Jura und Jan Böhmermann: Von Schmähkritik zur Richtlinienkompetenz
Aktuell wird man unweigerlich medial von der Diskussion über eine Strafbarkeit Jan Böhmermanns bzgl. seines Erdogan-Gedichts verfolgt. Mittlerweile hat dies auch zu diplomatischen Verwerfungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei geführt.
Juristisch ist der Fall recht spannend und für eine schwierige mündliche Prüfung geeignet, da er in einem unbekannten Terrain (§ 104 ff. StGB) spielt und bei der Argumentation juristisches Fingerspitzengefühl gefragt ist.
Dabei stellt sich zum einen die Frage, ob überhaupt eine Strafbarkeit gegeben ist, Stichwort Schmähkritik (entsprechend dem Titel des Gedichts) vs. Satire, und zum anderen unter welchen Voraussetzungen eine Verfolgung der – unterstellten – Straftat möglich ist.
Entscheidend ist der komplette Inhalt des Beitrags. Eine Darstellung findet sich hier.
I. Strafbarkeit nach § 103 StGB
1. Grundrechtlicher Schutz
Hierzu müsste eine Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes erfolgt sein. Der Begriff der Beleidigung ist hierbei so wie bei § 185 StGB auszulegen. Der Begriff des Staatsoberhauptes gleicht dem des § 102 StGB. Entscheidend ist damit, ob eine Repräsentation des Staates durch die Person vorliegt.
Ferner müsste aber eine Beleidigung vorgelegen haben. Dies erfordert die Kundgabe der Nicht- oder Missachtung. Zu beachten sind dabei sämtliche Umstände des Einzelfalles. Dabei wird offensichtlich, dass die Strafbarkeit der Beleidigung stets auch einen Eingriff in die grundsätzlich geschützte Meinungs- und Pressefreiheit bzw. Kunstfreiheit darstellt. Die Grenzen zwischen Meinungs- und Pressefreiheit bzw. Kunstfreiheit sind hier fließend, handelt es sich bei der Satire doch um eine Hybridform, die Aspekte aller drei geschützten Rechte enthält.
Grundsätzlich handelt es sich bei Satire um eine Meinungsäußerung (ausführlich hierzu NJW 1995, 809). Durch die freie Gestaltung der kritisierten Titel tritt aber (zumindest nach dem offenen Kunstbegriff) auch der künstlerische Aspekt hinzu. Kerninhalt der Satire ist das Arbeiten mit Übertreibungen oder Verfremdungen. Dieses Kriterium beinhaltet aber gleichwohl die Voraussetzung, dass eine inhaltliche Aussage damit verbunden sein muss, die durch die gewählte Darstellungsform nur verzerrt wird. Es ist damit zu ermitteln, welche Aussage mit dem Mittel der Satire dargestellt wird. Ist die Satire hingegen allein als Provokation anzusehen, dann ist sie nicht mehr von den genannten Grundrechten gedeckt, denn es wird keine Meinung mehr kundgetan, sodass der Schutzbereich nicht eröffnet wäre. Es handelt sich dann insofern nur um Scheinsatire. Ungeachtet dessen verbietet sich eine zu strenge Betrachtung. Vielmehr muss jede noch mögliche Deutung als wahrscheinlich angesehen werden, ansonsten würden die Grundrechte zu wenig beachtet.
Bejaht man also allein eine Provokation in Form der Schmähkritik, so greift bereits der grundrechtliche Schutz nicht. Dies dürfte hier aber abzulehnen sein. Aus einem einfachen Grund: Das Gedicht selbst – der Titel ist ja schon eindeutig – ist natürlich losgelöst vom Kontext als Schmähkritik anzusehen. Der Kontext und die Begleitumstände dürfen aber bei der Prüfung nicht außen vorgelassen werden. Der Beitrag wurde hier mit einer langen Vorrede, die gerade die Grenze von Schmähkritik und Satire anlässlich des extra3-Songs problematisierte – angekündigt. Bewusst sollte auf die – aus Sicht aller – übertriebene Reaktion des türkischen Präsidenten hingewiesen werden. Der Aussagegehalt der Äußerung kann daher jedenfalls lauten: Die Reaktion war übertrieben, es geht noch viel schlimmer. DAS hier wäre wirklich schlimm.
Ein solcher Aussagegehalt deckt sich auch mit dem Inhalt der Sendung, die eben genau die Vorkommnisse zu extra3 problematisierte. Damit ist jedenfalls eine Deutung als Satire denkbar. Der Finger wird hier bewusst in die Wunde gelegt und die – aus Sicht des Autors – übertriebene Reaktion Erdogans problematisiert. Der Schutz des Grundgesetzes greift daher.
Die Abwägung fällt hier zugunsten der Meinungs- und Pressefreiheit aus.
2. Ausnahme Schmähkritik
Eine Abwägung würde dort zu Lasten der Satire ausfallen, wenn diese als Schmähkritik anzusehen wäre, wenn also nicht die satirische Äußerung im Vordergrund stünde.
Eine Eingruppierung als Schmähkritik verbietet sich hier aber. Das BVerfG legt dazu dar (Beschluss v. 26.6.1990):
Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen
Dies ist hier – auch aufgrund des Kontextes – nicht gegeben. Es sollte sich bewusst und überspitzt und pointiert mit dem dargelegten Sachverhalt auseinandergesetzt werden. Die Äußerung beruht daher auf einem sachlichen Grund und ist zulässig.
II. Strafbarkeitsvoraussetzung des § 104a StGB
Besondere Beachtung verdient zudem der § 104a StGB. Bei juris findet sich zu dieser Norm eine einzige Fundstelle. Die Bedeutung ist daher offenkundig gering. Gerade aus diesem Grund eignet er sich für eine freie Argumentation in der mündlichen Prüfung, die auch öffentlich-rechtliche Erwägungen berücksichtigt.
Es muss ein „Strafverlangen der ausländischen Regierung“ vorliegen und „die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt“ haben.
Gerade letztere Voraussetzung ist problematisch und führt zu politischen Verwerfungen, stellt sich doch die Frage, wie weit die Bundesregierung hier dem türkischen Präsidenten entgegenkommen darf und sollte.
1. Zuständigkeit
Fraglich ist zunächst, wer überhaupt für die Erteilung der Ermächtigung zuständig ist. Dies dürfte – so die Kommentarliteratur – aufgrund der Ressortzuständigkeit der Bundesminister des Auswärtigen sein (Art. 65 S. 2 GG). Fraglich ist aber, ob die Bundeskanzlerin bei Vorliegen eines Dissens aufgrund ihrer Richtlinienkompetenz (Art. 65 S. 1 GG) vorrangig entscheiden darf. Dies dürfte wohl zu verneinen sein. Die Richtlinienkompetenz ist bereits qua ihres Wortlauts auf das Innenverhältnis zum Minister beschränkt, sodass eine Weisung der Kanzlerin ergehen dürfte. Nach außen könnte der zuständige Minister aber weiterhin wirksam tätig werden, müsste aber natürlich die Entlassung aus dem Ministeramt als Konsequenz fürchten.
2. Abwägungsgründe
Fraglich ist zuletzt, welche Erwägungen bei der Erteilung der Ermächtigung anzustellen sind. Zunächst ergibt sich aus der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), dass die Ermächtigung dann nicht erteilt werden darf, wenn eine Strafbarkeit nach der Überzeugung des zuständigen Ministers sicher ausscheidet. Auch die mögliche Gefährdung der Beziehungen zur Türkei könne dann nicht beachtet werden.
Schwerer zu beantworten ist – mangels Literatur hierzu – die Frage, ob bei einer möglichen Strafbarkeit dennoch die Ermächtigung untersagt werden kann. Dies dürfte wohl im Einzelfall zulässig sein. Die Norm des § 104a StGB stellt auch auf den Schutz diplomatischer Beziehungen ab. Aus diesem Grund ist im Einzelfall zum Schutz eine Verweigerung möglich.
Primär dient der Vorbehalt der Ermächtigung aber dazu, die Einmischung ausländischer Staaten in das deutsche Strafrecht zu verhindern. Der deutsche Staat möchte stets das Letztentscheidungsrecht bzgl. seiner Rechtsordnung haben.
III. Fazit
Spannende juristische Fragen stellen sich zweifelsohne. Eine einfache Beantwortung ist – gerade ob der komplizierten Abwägung – nicht möglich. Dennoch sollte ein sorgfältiges Judiz nicht durch die mediale Keule ersetzt werden.
Die Entscheidung zur Strauß Karikatur ist bekannt? Gesonderte Untersuchung von Aussagekern und Einkleidung auf ihre Zulässigkeit. Legt man diese Entscheidung als Maßstab zu Grunde, kommt hier nur eine Strafbarkeit in Betracht.
Wenn mir die Kritik erlaubt ist: Ich finde den Artikel nicht gerade gelungen
http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv075369.html
Das sehe ich ein wenig anders.
Das BVerfG sagt in der Entscheidung: „Dem Beschwerdeführer ging es aber anders als in den üblichen Darstellungen nicht nur darum, bestimmte Charakterzüge oder die Physiognomie eines Menschen durch die Wahl einer Tiergestalt zu kennzeichnen oder zu überspitzen, beabsichtigt war offenkundig ein Angriff auf die personale Würde des Karikierten. Nicht seine menschlichen Züge, seine persönlichen Eigenarten, sollten dem Betrachter durch die gewählte Verfremdung nahegebracht werden. Vielmehr sollte gezeigt werden, daß er ausgesprochen „tierische“ Wesenszüge habe und sich entsprechend benehme. Gerade die Darstellung sexuellen Verhaltens, das beim Menschen auch heute noch zum schutzwürdigen Kern seines Intimlebens gehört, sollte den Betroffenen als Person entwerten, ihn seiner Würde als Mensch entkleiden. Damit mißachtet der Beschwerdeführer ihn in einer Weise, die eine Rechtsordnung, welche die Würde des Menschen als obersten Wert anerkennt, mißbilligen muß.“
(BVerfG, Beschluss vom 03. Juni 1987 – 1 BvR 313/85 –, BVerfGE 75, 369-382, Rn. 24)
Es meint also, hier sei die Einkleidung unzulässig, die Aussage hingegen schon. Eben weil die Darstellung eines Menschen als Schwein in die Menschenwürde eingreift.
In unserem Fall verhält es sich m.E. anders. Aussagekern ist die oben dargelegte Kritik am aus Sicht Böhmermanns übertriebenen Vorgehen Erdogans. Diese lässt sich der Aussage entnehmen. Auch die Einkleidung ist hier aber zulässig, sie dient gerade dazu, dem Zuschauer diese Kritik näherzubringen und zu verdeutlichen. Ich sehe daher keinen Widerspruch zur Strauß-Entscheidung.
Ich muss leider wieder als „Gast“ antworten, muss nachher mal nach meinem PW hier schauen.
Wenn Du das so machst, dann untersuchst Du doch aber die Einkleidung in Zusammenhang mit dem Aussagekern auf ihre Zulässigkeit. So wie ich das BVerfG verstehe, müssen aber Aussagekern und Einkleidung strikt voneinander getrennt hin auf ihre jeweilige Zulässigkeit hin untersucht werden. Das kann man sicher kritisch sehen, aber mE geht das klar aus der Strauß Entscheidung hervor. Der Aussagekern ist hier zweifellos zulässig, die Einkleidung (Schmähkritik) aber gerade nicht. Und alleine wegen dieser unzulässigen Einkleidung tritt die Kunstfreiheit (und auch die Meinungsfreiheit) hier hinter dem Persönlichkeitsrecht Erdogans zurück. Anders natürlich wenn man den Aussagekern im Zusammenhang mit der Einkleidung sieht, aber gerade das macht das BVerfG mE nicht.
PS: Ist das Du ok? Habe gerade beim Tippen nicht darauf geachtet
Es hilft das angesprochene Urteil des BVerfG weiterzulesen: „Dabei muß beachtet werden, daß die Maßstäbe für die Beurteilung der Einkleidung anders und im Regelfall weniger streng sind, als die für die Bewertung des Aussagekerns; denn ihr ist die Verfremdung wesenseigen.“ (Rn. 20)
Legt man also den weniger strengen Maßstab (was auch immer das im Detail bedeuten soll) an die „Einkleidung“ der Satire Böhmermanns an, so kann man durchaus zu einer Zulässigkeit kommen.
Ich halte aber die Trennung zwischen Aussagekern und Einkleidung schon für schwierig, wenn nicht sogar verfassungsrechtlich fragwürdig. Wenn das BVerfG selbst sagt, dass die Satire als Kunst einer mannigfaltigen, fortgesetztem Interpretationsmöglichkeit unterliegt, stellt es ja einerseits schon mal fest, dass eine einzelne isolierte Kernaussage nicht immer geben kann. Auf der anderen Seite verlangt das BVerfG, dass nun bitte eine Kernaussage herausgearbeitet wird, um das Grundrecht mit dem APR abzuwägen.
Wirkt für mich nicht wirklich stringent.
Aber sei’s drum. Versuchen wir mal die Kernaussage zu ermitteln:
1. Erdogan geht nach unseren Maßstäben nicht demokratisch genug mit fremden Meinungen um. Das wäre die erste Interpretation. Immerhin ist das Stück (vorgetragenes Gedicht und Moderation drumherum!) eine Reaktion auf Erdogans Reaktion nach der extra3-Satire.
2. Satire darf fast alles, aber hat seine Grenzen. Diese Grenzen liegen in der Schmähkritik, der auch bei gutmütiger Interpretation der Äußerung keine sachliche Auseinandersetzung mehr in den Vordergrund stellt. Das wurde im Zuge der extra3-Satire auch in der Presse immer wieder dargestellt.
3. Unter dem Begriff Schmähkritik können wir uns Deutsche, auch Juristen, oft nicht wirklich plastisch vorstellen, was das sein könnte. Das soll anhand des Erdogan-Gedichts als Beispiel mal veranschaulicht werden. Anhand dieses Beispiels können wir auch sehen, dass Satire schon sehr sehr viel darf. Noch eine Erkenntnis liefert uns dieses Beispiel: Diese Art von sachferner Äußerung ist in unserer Satirekultur praktisch nie zu finden. Insofern leben wir Deutschen eine in der breiten Masse zulässige Satirekultur.
4. Bezogen auf die extra3-Satire können wir nun anhand des Erdogan-Gedicht-Maßstabes recht genau „messen“, dass die extra3-Satire bissig aber bei weitem nicht unzulässig war. Und daher ist auch Erdogans Reaktion darauf kritikwürdig und offenbart gleichzeitig, wie recht die extra3-Macher haben.
5. Wir Deutschen haben auf Erdogans Reaktion wiederum wütend reagiert: Der Despot dürfe uns doch wohl nicht vorschreiben, was wir sagen dürfen oder was nicht. Das widerspreche ja wohl unserer offenen, demokratischen Gesellschaft, die freie Meinungsäußerung als fundamental betrachtet („schlechthin konstituierend“ hat das BVerfG ja mal gesagt). Nie und nimmer würden wir auf die Idee kommen, eine bissige Satire zu verbieten. Und an der Stelle hat Böhmermann uns den Spiegel vorgehalten. All diejenigen, die den Beitrag nicht (vollständig) gesehen haben, kommentieren nun hier und da „Das geht so nicht“, „Das ist Beleidigung“, „Das geht zu weit“, „Der gehört bestraft“ usw. Und damit führt uns Böhmermann auf einer höheren Bedeutungsebene seines Stücks unsere eigene Überheblichkeit in der extra3-Erdogan-Sache vor. Sehr wohl können wir auch mal empfindlich reagieren. Sehr wohl fühlen wir uns angegriffen und verletzt, wenn andere über Dinge sprechen, die uns persönlich betreffen oder wichtig sind. Nur wenn A etwas über B sagt und wir weder etwas mit A noch mit B zu tun haben, fällt es uns leicht zu sagen, dass man über das Gesagte doch drüber stehen und das mal als berechtigte Kritik hinnehmen muss.
6. Gern berufen wir uns Deutsche auch auf die freie Meinungsäußerung, wenn es um Ressentiments und Vorurteile geht. Indem Böhmermann viele der leider verbreiteten Vorurteile und Beleidigungen gegenüber Türken auf einige wenige Zeilen komprimiert, zeigt er auf, was ein nicht zu vergessender Teil unserer Bevölkerung von anderen Kulturen denkt. Denn das, was Böhmermann Erdogan andichtet, wird auf so einigen Stammtischen gern über „den Türken“ als Prototypen gepoltert.
Wie man sieht, steckt mehr drin in dem Stück, wenn man sich die Mühe macht, sich damit etwas mehr auseinander zu setzen. Und wie man sieht, fällt es da schnell schwer, alles auf eine isolierte Kernaussage einzudampfen. Weil es eben auf mehreren Ebenen etwas zu sagen gibt.
Daher halte ich persönliche eine Aufteilung in Aussagekern und Einkleidung einer Äußerung schon als widersprüchlich zum offenen Kunstbegriff. Zielführender ist eine Abwägung zwischen dem APR einerseits sowie dem erkennbaren Sinngehalt der Äußerung andererseits, der sich sowohl aus Kernaussagen und dem Kontext, als auch der Form in einer Gesamtbetrachtung ergibt.
Hier muss man dann zu dem Schluss kommen, dass sich Böhmermann kaum die vorgetragenen Beleidigungen zueigen machen möchte, sondern dass es ihm vielmehr um eine vielschichtige Auseinandersetzung mit der Satire als solche geht. Also steht die Sachauseinandersetzung deutlich im Vordergrund.
Die „weniger strengen Maßstäbe“ beziehen sich darauf, dass einer Satire Überspitzungen, Übertreibungen, Verzerrungen etc. immanent sind. Und nochmal: Aus der Strauß-Entscheidung ergibt sich mE ganz klar, dass hier eine Strafbarkeit sehr wohl in Betracht kommt, auch wenn ein zulässiger Aussagekern vorhanden ist. Die Persönlichkeitsverletzung liegt hier allein in der Einkleidung als solcher. Auch bei der Strauß Karikatur lag ein zulässiger Aussagekern vor, aber alleine die Einkleidung (Darstellung als Schwein) verletzte die Menschenwürde. Hier wurde die Einkleidung isoliert von der eigentlichen Aussage (Strauß macht sich die Justiz zu eigen und empfindet dabei tierisches Vergnügen) auf ihre Zulässigkeit hin untersucht. Überträgt man das auf Böhmermann kann es mE nur ein Ergebnis geben. Zwar liegt ein zulässiger Aussagekern vor, aber stellt man sich das Gedicht, gedruckt auf einem Blatt Papier vor sich liegend vor (um es ganz plastisch zu machen), wo erkennt man da eine Auseinandersetzung in der Sache? Man sieht sich nur die äußere Form an, gerade ohne auf die Intentionen Böhmermanns abzustellen. Was bleibt dann da noch übrig? Wo ist die Auseinandersetzung in der Sache, liest man nur das Gedicht? Nirgends. Es bleibt nicht mehr übrig als aneinandergereihte Schmähungen und Formalbeleidigungen, die auch noch in den sexuellen Bereich abdriften (Intimssphäre) und die Menschenwürde berühren. Und sind wir mal ehrlich: Was ist denn dann noch eine strafbare Beleidigung, wenn nicht das? Am besten streichen wir die §§ 185ff. StGB dann komplett und lassen alles zu, denn irgendwie lässt sich sicher noch irgendwo eine Auseinandersetzung in der Sache konstruieren. Und ich lehne mich jetzt mal sehr weit aus dem Fenster: Die Gerichte werden das genauso sehen, und auch Karlsruhe würde den Fall nicht anders entscheiden.Die Chupze gönn ich mir jetzt einfach mal 😀
Nachtrag:
Wir haben es hier außerdem mit der Kunstfreiheit und gerade nicht (nur) mit der Meinungsfreiheit zu tun. Das wird in den ganzen Artikeln und Diskussionen nicht hinreichend deutlich. Die Kunstfreiheit hat eben nochmals andere Bewertungsmaßstäbe als die Meinungsfreiheit und ist im Übrigen „lex specialis“ zur Meinungsfreiheit. Hier wird eine Meinung durch das Vehikel der Kunst transportiert. Wäre die Aussage : „E f**** Ziegen“ für sich allein genommen iRd. Meinungsfreiheit zulässig? Nein, wäre sie nicht, da man diese Aussage nur als pure Schmähung auslegen kann. Warum sollte nun etwas anderes gelten, nur weil diese Aussage durch ein Gedicht transportiert wird, dem eine bestimmte Aussage zu Grund liegt, die sich aber nicht aus dem Gedicht selbst ergibt? So wie es nicht zulässig ist einen Menschen isoliert als Schwein darzustellen, auch wenn damit eine zulässige Aussage transportiert werden soll, so ist es auch nicht zulässig einen Menschen als Ziegenf*** zu bezeichnen. Was Böhmermann davor oder danach gesagt hat, spielt keine Rolle. Die Einkleidung steht für sich. Das scheinen hier einige in der aktuellen Diskussion zu übersehen. Man könnte auch jeder Beleidigung eine Art Disclaimer vorschalten: „Achtung, jetzt zeige ich Dir mal eine unzulässige Schmähkritik“ und dann Beschimpfungen abladen wie man gerade lustig ist. Und mal abseits von jeder rechtlichen Wertung: Findet ihr das eine angemessene Diskussionskultur? Muss so etwas sein? Geht es nicht auch anders? Und wenn man es juristisch wertet ist das Ergebnis klar. Die Strauß Entscheidung wird auch heute noch der Maßstab sein (das sehen auch Medienrechtler so). Da hilft auch kein fabulieren über Art. 5 und seiner Bedeutung für eine freie Demokratie. Satire darf eben nicht alles.
Ob Kunst- oder Rundfunkfreiheit spezieller einschlägig ist, kann mit vor dem Hintergund der Rspr. zur Strauß-Satire noch mehr problematisch scheinen.
Die Satire kann im Bereich öffentlich-rechtlichen „Spartenkanalrundfunkes“ erfolgt sein.
Möglicherweis kann man sich danach bei der Satire vorgestellt haben, sich damit noch im Rahmen öffentlich-rechtlicher (rechtfertigender) Befugnisse zu bewegen.
Erwägbar kann daher sein, dass man sich im Sinne eines Erlaubnistatbestandsirrtumes Tatsachen vorgestellt hat, bei denen, soweit sie tatsächlich vorgelegen hätten, die Tat hätte gerechtfertigt
sein können.
Ein Erlaubnistatbestandsirrtum kann einer Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Bleidigungsdelikte entgegenstehen.
Jetzt wirds vogelwild 😀 Vielleicht ist auch ein Verbotsirrtum, oder gar ein übergesetzlich entschuldigender Notstand 😉 Das Verhältnis von Rundfunk-, Kunst- und Meinungsfreiheit liest Du besser auch nochmal nach…
Es kann u.U. nicht absolut unerheblich sein, dass die Satire von einem Angestellten des Öffentlich-rechtlichen Rundfunkes im Rahmen solcher Rundfunkbetätigung getätigt ist. Sie kann daher evtl. keine rein private Satire sein. Auf Seiten öffentlich-rechtlicher Gewalt und danach evtl. entsprechend auf Seiten öffentlich-rechtlichen Rundfunkes kann grds. in gewissem Rahmen einige rechtfertigende „Erlaubniskompetenz“ bestehen.
ist das jetzt Satire? 😀
Klar, das „Du“ ist kein Problem. Ich glaube, dass das Strauß-Urteil auf den hiesigen Sachverhalt nicht 1 zu 1 übertragen werden kann. Denn was ist denn hier Aussagekern und was ist Einkleidung. Bei Strauß war es leicht: Aussage: Strauß ist korrupt etc.; Einkleidung: Darstellung als Schwein.
Nur wie ist es hier: Die Aussage haben wir jja herausgearbeitet. Aber was ist die Einkleidung? Du sagst die Einkleidung ist die Schmähkritik und damit unzulässig. Warum sagt man nicht, die Einkleidung ist einfach die Gedichtsform. was ich damit sagen möchte: Ich glaube, dass eine passgenaue Trennung nicht möglich ist. sieht man die Schmähkritik als Einkleidung muss man m.E. zwingend auch inhaltliche und wertende Aspekte (und damit eben die Aussage) mit beachten, denn daraus ergibt sich ja gerade der Charakter der Schmähkritik.
Kurzum, ich bin der Ansicht, dass das Strauß-Urteil jedenfalls für den hiesigen Fall modifiziert werden müsste.
Aber schauen wir mal, was die Gerichte meinen.
Kurz vorweg: hier handelt es sich nicht um den obigen Gast.
Dieser Einwand greift m.E. nicht. Dann hätte das BVerfG auch bei Strauß nicht auf die „Darstellung als Schwein“ abstellen dürfen, sondern auf „Karikatur“. Hat es aber nicht, sondern sich deutlich inhaltich mit der Einkleidung auseinandergesetzt. Somit wäre die Einkleidung hier tatsächlich die Schmähkritik und nicht bloß ein Gedicht. Alles andere würde doch auch zu einer praktisch grenzenlosen Ausweitung der Meinungsfreiheit führen. Insofern würde ich „Gast zustimmen.
-Gast2
Dass es in diesem Fall juristische Probleme geben soll, verwundert. Deutlicher kann der § 103 StGB nicht erfüllt sein. Alle Abwägungsprobleme lösen sich allein durch die Existenz der Norm, denn wenn sie selbst in diesem Extremfall nicht greifen sollte, hätte sie gar keinen Anwendungsbereich. Dasselbe gilt für den § 104a StGB.
Die deutsche Staatskasse nimmt pro Jahr ca. 7,5 Mio. Euro über Beleidigungsdelikte ein. Wenn es im Fall Böhmermann keine Bestrafung gibt, dann wäre das ein Schlag ins Gesicht aller derer, die für „ACAB“, „A-Loch“ oder Ähnliches ein halbes Monatsgehalt abdrücken dürfen.
Wer sagt denn, dass der 103 StGB einen Anwendungsbereich haben muss? Wenn er aus verfassungsrechtlichen Gründen einen engen Anwendungsbereich haben muss, kann seine Existenz doch den Anwendungsbereich nicht erweitern. Zudem dürfte er älter als das Grundgesetz sein.
Deutlicher wäre der 103 StGB zB dann erfüllt, wenn dieses Gedicht ohne der Umstände aus dem Kontext isoliert vorgetragen worden wäre mit der alleinigen Absicht der Ehrverletzung (wie zB ein „ACAB“)