Im Sächsischen Landtag kam es bei einer Sitzung zu einem Eklat. Anlass waren die Abgeordneten der NPD. Acht von ihnen erschienen in Kleidung der bei Neonazis beliebten Modemarke „Thor Steinar“. Sie wurden daraufhin vom Landtagspräsidenten Matthias Rößler (CDU) aufgefordert, die Kleidung zu wechseln. Dem sind sie freilich nicht nachgekommen, sodass sie dann letztlich von der Sitzung ausgeschlossen und von Polizisten abgeführt wurden. In der Presse wurde bereits ausgiebig über diesen Vorfall berichtet (s. etwa die Beiträge im SPIEGEL, in der Bild oder im Focus).
Rechtlicher Hintergrund
Die Bild zitiert den Landtagssprecher Ivo Klatte, nach dessen Ansicht die Würde und Ordnung im Gebäude und im Plenum gewahrt bleiben müssten. Es sei schon qua Hausordnung des sächsischen Landtags verboten, bestimmte Marken zu tragen, die szenetypische Kennzeichen für bestimmte Organisationen beziehungsweise extreme Gesinnungen seien. Solche Kleidung sei eindeutig nicht erlaubt.
Ob das so eindeutig ist, dürfte jedoch sehr fraglich sein.
Hausrecht, Polizeigewalt und Ordnungsgewalt
Nach der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages übt der Landtagspräsident das Hausrecht und die Polizeigewalt im Landtagsgebäude aus (§ 4 Abs. 1 S. 2 GO LT Sachsen). Nach § 4 Abs. 2 S. 2 GO LT Sachsen wahrt der Präsident „die Würde und die Rechte des Landtags, fördert seine Arbeit und hält die Ordnung aufrecht.“ Vergleichbare Regelungen gibt es im Prinzip für jedes Landesparlament und auch für den Bundestag. So regelt etwa Art. 40 Abs. 2 GG ebenfalls, dass der Präsident das Hausrecht und die Polizeigewalt im Gebäude des Bundestages ausübt. Das Hausrecht kann durch eine Hausordnung konkretisiert werden. Die Hausordnung kann als eine die Ausgestaltung des Hausrechts konkretisierende Verwaltungsvorschrift ermessensbindende Wirkung entfalten (Brocker, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar GG, Art. 40 Rn. 48; VG Berlin NJW 2002, 1063, 1064).
Das Hausrecht ist zu trennen von der sog. Ordnungsgewalt (vgl. etwa Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 64. Ergänzungslieferung 2012, Art. 40 Rn. 156). Auch diese hat der Präsident inne (in seiner Eigenschaft als Mitglied des Sitzungsvorstands; vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 64. Ergänzungslieferung 2012, Art. 40 Rn. 100). Im Sächsischen Landtag ist dies in § 31 Abs. 3 GO LT Sachsen geregelt: „Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt dem Vorsitzenden.“ Zweck der Ordnungsgewalt ist es also, einen geordneten Ablauf der Plenarsitzungen zu gewährleisten. Mit dem Hausrecht wird hingegen die Ordnung im parlamentarischen Raum außerhalb der Plenarsitzung aufrechterhalten. Ein wichtiger Unterschied im Vergleich zum Hausrecht ist, dass Inhaber der Ordnungsgewalt das Parlament ist, denn sie ist Bestandteil der Geschäftsordnungsautonomie. Das Parlament delegiert sie also lediglich auf den Vorsitzenden. Das Hausrecht steht hingegen dem Präsidenten selbst zu.
Vorliegen einer (schweren) Ordnungsverletzung?
Vorliegend dürfte es also um einen Fall der Ausübung der Ordnungsgewalt gehen. Damit ist ein Verweis auf die Hausordnung bedenklich, denn diese konkretisiert ja das Hausrecht. Freilich wird man ein gewisses Indiz in der Verletzung der Hausordnung erblicken können, weil i.E. in beiden Fällen eine Störung vorliegen muss.
Von den rechtlichen Unterschieden zwischen Hausrecht und Ordnungsgewalt einmal abgesehen, müsste vorliegend also überhaupt ein Ordnungsverstoß seitens der NPD-Abgeordneten vorgelegen haben. Für einen Sitzungsausschluss muss sogar eine schwere Ordnungsverletzung vorliegen, § 97 GO LT Sachsen (vgl. auch VerfG Brandenburg vom 17.09.2009 – VfGBbg 45/08, BeckRS 2009, 38981):
§ 97 Ausschluss von Sitzungen
(1) Der amtierende Präsident kann ein Mitglied des Landtags von der Sitzung ausschließen, wenn eine Ordnungsmaßnahme nach § 96 [Anm.: § 96 regelt den schlichten Ordnungsruf und die Wortentziehung] wegen der Schwere der Ordnungsverletzung nicht ausreicht. Der amtierende Präsident fordert das Mitglied des Landtags auf, den Sitzungssaal unverzüglich zu verlassen. Leistet das Landtagsmitglied dieser Aufforderung nicht Folge, so wird die Sitzung unterbrochen. Das Mitglied des Landtags ist damit ohne Weiteres für die nächsten drei Sitzungstage von der Sitzung ausgeschlossen. § 96 Abs. 5 gilt entsprechend.
(2) In besonders schweren Fällen kann der Präsident im Einvernehmen mit dem Präsidium feststellen, dass der Ausschluss für mehrere Sitzungstage, höchstens jedoch für zehn Sitzungstage wirksam ist. Dasselbe gilt beim erneuten Ausschluss eines Mitglieds des Landtags, das sich innerhalb derselben Wahlperiode des Landtags bereits einmal den Ausschluss von der Sitzung zugezogen hat. Der Präsident gibt vor dem Ende der Sitzung bekannt, für wie viele Sitzungstage das Mitglied des Landtags ausgeschlossen ist. § 96 Abs. 5 gilt entsprechend.
(3) Ein ausgeschlossenes Mitglied des Landtags darf vor dem Abschluss des Sitzungstages, für welchen der Ausschluss gilt, auch an keiner Ausschusssitzung teilnehmen. Bei einem Ausschluss für mehrere Tage ist der Ablauf des letzten Sitzungstages maßgebend.
(4) Der Betroffene gilt als nicht beurlaubt; er ist für den in Absatz 3 bezeichneten Zeitraum von der Anwesenheitsliste zu streichen.
Argumentiert man allein mit einem unangemessenen Kleidungsstil, dürfte man vorliegend keine hinreichende Grundlage für einen Sitzungsverweis haben. Zwar kann man bei unangemessener Kleidung darüber nachdenken, ob dadurch die Würde des Hauses verletzt wird. Zunächst ist aber schon fraglich, ob das für einen Ausschluss ausreicht. Zudem trugen bei den in der Bildzeitung veröffentlichten Fotos die NPD-Abgeordneten Kurzarmhemden oder Polohemden. Auch die Aufdrucke waren „harmlos“ („Spirit of the North“; „Steinar Viking Company“). Dass es durch unangemessene Kleidung zu einer Ordnungsstörung oder Verletzung der Würde des Hauses kommt, wird man wohl nur bei eindeutig gewaltverherrlichenden, beleidigenden, sexistischen o.ä. Aussagen auf der Bekleidung annehmen können. Auch die Verwendung verbotener verfassungsfeindlicher Symbole dürfte einen recht eindeutigen Fall darstellen – dies ist aber bei Thor Steinar gerade nicht der Fall, zumindest nicht bei dem neuen Logo (s. hierzu http://de.wikipedia.org/wiki/Thor_Steinar). Auch waren die Kleidungsstücke der NPD-Abgeordneten nicht von ihrer Art her unangemessen (Unterhemd, Badehose o.ä.). Zwar waren es auch keine (Anzug)hemden mit Krawatte, dies wird man aber auch nicht fordern können, zumindest nicht ohne dies konsequent bei allen Abgeordneten zu verlangen. Wenn man bedenkt, wie früher der ein oder andere Grüne „ungestraft“ im Bundestag aufgetreten ist, so wird man in dieser Hinsicht eher großzügige Maßstäbe anlegen müssen. Am ehesten wird man noch argumentieren können, dass Thor Steinar von gewaltbereiten politischen Gruppen getragen wird und daher „für Gewalt steht“. Das ist freilich eine sehr wackelige Argumentation.
Als ein zweiter argumentativer Ansatzpunkt wäre denkbar, dass die Thor-Steinar-Shirts emblematisch für eine extremistische und verfassungsfeindliche politische Strömung stehen. Das Problem hieran ist aber, dass die NPD als Repräsentant genau dieser Strömung in den Landtag gewählt wurde. Bislang ist die NPD auch (noch) nicht als verfassungswidrige Partei durch das BVerfG verboten worden. Jetzt das Tragen von typischen Accessoires der eigenen politischen Strömung zu untersagen ist vor dem Hintergrund des Art. 21 Abs. 2 GG sehr bedenklich. Es käme auch niemand auf die Idee, den CDU-Abgeordneten das Tragen einer Krawattennadel mit CDU-Logo oder den SPD-Mitgliedern das Tragen von roten Kleidungsstücken zu verbieten.
Ein letzter Ansatzpunkt könnte sein, dass es durch den Auftritt der NPD-Abgeordneten zu Tumulten im Landtag gekommen ist, sodass der Vorsitzende reagieren musste, um die Ordnung wieder herzustellen. Hier ist jedoch ebenfalls Vorsicht angebracht: Wenn die Abgeordneten der NPD „friedlich“ mit ihrer – nicht verbotenen – Kleidung auf ihren Stühlen sitzen und sich andere Abgeordnete deshalb echauffieren, dann wäre auch ein Vorgehen gegen die anderen denkbar.
Fazit
Ob der Ausschluss der NPD-Abgeordneten wirklich rechtswidrig war, vermag ich nicht sicher zu beurteilen, dafür ist der genaue Sachverhalt schon zu unklar. Eines jedoch wird man festhalten können: „Eindeutig nicht erlaubt“ (Klatte) war der beschämende Auftritt der NPD-Leute wohl auch nicht.
Ergänzende Anm.: Es geht in dem obigen Beitrag nicht darum, das Verhalten der NPD-Abgeordneten in irgendeiner Form zu verteidigen, geschweige denn, Sympathie für diese inakzeptable Partei auszudrücken. Es sollte allein diskutiert werden, ob und wann man gewählte Abgeordnete wegen „unangemessener“ Bekleidung von einer Sitzung des Plenums ausschließen kann.
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