Aktuell wird man unweigerlich medial von der Diskussion über eine Strafbarkeit Jan Böhmermanns bzgl. seines Erdogan-Gedichts verfolgt. Mittlerweile hat dies auch zu diplomatischen Verwerfungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei geführt.
Juristisch ist der Fall recht spannend und für eine schwierige mündliche Prüfung geeignet, da er in einem unbekannten Terrain (§ 104 ff. StGB) spielt und bei der Argumentation juristisches Fingerspitzengefühl gefragt ist.
Dabei stellt sich zum einen die Frage, ob überhaupt eine Strafbarkeit gegeben ist, Stichwort Schmähkritik (entsprechend dem Titel des Gedichts) vs. Satire, und zum anderen unter welchen Voraussetzungen eine Verfolgung der – unterstellten – Straftat möglich ist.
Entscheidend ist der komplette Inhalt des Beitrags. Eine Darstellung findet sich hier.
I. Strafbarkeit nach § 103 StGB
1. Grundrechtlicher Schutz
Hierzu müsste eine Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes erfolgt sein. Der Begriff der Beleidigung ist hierbei so wie bei § 185 StGB auszulegen. Der Begriff des Staatsoberhauptes gleicht dem des § 102 StGB. Entscheidend ist damit, ob eine Repräsentation des Staates durch die Person vorliegt.
Ferner müsste aber eine Beleidigung vorgelegen haben. Dies erfordert die Kundgabe der Nicht- oder Missachtung. Zu beachten sind dabei sämtliche Umstände des Einzelfalles. Dabei wird offensichtlich, dass die Strafbarkeit der Beleidigung stets auch einen Eingriff in die grundsätzlich geschützte Meinungs- und Pressefreiheit bzw. Kunstfreiheit darstellt. Die Grenzen zwischen Meinungs- und Pressefreiheit bzw. Kunstfreiheit sind hier fließend, handelt es sich bei der Satire doch um eine Hybridform, die Aspekte aller drei geschützten Rechte enthält.
Grundsätzlich handelt es sich bei Satire um eine Meinungsäußerung (ausführlich hierzu NJW 1995, 809). Durch die freie Gestaltung der kritisierten Titel tritt aber (zumindest nach dem offenen Kunstbegriff) auch der künstlerische Aspekt hinzu. Kerninhalt der Satire ist das Arbeiten mit Übertreibungen oder Verfremdungen. Dieses Kriterium beinhaltet aber gleichwohl die Voraussetzung, dass eine inhaltliche Aussage damit verbunden sein muss, die durch die gewählte Darstellungsform nur verzerrt wird. Es ist damit zu ermitteln, welche Aussage mit dem Mittel der Satire dargestellt wird. Ist die Satire hingegen allein als Provokation anzusehen, dann ist sie nicht mehr von den genannten Grundrechten gedeckt, denn es wird keine Meinung mehr kundgetan, sodass der Schutzbereich nicht eröffnet wäre. Es handelt sich dann insofern nur um Scheinsatire. Ungeachtet dessen verbietet sich eine zu strenge Betrachtung. Vielmehr muss jede noch mögliche Deutung als wahrscheinlich angesehen werden, ansonsten würden die Grundrechte zu wenig beachtet.
Bejaht man also allein eine Provokation in Form der Schmähkritik, so greift bereits der grundrechtliche Schutz nicht. Dies dürfte hier aber abzulehnen sein. Aus einem einfachen Grund: Das Gedicht selbst – der Titel ist ja schon eindeutig – ist natürlich losgelöst vom Kontext als Schmähkritik anzusehen. Der Kontext und die Begleitumstände dürfen aber bei der Prüfung nicht außen vorgelassen werden. Der Beitrag wurde hier mit einer langen Vorrede, die gerade die Grenze von Schmähkritik und Satire anlässlich des extra3-Songs problematisierte – angekündigt. Bewusst sollte auf die – aus Sicht aller – übertriebene Reaktion des türkischen Präsidenten hingewiesen werden. Der Aussagegehalt der Äußerung kann daher jedenfalls lauten: Die Reaktion war übertrieben, es geht noch viel schlimmer. DAS hier wäre wirklich schlimm.
Ein solcher Aussagegehalt deckt sich auch mit dem Inhalt der Sendung, die eben genau die Vorkommnisse zu extra3 problematisierte. Damit ist jedenfalls eine Deutung als Satire denkbar. Der Finger wird hier bewusst in die Wunde gelegt und die – aus Sicht des Autors – übertriebene Reaktion Erdogans problematisiert. Der Schutz des Grundgesetzes greift daher.
Die Abwägung fällt hier zugunsten der Meinungs- und Pressefreiheit aus.
2. Ausnahme Schmähkritik
Eine Abwägung würde dort zu Lasten der Satire ausfallen, wenn diese als Schmähkritik anzusehen wäre, wenn also nicht die satirische Äußerung im Vordergrund stünde.
Eine Eingruppierung als Schmähkritik verbietet sich hier aber. Das BVerfG legt dazu dar (Beschluss v. 26.6.1990):
Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen
Dies ist hier – auch aufgrund des Kontextes – nicht gegeben. Es sollte sich bewusst und überspitzt und pointiert mit dem dargelegten Sachverhalt auseinandergesetzt werden. Die Äußerung beruht daher auf einem sachlichen Grund und ist zulässig.
II. Strafbarkeitsvoraussetzung des § 104a StGB
Besondere Beachtung verdient zudem der § 104a StGB. Bei juris findet sich zu dieser Norm eine einzige Fundstelle. Die Bedeutung ist daher offenkundig gering. Gerade aus diesem Grund eignet er sich für eine freie Argumentation in der mündlichen Prüfung, die auch öffentlich-rechtliche Erwägungen berücksichtigt.
Es muss ein „Strafverlangen der ausländischen Regierung“ vorliegen und „die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt“ haben.
Gerade letztere Voraussetzung ist problematisch und führt zu politischen Verwerfungen, stellt sich doch die Frage, wie weit die Bundesregierung hier dem türkischen Präsidenten entgegenkommen darf und sollte.
1. Zuständigkeit
Fraglich ist zunächst, wer überhaupt für die Erteilung der Ermächtigung zuständig ist. Dies dürfte – so die Kommentarliteratur – aufgrund der Ressortzuständigkeit der Bundesminister des Auswärtigen sein (Art. 65 S. 2 GG). Fraglich ist aber, ob die Bundeskanzlerin bei Vorliegen eines Dissens aufgrund ihrer Richtlinienkompetenz (Art. 65 S. 1 GG) vorrangig entscheiden darf. Dies dürfte wohl zu verneinen sein. Die Richtlinienkompetenz ist bereits qua ihres Wortlauts auf das Innenverhältnis zum Minister beschränkt, sodass eine Weisung der Kanzlerin ergehen dürfte. Nach außen könnte der zuständige Minister aber weiterhin wirksam tätig werden, müsste aber natürlich die Entlassung aus dem Ministeramt als Konsequenz fürchten.
2. Abwägungsgründe
Fraglich ist zuletzt, welche Erwägungen bei der Erteilung der Ermächtigung anzustellen sind. Zunächst ergibt sich aus der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), dass die Ermächtigung dann nicht erteilt werden darf, wenn eine Strafbarkeit nach der Überzeugung des zuständigen Ministers sicher ausscheidet. Auch die mögliche Gefährdung der Beziehungen zur Türkei könne dann nicht beachtet werden.
Schwerer zu beantworten ist – mangels Literatur hierzu – die Frage, ob bei einer möglichen Strafbarkeit dennoch die Ermächtigung untersagt werden kann. Dies dürfte wohl im Einzelfall zulässig sein. Die Norm des § 104a StGB stellt auch auf den Schutz diplomatischer Beziehungen ab. Aus diesem Grund ist im Einzelfall zum Schutz eine Verweigerung möglich.
Primär dient der Vorbehalt der Ermächtigung aber dazu, die Einmischung ausländischer Staaten in das deutsche Strafrecht zu verhindern. Der deutsche Staat möchte stets das Letztentscheidungsrecht bzgl. seiner Rechtsordnung haben.
III. Fazit
Spannende juristische Fragen stellen sich zweifelsohne. Eine einfache Beantwortung ist – gerade ob der komplizierten Abwägung – nicht möglich. Dennoch sollte ein sorgfältiges Judiz nicht durch die mediale Keule ersetzt werden.