Die Aufhebung von Verwaltungsakten Teil 5- Der Rückforderungsanspruch nach § 49a I VwVfG
Bei den Vorschriften über Rücknahme und Widerruf, §§ 48 ff. VwVfG, handelt es sich um Normen, die einen von den Anfängersemestern bis in die mündliche Prüfung des zweiten Examens verfolgen. Dabei machen es einem die Vorschriften nicht immer einfach, denn sie sind nicht immer klar gegliedert und es gibt viele Einzelprobleme. Die vorliegende kleine Serie soll das grundlegende Systemverständnis vermitteln, aber auch die klassischen Probleme aufgreifen. Der erste Teil enthält eine kurze Einleitung und eine Übersicht. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte (VA) gem. § 48 VwVfG. Teil drei behandelt den Widerruf rechtmäßiger Verwaltungsakte gem. § 49 VwVfG. Der vierte Teil listet nochmal wichtige Fallgruppen zum Thema auf und der vorliegende Teil behandelt den Rückforderungsanspruch nach § 49a Abs.1 VwVfG.
Der Rückforderungsanspruch nach § 49a Abs. 1 VwVfG – Ausgangslage
Mit Aufhebung (Abs. 1) oder Unwirksamkeit des Verwaltungsakts (Abs. 2) kann ein Rückerstattungsanspruch nach § 49a Abs. 1 VwVfG gegen den aus dem VA Begünstigten, welcher schon Leistungen erhalten hat, bestehen. Diese Norm bildet einen gesetzlich geregelten Unterfall des allgemeinen Erstattungsanspruchs (vgl. Maurer, § 11, Rn. 36).
I. Rückforderung aufgrund der Aufhebung des Ausgangsbescheids
Hebt die Behörde einen VA nach §§ 48, 49 VwVfG auf, stellt sich die Frage, wie die auf der Grundlage dieses VA ausgezahlten Leistungen wieder zu der Behörde zurückfließen.
§ 49a Abs. 1 VwVfG gewährt der Behörde in diesem Fall einen Rückforderungsanspruch.
Die Behörde kann also bereits ausgezahlte Leistungen zurückfordern, wenn u.a. der Ausgangsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist.
1. Aufhebung des Ausgangsbescheid für die Vergangenheit
Beispiel 1:
Die Behörde B gewährt A in einem Ausgangsbescheid eine bestimmte Leistung. Dieser Bescheid wird mit Wirkung für die Vergangenheit nach §§ 48, 49 VwVfG wieder aufgehoben. Die Behörde fordert die Leistung zudem zurück.
Was kann A dagegen tun?
Wichtig ist zunächst, dass streng zwischen dem Ausgangsbescheid, dem Aufhebungsbescheid und dem Rückforderungsbescheid zu unterscheiden ist.
Der Ausgangsbescheid gewährt A eine bestimmte Leistung; dies kann z.B. ein Subventionsbescheid sein. Durch Aufhebungsbescheid erfolgt die Aufhebung des Ausgangsbescheids.
Separat davon kann die Behörde nun die erbrachten Leistungen durch einen VA zurückfordern (sog. Rückforderungsbescheid).
Es liegen also drei verschiedene VA vor.
Oftmals verschickt die Behörde nur einen Bescheid und fordert die Rückerstattung der gewährten Leistungen direkt. Es muss dann unbedingt erkannt werden, dass darin eben zwei VA liegen. (Vertiefend dazu: BVerwG NJW 1992, 328 und BVerwGE 67, 305, 313.)
A kann nun klageweise gegen Aufhebungsbescheid und (!) Rückforderungsbescheid vorgehen:
I. Klage gegen den Aufhebungsbescheid
Bei der gegen den Aufhebungsbescheid gerichteten Klage handelt es sich um eine Anfechtungsklage.
Die Klage müsste zulässig sein und ist gem. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet, wenn und soweit der VA rechtswidrig und der Kläger A dadurch in seinen Rechten verletzt ist.
Zu prüfen ist dann, ob der Aufhebungsbescheid rechtswidrig ist.
II. Klage gegen den Rückforderungsbescheid
Gegen den Rückforderungsbescheid kann A ebenfalls im Wege der Anfechtungsklage vorgehen. Diese müsste auch zulässig sein und ist wiederum begründet, wenn und soweit der VA rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.
Fraglich ist zunächst, ob der Rückforderungbescheid rechtswidrig ist.
1. Ermächtigungsgrundlage
Als Ermächtigungsgrundlage kommt § 49a Abs. 1 VwVfG in Betracht, der zugleich auch die erforderliche VA-Befugnis enthält („durch schriftlichen VA festzusetzen“).
2. Formelle Rechtmäßigkeit
Zuständig für die Rückforderung ist die Aufhebungsbehörde, §§ 48, 49 Abs. 5 VwVfG gilt entsprechend. Insbesondere ist das Schriftformerfordernis des § 49a Abs. 1 S. 2 VwVfG zu beachten.
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
Nach § 49a Abs. 1 VwVfG sind bereits erhaltene Leistungen u.a. dann zurückzugewähren, wenn der VA mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 48 VwVfG) oder widerrufen (§ 49 VwVfG) worden ist. Für die von der Behörde erhaltenen Leistungen besteht insoweit dann kein Rechtsgrund mehr.
Die Behörde muss den Ausgangsbescheid also wirksam zurückgenommen haben. War die Aufhebung jedoch rechtswidrig (abhängig vom Ergebnis der Klage zu I) und hat der A diese innerhalb der Anfechtungsfrist angefochten, so dürfen bis zum Erlass des verwaltungsgerichtlichen Urteils keine nachteiligen Folgen entstehen. Die Vollziehbarkeit der Aufhebung ist gehemmt (sog. Vollziehbarkeitstheorie) oder ist bis auf Weiteres nicht als wirksam zu behandeln (sog. Wirksamkeitstheorie). Damit verliert der Rückforderungsbescheid im Falle einer wirksam angefochtenen Rechtswidrigkeit der Aufhebung des Ausgangsbescheids seine Rechtsgrundlage.
Der Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den A dadurch in seinen Rechten.
b) Umfang
Sollte der Rückforderungsbescheid jedoch wirksam sein und eine Anfechtungsklage gegen ihn keinen Erfolg haben, ist weiterhin der Umfang der Rückforderung zu prüfen.
Für den Umfang mit Ausnahme der Verzinsung gilt § 49 Abs. 2 VwVfG mit der Rechtsfolgenverweisung (Knack/Hennecke, VwVfG, § 49a, Rn. 13) auf die §§ 812 ff. BGB. Allerdings gelten für eine mögliche Entreicherung die Besonderheiten des § 49a Abs. 2 S. 2 VwVfG. Bezüglich der Verzinsung sind Abs. 3 und Abs. 4 zu beachten.
Beide Klagen können durch objektive Klagehäufung nach § 44 VwGO verbunden werden.
2. Aufhebung des Ausgangsbescheids erst für die Zukunft
Beispiel 2:
Die Behörde hebt den Ausgangsbescheid für die Zukunft auf und fordert die bereits erhaltenen Leistungen zurück.
Problematisch kann die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheids dann sein, wenn der Ausgangsbescheid nur für die Zukunft (ex nunc) zurückgenommen wurde.
Nach ihrem Wortlaut ist die Norm des § 49a Bs. 1 VwVfG nämlich dahingehend zu verstehen, dass ein Erstattungsanspruch nur im Fall einer Aufhebung des VA mit Wirkung für die Vergangenheit besteht.
Jedoch könnte eine analoge Anwendung in Betracht kommen, wenn eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage besteht.
Fraglich ist vor allem, ob die bestehende Regelungslücke auch planwidrig ist:
Nach der früheren Judikatur des BVerwG (sog. Gleisanschlussentscheidung, NVwZ 1984, 36, 37) nach alter Rechtslage war ein Rückerstattungsanspruch auch bei Widerruf mit Wirkung nur ex nunc denkbar (vgl. auch NJW 1993, 1610 f.).
Zweifelhaft ist, ob diese Rechtsprechung nun nach der Novellierung des VwVfG im Jahre 1996 aufrechterhalten werden kann, zumal auch die Gesetzesbegründung dagegensprechen soll (z.B. Baumeister, NVwZ 1997, 19).
Dagegen wird es vielfach abgelehnt § 49a Abs. 1 VwVfG als abschließend zu betrachten und nur einen Rückforderungsanspruch bei Aufhebung des VA für die Vergangenheit von der Norm als erfasst zu sehen. Insbesondere soll sich der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung nicht mit der bestehenden Rechtsprechung des BVerwG und mithin nicht mit der Gleisanschlussentscheidung auseinandergesetzt haben. Neben einer planwidrigen Regelungslücke bestehe zudem auch eine gleiche Interessenlage, da nicht ersichtlich sei, warum das Gesetz nur einen Rückforderungsanspruch für den Fall der ex-tunc-Aufhebung des AusgangsVA normiere (s. dazu Stelkens/Bonk/Sachs-Sachs, VwVfG, § 49a, Rn. 9; Kopp/Raumsauer, § 49a, Rn. 6).
3. Anwendung des § 49a Abs. 1 VwVfG bei nichtiger Aufhebung des Ausgangsbescheids
Bezüglich einer möglichen analogen Anwendung des § 49a VwVfG bei einer nichtigen Aufhebung des Ausgangsbescheids sei beispielsweise auf Kopp/Ramsauer, § 49a, Rn. 4 verwiesen.
4. § 49a Abs. 1 VwVfG im Rahmen der Aufhebung eines nur vorläufigen VA
Zur Frage, ob ein Rückforderungsbescheid auch besteht, wenn ein nur vorläufiger VA aufgehoben wurde, kann als Einstieg OVG Münster NVwZ 1991, 588 und NVwZ 2010, 643 (= BVerwG Urteil vom 19.11.2009 – 3 C 7/09) dienen, zum vorläufigen VA: BVerwGE 67, 99; 74, 357 [365]; BVerwG, NJW 1992, 705; Dickersbach, NVwZ 1993, 846.
II. Rückforderung aufgrund unwirksamen VA
Die Behörde hat nach § 49a Abs. 1 VwVfG auch einen Rückforderungsanspruch für den Fall, dass der Ausgangsbescheid infolge Eintretens einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist.
Übungsfall: Martini, JuS 2003, 226; Der praktische Fall- öffentliches Recht: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“.
Im nächsten Teil geht es um die unionsrechtlichen Implikationen der Aufhebung von Verwaltungsakten.
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