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Schlagwortarchiv für: Selbstgefährdung

Redaktion

Die sog. »Retterfälle« als Problem der objektiven Zurechnung

Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes


Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Die sog. »Retterfälle« als Problem der objektiven Zurechnung” von Prof. Dr. Helmut Satzger

behandelt ein anspruchsvolles Grundlagenthema. Die objektive Zurechnung ist ein wichtiges Korrektiv für die Conditio-sine-qua-non-Formel der klassischen Verbrechenslehre und spielt im allgemeinen Strafrecht eine besonders wichtige Rolle. Der vorliegende Beitrag erläutert die Lehre von der objektiven Zurechnung anhand der sog. Retterfälle und kann zur Wiederholung und Vertiefung jedem Kandidaten empfohlen werden.
Den Beitrag findet Ihr hier.
 

03.08.2015/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2015-08-03 09:00:302015-08-03 09:00:30Die sog. »Retterfälle« als Problem der objektiven Zurechnung
Maria Lohse

LG Coburg: Keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bei Schädigung durch umfallende Tür

Deliktsrecht, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Mit rechtskräftigem Urteil vom 04.03.2014 hat das LG Coburg (Az.: 22 O 619/13) entschieden, dass Schadensersatz wegen einer Verletzung durch eine ordnungsgemäß abgestellte, umgefallene Tür nicht verlangt werden kann.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist in einem Kindergarten als Raumpflegerin angestellt. Der Beklagte ist Handwerker. Er führte in dem betreffenden Kindergarten Baumaßnahmen durch. Im Rahmen dessen hatte er selbst oder einer seiner Mitarbeiter die Zugangstür zu einem Waschraum ausgehängt und in dem Waschraum an eine Wand gelehnt. Als die Klägerin den Waschraum reinigen wollte, stellte sie fest, dass durch die angelehnte Tür der Zugang zu einer Toilettenkabine versperrt war. Bei dem Versuch, die angelehnte Tür beiseite zu schieben, fiel diese der Klägerin auf den Arm. Dadurch kam die Klägerin zu Fall und geriet teilweise unter die Tür. Bei der anschließenden Untersuchung im Krankenhaus stellte sich heraus, dass der linke Oberarm der Klägerin gebrochen war. Sie wurde daraufhin 5,5 Monate krankgeschrieben.
Die Klägerin verlangte in dem gegenständlichen Verfahren vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von 3000,- € für die entstandenen Heilbehandlungskosten und den Verdienstausfall sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 5000,- €.
Entscheidung:
Das LG Coburg hat die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen.
A. Schadensersatz
Zunächst könnte der Klägerin ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 3000,- € gegen den Beklagten zustehen.
I. § 823 Abs. 1 BGB
Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten könnte gemäß § 823 Abs. 1 BGB bestehen.
1. Rechtsgutsverletzung
Eine Rechtsgutsverletzung der Klägerin ist eingetreten. Sie hat sich durch den Vorfall den linken Oberarm gebrochen. Insofern ist eine Verletzung ihres Körpers und ihrer Gesundheit eingetreten.
2. Kausale Handlung/pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten
Diese Rechtsgutsverletzung müsste durch ein kausales Handeln oder Unterlassen des Beklagten eingetreten sein.
a) Handeln des Beklagten
Ein Handeln des Beklagten, das unmittelbar zur Verletzung der Klägerin führte, ist nicht ersichtlich.
b) Pflichtwidriges Unterlassen
Allerdings käme ein pflichtwidriges Unterlassen des Beklagten in Betracht. Das setzte voraus, dass er durch das Anlehnen der ausgehängten Tür an die Wand des Waschraumes eine Gefahrenquelle geschaffen hätte, deren Sicherung ihm deswegen oblegen hätte. Es geht hier damit um die Frage, ob eine Verkehrssicherungspflicht des Beklagten bestanden hat, die er durch fehlende Sicherungsmaßnahmen verletzte.
Nach ständiger Rechtsprechung ist derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine naheliegende Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Entscheidend ist dabei aber, dass nicht jeder abstrakten Gefährdung vorbeugend begegnet werden kann und muss. Es geht nur um die Verhinderung von Schädigungen Dritter, die im typischen Gefahrenbereich der jeweiligen Gefahrenquelle liegen und dem Verkehrssicherungspflichtigen unmittelbar ersichtlich sind oder sein müssen. Nicht jede eingetretene, noch so abgelegene Eventualität kann von der Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen erfasst sein. Zu den allgemeinen Grundsätzen der Verkehrssicherungspflichten siehe auch hier, hier und hier.
Das LG Coburg verneinte das Vorliegen einer Verkehrssicherungspflicht in der konkreten Situation. Dabei betonte es, dass kein allgemeiner Grundsatz existiere, dass Dritte vor Selbstgefährdungen zu schützen seien. Das Aushängen einer Tür im Rahmen handwerklicher Arbeiten stelle kein sorgfaltswidriges Verhalten dar. Auch die an eine benachbarte Wand angelehnte Tür sei für sich genommen keine Gefahrenquelle. Für eine unsachgemäße Aufstellung der Tür sei nichts vorgetragen worden. Daher konnte die Gefahr, die sich hier durch die Verletzung der Klägerin realisiert hat, erst dadurch eintreten, dass das Verhalten der Klägerin – nämlich das Wegschieben der angelehnten Tür – hinzutrat.
Zwar könnte eine Haftung ausnahmsweise auch bei sorgfaltswidrigem Verhalten des Geschädigten anerkannt werden, dies jedoch nur, sofern dessen Fehlverhalten vorhersehbar und naheliegend sei. Das mag zwar beim Beiseiteschieben der Tür zum Zwecke der Reinigung des kompletten Waschraums der Fall gewesen sein. Hinzu kommen müsste aber für eine Haftung des Beklagten, dass der Geschädigte selbst die Gefahr nicht erkennen und infolgedessen ihr nicht begegnen konnte. Das sei nach Ansicht des Landgerichts hier nicht der Fall gewesen. Der Klägerin habe die Gefahr des Umfallens der nicht befestigten, sondern nur angelehnten Tür durchaus ersichtlich sein müssen. Dann aber hätte sie Schutzvorkehrungen zu ihrer eigenen Sicherheit treffen müssen. Da sie dies nicht getan habe, könne das Fehlverhalten der Geschädigten dem Beklagten nicht zugerechnet werden.
Mangels Bestehens einer Verkehrssicherungspflicht kommt eine Haftung des Beklagten nicht in Betracht. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB besteht nicht.
II. § 831 BGB
Auch eine Haftung des Beklagten aus § 831 BGB wegen einer etwaigen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch einen seiner Mitarbeiter kommt nicht in Betracht. Zwar handelt es sich bei den Mitarbeitern des Beklagten um dessen Verrichtungsgehilfen, da sie von ihm zu einer Verrichtung in weisungsabhängiger Stellung bestellt wurden. Unabhängig von der offenbar unaufklärbaren Frage, wer die Tür tatsächlich ausgehängt und an die Wand gelehnt hat, käme aber selbst dann, wenn der Beklagte daran in Person nicht beteiligt war, eine Haftung aus § 831 BGB nicht in Betracht. Nach den obigen Ausführungen bestand nämlich eine Verkehrssicherungspflicht wegen der angelehnten Tür nicht – weder für den Beklagten, noch für einen seiner Mitarbeiter.
III. Ergebnis
Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten besteht nicht.
B. Schmerzensgeld
Darüber hinaus besteht ein Schmerzensgeldanspruch der Klägerin gemäß § 253 Abs. 2 BGB nicht. Dieser scheitert schon an der fehlenden Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz.
C. Ergebnis
Die Klägerin hat weder Anspruch auf Zahlung eines Schadensersatzes, noch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes.
Stellungnahme:
In der vorliegenden Entscheidung des Landgerichts wird die begrüßenswerte Tendenz der Rechtsprechung abermals erkennbar, die an sich anerkannten Grundsätze zur Haftung wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, die im Falle ihres Vorliegens sowohl über das fehlende Erfordernis einer verletzenden Handlung, wie auch über die Schwierigkeiten der Konstruktion eines Verschuldens in derartig gelagerten Fällen hinweg hilft, nicht ausufern zu lassen. Erfasst sein soll ja gerade nicht jede noch so fernliegende Gefahr, die sich aber gleichwohl realisiert hat.
Sehr schön lässt sich an der Begründung des Gerichts ersehen, dass die Bestimmung der Existenz einer Verkehrssicherungspflicht stets denselben Argumentationssträngen folgt. Auch in der vorliegenden Entscheidung ist eine stringente Weiterführung der längst etablierten Grundsätze erkennbar, die eine konsequente Aufteilung der jeweiligen Risikosphären in den Mittelpunkt stellen.
Für die Prüfungspraxis lässt sich daraus folgendes ziehen: Die Thematik rund um die Verkehrssicherungspflichten ist von nach wie vor hoher Relevanz. Entsprechende Aufgabenstellungen können sicher gelöst werden, indem der Examenskandidat die bekannten und stets von den Gerichten wiederholten Grundsätze darstellt und sie auf den individuellen Fall anwendet.
 
 

22.08.2014/3 Kommentare/von Maria Lohse
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Lohse https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Lohse2014-08-22 14:00:502014-08-22 14:00:50LG Coburg: Keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bei Schädigung durch umfallende Tür
Christian Muders

OLG Celle: (Nochmals) zur Erfolgszurechnung bei mittelbarer Verursachung einer fahrlässigen Tötung – 2 Fast 2 Furious

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Anm. zu OLG Celle, Urteil vom 25. 4. 2012 – 31 Ss 7/12 = NZV 2012, 345 ff.
1. Um was geht es?
Autofahrer A war mit seinem Wagen auf der Bundesstraße 442 nach B. unterwegs. Hinter einer Ortschaft versuchte er, vor einer nahenden, sich nach hinten verjüngenden Linkskurve mit seinem Pkw das Fahrzeug des Nebenklägers N zu überholen, in welchem sich neben diesen noch drei weitere Insassen befanden. Der N bemerkte die Absicht des A durch einen Blick in seinen Rückspiegel. Er wollte es sich aber nicht bieten lassen, von A überholt zu werden und beschleunigte seinen Wagen ebenfalls. A erkannte das Fahrmanöver des N, wollte aber seinen Überholvorgang unbedingt noch vor der Kurve zu Ende bringen. So beschleunigte auch er weiter, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch zwei Sekunden Zeit gehabt hätte, sein Fahrmanöver abzubrechen und gefahrlos hinter dem N einzuscheren. Dies wäre auch geboten gewesen, da sich von vorne die Zeugin Z mit ihrem Fahrzeug näherte. Die Erhöhung der Geschwindigkeit durch N reichte schlussendlich nicht aus, um dem A seinen Überholvorgang endgültig zu verwehren, der mit einem Geschwindigkeitsüberschuss von 20 km/h das rechts neben ihm fahrende Fahrzeug passierte. Die Zeugin Z wich mit ihrem Wagen auf den Seitenstreifen aus, um eine Kollision mit A zu vermeiden. Als sich der A etwa zwei Fahrzeuglängen noch auf der Gegenfahrbahn fahrend vor dem N befand, lenkte dieser zu spät sein Fahrzeug nach links in die Kurve ein, um diese gefahrlos durchfahren zu können. Er geriet mit seinen rechten Rädern auf das Bankett, kam in eine Dreh-Schleuderbewegung und stieß mit seiner rechten Fahrzeughälfte und einer Geschwindigkeit von 100-110 km/h gegen einen am Fahrbahnrand stehenden Baum. Die neben dem N im Fahrzeug sitzenden Insassen waren sofort tot. Während das AG den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Tötung verurteilt hatte, sprach ihn das LG von diesem Vorwurf frei.
2. Was sagt das OLG?
Das OLG hat die Entscheidung des LG aufgehoben und den A neben Straßenverkehrsdelikten auch wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Dabei hat es sich auf eine vergleichbare Entscheidung des BGH vom November 2008 gestützt (BGH, Urteil vom 20.11.2008 – 4 StR 328/08 = BGHSt 53, 55 ff. – Aufbereitung hier) und ist andererseits einer abweichenden Entscheidung des OLG Stuttgart (Beschluss vom 19.04.2011 – 2 Ss 14/11) nicht gefolgt. Aber der Reihe nach:
a) Vorliegen eines fahrlässigen Verhaltens des A durch den Überholvorgang:
Das OLG Celle definiert zunächst geradezu schulmäßig die Voraussetzungen einer fahrlässigen Tathandlung gem. § 222 StGB:

Fahrlässig handelt ein Täter, der eine objektive Pflichtverletzung begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat. Die Einzelheiten des durch das pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten Kausalverlaufs brauchen dagegen nicht vorhersehbar zu sein (…).

Sodann bejaht das OLG Celle zunächst die objektive Pflichtverletzung des A. Hierbei rekurriert es auf diverse Normen der StVO, die der A bei seinem Überholvorgang nicht beachtet hat:

Seine Pflichten als Fahrzeugführer hat der Angeklagte verletzt, indem er den Überholvorgang vorschriftswidrig durchgeführt hat. Er hat nämlich zum einen überholt, obwohl er nicht übersehen konnte, ob während des ganzen Überholvorganges jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 StVO). Zum anderen war das Überholen für ihn auch deshalb unzulässig, weil aufgrund des Beschleunigens des Nebenklägers und der Annäherung an die sich nach hinten verjüngende Kurve für den Angeklagten eine unklare Verkehrslage bestand (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Des Weiteren hat er seine Pflichten als Fahrzeugführer verletzt, indem er entgegen § 1 Abs. 2 StVO nicht alles unternommen hat, um die mit dem Überholvorgang verbundene Gefährdung zu vermeiden, und schließlich die im Bereich des Unfallorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erheblich überschritten hat.

Im Folgenden bejaht das Gericht sowohl die objektive und subjektive Vermeidbarkeit als auch eine entsprechende Vorhersehbarkeit des tödlichen Ausgangs für A. Dabei stellt es fest, dass der A, als er den Beschleunigungsvorgang des N bemerkte, das Überholmanöver noch hätte abbrechen können. Eine (generelle) Vorhersehbarkeit dergestalt, dass ein Beharren auf einen Überholvorgang unter den im Sachverhalt genannten Umständen (überhöhte Geschwindigkeit, nahender Kurvenbereich) zu einem Unfall, ggf. mit tödlichen Ausgang, führen kann, sieht das OLG ebenfalls als gegeben.
b) Zurechenbarkeit des Todes der Beifahrer des N:
Sodann stellt sich das Gericht allerdings die Frage, ob der fahrlässig herbeigeführte Erfolg dem A auch (objektiv) zurechenbar ist. Unter dem Begriff der „objektiven Zurechnung“ werden eine Vielzahl unterschiedlicher Fallgruppen behandelt, welche die Verantwortlichkeit für einen eingetretenen Erfolg ausschließen können. Dazu zählt auch der Fall, dass sich der Erfolg als Resultat einer Selbstgefährdung des Opfers oder einem, dieser gleichzustellenden, Einverständnis in eine Fremdgefährdung durch den Täter darstellt. Insofern sind unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden:
aa) Konstellation 1: Selbstgefährdung des Opfers.
Unstrittig keine Zurechnung des Erfolgs an eine fahrlässig handelnde Person ist nach der Rspr. dann möglich, wenn diese nur an einer Selbstgefährdung des Opfers teilnimmt. „Teilnahme“ ist dabei durchaus i.S.d. Begrifflichkeit der §§ 26 f. StGB zu verstehen, da eine von der Rpsr. anerkannte Selbstgefährdung des Opfers erst dann vorliegt, wenn nicht der potentielle Fahrlässigkeitstäter, sondern allein das spätere Opfer das unmittelbar zum Erfolg führende Geschehen i.S.d. Tatherrschaftslehre „beherrscht“ hat. Die Begründung für einen solchen Ausschluss der Verantwortung des „Teilnehmers“ ist freilich problematisch. Teilweise wird darauf verwiesen, dass bei vorsätzlicher Selbstverletzung des Opfers unstrittig keine teilnahmefähige Haupttat vorhanden ist, so dass eine Anstiftung bzw. Beihilfe ausscheidet. Dies müsse aber erst recht dann gelten, wenn eine Beteiligung nicht an einer vorsätzlichen Verletzung, sondern nur Gefährdung erfolgt (vgl. auch MK-Hardtung, 1. Aufl. 2003, § 222 Rn. 21 m.w.N.). Fraglich ist diese Argumentation indes insofern, als nicht die Strafbarkeit der Beteiligung an einer vorsätzlichen Gefährdung, sondern an einer fahrlässigen (Selbst-)Verletzung in Rede steht. Da der Begriff des Fahrlässigkeitstäters aber weit verstanden wird („Einheitstäterbegriff“), also grds. auch die Teilnahmeformen der Anstiftung und Beihilfe erfasst (dazu Joecks, Studienkommentar StGB, 7. Aufl. 2007, § 25 Rn. 82), ist der Vergleich mit der Straflosigkeit bei vorsätzlicher Deliktsbegehung zumindest zweifelhaft. Eine variierende Argumentationslinie stützt sich daher vornehmlich auf die autonome Entscheidung des Rechtsgutsträgers, die es zu respektieren gelte: Selbstschädigendes Verhalten ist danach Ausdruck einer unantastbaren Autonomie des Schädigers, die nicht nur seine eigene Strafbarkeit nach dem einschlägigen Delikt sperrt, sondern auch die Strafbarkeit eines hieran nicht täterschaftlich Beteiligten hindert (MK-Duttge, 2. Aufl. 2011, § 15 Rn. 151).
bb) Konstellation 2: Gefährdung durch den Täter.
Der vorliegende Fall war indes anders gelagert, da es nicht um Gütereinbußen des Fahrers des letztendlich verunfallten Pkw (also des Nebenklägers N) ging, der sich mit seinem Fahrmanöver ebenfalls pflichtwidrig verhalten hatte und jedenfalls eine dem A entsprechende Tatherrschaft über das Geschehen aufwies. Vielmehr bildete der Tod seiner Mitinsassen den Anknüpfungspunkt für ein strafrechtliches Unwerturteil gegen A. Das OLG führt insofern überzeugend aus, dass diese gerade keine Tatherrschaft über das Geschehen gehabt hätten, und zwar weder im Hinblick auf die Steuerung des zu überholenden Fahrzeugs, welches allein der N führte, noch (erst Recht) im Hinblick auf den überholenden Pkw des A. Das OLG verweist dabei auf die bereits oben benannte Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff., in der es um die Strafbarkeit für ein illegales Autorennen ging, bei dem ebenfalls ein Beifahrer eines der beiden Rennteilnehmer zu Schaden kam. Das OLG nimmt an, dass der vorliegende Fall mit dem Fall des illegalen Autorennens durchaus vergleichbar ist:

Dass es sich in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um ein zwischen den Fahrzeugführern vorher vereinbartes Rennen gehandelt hat, steht der Übertragung der Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht entgegen. Denn die Zurechnung beruhte dort nicht allein auf der Absprache des illegalen Rennens, sondern auch auf den während der Fahrt konkret begangenen Pflichtverletzungen beider Fahrer. Abgesehen davon handelte es sich im vorliegenden Fall ab dem Zeitpunkt, als der Nebenkläger beschleunigte, um den Angeklagten am Überholen zu hindern, und der Angeklagte dieses erkennend sein Fahrzeug umso mehr beschleunigte, um den Nebenkläger unbedingt zu überholen, faktisch um ein spontanes Rennen bzw. eine diesem gleichzustellende „Kraftprobe“.

cc) Konstellation 3: Gefährdung durch den Täter, aber mit Einwilligung des Opfers („einverständliche Fremdgefährdung“).
Eine der Selbstgefährdung der Opfer gleichzustellende Einwilligung in eine Fremdgefährdung sieht das OLG im vorliegenden Fall ebenfalls (anders als offenbar die Vorinstanz, Rn. 40 des Urteils) als nicht gegeben an. Eine solche wird im Rahmen des Straßenverkehrs insbesondere in Fällen angenommen, in denen ein Beifahrer trotz erkannter Alkoholisierung des Pkw-Führers bei diesem einsteigt und mitfährt. Diese Konstellation führt dann nach der h.L. dazu, dass es zu einem Zurechnungsausschluss kommt, wenn der Mitinsasse bei einem durch den Fahrer aufgrund des Alkohols verschuldeten Unfalls verletzt oder getötet wird, da eine solche Einwilligung in die Gefährdung durch den Fahrzeugführer einer Selbstgefährdung des Opfers gleichstehe (vgl. nur – mit Unterschieden in der Konstruktion – Wessels/Beulke, AT, 32. Aufl. 2002, Rn. 191; Roxin, AT I, 4. Aufl. 2006, § 11/121). Zu einer solchen Einwilligung in eine Fremdgefährdung durch die getöteten Mitinsassen des überholten Wagens bot der Sachverhalt des OLG indes keine Anhaltspunkte: Dass die Mitfahrer in das sorgfaltswidrige Verhalten des N noch gar des A eingewilligt hätten, ist nicht ersichtlich. Daran wäre etwa dann zu denken, wenn sie den N angefeuert hätten, sich den Überholvorgang des A nicht „bieten“ zu lassen und mittels Beschleunigung des Pkw zu zeigen, wer „Herr der Straße“ ist. Näher lag eine einverständliche Fremdgefährdung hingegen in der Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff., da der tödlich verunglückte Beifahrer hier vorsätzlich an dem illegalen Autorennen teilgenommen und dieses sogar gefilmt hatte. Indes hat der BGH in diesem Fall einer Einwilligung in die Gefährdung unter Hinweis auf § 216 StGB eine Abfuhr erteilt: Jedenfalls dann, wenn sich eine konkrete Todesgefahr abzeichne, sperre die vorgenannte Norm eine solche Zustimmung des Opfers. Fraglich erscheint, ob dann, wenn man mit Stimmen in der Literatur annimmt, dass auf die einverständliche Fremdgefährdung die Einwilligungssperren der §§ 216, 228 StGB, die vornehmlich auf die Zustimmung zu Rechtsgutsverletzungen zugeschnitten sind, nicht angewendet werden können (dazu Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar StGB, 5. Aufl. 2010, Vor § 13 Rn. 224), zu einer Straflosigkeit des mittelbaren Unfallverursachers kommt. Indes dürfte die „einverständliche Fremdgefährdung“ auch dann nur den Tatbeitrag des Fahrers neutralisieren, in dessen Wagen die zustimmenden Mitfahrer sitzen; auf die Verantwortung für das pflichtwidrige Verhalten des „Gegners“, in das die Mitfahrer ja gerade nicht eingewilligt haben, sollte eine solche Zustimmung hingegen keine Auswirkungen haben.
dd) Konstellation 4: Beendete Gefährdung des Täters
Bleibt zuletzt im Hinblick auf den vorliegenden Fall noch die gegenteilige Ansicht des OLG Stuttgart aufzuarbeiten, die sich die Vorinstanz des OLG Celle, das LG Bückeburg, zur Begründung einer Straflosigkeit des A nach § 222 StGB ausdrücklich zu eigen gemacht hatte: Nach Meinung des OLG Stuttgart kann die Zurechnung eines Unfallerfolges an den mittelbaren Verursacher dann ausgeschlossen sein, wenn der unmittelbare Verursacher eigenverantwortlich handelt. Der Sachverhalt des Gerichts scheint dabei auf den ersten Blick durchaus Parallelen zu dem vom OLG Celle verhandelten Geschehen aufzuweisen: Auch dort ging es um ein pflichtwidriges Fahrverhalten des Angeklagten, der den späteren unmittelbaren Unfallverursacher zunächst beim Überholen behinderte. In der Folge fuhr dieser, nachdem er den Angeklagten überholt hatte, mit beschleunigter Geschwindigkeit in eine Kurve und erfasste einen Passanten, der am Wegesrand ging, tödlich. Indes war die dortige Entscheidung etwas anders gelagert, so dass nach Ansicht des OLG Celle eine Vorlage an den BGH wegen Divergenz nicht angezeigt ist:

Einer Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG bedarf es nicht. Denn der vorliegende Einzelfall liegt anders als der, welchen das Oberlandesgericht Stuttgart durch seinen Beschluss vom 19. April 2011 – 2 Ss 14/11 – entschieden hat. Dort war der Tod eines Passanten deshalb nicht dem Angeklagten zugerechnet worden, weil der unmittelbar den Unfall verursachende Fahrzeugführer, der sich durch den Angeklagten bei einem vorangegangenen Überholvorgang provoziert gefühlt hatte, erst „über einen Kilometer nach Abschluss des Überholvorgangs und damit 36 Sekunden später aus einem autonomen Entschluss heraus“ mit nicht angepasster Geschwindigkeit in eine scharfe Kurve gefahren war, dadurch die Beherrschung über sein Fahrzeug verloren und einen tödlichen Unfall verursacht hatte. Der andere Fahrzeugführer befand sich währenddessen hinter ihm und war zu diesem Zeitpunkt bereits zur verkehrsgerechten Fahrweise zurückgekehrt. Hier war indes der Überholvorgang des Angeklagten noch nicht beendet, als der Nebenkläger den zum Unfall mit tödlichem Ausgang führenden Fahrfehler machte; das Fahrzeug des Angeklagten befand sich vielmehr zu diesem Zeitpunkt noch auf der Gegenfahrbahn und hatte lediglich einen Abstand von zwei Fahrzeuglängen zum Fahrzeug des Nebenklägers. Das Fahrverhalten des Angeklagten war auch nicht ohne Auswirkungen auf den Nebenkläger. So hat das Landgericht in den Urteilsgründen ausgeführt: „Während seiner Beschleunigung wusste der Nebenkläger den Angeklagten neben sich und fuhr auf die ihm bekannte sich nach hinten verjüngende Kurve zu. Unter diesen Bedingungen brauchte der Nebenkläger seine volle Konzentration, um sein Fahrzeug weiter zu beherrschen und zu überblicken, welche Fahrmanöver der Angeklagte neben ihm vollziehen würde.“

Da in der Entscheidung des OLG Stuttgart das pflichtwidrige Verhalten des Angeklagten beim Unfall seines „Gegners“ bereits seinen Abschluss gefunden hatte und selbiger auf einem gänzlich neuen Tatentschluss des unmittelbaren Unfallverursachers (erneutes Beschleunigen des Fahrzeugs nach Abschluss des Überholvorgangs) beruhte, ist es gut vertretbar, hier einen Pflichtwidrigkeitszusammenhang mit dem Tod des Passanten zu verneinen. Denn das vorangegangene „Sperren“ des Überholvorgangs des unmittelbaren Unfallverursachers durch den Angeklagten stellt zwar einen Pflichtverstoß dar; eine „Herrschaft“ bezüglich des dann neu ansetzenden Geschehens, welches unmittelbar zum Zusammenstoß mit dem Passanten führte, kann ihm aber kaum unterstellt werden.
3. Warum ist die Entscheidung wichtig?
a) Die Entscheidung des OLG Celle setzt die Rspr. des BGH, die durch die mehrmals erwähnte Leitentscheidung begründet wurde, fort und bietet insofern nichts „bahnbrechend Neues“. Unabhängig davon wird mit dem Urteil allerdings die wichtige Frage der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen beim Fahrlässigkeitsdelikt erneut auf die Tagesordnung gesetzt, was die Prüfungsämter durchaus zu einem erneuten Abprüfen dieser Konstellation in einer Examensklausur animieren, aber auch zu entsprechenden Fallgestaltungen in der mündlichen Prüfung führen kann. Dies gilt gerade im Hinblick auf die zumindest im Leitsatz abweichende Entscheidung des OLG Stuttgart, auch wenn diese bzgl. des zu beurteilenden Sachverhalts etwas anders gelagert war.
b) Bzgl. der Bearbeitung eines entsprechenden Falles in der Klausur ist anzumerken, dass die vom OLG Celle in „einem Rutsch“ durchgeführte Fahrlässigkeitsprüfung in der Klausur selbstverständlich aufzuteilen ist, sofern man dem herrschenden zweiaktigen Fahrlässigkeitsaufbau folgt. Demgemäß sind allein der objektive Sorgfaltspflichtverstoß des Täters sowie die objektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit im Tatbestand zu prüfen, während die subjektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit Elemente der Schuld darstellen, also erst nach Bejahung einer objektiven Zurechenbarkeit des Taterfolgs anzusprechen sind.
c) Zuletzt sei im Hinblick auf die Terminologie ausdrücklich angemerkt, dass die Rechtsfigur der „einverständlichen Fremdgefährdung“ nichts mit dem Begriff des Einverständnisses zu tun hat, welches bekanntermaßen nur bei Tatbestandsmerkmalen, die explizit ein Handeln gegen bzw. ohne den Willen des Opfers voraussetzen, eingreifen kann. Vielmehr steht sie im Hinblick auf ihren dogmatischen Ursprung der Einwilligung nahe, nur dass sie nicht auf die Verletzung, sondern lediglich Gefährdung des tatbestandlichen Rechtsguts abzielt, der das spätere Opfer zustimmt. Dabei ist freilich zu beachten, dass die Einordnung der „einverständlichen Fremdgefährdung“ in den Straftataufbau umstritten ist, so dass sie teils bei der objektiven Zurechnung, teils aber auch als „echte“ Einwilligung erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit geprüft wird (vgl. dazu Roxin a.a.O. einer-, Wessels/Beulke a.a.O. andererseits). Diese Unsicherheiten hinsichtlich der dogmatischen Verortung werden i.Ü. auch bei der Leitentscheidung BGHSt 53, 55 ff. sichtbar, die zunächst eine „einverständliche Fremdgefährdung“ bzgl. des Beifahrers des verunfallten Rennwagens im Rahmen der objektiven Zurechnung ablehnt, bevor sie sich im Anschluss noch mit der „Einwilligung“ desselben in den „Tod oder in das Risiko seines Todes“ beschäftigt. Wo der Unterschied zwischen dem Einverständnis in eine Fremdgefährdung und der Einwilligung in das Risiko des Todes liegen soll, erschließt sich dabei nicht recht. In der Klausurbearbeitung erscheint es m.E. vorzugswürdig, die „einverständliche Fremdgefährdung“ im Rahmen der objektiven Zurechnung zu verorten, da eine Rechtfertigung qua Einwilligung sich stets auf das Rechtsgut des Delikts beziehen muss. Dieses ist bei den §§ 222, 229 StGB aber nun einmal die Verletzung des Körpers bzw. Lebens, nicht allein die Gefährdung derselben. Demgegenüber enthält die Kategorie der objektiven Zurechnung keine vergleichbar trennscharfe Funktionsbeschreibung, so dass hier die mit der Einwilligung in eine Gefährdung verbundenen Fragen leichter untergebracht werden können.

17.07.2012/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-07-17 10:00:072012-07-17 10:00:07OLG Celle: (Nochmals) zur Erfolgszurechnung bei mittelbarer Verursachung einer fahrlässigen Tötung – 2 Fast 2 Furious
Samuel Ju

The Fast and the Furious vor Gericht – Zur Strafbarkeit illegaler Beschleunigungsrennen

Strafrecht

Der folgende aktuelle Fall war in nahezu jeder Ausbildungszeitschrift zu finden. Dort wurde jeweils die besondere Examensrelevanz dieser BGH-Entscheidung mehrfach hervorgehoben – dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Daher eine kurze Zusammenfassung der Entscheidung des BGH (BGHSt v. 20.11.2008 – 4 StR 328/08, s. http://www.bundesgerichtshof.de/):
Sachverhalt:
Vier Jungen vom Bodensee führten mit zwei Autos ein Beschleunigungsrennen auf der B33 (autobahnähnlich ausgebaut) durch. Es trat dabei ein getunter Golf (Höchstgeschwindigkeit von etwa 240 km/h) gegen einen Porsche Carrera (Höchstgeschwindigkeit von etwa 300 km/h) an; jeweils mit einem Beifahrer. Die Beifahrer zählten – durch Handzeichen – von 3 auf 0 und die Fahrer beschleunigten die Pkws von 80 auf über 200 km/h, was von den Beifahrern gefilmt wurde.
Dann wurde ein weiterer Beschleunigungstest durchgeführt. Hierzu gab der Angeklagte S. aus dem Pkw Porsche heraus das Startzeichen und forderte den Angeklagten H. mit den Worten „Gib Gas“ oder „Los“ zum Beschleunigen auf.
Nach Beendigung dieses Rennens wechselten die Fahrzeuge die Fahrstreifen, um einen weiteren Beschleunigungstest durchzuführen; der Angeklagte B. fuhr nunmehr auf dem linken, der Angeklagte H. auf dem rechten Fahrstreifen. Zur Durchführung des Rennens verringerten die Angeklagten B. und H. zunächst die Geschwindigkeit von etwa 120 km/h auf ca. 80 km/h und zumindest J. -P. Sim. (das spätere Opfer) gab durch Handzeichen das Startsignal. Anschließend beschleunigten die Fahrer die Pkws. Das Rennen, das sowohl der Angeklagte S. als auch J. -P. Sim. wiederum filmten, wurde auch nach dem Erreichen einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h fortgeführt. Als das entsprechende Verkehrszeichen passiert wurde, hatte der vom Angeklagten H. gesteuerte Pkw Porsche eine Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h, der vom Angeklagten B. gesteuerte Pkw VW erreichte schließlich eine Spitzengeschwindigkeit von 213 km/h. Beide setzten das Rennen fort, auch als vor ihnen auf dem rechten Fahrstreifen der vom Zeugen G. gesteuerte, mit vier Personen besetzte und knapp 120 km/h schnelle Pkw Opel Astra sichtbar wurde. Als der Zeuge die „von hinten auf ihn zuschießenden“ Fahrzeuge bemerkte, steuerte er sein Fahrzeug innerhalb des Fahrstreifens nach rechts (ein Standstreifen ist im dortigen Bereich der Bundesstraße nicht vorhanden), während der Angeklagte B. den VW auf dem linken Fahrstreifen zur Mittelleitplanke hin lenkte. Zugleich steuerte der Angeklagte H. den Porsche über die mittlere Fahrbahnmarkierung hinaus auf den linken Fahrstreifen, um das Fahrzeug des Zeugen G. ebenfalls überholen zu können. Während des Überholvorgangs befanden sich die drei Fahrzeuge zeitgleich nebeneinander, wobei der Abstand zwischen dem VW und dem Porsche etwa 30 cm betrug. Nach dem Überholvorgang erreichte der Pkw Porsche im Bereich der auf 120 km/h begrenzten Höchstgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit von mehr als 240 km/h. „Die durch das gleichzeitige Überholen realisierte Gefährdung haben sie [die Angeklagten B. und H. ] bewusst verursacht und in Kauf genommen“.
Als sich die drei Fahrzeuge während des Überholvorgangs nebeneinander befanden, geriet das vom Angeklagten B. gesteuerte Fahrzeug mit den linken Reifen auf den Grünstreifen an der Mittelleitplanke. Bei dem Versuch, wieder auf die Fahrbahn zu gelangen, machte der Angeklagte B. eine zu starke Lenkbewegung, das von ihm gesteuerte Fahrzeug geriet ins Schleudern, kam rechts von der Fahrbahn ab, überschlug sich, prallte gegen ein Verkehrszeichen, schleuderte zurück gegen die Mittelleitplanke und kam schließlich nach etwa 300 Meter auf dem rechten Fahrstreifen zum Stehen, wo es in Brand geriet. Bereits vor dem Erreichen des Endstandes wurden die – nicht angeschnallten – Insassen aus dem Fahrzeug geschleudert. An den bei dem Unfall erlittenen Verletzungen verstarb J. -P. Sim. noch am selben Tag, der Angeklagte B. wurde schwer verletzt.
Die Angeklagten H. und S. , die den Unfall beobachtet hatten, fuhren zunächst weiter und kehrten nach dem Ende der vierspurigen Ausbaustrecke auf der Gegenfahrbahn zur Unfallstelle zurück.
Probelm: Strafbarkeit des Angeklagten B nach dem StGB:
I. Zunächst einmal recht eindeutig (+): Strafbarkeit nach § 315c I Nr. 2 b) StGB
1. Der B führte ein Fahrzeug im Straßenverkehr; er hat beim Überholen gegen Vorschriften der StVO verstoßen (§ 5 IV 2 StVO); dies geschah auch grob verkehrswidrig; durch diese Handlung kam es auch zu einer Gefährung von Leib und Leben sowie des PKWs des G (als Sache von bedeutendem Wert);
2. B handelte auch – bedingt – vorsätzlich und rücksichtslos,
3. Rechtswidrigkeit und Schuld liegen vor.
II. Problem des Falles: § 222 StGB?
1. Tatbestand
a. Tod eines Menschen (+)
b. Handlung des B, Kausalität (+)
c. Sorgfalspflichtverletzung (+) wegen zahlreicher Verstöße gegen StVO
d. obj. Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit (+)
e. Objektive Zurechnung
Hier lag ein erster Problemschwerpunkt. Die Lehre von der obj. Zurechnung verlangt, dass der Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die sich im Erfolg realisiert hat. Dies ist nicht der Fall, wenn das Opfer sich selbst gefährdet und diese Selbstgefährung sich im Erfolg realsiert hat, sodass dies den Beitrag des Täters überlagert.
Zunächst musste daher die eigenverantwortliche Selbstgefährung von der einverständlichen Fremdgefährung abgegrenzt werden. Dies geschieht nach hM mittels dem Kriterium der Tatherrschaft. Nach dem BGH hatte hier nur der B als Fahrer Tatherrschaft. Die Beteiligung des Beifahrers und Opfers (Startzeichen, Filmen, Anfeuern) reichte nicht aus, um dessen Tatherrschaft zu begründen. Mithin ging der BGH von einer Fremdgefährung aus und bejahte die objektive Zurechnung, denn eine Fremdgefährung wird erst auf der Ebene der Rechtfertigung relevant (dazu sogleich).
Die Vorinstanz hatte die objektive Zurechnung noch verneint, da im vorliegenden Fall die Fremdgefährdung einer Selbstgefährdung in allen relevanten Punkten gleichstehe. Diese Ansicht geht auf Roxin zurück. Das Argument der Vorinstanz war, dass es mehr oder weniger vom Zufall abhing, wer Fahrer war, da alle vier Jungs in der Szene aktiv waren und abwechselnd am Steuer saßen. Der BGH lehnte dies ab, da nach seiner Ansicht es allein auf die tatsächliche Tatsituation, die letztlich zum Unfall führte, ankomme. Hier ist die aA aber meines Erachtens gut vertretbar.
2. Problematisch war sodann die Rechtswidrigkeit. Hier war eine Einwilligung des Opfers zu diskutieren. Der BGH verneinte auch dies. Zwar gelte § 216 StGB als Einwilligungssperre bei § 222 StGB nicht direkt (str.), jedoch könne man den §§ 228, 216 StGB den Rechtsgedanken entnehmen, dass in eine Lebensgefahr nicht wirksam eingewilligt werden könne (auch str.). Es bestehe ein allgemeines Interesse an der Erhaltung des Rechtsguts Leben. Eine Einwilligung in eine Todesgefahr sei daher sittenwidrig. Hier war alles vertretbar.
3. Die Schuld war wiederum unproblematisch.
Hier noch einmal aus dem Urteil die wichtige Passage zur Einwilligung:
„2. In seinen Tod oder in das Risiko seines Todes hat J. -P. Sim. auch nicht in rechtserheblicher Weise eingewilligt.“
a) Während Rechtsprechung und herrschende Lehre darin übereinstimmen, dass entsprechend § 216 StGB eine Einwilligung in den von einem anderen vorsätzlich herbeigeführten Tod grundsätzlich nicht strafbefreiend wirkt, die vorsätzliche (oder fahrlässige) Körperverletzung dagegen unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 228 StGB gerechtfertigt sein kann, werden die Zulässigkeit und Bedeutung der Einwilligung in eine Lebensgefahr nicht einheitlich beurteilt.
In der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde eine solche Einwilligung als grundsätzlich unbeachtlich angesehen, weil das Leben eines Menschen auch in § 222 StGB zum Schutz der Allgemeinheit mit Strafe bedroht sei und eine Einwilligung das mit einer fahrlässigen Tötung verbundene Handlungsunrecht nicht zu beseitigen vermöge (BGHSt 4, 88, 93; 7, 112, 114; BGH VRS 17, 277, 279; BGHZ 34, 355, 361; BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 – 4 StR 162/00). In neueren Entscheidungen – insbesondere zu § 227 StGB – hat der Bundesgerichtshof dagegen darauf abgestellt, dass bei einer Einwilligung in die (vorsätzliche) Körperverletzung die Grenze zur Sittenwidrigkeit jedenfalls dann überschritten sei, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht werde. Für diese Eingrenzung spreche sowohl der Normzweck des § 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216 StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung. Sie begrenzten die rechtfertigende Kraft der Einwilligung in eine Tötung oder Körperverletzung, da das Gesetz ein soziales bzw. Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolge (BGHSt 49, 34, 42, 44; 166, 173 f. = JR 2004, 472 m. Anm. Hirsch = JZ 2005, 100 m. Anm. Arzt). Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof auf die Fälle übertragen, in denen das spätere Opfer in das Risiko des eigenen Todes eingewilligt und sich dieses anschließend – im Rahmen des von der Einwilligung „gedeckten“ Geschehensablaufs – verwirklicht hat. Auch in diesen Fällen scheide eine Rechtfertigung der Tat durch die Einwilligung des Opfers bei konkreter Todesgefahr aus (BGHSt 49, 166, 175).
b) Für gefährliches Handeln im Straßenverkehr gilt nichts anderes. Zwar versucht der Gesetzgeber, den Gefahren des Straßenverkehrs durch besondere Verhaltensregeln – insbesondere in der Straßenverkehrsordnung – entgegenzuwirken; auch ist ein gefährliches Verhalten im Straßenverkehr allgemein untersagt (§ 1 Abs. 2 StVO). Dies führt jedoch nicht dazu, dass bei einem Verstoß gegen verkehrsbezogene Sorgfaltspflichten einer Einwilligung des Betroffenen in gefährdendes Verhalten eines anderen keinerlei rechtliche Bedeutung zukommt. Eine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung in riskantes Verkehrsverhalten scheidet nur für diejenigen Tatbestände grundsätzlich aus, die zumindest auch dem Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs im Allgemeinen dienen (§§ 315 b, 315 c StGB). Bezweckt eine Vorschrift dagegen ausschließlich den Schutz von Individualrechtsgütern (wie §§ 222, 229 StGB), so verliert die Einwilligung ihre (insoweit) rechtfertigende Wirkung nur dort, wo die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten ist, also bei konkreter Todesgefahr, unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Rechtsgutverletzung.
Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu. Ob bereits durch den mit hohen Geschwindigkeiten durchgeführten „Beschleunigungstest“ auf einer öffentlichen Straße mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h die drohende Rechtsgutgefährdung für die Insassen der an dem Rennen beteiligten Fahrzeuge so groß war, dass eine konkrete Lebensgefahr vorlag, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Jedenfalls lag eine solche Gefahr in der Fortsetzung des Rennens noch zu einem Zeitpunkt, als ein gleichzeitiges Überholen eines unbeteiligten dritten Fahrzeugs mit nicht mehr kontrollierbaren höchsten Risiken für sämtliche betroffene Verkehrsteilnehmer verbunden war. In eine derart massive Lebensgefahr konnte J. -P. Sim. bezogen auf seine Person nicht mit rechtfertigender Wirkung einwilligen und zwar weder allgemein zu Beginn der Fahrt in dem Sinne, dass er mit einer Durchführung des Rennens „um jeden Preis“ einverstanden war, noch in der konkreten Situation bei Beginn des Überholmanövers mit den sich deutlich abzeichnenden Gefahren.

14.04.2009/0 Kommentare/von Samuel Ju
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Samuel Ju https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Samuel Ju2009-04-14 17:45:372009-04-14 17:45:37The Fast and the Furious vor Gericht – Zur Strafbarkeit illegaler Beschleunigungsrennen

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