BGH zur Halterhaftung nach dem StVG
In einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung hatte sich der BGH mit der Reichweite der Haftung von Kraftfahrzeughaltern aus § 7 I StVG zu befassen (BGH, Urt. v. 24.01.2023 – VI ZR 1234/20). Das Urteil eignet sich hervorragend, um die in Prüfungsarbeiten oft geprüften Haftungstatbeständen aus dem StVG und deren Besonderheiten zu wiederholen.
I. Der Sachverhalt
A ist Halter eines Elektrorollers, den er zwecks Inspektion in die Werkstatt des W brachte. Dort wurde die Batterie des Elektrorollers durch den Mitarbeiter M ausgebaut und aufgeladen. M bemerkte eine unüblich starke Erhitzung der Batterie und brach den Ladevorgang präventiv ab, indem er die Stromverbindung trennte. Kurz darauf explodierte die Batterie jedoch. Es kam zu keinerlei Personenschaden, jedoch wurden die Werkstatträume des W in Brand gesetzt. Die nunmehr klagende Gebäudeversicherung K ersetzte W den Schaden, verlangte jedoch im Nachgang Schadensersatz von der beklagten Haftpflichtversicherung B des A aus übergegangenem Recht. Diesem Begehren wurde durch das LG in erster Instanz und durch das OLG in zweiter Instanz nicht entsprochen, sodass die klagende Gebäudeversicherung ihr Verlangen im Wege der Revision vor dem BGH weiterverfolgte.
II. Die Entscheidung
Für K könnte sich ein entsprechender Anspruch aus § 7 I StVG ergeben. Der Elektroroller erweist sich als Kraftfahrzeug im Sinne des § 1 II StVG und A ist unbestritten auch dessen Halter. Mit dem Eintritt des Brandes in den Gebäuden des W liegt zudem die in § 7 I StVG als Rechtsgutsverletzung genannte Beschädigung einer Sache vor. Fraglich ist jedoch, ob diese – wie von § 7 I StVG vorausgesetzt – auch „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ eingetreten ist. Das zweitinstanzliche OLG hat dies bereits mit der Erwägung vereint, dass die Fortbewegungs- und Transportfunktion bereits mit dem Verbringen in eine außerhalb des allgemeinen Verkehrs liegende Werkstatt endete. Somit konnte sich in der Werkstatt die notwendige Verkehrsgefahr überhaupt nicht mehr realisieren. Diesen Ausführungen folgte der BGH nur im Ergebnis, nicht jedoch in der Begründung. Nach Ansicht des BGH ist die Gefährdungshaftung des § 7 I StVG die Konsequenz des Umstands, dass die Verwendung eines Kraftfahrzeugs zwangsläufig mit Gefahren und Schadensabläufen einhergeht, für deren Aufkommen Regelungen zu Lasten des die Gefahr verursachenden Halters zu treffen sind. Für die typischen Gefahren kommt es jedoch nicht zwangsläufig auf den Zusammenhang mit einem konkreten Betriebsvorgang an. Entscheidend ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH, dass die Schadensursache entweder in einem zeitlich-, räumlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder alternativ (unabhängig von einem bestimmten Betriebsvorgang) in einem Zusammenhang mit einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Die Verletzung von Werkstattmitarbeitern durch Defekte von Betriebseinrichtungen bei der Reparatur gehört nach Ansicht des BGH auch zu dem vom Halter zu verantwortenden Gefahrenbereich. Man kann nicht sämtliche technischen Defekte des Kraftfahrzeugs ohne konkreten Betriebsvorgang aus der Gefahrverantwortlichkeit des Halters ausnehmen, weil dies dem Schutzzweck der Norm klar zuwiderläuft. Gleichwohl ist der Schaden im vorliegenden Fall nach Ansicht des BGH nicht „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ eingetreten, denn insoweit muss berücksichtigt werden, dass die Batterie bereits aus dem Roller und somit aus der Betriebseinrichtung ausgebaut war, als sie explodierte. Der Fall muss mit der die Halterhaftung ausschließenden Konstellation verglichen werden, dass eine neue, noch nie in den Roller eingebaute, Batterie vor dem Einbau beim aufladen explodiert. Der Umstand, dass die im hier zu entscheidenden Fall explodierte Batterie jedenfalls zuvor im Roller verbaut war, soll daran nichts ändern. K wurde ein Anspruch gegen B aus § 7 I StVG in Ermangelung eines Schadens „bei dem Betrieb eines Fahrzeugs“ folglich abgesprochen.
III. Einordnung der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH kann nicht in Gänze überzeugen. Geht es um die Halterhaftung aus § 7 I StVG muss stets die Frage gestellt werden, welche Risiken von einem Kraftfahrzeug typischerweise verursacht werden (können) und durch den Halter als Verursacher dieser Gefahr ohne weiteres Verschulden zu tragen sind (Stichwort: Gefährdungshaftung). Daher überzeugt es nicht, die sich bei der Reparatur realisierenden Gefahren vom Verantwortungsbereich des Halters pauschal auszunehmen (so aber offenbar das OLG in der Berufungsinstanz). In dieser Hinsicht ist dem BGH zuzustimmen, denn nach der ständigen Rechtsprechung kommt es für die vom Halter zu tragenden Gefahren zu Recht nicht darauf an, dass es sich um Schäden im Zusammenhang mit der Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeugs handelt (BGH, Urt. v. 20.10.2020 – VI ZR 158/19, r+s 2020, 719; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.03.2015 – 9 W 3/15, NJW-RR 2015, 866; OLG Hamm, Urt. v. 19.02.2019 – I-9 U 192/17, NJW-RR 2019, 666). Anders können dies nur die wenigen Vertreter der sog. „maschinentechnische Auffassung“ sehen, die stets einen Schaden im Zusammenhang mit der Motorkraft des Kraftfahrzeugs verlangen. Nicht ganz einleuchtend erscheint jedoch, weshalb der Umstand der Entfernung der Batterie aus dem Roller das entscheidende Kriterium gegen die Halterverantwortlichkeit sein soll. Wäre die Batterie im konkreten Fall zum Zwecke des Aufladens nicht entfernt worden, sondern im Roller verblieben und sodann explodiert, wäre im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung zu ähnlich gelagerten Fragen eine Halterhaftung aus § 7 I StVG anzunehmen. So entschieden bereits der BGH (Urt. v. 20.10.2020 – VI ZR 158/19, r+s 2020, 719), das OLG Karlsruhe (Beschl. v. 09.03.2015 – 9 W 3/15, NJW-RR 2015, 866) und das OLG Hamm (Urt. v. 19.02.2019 – I-9 U 192/17, NJW-RR 2019, 666), dass der einen Fahrzeugbrand auslösende technische Defekt eines in einer Halle geparkten Kraftfahrzeugs ein Ereignis darstellt, dass sich „bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs“ ereignet und die Halterhaftung aus § 7 I StVG auslöst. Ob nun die Batterie zum Aufladen ausgebaut werden kann bzw. muss, ist jedoch ein wohl eher zufälliger Umstand, der von der Bauart des Elektrorollers abhängt. Zudem wurde auch im hier zu entscheidenden Fall – wie bisher in der Rechtsprechung verlangt – der Brand durch den technischen Defekt eines zum Kraftfahrzeug gehörenden Bauteils ausgelöst. Allein deshalb ist der Fall nicht unbedingt mit der Situation vergleichbar, dass ein noch gar nicht mit dem Kraftfahrzeug verbundenes Bauteil, das bloß zukünftig für dieses bestimmt ist, explodiert und einen Schaden anrichtet. Den Ausbau eines defekten und schadensverursachenden Bauteils als entscheidendes Kriterium gegen die Halterverantwortlichkeit anzusehen, erscheint im Ergebnis eher gekünstelt als gedanklich nachvollziehbar. Die Entscheidung sollte Anlass geben, sich mit Fragen der Haftung nach dem StVG zu beschäftigen. Geradezu mustergültig zeigt diese Entscheidung, dass der Schwerpunkt der Prüfung, der über Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs entscheidet, regelmäßig bei der Feststellung eines Schadens „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ liegt. Es bietet sich eine zweistufige Prüfung an. Zunächst ist auf erster Stufe zu klären, ob überhaupt ein Kraftfahrzeug in Betrieb gewesen ist. Auf der zweiten Stufe ist sodann zu fragen, ob zwischen dem Betrieb des Kraftfahrzeugs und dem eingetretenen Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht.
Neben der als Gefährdungshaftung ausgestalteten Halterhaftung aus § 7 I StVG sieht § 18 I 1 StVG auch eine Haftung des Fahrzeugführers vor. Diese ist jedoch nicht als Gefährdungshaftung, sondern vielmehr als Verschuldenshaftung ausgestaltet. Das Verschulden wird nach § 18 I 2 StVG jedoch grundsätzlich vermutet. Andere Ansprüche, insbesondere die deliktische Haftung gem. § 823 I BGB, werden durch die speziellen Normen des StVG nach dessen § 16 nicht ausgeschlossen. Dort stellt sich jedoch das Problem, dass das Verschulden vollumfänglich bewiesen werden muss. Die deliktische Haftung wird jedoch dann relevant, wenn die Haftungshöchstbeträge aus § 12 StVG überschritten werden, sodass die Ansprüche aus dem StVG keine hinreichende Kompensation bieten.
Vielleicht könnte § 645 I BGB o.ä. noch etwas problematisch wirken?