Die sog. »Retterfälle« als Problem der objektiven Zurechnung
Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag
“Die sog. »Retterfälle« als Problem der objektiven Zurechnung” von Prof. Dr. Helmut Satzger
behandelt ein anspruchsvolles Grundlagenthema. Die objektive Zurechnung ist ein wichtiges Korrektiv für die Conditio-sine-qua-non-Formel der klassischen Verbrechenslehre und spielt im allgemeinen Strafrecht eine besonders wichtige Rolle. Der vorliegende Beitrag erläutert die Lehre von der objektiven Zurechnung anhand der sog. Retterfälle und kann zur Wiederholung und Vertiefung jedem Kandidaten empfohlen werden.
Den Beitrag findet Ihr hier.
In einer ursprünglichen Brandlegung scheint eine Verletzung eines Retters ohne dessen Hinzutreten zunächst nicht ohne weiteres angelegt. Insofern könnte hier zunächst an „unterbrochende Kauslität“ o.ä. zu denken sein. Die Fälle scheinen einer Selbstverletzung durch fremde Eröffnung einer Gefahrenquelle (Verkehrssicherungspflichtverletzung) zu ähneln.
Eine Verantwortlichkeit könnte hier nur möglich scheinen, soweit die Verletzung durch die Gefahr rechtswidrig schuldhaft von einem anderen als dem Opfer beherrscht ist.
Bei Überredung zu einem Flug mit einem dann abstürzenden Flugzeug scheint dies etwa nicht gegeben.
Bei einem nicht sittenwidrigen Abiturstreich scheint eine Beeinträchtigung dagegen eventuell eher aus dem Schulanstandsverhältnis erlaubt und daher nicht rechtswidirg beherrscht.
Bei wissentlicher ärztlicher Verschreibung von Pflastern mit Drogeninhalt an einen Drogensüchtigen, der in der Folge an der Veneninjektion des Plasterinhaltes verstirbt, könnte Widersprüchlichkeit im Verhalten des Drogensüchtigen einer ärztlichen Verantwortung entgegenstehen. Es könnte (zunächst zivilrechtlich) widersprüchlich erscheinen, selbst im Hinblick auf eine Gefahreneröffnung grob fahrlässig zu handeln und hier insoweit sodann einen demgegenüber bei einer Hilfeleistung geringer fahrlässig handelnden Arzt verantwortlich zu machen. Nach dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung könnte ein so handelnder Arzt damit nicht rechtswidrig und damit ebenso strafrechtlich nicht verantwortlich handeln.
Entscheidend für Tatgefahrenbeherrschung scheinen insofern eher Wissens- oder Willensdefizite beim Opfer, welche ein Gefahrverursacher beherrscht.
Bei unsachgemäßer Waffenaufbewahrung könnte dies ohne Kenntnismöglichkeit konkreter Verletzungsgefahren, bzw. Suizidrisiken oder bei möglicher Schuldfähigkeit- oder Einwilligung auf Opferseite noch zweifelhafter sein.
Warum in Retterfällen eine berufliche Rettungspflicht eine stärkere
Verantwortung des die Gefahr Herbeiführenden begründen können sollte,
scheint dagegen etwas undeutlich. Ein solcher Zwang könnte ja mehr vom retter als vom Gefahrverursacher beherrscht sein. Entscheidend könnten eventuell eher grundsätzlich Zwangsumstände, wie Wert des zu schützenden Gutes und Gefahrengröße für dieses Gute im Verhältnis zur Gefahr für den Retter sein. Eine völlig unverantwortliche Hilfeleistung könnte danach einen gefahrbeherrschenden Zwang bis zur Aufhebung mindern, und zwar ungeachtet von Berufspflichten o.ä.