BGH zur Beweislastverteilung beim gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten KfZ
In einer äußerst examensrelevanten Entscheidung (Urteil v. 23.09.2022 – V ZR 148/21) befasste sich der BGH mit Fragen zur Beweislastverteilung bei dem gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten KfZ. Neben materiell-rechtlichen Kenntnissen bietet der Fall die Gelegenheit, auch aus praktischer Perspektive zu prüfen, wie mit Unsicherheiten im Sachverhalt umgegangen wird.
I. Der Sachverhalt
Die K, eine Gesellschaft italienischen Rechts, die Fahrzeuge in Italien vertreibt, kaufte im März 2019 unter Einschaltung eines Vermittlers (V) ein Fahrzeug von einem Autohaus, bei dem das Fahrzeug stand. Eigentümerin des Fahrzeugs war die E. E hatte das Fahrzeug an das Autohaus verleast und war auch im Besitz der Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief). Nach Zahlung des Kaufpreises von 30.800 € holte der V Anfang April 2019 das Auto für K bei dem Autohaus ab und verbrachte es zu dieser nach Italien. Zwischen K und E ist streitig, ob V eine hochwertige Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt wurde, in der das Autohaus als Halter eingetragen war. Als K ein weiteres Fahrzeug von dem Autohaus kaufen wollte, war es geschlossen. Gegen den Geschäftsführer wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts in über 100 Fällen eingeleitet.
K nahm E gerichtlich auf Herausgabe der echten Zulassungsbescheinigung Teil II in Anspruch, E erhob Widerklage auf Herausgabe des Fahrzeugs.
Das Landgericht hat die auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II gerichtete Klage der K abgewiesen und verurteilte diese auf Widerklage der E, das Fahrzeug herauszugeben. Das Oberlandesgericht hat umgekehrt entschieden und die E verurteilt, die Zulassungsbescheinigung Teil II an K herauszugeben. Die Widerklage hat es abgewiesen.
II. Die Entscheidung
Der BGH wies die Revision der E zurück, schloss sich also dem Urteil des Oberlandesgerichts an. K sei Eigentümerin des KfZ geworden, müsse es also nicht herausgeben. Umgekehrt sei aber E zur Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II verpflichtet, da K hieran analog § 952 BGB Eigentum erworben habe.
Ursprüngliche Eigentümerin des Fahrzeugs war E. Da das Autohaus nicht Eigentümerin des KfZ war, kam nur ein gutgläubiger Erwerb gemäß § 932 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Zwischen dem Autohaus und K hat eine Einigung und Übergabe im Sinne von § 929 S. 1 BGB stattgefunden. Es handelte sich auch um ein Verkehrsgeschäft. Schließlich dürfte K als Erwerberin nicht bösgläubig gewesen sein, § 932 Abs. 1 S. 1 BGB a.E. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Wenn dem Erwerber eine nicht als solche erkennbare Fälschung vorgelegt wird, treffen ihn keine weiteren Nachforschungspflichten. Ob K sich die (gefälschte) Bescheinigung vorlegen ließ, konnte hier nicht aufgeklärt werden. Hier erlangt die negative Formulierung von § 932 Abs. 1 S. 1 BGB a.E. Bedeutung. Hieraus folgt, dass das Gesetz im Grundsatz von der Gutgläubigkeit der Erwerber ausgeht („es sei denn, […] dass er nicht in gutem Glauben ist“). Derjenige, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Erwerbsvoraussetzungen des § 929 BGB beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit. Dies gelte auch, wenn die fehlende Gutgläubigkeit des Erwerbers darauf gestützt wird, dass bei dem Erwerber des Fahrzeugs die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorgelegen habe. Der ehemalige Eigentümer muss also beweisen, dass der Erwerber nicht in gutem Glauben war, mit anderen Worten muss er beweisen, dass der Erwerber sich die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorlegen ließ. Den Erwerber, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, treffe diesbezüglich nur eine sogenannte sekundäre Darlegungslast. Er müsse seinerseits vortragen, wann, wo und durch wen ihm die Bescheinigung vorgelegt worden ist und dass er sie überprüft hat. Dann muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass diese Angaben nicht zutreffen.
Während die K ihrer sekundären Darlegungslast gerecht geworden sei, sei es der E nicht gelungen zu beweisen, dass sich K die Zulassungsbescheinigung nicht habe vorlegen lassen.
III. Einordnung der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH erweist sich als Ergebnis einer sauberen Subsumtion unter den Gesetzeswortlaut. Genau wie § 280 Abs. 1 S. 2 BGB (Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat) ist § 932 Abs. 1 S. 1 BGB negativ formuliert (es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist). Das Gesetz geht also von einem Grundsatz aus, von dem bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen abgewichen wird. Daneben gilt der prozessrechtliche Grundsatz, dass derjenige, der sich auf eine Rechtsfolge beruft, die Voraussetzungen hierfür beweisen muss (Rosenbergsche Formel). Genau darum geht es, wenn der Eigentümer sich vor Gericht darauf beruft, dass die Voraussetzungen für den gutgläubigen Erwerb „doch nicht“ vorgelegen haben sollen. Im Rahmen des gutgläubigen Erwerbs von KfZ muss bekannt sein, dass grob fahrlässig handelt, wer sich die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorlegen lässt. Dabei ist bei einem Kauf von einem Händler aber nicht erforderlich, dass er als Eigentümer in der Bescheinigung eingetragen ist. Etwas anderes gilt bei einem reinen Privatverkauf, da hier regelmäßig nur das eigene Fahrzeug veräußert wird.
Daneben behandelt der Fall ein typisches Problem aus dem Autokaufrecht, nämlich den Eigentumserwerb an der Zulassungsbescheinigung Teil II analog § 952 BGB. Die Fallkonstellation lädt also dazu ein, den Eigentumserwerb an dem KfZ inzident im Rahmen der Prüfung der Eigentumsverhältnisse an der Zulassungsbescheinigung zu prüfen.
Beim Erwerb von Eigentum an einem Fahrzeug soll eine Zulassungsbescheinigung vorzulegen sein.
Diese sollte dabei regelmäßig mit auszuhändigen sein.
Damit sollte grundsätzlich zunächst der Erwerber den Nachweis von Gutgläubigkeit anhand eines Fahrzeugbriefes in der Hand haben, weswegen dieser grundsätzlich vom Erwerber zu verlangen sein sollte.
Ist Aushändigung unterbleiben, sollte dies vom Erwerber plausibel darzulegen sein.
Geht die Bescheinigung beim Erwerber unter, kann dies grundsätzlich den Verantwortungsbereich des Erwerbers betreffen.
Diesen sollte daher eine Darlegungs- und Beweispflicht für eine unverschuldete Unmöglichkeit einer Vorlage treffen.
Soweit kein Nachweis für unverschuldete Unmöglichkeit einer Vorlage vorliegt, sollte einen Erwerber eher eine Beweislast für gutgläubigen Eigentumserwerb treffen.
Sollte gutgläubiger Erwerb nicht nachgewiesen sein, sollte solcher ausscheiden.
Hier scheint noch etwas Ungereimtheit möglich und sollte dies vielleicht erst im Sinne einer Darlegungslast noch weiter plausibel gemacht werden müssen, bevor eine Beweislast zuungunsten eines Eigentümers wirken kann?