenden verschuldet wurde,
    (Nr. 2) von einem Dritten verschuldet, der weder Leistungserbringer ist noch in anderer Weise an der Erbringung der von dem Pauschalreisevertrag umfassten Reiseleistungen beteiligt ist, für den Reiseveranstalter nicht vorhersehbar oder nicht vermeidbar war oder
    (Nr. 3) durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht wurde.
  • § 651t BGB schützt den Reisenden vor unberechtigten Vorauszahlungen vor Reiseantritt und verpflichtet den Reiseveranstalter zur Schaffung von Sicherheiten für die geleistete Zahlung.
  • § 651w BGB vermittelt ein unter dem Level von Pauschalreisen angesetztes Schutzniveau für die Vermittlung verbundener Reiseleistungen.
  • § 651x BGB regelt eine neue Anspruchsgrundlage auf Schadensersatz für Buchungsfehler.

09.07.2018/0 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2018-07-09 09:00:082018-07-09 09:00:08Examensrelevante Änderungen des Reiserechts
Dr. Sebastian Rombey

Basics zur Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)

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Ab dem heutigen Tag (25.05.2018) gilt auf europäischer Ebene die Datenschutz-Grundverordnung, Art. 99 II DS-GVO. Damit erfährt das Datenschutzrecht eine grundlegende Änderung, auch wenn die DS-GVO auf altbewährten Grundsätzen aufbaut und nur an wenigen Stellen wirklich neue Instrumente zum Schutz personenbezogener Daten bereithält. Die wichtigsten Basics zur Datenschutzreform, die zur juristischen Allgemeinbildung zählen, zeigt der folgende Beitrag auf:
I. Ablösung der Datenschutz-RL sowie mitgliedstaatlicher Abweichungen
Die DS-GVO löst die bisherige Datenschutz-RL 95/46/EG, die eine Vollharmonisierung des europäischen Datenschutzniveaus intendierte, aber nicht vollends erreichte, ab. Da die DS-GVO nach Art. 288 II AEUV unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten entfaltet – anders als die Datenschutz-RL, bei der nach Art. 288 III AEUV ein zweistufiges Umsetzungsverfahren notwendig war – trägt sie in höherem Maße zur Vereinheitlichung des Datenschutzrechts bei. Zugleich werden auf diese Weise bislang bestehende mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetze (in Deutschland das alte Bundesdatenschutzgesetz) abgeschafft. Denn im Anwendungsbereich einer europäischen Verordnung sind mitgliedstaatliche Abweichungen grds. nicht zulässig.
II. Begriff der „Grundverordnung“
Nun mag sich allerdings der geneigte Leser die Frage stellen, was sich hinter dem Begriff einer Grundverordnung versteckt. Da Art. 288 AEUV hier keinerlei Anhaltspunkte bietet, sprach schon so mancher von einer Art europäischem Sekundärrecht sui generis. Da insoweit allein schon wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung Bedenken gegen ein solches Sekundärrecht eigener Art bestehen sollten, setzte sich die Erkenntnis durch, dass es sich zwar um eine Verordnung handelt, der europäische Verordnungsgeber aber Öffnungsklauseln für bestimmte Bereiche eingefügt hat, die mitgliedstaatliche Abweichungen ermöglichen.
Derartige Bereichsausnahmen sind etwa

  • für den öffentlichen Sektor in Art. 23 DS-GVO (Pabst in Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2018, Art. 23 DS-GVO Rn. 3),
  • für das Medienrecht in Art. 85 DS-GVO (Frey in Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2018, Art. 85 DS-GVO Rn. 2),
  • für den Beschäftigungskontext in Art. 88 DS-GVO (dazu Thüsing/Traut in Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2018, Art. 88 DS-GVO Rn. 6) und
  • für die Datenschutzvorschriften der Kirchen in Art. 91 DS-GVO (dazu Thüsing/Rombey in Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG, 2018, Art. 91 DS-GVO Rn. 8) zu finden.

Ob angesichts dieser bestehenden Öffnungsklauseln eine wirkliche Vollharmonisierung erreicht werden kann, bleibt indes abzuwarten.
III. Zweck
Die DS-GVO bezweckt neben der erwähnten Vollharmonisierung ausweislich des Art. 1 DS-GVO sowohl den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, der Grundrechte und Grundfreiheiten als auch den freien Fluss personenbezogener Daten in der EU. Das mag auf den ersten Blick wie ein Widerspruch in sich klingen, erklärt sich aber dadurch, dass der Verordnungsgeber klarstellen wollte, dass die DS-GVO kein Totalverbot der Verarbeitung personenbezogener Daten enthält, sondern allein einen angemessenen Ausgleich dieser gegensätzlichen Positionen anstrebt (dazu Plath in Plath, DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2016, Art. 1 DS-GVO Rn. 6).
IV. Inhalt der DS-GVO
Inhaltlich hebt die DS-GVO die Rechte der von der Verarbeitung personenbezogener Daten Betroffenen im Vergleich zur vorherigen Rechtslage an, zudem werden die Aufsichtsbehörden gestärkt und nicht zuletzt effektivere Sanktionsmaßnahmen geschaffen, die sich auf bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes des gegen die DS-GVO verstoßenden Unternehmens oder bis zu 20 Mio. Euro belaufen können.
Dennoch gilt das bewährte Prinzip fort, wonach jede Verarbeitung personenbezogener Daten der Rechtfertigung bedarf und einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterliegt, das sich aus einer Zusammenschau der Art. 5 und Art. 6 DS-GVO ergibt. Liegt kein Erlaubnistatbestand vor, bleibt sie verboten.
Wichtige Erlaubnistatbestände listet insbesondere Art. 6 I 1 DS-GVO auf. Dabei sind allerdings viele Begriffe auslegungsbedürftig. Ebenso stellt die jederzeit widerrufbare Einwilligung die Praxis vor Herausforderungen.
„Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:
a) Die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben;
b) die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen;
c) die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt;
d) die Verarbeitung ist erforderlich, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen;
e) die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde;

f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.“
Soweit es um besondere Kategorien äußerst sensibler Daten geht (etwa Gesundheitsdaten), greifen spezielle Regelungen (auch solche des Bundesdatenschutzgesetzes).
V. Kontrollverlust des BVerfG in Teilbereichen

Nach der wegweisenden Entscheidung des BVerfG im sog. Volkszählungsurteil, wonach jeder selbst das Recht hat, „über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“ (BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, 43), hat sich das informationelle Selbstbestimmungsrecht fest im deutschen Grundrechtskanon etabliert. Soweit es allerdings allein um Regelungen der DS-GVO geht und nicht etwa um das ebenfalls ab dem heutigen Tag geltende neue Bundesdatenschutzgesetz, ist künftig der EuGH zuständig, auch wenn zugegebenermaßen die Aufsichtsbehörden primär über die Einhaltung der Datenschutzvorschriften wachen und auch vor deutschen Gerichten verhandeln können.
VI. Auflistung wichtiger Betroffenenrechte
Die – wie angesprochen gestärkten – Betroffenenrechte lassen sich wie folgt systematisieren:

  • Besonders wichtig: Der Betroffene hat ein Recht auf Auskunft, vor allem was die über ihn gespeicherten Daten und die entsprechenden Verarbeitungszwecke betrifft (Art. 15 DS-GVO). Dadurch wird die DS-GVO allerdings auch ein gutes Stück weit bürokratischer.
  • Der Betroffene hat ein Recht auf Berichtigung, was unrichtige oder unvollständige Daten anbelangt (Art. 16 DS-GVO).
  • Der Betroffene hat ein Recht auf Löschung, soweit seine personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitetet wurden oder ihre Speicherung nicht mehr erforderlich ist (Art. 17 DS-GVO).
  • Der Betroffene kann Widerspruch gegen die Verarbeitung einlegen (Art. 21 DS-GVO).

VII. Eine wirkliche Innovation
Eine wirkliche Neuerung enthält Art. 20 DS-GVO. Danach besteht ein Recht auf Datenportabilität. Demgemäß sollen Betroffene das Recht haben, ihre bei einem Verantwortlichen gespeicherten Daten auf einen anderen übertragen zu lassen. Dies soll u.a. den Wettbewerb unter den Verantwortlichen stärken und es den Betroffenen ermöglichen, den Verantwortlichen leichter zu wechseln. Zugeschnitten ist die Vorschrift ersichtlich auf Internetanbieter, insbesondere auf Social Media Plattformen. Ein Wechsel, etwa von Facebook zu Instagram oder Twitter, ist nun also unter Mitnahme der Daten einfacher möglich. Zugleich wird der ökonomisch genutzte Lock-In-Effekt, der Wechselhindernisse zu einem anderen Anbieter beschreibt, abgeschwächt.

25.05.2018/2 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2018-05-25 08:30:592018-05-25 08:30:59Basics zur Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)
Dr. Yannik Beden, M.A.

Kaufrechtliche Mängelhaftung 2018: Die Reform im Überblick

AGB-Recht, Aktuelles, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Zivilrecht

Pünktlich zum neuen Jahr treten mit dem „Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen Siegel im Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren“ (BGBl. I 2017, 969) einige äußerst prüfungsrelevante Neuregelungen im Bereich des Sachmangelgewährleistungsrechts in Kraft. Im Fokus steht vor allem die Bestimmung zur Kostentragungspflicht bei den sog. Ein- und Ausbaufällen in § 439 Abs. 3 BGB n.F. Die gewährleistungsrechtliche Einordnung erfolgte hier bislang vordergründig durch die Rechtsprechung des BGH – man denke an die Entscheidungen zum Verbau von Parkettstäben und Fliesen. Vertiefte Kenntnisse zur kaufrechtlichen Mängelhaftung werden von jedem Examenskandidaten erwartet. Der nachfolgende Beitrag bietet daher einen Überblick zu den klausurrelevantesten Neuregelungen:
I. Ausgangspunkt
Das Gesetz sieht im Schwerpunkt Novellierungen des Bauvertragsrechts vor. In Anbetracht der durch die stetige Weiterentwicklung der Bautechnik steigenden Komplexität dieser Spezialmaterie und der umfangreichen Rechtsprechung soll mit den gesetzlichen Neuerungen den bisherigen Rechtsanwendungsproblemen ein Stück weit abgeholfen werden. Hiermit einher ging auch eine Überarbeitung der Mängelhaftung im Kaufrecht: Der Gesetzgeber hat insbesondere die Kostentragung bei den sog. Ein- und Ausbaufällen ausdrücklich in § 439 Abs. 3 BGB geregelt. In diesem Zusammenhang finden sich auch diverse Novellierungen zum Verbrauchsgüterkauf, zur Regressregelung bei Lieferketten sowie Neubestimmungen im Recht der AGB.
II. Aufwendungsersatzanspruch bei Ein- und Ausbau

Die wohl prüfungsrelevanteste Änderung stellt die ausdrückliche Anordnung einer Kostentragungspflicht des Verkäufers hinsichtlich des Ausbaus der mangelhaften sowie Einbaus der mangelfreien Sache nach § 439 Abs. 3 S. 1 BGB dar:
„Hat der Käufer die mangelhafte Sache gemäß ihrer Art und ihrem Verwendungszweck in eine andere Sache eingebaut oder an eine andere Sache angebracht, ist der Verkäufer im Rahmen der Nacherfüllung verpflichtet, dem Käufer die erforderlichen Aufwendungen für das Entfernen der mangelhaften und den Einbau oder das Anbringen der nachgebesserten oder gelieferten mangelfreien Sache zu ersetzen.“
Bereits die systematische Verortung macht deutlich, dass der Anwendungsbereich des Anspruchs auf Aufwendungsersatz nicht auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt ist, sondern vielmehr für alle Kaufverträge gleichermaßen gilt. Der bisherige Streit um eine „gespaltene Auslegung“ des § 439 BGB ist daher obsolet geworden. Entgegen der ursprünglichen Entwurfsfassung (BT-Drucks. 18/8486, S. 39) hat der Verkäufer nach der neuen Regelung kein Wahlrecht, den Ein- und Ausbau entweder selbst vorzunehmen oder sich zum Ersatz der hierfür angemessenen Aufwendungen zu verpflichten. Der Gesetzgeber hat sich für eine ausschließliche Kostentragungspflicht des Verkäufers entschieden. Ausweislich der Gesetzesbegründung wurde von einem Recht zur Selbstvornahme des Verkäufers aufgrund von etwaigen Konkurrenzen zwischen Hauptleistungspflichten aus einem Werkvertrag einerseits und Gewährleistungsrechten aus dem Kaufvertrag andererseits bewusst abgesehen (BT-Drucks. 18/11437, S. 2).
Der Verzicht auf ein Wahlrecht des Verkäufers ist sowohl unter rechtlichen als auch ökonomischen Gesichtspunkten durchaus zweifelhaft. Dass der Verkäufer von vornherein auf eine Kostentragungspflicht verwiesen wird, ist in Anbetracht seines Rechts zur zweiten Andienung systematisch wenig überzeugend. Zwar betrifft der Aufwendungsersatzanspruch nicht den Kaufgegenstand selbst, sondern nur die durch den Ein- und Ausbau entstehenden Zusatzbelastungen. Diese stehen jedoch in unmittelbaren Zusammenhang zur Mangelhaftigkeit der Sache. Auch der BGH hat bislang den Ein- und Ausbau unter die Nacherfüllungspflicht des Verkäufers gefasst. In volkswirtschaftlicher Hinsicht wird der Anspruch auf Aufwendungsersatz regelmäßig zu (eigentlich vermeidbaren) Mehrkosten des Verkäufers führen: Welche Aufwendungen „erforderlich“ sind, soll nach der Intention des Gesetzgebers in Anlehnung an die Judikatur zu § 637 BGB bestimmt werden (BT-Drucks. 18/11437, S. 40). Beauftragt der Käufer einen Dritten mit dem Ein- und Ausbau der Sachen, werden die daraus resultierenden Kosten in den meisten Fällen höher ausfallen als diejenigen, die der Verkäufer bei eigener Durchführung der Arbeiten zu tragen hätte. Dieser kann einen sach- und fachgerechten Aus- und Einbau seines Produktes üblicherweise am kostengünstigsten durchführen.
Aufgrund der Neuregelung in § 439 Abs. 3 S. 2 BGB kann der Käufer den Ersatz der erforderlichen Aufwendungen nur verlangen, wenn er im Zeitpunkt des Einbaus bzw. Anbringens der mangelhaften Sache im guten Glauben bzgl. der Mangelfreiheit war. Anderes gilt wohl unter Berücksichtigung des Verweises auf § 442 Abs. 1 BGB nur dann, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Beschaffenheitsgarantie übernommen hat.
III. Anwendbare Vorschriften beim Verbrauchsgüterkauf und Vorschusspflicht

§ 475 Abs. 4 S. 2 BGB verschafft dem Verkäufer ein als Einrede ausgestaltetes, beschränktes Leistungsverweigerungsrecht im Verbrauchsgüterkauf (vgl. BT-Drucks. 18/8486, S. 43). Führt die einzig mögliche Art der Nacherfüllung aufgrund von Ein- und Ausbaukosten zu unverhältnismäßigen Kosten, kann der Unternehmer den Aufwendungsersatz auf einen angemessenen Betrag beschränken. In der Klausur muss hier genau zwischen den einzelnen Kostenposten differenziert werden, da eine Kostenbeteiligung des Käufers über die Ein- und Ausbaukosten hinaus ausdrücklich nicht angeordnet wird. Insbesondere sind also die durch die Mangelhaftigkeit der Sache entstehenden Kosten der Nachbesserung bzw. Nacherfüllung nicht zu berücksichtigen. § 475 Abs. 4 S. 3 BGB beinhaltet die rechtstatsächlich wenig hilfreiche Bestimmung, dass bei der Bemessung des „angemessenen“ Betrags insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen sind. Der bewusst weit gefasste Wortlaut wird demzufolge von der Rechtsprechung (erneut) zu konkretisieren sein.
§ 475 Abs. 6 BGB räumt dem Verbraucher für Aufwendungen, die im Rahmen des Aus- und Einbaus entstehen und vom Unternehmer zu tragen sind, einen Anspruch auf Vorschuss gegen den Verkäufer ein. Der Anwendungsbereich der Norm ist allerdings nicht auf die Aus- und Einbaukosten beschränkt, sondern umfasst den gesamten Nacherfüllungsanspruch nach § 439 Abs. 2, 3 BGB.
IV. Regress bei Lieferketten

Da die Neuregelung zur Kostentragungspflicht nunmehr für sämtliche Kaufverträge und unabhängig vom Vorliegen eines Verbrauchsgüterkaufs gilt, wurden auch die Bestimmungen zu Regressansprüchen bei Lieferketten im allgemeinen Kaufrecht implementiert. Je nachdem, in welchem Zeitpunkt der Mangel bereits besteht, können die Nacherfüllungskosten sowie die durch den Aufwendungsersatzanspruch nach § 439 Abs. 3 S. 1 BGB entstandenen Kosten gem. § 445a Abs. 1 BGB in der Lieferkette „durchgereicht“ werden:
„Der Verkäufer kann beim Verkauf einer neu hergestellten Sache von dem Verkäufer, der ihm die Sache verkauft hatte (Lieferant), Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Verhältnis zum Käufer nach § 439 Absatz 2 und 3 sowie § 475 Absatz 4 und 6 zu tragen hatte, wenn der vom Käufer geltend gemachte Mangel bereits beim Übergang der Gefahr auf den Verkäufer vorhanden war.“
§ 445a Abs. 3 BGB ordnet eine entsprechende Anwendung des ersten Absatzes auf die Ansprüche des Lieferanten sowie der übrigen Käufer in der Lieferkette an, sodass der Aufwendungsersatzanspruch ggf. auch gegenüber dem Hersteller der Kaufsache geltend gemacht werden kann. Nachteile aus der Mangelhaftigkeit sollen also zu dem Unternehmer weitergegeben werden, in dessen Bereich der Mangel entstanden ist (BT-Drucks. 18/8486, S. 42). In der Klausur muss beachtet werden, dass etwaige Fristsetzungen als Voraussetzungen für Rücktritt, Minderung oder Schadensersatz innerhalb der Lieferkette entbehrlich sind, wenn der jeweilige Gläubiger die Sache von seinem Abnehmer zurücknehmen musste. Die Bestimmungen zur Verjährung von Rückgriffsansprüchen in § 445b BGB entsprechen im Wesentlichen den bisherigen Regelungen des § 479 Abs. 1 BGB im Verbrauchsgüterkauf.
V. Bestimmungen zur Kostentragung bei Ein- und Ausbaufällen in AGB
Nach der neuen Regelung in § 309 Nr. 8 lit. b, cc BGB sind bei Verträgen über Lieferungen neu hergestellter Sachen und über Werkleistungen Bestimmungen unwirksam, denen zufolge
„die Verpflichtung des Verwenders ausgeschlossen oder beschränkt wird, die zum Zweck der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen nach § 439 Absatz 2 und 3 oder § 635 Absatz 2 zu tragen oder zu ersetzen“.
Die Bestimmung soll verhindern, dass der Käufer in Ermangelung eines Selbstvornahmerechts des Verkäufers weder von diesem den Ein- und Ausbau kostenfrei erhält, noch die durch eigene Vornahme des Ein- und Ausbaus entstehenden Kosten vom Verkäufer ersetzt bekommt. Im Rahmen der Gesetzesfindung wurde sogar diskutiert, ob der Anwendungsbereich des Klauselverbots ausdrücklich auf den unternehmerischen Bereich erstreckt werden soll, wovon jedoch in Anbetracht der Rechtsprechung des BGH zur Indizwirkung der Klauselverbote letztlich abgesehen wurde (BT-Drucks. 18/11437, S. 39). Der das Verbot prägende Schutzzweck – Vermeidung einer Kostenabwälzung auf den Käufer – ist jedoch nicht konterkariert, wenn sich der Verkäufer zum kostenfreien Ein- und Ausbau vertraglich verpflichtet. Ob die Rechtsprechung ein Abbedingen der Kostenübernahmeregelung aus § 439 Abs. 3 BGB – und damit letztlich ein vertragliches Selbstvornahmerecht des Verkäufers – in diesen Fällen akzeptieren wird, bleibt abzuwarten. Unter Berücksichtigung der klaren Absage des Gesetzgebers gegenüber einem Wahlrecht des Verkäufers wird man hiervon nicht ausgehen können.
VI. Ausblick
Mit der Reform der kaufrechtlichen Mängelgewährleistung hat sich der Gesetzgeber der bereits seit einigen Jahren bestehenden Problematiken der Ein- und Ausbaufälle endlich angenommen. Ob der Weg über einen Aufwendungsersatzanspruch des Käufers ohne Möglichkeit des Verkäufers zur Selbstvornahme rechtssystematisch und ökonomisch überzeugt, ist äußerst fraglich. Für die Klausur müssen neben § 439 Abs. 3 BGB auch die Neuregelungen zu den Regressansprüchen sowie die Bestimmungen zur Einrede der absoluten Unverhältnismäßigkeit beim Verbrauchsgüterkauf beherrscht werden. Die Gesetzesreform bietet eine Fülle an neuem Prüfungsstoff und sollte deshalb von jedem Prüfling eingehend studiert werden.
 
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03.01.2018/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-01-03 10:00:312018-01-03 10:00:31Kaufrechtliche Mängelhaftung 2018: Die Reform im Überblick
Dr. David Saive

Gruppenstrafbarkeit im StGB

Aktuelles, Startseite, Strafrecht

Mit der Änderung des Sexualstrafrechts soll u.a. ein neuer § 184j StGB eingefügt werden. Dieser sieht eine Bestrafung des einzelnen Gruppenmitglieds schon dann vor, wenn aus der Gruppe heraus sexuelle Übergriffe begangen werden, ohne dass der Einzelne selbst übergriffig wurde.
Auch wenn der Bundesrat den Gesetzesänderungen noch zustimmen muss, lohnt sich im Hinblick auf Prüfungsgespräche der mündlichen Prüfung eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Thema.
 
1. Der Tatbestand
Der Originaltext des neuen § 184j StGB-E lautet wie folgt:

Straften aus Gruppen
Wer eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine Straftat nach den §§ 177 oder 184i begangen wird und die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Gesetzgeber eine derartige Strafnorm geschaffen hat. Der neue § 184j StGB weist strukturelle Ähnlichkeiten zu § 231 StGB, Beteiligung an einer Schlägerei auf:

(1) Wer sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, wird schon wegen dieser Beteiligung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226) verursacht worden ist.
(2) Nach Absatz 1 ist nicht strafbar, wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne daß ihm dies vorzuwerfen ist.

 
Beide Tatbestände setzen die „Beteiligung“ an einer Gruppenhandlung voraus. Zudem muss jeweils – als objektive Strafbarkeitsvoraussetzung – eine Straftat aus dieser Gruppe heraus begangen worden sein.
 
2. Verfassungsmäßigkeit des § 231 StGB
Da die beiden Tatbestände den klassischen Teilnahmebegriff des Strafrechts erweitern, stellt sich unweigerlich die Frage, wie diese mit Schuldprinzip vereinbar sind.
Das Schuldprinzip kann gleich an mehreren Stellen verfassungsrechtlich herangezogen werden. Zum einen ergibt sich aus dem in Art. 20 III GG normierten Rechtsstaatsprinzip, dass man nur für solche Taten belangt werden darf, die man auch zu verantworten, d.h. verschuldet hat.
Zum Anderen folgt auch aus Art. 103 II GG, nulla poena sine lege, dass ein Täter nur dann für eine Tat bestraft werden darf, wenn diese zuvor mit Strafe bedroht war und er diesen Verstoß auch persönlich zu verantworten hat – nulla poene sine culpa.
Hinzukommt, dass das Schuldprinzip in § 46 I 1 StGB ausdrücklich als Strafbarkeitsvoraussetzung genannt wird:

Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe.

Aus dem Schuldprinzip erwächst gerade die Notwendigkeit, klare Regeln für die Strafbarkeit zu entwickeln, wenn der eigentliche Tatbestand nicht von einer Person selbst verwirklicht worden ist. Aus diesem Grund wurden die Kriterien für Täterschaft und Teilnahme geschaffen.
Werden diese nicht erfüllt, kann die Verantwortlichkeit bzw. Schuld nicht ausgeweitet werden und die Strafbarkeit für Dritte entfällt.
Der neue § 184j StGB, sowie der bereits bestehende § 231 StGB setzen sich in ihren Formulierungen indes über die Kriterien von Täterschaft und Teilnahme hinweg.
Zwar muss sich hiernach eine Person an einer Ansammlung beteiligen, aus der eine Straftat heraus begangen wird, jedoch genügt dieses Verhalten schon allein, um die Strafe zu begründen.
 
Um diesem Konflikt zu begegnen, erblickt die h.M. zumindest in § 231 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt.[1] Insofern wird schon die bloße Beteiligung an einer Schlägerei als potentiell gefährlich eingestuft und somit unter Strafe gestellt.
Dem Kernproblem der generellen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von abstrakten Gefährdungsdelikten wird somit jedoch nicht begegnet. Allerdings hat hierzu das BVerfG in seiner Entscheidung zu § 100e StGB a.F. festgestellt, dass solche abstrakten Gefährdungsdelikte dann verfassungskonform sind, wenn der erstrebte Zweckt und die Strafandrohung in einem sachgerechten Verhältnis zueinander stehen.[2]
231 StGB sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe vor. Es handelt sich somit um ein Vergehen. Sinn und Zweck der Norm ist es, die undurchsichtige Situation einer Schlägerei und der damit verbundenen besonderen Stärke des Angriffs, sowie den damit zusammenhängenden Beweisschwierigkeiten Rechnung zu tragen.[3] Insoweit steht die Strafandrohung noch in einem sachgerechten Verhältnis zum erstrebten Zweck.
 
3. Verfassungsmäßigkeit des § 184j StGB-E
Wie steht es allerdings mit der Verfassungsmäßigkeit des neuen § 184j StGB-E? Vorausgesetzt, § 184j StGB-E ist ebenfalls als abstraktes Gefährdungsdelikt einzuordnen, stellt sich auch hier die Frage, ob der Sinn und Zweck der Norm, sowie die Strafandrohung in einem sachgerechten Verhältnis zueinander stehen.
Sinn und Zweck der Norm soll es sein, die Beteiligung an einer objektiv gefährlichen Situation zu unterbinden.[4] Damit ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe gemeint, die eine Person i.S.d. neuen § 184j StGB-E bedrängt. Vorgesehen ist hierfür eine Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe. Insoweit liegt die Strafandrohung noch unter der des § 231 StGB. Ebenso wie in § 231 StGB liegt auch bei § 184j StGB-E eine undurchsichtige Situation vor, aus der eine besondere Gefährdung für das Opfer erwächst. Dieses sieht sich nunmehr nicht nur einer Einzelperson ausgesetzt, sondern gleich einer ganzen Gruppe von – zumindest aus Opfersicht – potentiellen Tätern.
 
a) Gruppe
Allerdings scheint im Hinblick auf den Begriff der Beteiligung an einer Gruppe, die Verfassungsmäßigkeit der Norm äußerst fraglich. Aus dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 II GG, nulla poene sine lege certa, folgt die Pflicht des Gesetzgebers, Strafnormen so genau und bestimmt wie möglich zu formulieren.
Ab wann jedoch eine Gruppe vorliegt, ist unklar. Denkbar wäre es, eine Gruppe schon bei einer Ansammlung von zwei Personen anzunehmen. Schließlich meint Gruppe nur die Mehrzahl von Menschen und somit mehr als eine Person allein.
Andererseits vermögen zwei Personen alleine noch keine, wie vom Gesetzgeber geforderte, Undurchsichtigkeit der Situation, zu verursachen. Folglich müssten es wohl mindestens drei, oder vier, vielleicht auch sieben Personen, wie im Vereinsrecht sein.
Für drei Personen spricht immerhin, dass diese Anzahl auch von § 231 StGB verlangt wird.[5] Zudem spricht auch der Entwurf von einer Mindestanzahl von drei Personen.[6] Eine Begründung hierfür fehlt jedoch. Für Klarheit sorgt der Entwurf somit nicht. Es bleibt weiterhin bei den verfassungsrechtlichen Bedenken.
 
b) Beteiligung
Dabei ist der Frage, ab wann eine Beteiligung an einer solchen Gruppe vorliegt, noch überhaupt nicht nachgegangen worden. Muss es den Mitgliedern der Gruppe um einen gemeinsamen Zweck gehen oder genügt der bloße räumliche Zusammenhang der Einzelnen?
Es wäre durchaus denkbar, zwischen den einzelnen Mitglieder der Gruppe eine gewisse Verbundenheit zu fordern. So wird im Versammlungsrecht zumindest irgendein gemeinsamer Zweck der Versammlung gefordert.
Ginge man hiervon aus, stellt sich die Folgefrage, ab wann diese Verbundenheit bestehen muss. Ist eine ausdrückliche vorherige Abmachung von Nöten, nunmehr als Gruppe aufzutreten oder genügt schon die spontane, womöglich noch konkludente Billligung dessen?
 
Im Gesetzesentwurf wird diesem Problem auf zweierlei Weise begegnet:
Zum einen wird festgestellt, dass ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken nicht verlangt wird.[7] Bloße Ansammlungen von Menschen sind jedoch nicht erfasst.[8] Eine wirkliche Abgrenzung kann somit jedoch nicht vorgenommen werden.
Vielmehr wird das Problem in den subjektiven Tatbestand verschoben. Der Täter muss demnach mindestens billigen in Kauf nehmen, dass aus der Gruppe heraus Straftaten begangen werden.[9]
Dies vor Gericht nachzuweisen, wirft wohl mehr Beweisschwierigkeiten auf, als es ursprünglich zu beseitigen galt.
 
4. Fazit
Letztendlich bestehen zumindest hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines neuen § 184j StGB. Gerade deshalb lädt dieser Paragraph zu Diskussionen in mündlichen Prüfungen, aber auch im Freundeskreis (gerne auch in unserer Kommentarspalte) ein. Die wichtigsten Schlagwörter sollten dabei Schuldprinzip, Einordnung der Delikte als abstrakte Gefährdungsdelikte und Bestimmtheitsgebot sein.
 
 
________________________________________________________
[1] Z.B. BGH 14, 134; Lackner/Kühl, Kühl, § 231, Rn.1; MüKo StGB, Hohmann,
§ 231, Rn.2; Schönke/Schröder, Sree/Sternberg-Lieben, § 231, Rn.1.
[2] BVerfGE 28, 175 (188f.).
[3] Schönke/Schröder, Sree/Sternberg-Lieben, § 231, Rn.1.
[4] BT Drucksache 18/9097, S.32, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/090/1809097.pdf; zuletzt abgerufen am 09.08.2016.
[5] Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Paeffgen, § 231, Rn.6.
[6] BT Drucksache 18/9097, S.32.
[7] BT Drucksache 18/9097, ebd.
[8] BT Drucksache 18/9097, ebd.
[9] BT Drucksache 18/9097, ebd.

09.08.2016/3 Kommentare/von Dr. David Saive
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. David Saive https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. David Saive2016-08-09 18:46:552016-08-09 18:46:55Gruppenstrafbarkeit im StGB
Florian Wieg

Notiz: Fliesenfall ade?

Aktuelles, BGH-Klassiker, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Bundesjustizminister Heiko Maas läuft zunehmend Gefahr, bei Prüfern und Klausurstellern im 1. und 2. Juristischen Staatsexamen in Ungnade zu fallen.
Nach seinem Angriff auf manches Strafrechtlers liebstes Kind, dem Mordparagraphen § 211 StGB (s. dazu bereits hier), plant der Minister nun, den Zivilrechtlern ihre Fliesen-, Parkettstäbe- und Dachziegelfälle im Zuge einer normativen Konkretisierung der Rechtsprechung von EuGH (s. dazu bereits hier und hier) und BGH (s. dazu bereits hier) zu § 439 BGB zu nehmen. Nicht minder spektakulär ist die beabsichtigte Erstreckung des Rechts der Mängelhaftung auf B2B-Geschäfte, die der BGH jüngst unter Zugrundelegung des geltenden Rechts abgelehnt hatte (s. dazu bereits hier und hier ).
Ein höchst examensrelevantes Vorhaben.
Den Referentenentwurf des BMJV gibt’s hier.

06.11.2015/0 Kommentare/von Florian Wieg
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Florian Wieg https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Florian Wieg2015-11-06 09:00:312015-11-06 09:00:31Notiz: Fliesenfall ade?
Dr. Sebastian Rombey

Reform des Mordparagrafen

Aktuelles, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz, Heiko Maas, hat vor einiger Zeit eine Kommission von 15 Experten einberufen, um ein Konzept für die Neuregelung der Tötungsdelikte erarbeiten zu lassen, genauer gesagt einen Vorschlag für die Überarbeitung des Totschlags- und des Mordparagrafen. Der über 900 Seiten lange Abschlussbericht der Expertenkommission wurde nun vor kurzem veröffentlicht und zeigt vor allem, dass trotz verbreiteten Reformwillens eine Neuregelung alles andere als einfach ist. Folgender Kommentar fasst die Problematik prägnant zusammen:
„Der Versuch, die unbestimmten Unterscheidungsmerkmale zwischen Mord und Totschlag durch klarere und rationalere zu ersetzen, war dem Abschlagen der Köpfe einer Hydra vergleichbar, der jeweils zwei neue (hier: ebenso unbestimmte Merkmale) nachwachsen.“ (Hamm, NJW-Editorial, Heft 30, 2015).
I. Die Ausgangslage
Nationalsozialistisches Gedankengut ist glücklicherweise nur noch äußerst selten in der Bundesrepublik anzutreffen. Umso mehr erstaunt es, dass Wortlaut und Regelungstechnik des deutschen Mordparagrafen nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht geändert wurden, ist doch gerade § 211 StGB zu einer Zeit formuliert worden, in welcher sich das Deutsche Reich unter Adolf Hitler selbst des Mordes schuldig machte. Der über lange Zeit hinweg fehlenden Reformbereitschaft der Politik nach 1945 ist es geschuldet, dass die den Tatbeständen der §§ 211, 212, 213 StGB anhaftenden unbestimmten Rechtsbegriffe durch die Rechtsprechung konkretisiert werden mussten. Und auch die in den genannten Delikten deutlich werdende Tätertypenlehre und der Exklusivitäts-Absolutheits-Mechanismus der lebenslangen Freiheitsstrafe mussten mittels ständiger Korrekturen durch BVerfG, BGH und Schrifttum an die Werteordnung sowie das Rechtsverständnis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des parlamentarischen und repräsentativ-demokratischen Nachkriegsdeutschland angepasst werden. Trotzdem, vielleicht aber auch gerade deswegen, wird weiterhin Kritik an den unbestimmten Mordmerkmalen, der lebenslangen Freiheitsstrafe und den der Nazi-Zeit entstammenden Formulierungen geübt.
So lautet die Formulierung des § 211 Abs. 1 StGB beispielsweise „Mörder ist, wer…“, dem Sprachgebrauch des berüchtigten braunen Strafrichters Roland Freisler folgend, der damit im Jahre 1941 Verbrecherpersönlichkeiten beschreiben wollte. Zudem wenden die Gerichte seit BGHSt 30, 105 die sog. Rechtsfolgenlösung (Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB) an, also eine richterrechtlich entwickelte Strafzumessungslösung für Morde, bei denen es aufgrund des verringerten Unrechts unverhältnismäßig wäre, die lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen (so bei tiefem Mitleid, gerechtem Zorn oder starker Provokation; vgl. auch die Fälle des sog. Haustyrannenmordes). Es bleibt fraglich, warum der Tatbestand des Mordes nicht bereits früher vom Gesetzgeber novelliert wurde. Denn spätestens mit einer derartigen (und teilweise fraglichen) Entfernung der Rechtsprechung von dem klaren Gesetzeswortlaut des § 211 Abs. 1 StGB („Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“) wurde der Rubikon eindeutig überschritten.
II. Die angestrebten Reformen
Auf folgende Eckpunkte, die für die erste Staatsprüfung relevant werden könnten, sollten sie denn später Teil des StGB werden, konnte sich die Expertenkommission einigen:

  • Es wird weiterhin zwischen Mord und Totschlag differenziert.
  • In der Neufassung der §§ 211, 212, 213 StGB werden jedoch die aus der Tätertypenlehre stammenden Begriffe des „Mörders“ bzw. des „Totschlägers“ gestrichen. Stattdessen sollen nun richtigerweise – wie auch im restlichen System des StGB – an tatbezogene Formulierungen angeknüpft werden.
  • Trotzdem sollen die Mordmerkmale und damit die besonders in der Kritik stehenden Merkmale der „Heimtücke“ sowie der „niederen Beweggründe“ beibehalten werden. Dies konterkariert z. T. die Aufhebung der nationalsozialistischen Begriffe des Mörders und Totschlägers, soll doch auch der neue Mordparagraf weiterhin die ideologisch und emotional behafteten Mordmerkmale aus der Zeit des Nationalsozialismus enthalten. Zudem bleibt mit den „niederen Beweggründe“ die Generalklausel des Mordes bestehen, auf der mehr als 50 % aller Urteile im Bereich des Mordes beruhen. Hier wäre eine Überarbeitung wünschenswert gewesen.
  • Die in § 211 StGB genannten Mordmerkmale sollen jedoch zumindest zur Konkretisierung der „niederen Beweggründe“ durch weitere Tötungsbeweggründe ergänzt werden. Dazu zählen die neuen Mordmerkmale der Tötung eines Menschen wegen
    • des Geschlechts,
    • der Abstammung,
    • der Rasse,
    • der Sprache,
    • der Herkunft,
    • des Glaubens.
  • Zudem soll das neue Mordmerkmal der Mutwilligkeit eingeführt werden.
  • Die lebenslange Freiheitsstrafe (Exklusivitäts-Absolutheits-Mechanismus) soll grundsätzlich beibehalten werden. Keiner der 15 Experten sprach sich dafür aus, dass es eine dem Alter des Täters entsprechende zeitige Freiheitsstrafe eingeführt werden solle. Die zuvor in konservativen Kreisen geäußerte Befürchtung, man wolle durch die Reform des Mordparagrafen das lebenslängliche Strafmaß nur noch weiter aufweichen (die Kritik bezieht sich auf die bereits vorhandenen §§ 57a, 57b StGB, welche die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe bereits regeln) hat sich folglich vorerst nicht bestätigt. Gleichwohl soll insgesamt die lebenslange Freiheitsstrafe kein absolut zwingendes Strafmaß mehr sein; im Einzelfall die Schuld und den Unrechtsgehalt der Tat mildernde Umstände sollen von den Gerichten berücksichtigt werden können. In dem Bericht existieren dazu verschiedene Lösungs- und Reformvorschläge.
  • 213 StGB (minder schwerer Fall des Totschlags) soll beibehalten werden; allerdings soll die Mindeststrafe auf zwei Jahre Freiheitsstrafe angehoben werden.

Der ausführliche Abschlussbericht der Kommission kann im Detail hier eingesehen werden.
III. Fazit und Ausblick
Zu begrüßen ist, dass sich das Bundesjustizministerium nun endlich dazu entschlossen hat, notwendige und längst überfällige Reformen im Bereich der Tötungsdelikte durchzuführen. Dass die Kommission aus verschiedenen Experten und Meinungsvertretern aus Wissenschaft und Praxis aufgrund vorprogrammierter, divergierender Ansichten keine grundlegend neue Gesetzessystematik einschließlich eines gänzlich neuen Wortlauts vorlegen würde, war zu erwarten. Trotzdem sind die vorgeschlagenen Reformen ein Schritt in Richtung eines von nationalsozialistischen, ideologischen und moralisierenden Wertungen befreiten deutschen Strafrechts im Bereich der Tötungsdelikte.
Die Vorschläge der Kommission werden nun im Bundesjustizministerium geprüft, bevor es zu einem ersten Gesetzentwurf kommt. Gleichwohl hat Heiko Maas bereits durchblicken lassen, dass der Vorschlag der Kommission, ein „modernes“ Recht schaffen und die nationalsozialistische Terminologie des Tätertypen streichen zu wollen, dankbar angenommen werde.Auch zu anderen Vorschlägen der Experten hat er bereits vor Veröffentlichung des Berichtes in der Öffentlichkeit Stellung bezogen; so sagte er beispielsweise, dass es die herausgehobene lebenslange Freiheitsstrafe aufgrund des besonderen Unrechts und unter Beachtung des hohen Wertes des menschlichen Lebens des Opfers weiterhin geben werde (vgl. z. B. den Bericht von Müller-Neuhof, „Mord soll nicht mehr bleiben, was er war“, in „Der Tagesspiegel“ vom 29.06.2015). Es ist demnach anzunehmen, dass sich viele der Beratungsergebnisse in dem späteren Gesetzesentwurf größtenteils unverändert wiederfinden werden. Dort könnte zusätzlich ein „minder schwerer Fall des Mordes“ in den Gesetzestext aufgenommen werden.
Der Bundestag soll noch 2015 über das noch vorzulegende Gesetz abstimmen. Dort kann sich Maas aber bereits auf Gegenwind aus den Reihen des Koalitionspartners CDU/CSU gefasst machen, der insbesondere gegen eine Flexibilisierung des Strafrahmens des Mordes Stellung bezieht. Und auch aus Reihen der Bundestagsfraktion der Linken wird Kritik an den Reformvorschlägen geäußert, dort wird die Beibehaltung der Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag für falsch gehalten.
In der Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 8.2.2014 („Mord und Totschlag, Maas will Strafrecht reformieren.“) antwortete Maas im Interview mit Heribert Prantl auf die Frage, ob er Mord und Totschlag neu beschreiben wolle, wie folgt:
„Zumindest will ich dafür sorgen, dass die Gerichte nicht mehr gezwungen werden, Konstruktionen an der Grenze der erlaubten richterlichen Rechtsfortbildung erfinden zu müssen, um Urteile sprechen zu können, die nicht nur dem Gesetz, sondern auch dem Gerechtigkeitsbedürfnis entsprechen.“
Heiko Maas wird sich an dieser Aussage messen lassen müssen.
Juraexamen.info wird weiterhin über den Verlauf der Reformen informieren, denn sollte eine Gesetzesänderung wirklich erfolgen, wird diese Anlass neuer Rechtsprobleme sein, die sicherlich in Klausuren und Examensarbeiten nicht ungeprüft bleiben werden.

04.08.2015/4 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2015-08-04 07:45:322015-08-04 07:45:32Reform des Mordparagrafen
Dr. Jan Winzen

Neues zur ZPO: Das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung u.a.

Rechtsgebiete, Referendariat, Schwerpunktbereich, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht, ZPO

Zum neuen Jahr haben sich einige Vorschriften in der Zivilprozessordnung geändert. Grundlage für diese Änderungen ist das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2258). Bemerkenswert ist, dass dieses Gesetz teilweise seit dem 01. August 2009 in der Welt ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte das Gesetz grundsätzlich aber erst nach einer angemessenen Übergangsfrist in Kraft treten, um den Ländern dessen organisatorisch-technische Umsetzung zu ermöglichen (BT-Drucks. 16/10069, S. 54).
Obwohl in der Literatur von „Institutionellen Änderungen“ (Vollkommer, NJW 2012, 3681) und einem „Sprung vom 19. ins 21. Jahrhundert“ (Würdinger, JZ 2011, 177) die Rede ist, dürfte sich die Bedeutung der Reform für die Juristenausbildung in Grenzen. Gleichwohl dürfte ein Überblick über die Änderungen gerade für Referendare interessant sein.
Nach dem allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber vor allem die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung für den Gläubiger im Vollstreckungsverfahren vorverlagern und verbessern (BT-Drucks. 16/10069, S. 1, 20), denn

Die Möglichkeiten der Informationsgewinnung für den Gläubiger setzen erst nach einem erfolglosen Fahrnispfändungsversuch und damit zu spät ein.
Für die Erteilung eines Vollstreckungsauftrags benötigt er allerdings konkrete Anhaltspunkte über verwertbares Vermögen des Schuldners. Nach geltendem Recht kann der Gläubiger erst nach einem fruchtlosen Fahrnispfändungsversuch die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung, in deren Rahmen der Schuldner ein Verzeichnis seines gesamten Vermögens vorzulegen hat, verlangen.

und

Dieses Regelungskonzept folgt der Vorstellung, primäres Vollstreckungsziel sei die Pfändung und Verwertung beweglicher Sachen (Fahrnisvollstreckung). Dieser Ansatz erklärt sich historisch daraus, dass noch im 19. Jahrhundert bei weiten Bevölkerungskreisen werthaltiger Besitz ganz überwiegend aus beweglicher Habe bestand.

Im Übrigen sollen weitere nach Ansicht des Gesetzgebers überfällige Anliegen des allgemeinen Vollstreckungsrechts umgesetzt werden (BT-Drucks. 16/10069, S. 20).
Während die Darstellung (vor allem der verfahrensrechtlichen) Einzelheiten der Reform (inbesondere auch betreffend das neue Schuldnerverzeichnis nach § 882b ff. ZPO) der Fachliteratur vorbehalten bleibt, soll im Folgenden ein Überblick über diejenigen Neuerungen gegeben werden, die zumindest auch den ZPO-Prüfungsstoff betreffen.
I. §§ 754, 755 ZPO: neue Befugnisnorm für Gerichtsvollzieher
Mit Wirkung vom 01.01.2013 wurden die §§ 754, 755 ZPO neugefasst. Der alte § 754 ZPO wurde gestrichen. Der neue § 754 ZPO enthält jetzt zwei Absätze. Abs. 1 ist klarstellender Natur (bezüglich hoheitlicher Befugnisse des Gerichtsvollziehers) und Abs. 2 enthält den früheren § 755 Abs. 2 ZPO. Der neue § 755 ZPO enthält entsprechend dem allgemeinen Anliegen des Reformgesetzgebers (s.o.) eine neue Befugnisnorm, wonach der Gerichtsvollzieher bei entsprechendem Antrag des Gläubigers den Aufenthaltsort des Schuldners ermitteln darf (was bislang Sache des Gläubigers war – die Formulierung „darf“ ist missverständlich, ein Ermessen steht dem Gerichtsvollzieher nicht zu, BT-Drucks. 16/10069, S. 23).
II. § 753 Abs. 3 ZPO: Formularzwang für Vollstreckungsantrag
§ 754 ZPO diente in der bis zum 31.12.2012 geltenden Fassung (nachlesen!) als Beleg für die Formfreiheit des Antrags auf Einleitung der Zwangsvollstreckung (so etwa bei Lackmann, in: Musielak, ZPO, 9. Auflage 2012, § 753 Rn. 6).
Im Hinblick auf die Form des Antrags auf Einleitung der Zwangsvollstreckung ist nunmehr die neue Verordnungsermächtigung des § 753 Abs. 3 ZPO zu beachten. § 753 Abs. 3 ZPO ermächtigt das Bundesministerium der Justiz, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrats bedarf, einen Formularzwang für sämtliche Vollstreckungsanträge in der ZPO-Zwangsvollstreckung einzuführen.
Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/10069, S. 23) führt dazu aus:

Derzeit können die Vollstreckungsaufträge formlos – auch mündlich – erteilt werden. Die schriftlichen Anträge sind sehr unterschiedlich gestaltet. Zwar verwenden viele Gläubiger Textbausteine; ihr unterschiedlicher Umfang und Aufbau erschweren aber die Erfassung ihres Inhalts durch den Gerichtsvollzieher. Dies gilt insbesondere für die Aufschlüsselung von Haupt- und Nebenforderungen sowie der Kosten. Die Strukturierung des Auftragsinhalts durch einen Formularzwang bietet daher erhebliche Rationalisierungspotenziale.

Für die Forderungspfändung (PfÜB) und die Wohnungsdurchsuchung sind bereits Verordnungen in Kraft getreten und Formulare entwickelt worden, die seit dem 01.03.2013 verbindlich sind (abrufbar auf der Seite des BMF ). Nach Aussagen in der Literatur arbeitet das BMF derzeit an weiteren (verbindlichen) Formularen für alle Zwangsvollstreckungsanträge (Vollkommer, NJW 2012, 3681, 3683). Diese Entwicklung gilt es also unbedingt im Auge zu behalten. In Zukunft dürfte sich dann etwa die Frage stellen, welche Konsequenzen eine Nichtbeachtung des Formularzwangs für daraufhin getroffene Vollstreckungsmaßnahmen hat (Stichworte: Rechtsschutz nach § 766 ZPO, Erinnerungsbefugnis?).
III. § 829a ZPO: Vereinfachung der Zwangsvollstreckung bei elektronischem Auftrag
Im Übrigen wurde zur Vereinfachung und Beschleunigung der Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid ein neuer § 829a ZPO eingefügt. Danach wird im Falle eines elektronischen Auftrags zur Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid bei Pfändung und Überweisung einer Geldforderung auf die Übermittlung der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides verzichtet.
IV. §§ 802a ff. ZPO: Grundsätze der Zwangsvollstrechung
Der 1. Titel des 2. Abschnitts des 8. Buches wird neu gefasst und normiert fortan verschiedene Grundsätze der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen. Das bisher in §§ 899 ff. ZPO geregelte Verfahren zur Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung und der Möglichkeiten zu ihrer Erzwingung wird ebenfalls in diesen Abschnitt verschoben, weil – entsprechend der Intention des Reformgesetzgebers – der vorherige Versuch einer Fahrnisvollstreckung nicht mehr erforderlich ist.

  • § 802a ZPO: Grundsätze der Vollstreckung/Befugnisse der Gerichtsvollziehers

Von besonderer Bedeutung ist insoweit der neue § 802a ZPO, der einige Grundsätze zur Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen vorab festgelegt, die bislang entweder vereinzelt oder gar nicht ausdrücklich in der ZPO geregelt waren.

  • § 802a Abs. 1 ZPO: Grundsatz effizienter Vollstreckung

Besonderer Erwähnung bedarf insoweit § 802a Abs. 1 ZPO, der den insbesondere für die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen bedeutsamen Grundsatz effizienter Vollstreckung, der bislang in der ZPO nicht ausdrücklich niedergelegt war, gesetzlich regelt. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/10069, S. 24) versteht sich die Regelung als programmatische Leitlinie und zugleich als Maßstab für die Rechtsanwendung des Gerichtsvollziehers im Einzelfall. Konkrete Rechtsfolgen sind aus ihr allein jedoch nicht abzuleiten.

  • § 802a Abs. 2 ZPO: Regelbefugnisse des Gerichtsvollziehers

§ 802a Abs. 2 ZPO enthält Regelbefugnisse des Gerichtsvollziehers, die aber – mit Ausnahme der Befugnis zur gütlichen Einigung – vom Gläubiger im Vollstreckungsauftrag ausdrücklich bezeichnet werden müssen.
Der Gläubiger muss dabei insbesondere nicht – wie bisher (§ 807 ZPO aF) – zunächst einen Pfändungsversuch durchführen lassen, bevor er sich Informationen über die aktuelle Vermögenssituation des Schuldners verschaffen darf. Dies ist aus Effizienzgründen nunmehr auch schon im Vorfeld möglich, um anschließend über die Einleitung gezielter Vollstreckungsmaßnahmen entscheiden zu können (Die entsprechenden Vorschriften des § 802a Abs. 2 ZPO sind insofern im Zusammenhang mit dem neuen § 755 ZPO zu sehen).

  • § 802a Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 2. Hs. ZPO: der neue § 845 Abs. 1 Satz 3 ZPO

Wichtig für die Ausbildung ist zudem § 802a Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 2. Hs. ZPO. Diese Norm ersetzt für die Vorpfändung nämlich § 845 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Die Vorpfändung ist als privatrechtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahme vor allem bei der Zwangsvollstreckung in Geldforderung von erheblicher Bedeutung. Sie dient dazu, den bei Zuspätkommen eines gerichtlichen Pfändungsbeschlusses drohenden Schaden durch Rangsicherung (§ 845 Abs. 2 ZPO) zu verhindern. Aus Gründen der Beschleunigung bedarf es abweichend von § 750 ZPO weder der vorherigen Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung, noch der Zustellung an den Schuldner. Da dieses Lehrbuchbeispiel einer Ausnahme von § 750 ZPO nun nicht mehr in § 845 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu finden ist, sollte man, um zu verhindern, dass man in einer Klausur in erhebliche Schwierigkeiten gerät, § 802a Abs. 2 Nr. 5 2. Hs. ZPO unbedingt kennen.

  • § 802c Abs. 1 ZPO: Vermögensauskunft des Schuldners

Die Norm regelt nun die Vermögensauskunft des Schuldners im Vorfeld der Zwangsvollstreckung. Voraussetzungen der Auskunftspflicht sind ein entsprechender Antrag des Gläubigers (vgl. insoweit § 802a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ZPO) und das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung (vgl. auch BT-Drucks. 16/10069, S. 25).
V. Weitere zahlreiche Folgeänderungen
Im Übrigen bringt die Reform zahlreiche redaktionelle und systematische Folgeänderungen. In vielen Fällen wurden einzelne Sätze in Vorschriften gestrichen und in die §§ 802a ff. ZPO verschoben. Wenn man also plötzlich mal eine bekannte Vorschrift vermisst, könnte ein Blick in diesen neuen Abschnitt helfen.
VI. Ab 01.01.2014: Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess
Hingewiesen sei zum Abschluss noch auf das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess vom 05.12.2012 (BGBl. I S. 2418), dass im Wesentlichen zum 01.01.2014 in Kraft treten und u.a. in einem neuen § 232 ZPO eine umfassende Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung bei anfechtbaren Entscheidungen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten in den Zivilprozess einführen wird (siehe zum Hintergrund die Pressemitteilung des BMJ)
 

09.03.2013/2 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-03-09 14:00:032013-03-09 14:00:03Neues zur ZPO: Das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung u.a.
Dr. Jan Winzen

Update: Reform der Hochschullehrerbesoldung

Aktuelles, Öffentliches Recht, Startseite, Verfassungsrecht

Die hessische Landesregierung hat am 28.08.2012 den Entwurf eines Gesetzes zur Ersetzung von Bundesrecht auf dem Gebiet der Hochschullehrerbesoldung und zur Änderung des hessischen Besoldungsgesetzes (Hessisches Professorenbesoldungsreformgesetz) vorgelegt.
In der vergangenen Woche (11.10.2012) fand im hessischen Landtag (Ausschuss für Wissenschaft und Kunst) eine öffentliche Anhörung zu dem neuen Gesetzesentwurf statt.
Hintergrund ist die Entscheidung des BVerfG vom 14.02.2012 (Az: 2 BvL 4/10), in der das Gericht die neue W-Besoldung für Professoren in Hessen als verfassungswidrig einstufte (wir hatten hier bereits ausführlich dazu berichtet).
Noch einmal kurz zur Erinnerung: Die Reform der Professorenbesoldung aus dem Jahre 2002 ersetzte mit Wirkung zum 01. Januar 2005 die C-Besoldung durch die Bundesbesoldungsordnung W. Ziel der Umgestaltung war die Förderung der Leistungsbereitschaft der Professorinnen und Professoren. Das bis dahin geltende System, das Besoldungszuwächse an das steigende Lebensalter geknüpft hatte, wurde durch ein neues variables Besoldungssystem ersetzt, das ein fixes Grundgehalt vorsah, welches nur durch gesondert entlohnte zusätzliche Leistungen erhöht werden konnte. Die Einführung einer wettbewerbsfähigen und flexiblen Bezahlungsstruktur sollte zu einer Verbesserung der Effektivität und Qualität von Lehre und Forschung führen. Nach der Föderalismusreform I (2006) ersetzte das Land Hessen die Bundesbesoldungsordnung W durch eine entsprechende Landesbesoldungsordnung.
Gegenstand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 14.02.2012 waren die durch Einführung der Bundesbesoldungsordnung W in Hessen fixierten Grundgehaltssätze. Nach Ansicht des Gerichts ist die Festsetzung des Grundgehaltssatzes der Besoldungsgruppe W2 nicht mit dem Grundsatz angemessener Alimentation (Art 33 Abs. 5 GG) vereinbar (zur Argumentation siehe hier). Der hessische Landesgesetzgeber war (und ist) berufen, mit Wirkung zum 01.01.2013 eine Neuregelung zu erlassen.
Zur Beseitigung des als verfassungswidrig erkannten Alimentationsdefizits erkennt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber dabei einen gewissen Gestaltungsspielraum zu. Vereinfacht gesagt kann eine amtsangemessene Besoldung einmal durch eine Erhöhung der Grundgehaltssätze auf ein amtsangemessenes Alimentationsniveau erreicht werden. Zum anderen besteht aber auch die Möglichkeit, die bisherigen Leistungsbezüge so auszugestalten, dass sie alimentierten Mindestanforderungen genügen und addiert mit den Grundgehaltssätzen zu einer amtsangemessenen Besoldung führen. Letzteres setzt voraus, dass die Leistungsbezüge „für jeden Amtsträger zugänglich und hinreichend verstetigt“ sind (BVerfG, Urt. V. 14.02.2012, 2 BvL 4/10, Rn. 162 – juris).
Der nun vorgelegte Entwurf geht, indem er eine aufsteigende Anhebung der Grundgehälter auf ein amtsangemessenes Niveau in Anlehnung an die entsprechenden Gehälter der A-Besoldung vorsieht, im Wesentlichen den ersten dieser beiden Wege. Sowohl in der Besoldungsgruppe W2 als auch W3 werden 5 Erfahrungsstufen eingeführt. Die Stufenlaufzeit beträgt jeweils 5 Jahre und soll den Erfahrungszuwachs abbilden. Für die W 2-Besoldung erfolgt in Anlehnung an die Besoldungsgruppe A 15 (Dienstaltersstufe 8) eine Erhöhung auf mindestens 4.780,00 Euro. Dies entspricht einem Zuwachs in Höhe von 430,68 Euro. Wegen des Abstandsgebotes zwischen den Besoldungsgruppen W 2 und W 3 erfolgt angelehnt an die Besoldungsgruppe A 16 (Dienstaltersstufe 8) zudem eine Erhöhung der W 3-Besoldung auf mindestens 5.300,00 Euro.
Zusätzlich zu dem angehobenen Grundgehalt sieht der Entwurf die Gewährung variabler Leistungsbezüge in den Besoldungsgruppen W2 und W3 vor. Die Leistungszulagen stellen dabei aber weiterhin keinen einklagbaren Rechtsanspruch dar (was angesichts der angehobenen Grundgehaltssätze aber auch verfassungsrechtlich nicht geboten ist).
In der öffentlichen Anhörung nahmen u.a. der Hochschullehrerbund (Landesverband Hessen), die Hochschulrektorenkonferenz, verschiedene Präsidenten der Universitäten des Landes Hessen und der Deutsche Hochschulverband (Landesverband Hessen) – teilweise kontrovers – Stellung zu dem Gesetzesentwurf (hier geht es zu den gesammelten schriftlichen Stellungnahmen Teil 1 und Teil 2).

Die Position der Kultusministerkonferenz zu den anstehenden Reformen sind zudem (in einem Eckpunktepapier) hier nachzulesen.

Der weitere Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens bleibt abzuwarten – viel Zeit zum Handeln hat der hessische Landesgesetzgeber indessen nicht mehr.

 

17.10.2012/0 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2012-10-17 09:05:412012-10-17 09:05:41Update: Reform der Hochschullehrerbesoldung
Dr. Stephan Pötters

Reform – neuer § 160a StPO mit ausgeweitetem Beweisverwertungsverbot

StPO, Strafrecht

Am 01.02.2011 tritt das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht“  in Kraft. Durch dieses Gesetz wird das Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot in § 160a StPO ausgedehnt. Bislang erstreckte es sich lediglich auf Strafverteidiger und nicht auf sonstige Anwälte. Für Geistliche, Verteidiger und Abgeordnete galt nach Absatz 1 der Norm ein absolutes Erhebungs- und Verwertungsverbot hinsichtlich aller Ermittlungsmaßnahmen. Für andere zeugnisverweigerungsberechtigte Berufsgeheimnisträger galt nach Absatz 2 ein Erhebungs- und Verwertungsverbot nur nach Maßgabe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall . Diese Differenzierung ist nun im Hinblick auf Rechtsanwälte, die nicht Strafverteidiger sind, abgeschafft.
Das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant wird hierdurch gestärkt. Alles was ein Mandant seinem Anwalt anvertraut – und künftig eben nicht nur seinem Strafverteidiger – unterliegt einerseits dem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 StPO und ergänzend nun auch dem Beweisverwertungsverbot des § 160a Abs. 1 StPO. Durchsuchungen bei Anwälten dürften damit deutlich seltener werden.
Das Gesetz ist abgedruckt in BGBl. 2010 I Nr. 67, S. 2261, abrufbar unter https://www.bundesgerichtshof.de/DE/Bibliothek/GesMat/WP17/V/vertrauen.html

05.01.2011/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2011-01-05 09:12:342011-01-05 09:12:34Reform – neuer § 160a StPO mit ausgeweitetem Beweisverwertungsverbot
Samuel Ju

Examensrelevante Neuregelungen nach der Familienrechtsreform im Jahr 2009

Familienrecht, Zivilrecht

Zum 1.9.2009 sind im Familienrecht zahlreiche gesetzliche Regelungen reformiert worden. Das ist jetzt nun schon fast ein Jahr her. Da das Familienrecht aber bei der Examensvorbereitung von den meisten als „Nebengebiet“ behandelt wird (es sei denn, man hat Familienrecht im Schwerpunkt) und eine Reform in diesem Rechtsgebiet nicht so stark auffällt wie z.B. die Schuldrechtsreform, soll dieser Artikel die examensrelevanten Neuregelungen zusammenfassen. Und man weiß ja nie: In so manchem Bundesland kommt als Zusatzfrage ja auch ab und an mal ein Themenaufsatz zu einer schon fast zehn Jahre zurückliegenden Reform dran.
Von Examensrelevanz ist insbesondere die Reform des ehelichen Güterrechts. Mit dem Gesetz zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts sind mehrere Schwachstellen korrigiert worden, die von Betroffenen und von Rechtspraktikern aufgedeckt worden waren. Dabei wurde auch dem Umstand Rechnung getragen, dass heute fast jede dritte Ehe früher oder später geschieden wird.
1. Änderung bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs: Berücksichtigung von Schulden bei der Eheschließung
Sinn und Zweck des Zugewinnausgleichs ist es, dass die Eheleute bei Beendigung der Ehe in gleichem Maße am Vermögenszuwachs während der Ehe partizipieren. An dieser Systematik hat sich auch durch die Reform der Gesetze zum Zugewinnausgleich nichts Grundsätzliches verändert. Jedoch haben sich einige Neuerungen im Vergleich zum bisher maßgeblichen Berechnungsmodus ergeben.
Nach § 1373 BGB ist Zugewinn der Betrag, um den das Endvermögen das Anfangsvermögen eines Ehegatten übersteigt. Sowohl das Anfangs- als auch das Endvermögen berechneten sich bislang durch Saldierung sämtlicher Vermögenspositionen und Abzug der Verbindlichkeiten, wobei weder ein negatives Anfangs- noch ein negatives Endvermögen Berücksichtigung fanden. Das Anfangsvermögen des verschuldeten Ehegatten wurde bislang mit „null“ bewertet.
Ab dem 1.9.2009 wird nun bei der Ermittlung des von den Ehegatten wechselseitig erzielten Zugewinns auch ein sog. „negatives Anfangsvermögen“ berücksichtigt. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass auch die Fälle angemessen ausgeglichen werden, in welchen ein Ehegatte zum Zeitpunkt der Heirat verschuldet ist und während der Ehe einen Vermögenszuwachs dadurch erfährt, dass er diese Verbindlichkeiten abträgt. Hingegen verbleibt es dabei, dass ein negatives Endvermögen bei der Berechnung des Zugewinnausgleichsanspruchs keine Berücksichtigung finden.
Beispiel: Thomas und Regina lassen sich nach 20jähriger Ehe scheiden. Thomas hatte bei Eheschließung gerade ein Unternehmen gegründet und 30.000 € Schulden. Im Verlauf der Ehe erzielte er einen Vermögenszuwachs von 50.000 €. Das Endvermögen von Thomas beträgt also 20.000 €. Seine Frau Regina hatte bei Eheschließung keine Schulden und während der Ehe ein (End-)Vermögen von 50.000 € erzielt. Sie war während der Ehezeit berufstätig und kümmerte sich auch um die Kinder, damit sich ihr Mann seinem Geschäft widmen konnte. Nur so war Thomas imstande, seine Schulden zu bezahlen und Gewinn zu machen. Nach geltendem Recht müsste Regina ihrem Mann einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 15.000 € zahlen, weil seine Schulden bei der Eheschließung unberücksichtigt bleiben. Künftig wird ein sog. negatives Anfangsvermögen berücksichtigt. Regina und Thomas haben jeweils einen Zugewinn von 50.000 € erzielt. Deshalb müsste Regina künftig keinen Zugewinnausgleich an ihren Mann zahlen.
2. Verhinderung von Manipulationsmöglichkeiten
Weiter wollte die Reform des ehelichen Güterrechts den nach bis dato geltendem Recht durchaus bestehenden Manipulationsmöglichkeiten der Ehegatten Einhalt gebieten. In § 1384 BGB war vor der Reform normiert, dass für die Berechnung des Zugewinns der Tag maßgeblich sei, an dem der Scheidungsantrag förmlich zugestellt wird. Jedoch wurde die Höhe der Ausgleichsforderung nach § 1378 Abs. 2 BGB auf den Wert des Vermögens begrenzt, das bei Rechtskraft der Ehescheidung, also zu einem deutlich späteren Zeitpunkt, noch vorhanden ist. In der Zwischenzeit, also im Verlauf des Scheidungsverfahrens, konnte der ausgleichspflichtige Ehegatte bisher sein Vermögen zu Lasten des ausgleichsberechtigten Ehegatten „verbrauchen“ oder beiseite schaffen.
Beispiel: Als Karl die Scheidung einreicht, hat er einen Zugewinn von 20.000 € erzielt. Seine Frau Franziska hat kein eigenes Vermögen. Nach Einreichung der Scheidung gibt Karl 8.000 € für eine Urlaubsreise mit seiner neuen Freundin aus und behauptet zudem, die restlichen 12.000 € an der Börse verloren zu haben. Als das Scheidungsurteil rechtskräftig wird, ist Karl kein Vermögen nachzuweisen. Franziska stehen zwar rechnerisch 10.000 € zu. Da das Vermögen des Karl nach dem Scheidungsantrag aber „verschwunden“ ist, hat sie plötzlich keinen Anspruch mehr.
Mit Inkrafttreten der Reform des ehelichen Güterrechts ist der ausgleichsberechtigte Ehegatte nun besser geschützt. Ab sofort ist also der Tag der Zustellung des Scheidungsantrages nicht nur maßgeblich für die Berechnung des Endvermögens, sondern auch für die Ausgleichsforderung selbst. Dann bleiben Ansprüche wie der von Franziska im Beispielsfall bestehen.
3. Verbesserung des vorläufigen Rechtsschutzes
Gleichzeitig wurde auch der vorläufige Rechtsschutz für solche Manipulationsfälle verbessert. Der Schutz des ausgleichsberechtigten Ehegatten vor Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags war nur gering ausgeprägt.
Beispiel: Sabine ist als erfolgreiche Unternehmerin unter anderem Alleineigentümerin einer vermieteten Eigentumswohnung. Diese Eigentumswohnung stellt als Kapitalanlage einen nicht unerheblich Teil ihres Vermögens dar. Sie will sich von Rolf, einem erfolglosen Vertreter, scheiden lassen und kündigt ihm unter Zeugen an: Du bekommst von mir nichts. Unmittelbar nach der Trennung inseriert sie die Wohnung zum Verkauf, obwohl dies wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Rolf befürchtet nun, dass der Verkauf nur dazu dienen soll, den Erlös beiseite zu schaffen, um ihm keinen Zugewinnausgleich zahlen zu müssen.
Nach alter Rechtslage konnte Rolf noch nichts unternehmen. Nach der Reform kann er aber seine Ansprüche in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor Gericht sichern. Damit wird verhindert, dass der andere Ehepartner sein Vermögen ganz oder in Teilen beiseite schafft.
Das Gesetz zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts hier als pdf-Download

09.07.2010/0 Kommentare/von Samuel Ju
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Samuel Ju https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Samuel Ju2010-07-09 15:52:342010-07-09 15:52:34Examensrelevante Neuregelungen nach der Familienrechtsreform im Jahr 2009
Dr. Christoph Werkmeister

Reform des Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NW)

Öffentliches Recht, Verwaltungsrecht

Das Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NW) wurde durch das PolGÄndG NW 2010 geändert. Dies bietet Anlass, sich mit den examensrelevanten Änderungen zu beschäftigen:
Datenerhebung
Die Novellierung des PolG zeichnet sich insbesondere durch weniger examensrelevante Änderungen im Bereich der besonderen Mittel der Datenerhebung in den §§ 16ff. PolG NW aus.
Zitiergebot
Das „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ ist nunmehr in der Aufzählung der eingeschränkten Grundrechte in § 7 PolG NW genannt; nicht aber die anderen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts i.S.v. Art. 2 I i.V.m. 1 I GG. Auch das neu geschaffene Computergrundrecht wird nicht genannt.
Hierdurch können sich interessante Fragestellungen im Hinblick auf das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG stellen, sofern durch das PolG in die nicht explizit genannten Rechte eingegriffen wird. Dies insbesondere vor dem historischen Hintergrund, dass das PolG NW aufgrund der bis dato ergangenen Rechtsprechung des BVerfG novelliert wurde.
Finaler Rettungsschuss
Examensrelevant ist zudem auch die nunmehr gesetzliche Kodifizierung des polizeilichen Todesschusses (sog. finaler Rettungsschuss) nach § 63 PolG NW. Hierüber brannte früher ein umfassender Meinungsstreit, wobei es zu klären galt, ob der Wortlaut des alten § 63 PolG NW den Rettungsschuss erfasste oder nicht. Diskutiert wurde auch eine analoge Anwendung der strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe.
Auch wenn der finale Rettungsschuss nunmehr gesetzlich kodifiziert ist, muss in einer Klausur allerdings erörtert werden, ob diese Regelung nicht gegen höherrangiges Recht verstößt; namentlich Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 102 GG.
Im Ergebnis ist ein Verstoß gegen die vorgenannten Bestimmungen zu verneinen, was sich daraus ergibt, dass der finale Rettungsschuss nur im Ausnahmefall zur Rettung eines anderen Lebens erfolgen darf. Das Recht auf Leben des Störers ist hier als minderwertig im Gegensatz zu dem zu rettenden Leben anzusehen.
Ein Verstoß gegen Art. 102 GG entfällt, da diese Norm nur repressive Maßnahmen in Form von Bestrafungen und keine Gefahrenabwehrmaßnahmen erfasst.
Diskutiert werden kann zudem ein Verstoß gegen Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) , der bei sauberer Subsumtion im Ergebnis allerdings auch zu verneinen ist (der völkerrechtliche Vertrag der EMRK ist durch Bundesgesetz in deutsches Recht transformiert und kann damit auch Prüfungsmaßstab für § 63 PolG NW sein).
Öffentliche Ordnung
Neu hinzugekommen ist auch das Schutzgut der öffentlichen Ordnung in der Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NW. Die Grundsätze, die ihr euch zu § 14 OBG erarbeitet habt, können hier entsprechend angewendet werden. Auch im neuen § 8 PolG NW gilt, dass die öffentliche Ordnung nur subsidiär heranzuziehen ist, wenn die öffentliche Sicherheit nicht betroffen ist. Angesichts § 118 OWiG, der als Teil der Rechtsordnung bereits von der öffentlichen Sicherheit erfasst ist, verbleiben allerdings nur noch wenige Sonderfälle für das Schutzgut der öffentlichen Ordnung.
Vertiefend
Für die, die es interessiert, findet sich ein umfassenderer Überblick über weitere Änderungen sowie eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelungen im Aufsatz von Sachs/Krings in NwVBl 2010, 165.

30.05.2010/3 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2010-05-30 21:14:202010-05-30 21:14:20Reform des Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NW)

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