Im Folgenden eine Übersicht über in den letzten Monaten veröffentlichte interessante Entscheidungen des BGH in Strafsachen (materielles Recht).
I. BGH, Beschl.vom 14.05.2013 – 3 StR 69/13
Vorabanfrage des 3. Senats gemäß § 132 Abs. 3 GVG, ob die übrigen Strafsenate des BGH an der bisherigen ständigen Rechtsprechung festhalten wollen, wonach die Tathandlungen des Absetzens wie auch der Absatzhilfe bei der Hehlerei (§ 259 StGB) keinen Erfolg voraussetzen, mit vertiefter Begründung der gegenteiligen Auffassung unter Wortlaut-, systematischen und teleologischen Gesichtspunkten.
II. BGH, Beschl. vom 15.05.2013 – 5 StR 189/13
Keine Strafbarkeit gem. § 145a StGB wegen des Verstoßes gegen eine Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht, wenn die Weisung lautet „jede unbeaufsichtigte Kontaktaufnahme zu Kindern und Jugendlichen zu unterlassen“, der vorgeworfene Umgang mit dem Kind (hier: gemeinsame Fahrt zum Einkaufen) einer ersten, jedoch beaufsichtigten Kontaktaufnahme (durch die Mutter des Kindes) aber lediglich nachfolgt.
III. BGH, Beschl. vom 09.06.2013 – 3 StR 174/13
Es liegt kein vollendeter, sondern nur ein versuchter Raub vor, wenn der Täter bezüglich eines Behältnisses des Opfers, desse Inhalt er nicht einsehen kann, nur die Hoffnung hegt, dieses enthalte irgendwelche Gegenstände, die er selbst verwenden oder jedenfalls mit Gewinn verkaufen könne, und er nach gewaltsamen Entwenden des Behältnisses letztlich nichts vorfindet.
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Zum Schluss noch ein Hinweis auf eine prozessuale Entscheidung, die eher für Referendare interessant sein dürfte:
IV. BGH, Urteil vom 20.06.2013 – 2 StR 113/13 (zu §§ 140, 145 Abs. 1 StPO)
Der Angeklagte ist nicht hinreichend verteidigt, wenn bei kurzfristiger Erkrankung des Pflichtverteidigers ein anderer Verteidiger für einen Tag der Hauptverhandlung bestellt wird, um die Vernehmung eines Zeugen zu ermöglichen, ohne dass der Ersatzverteidiger sich in die Sache einarbeiten konnte.
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In einer kürzlich ergangenen Entscheidung (Urteil v. 503.2012 – 2 BvR 1464/11) hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage beschäftigt, wie weit die Sachaufklärungspflicht der Rechtsmittelinstanz hinsichtlich des (angeblichen) Zustandekommens eines „Deals“ (Verfahrensabsprache gemäß § 257c StPO – siehe zur Obergrenze diesen Beitrag) reicht, wenn der Angeklagte in der Vorinstanz auf Rechtsmittel gemäß § 302 Abs. 1a S. 2 StPO verzichtet hat. Nach § 302 Abs. 1a S.2 StPO ist ein solcher Verzicht bei Vorliegen eines „Deals“ nämlich unwirksam. Um die Verfassungsmäßigkeit des „Deals“ im Strafprozess an sich geht es im vorliegenden Fall gerade nicht.
Sachverhalt (verkürzt)
Angeklagter A wird aufgrund verschiedener Straftaten zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dem Protokoll zufolge wurde die Hauptverhandlung auf Anregung der damaligen Verteidigerin des Beschwerdeführers kurz nach ihrem Beginn für ein „Rechtsgespräch“ unterbrochen. Als die Hauptverhandlung – etwa eine Stunde später – fortgesetzt wurde, verlas die Verteidigerin eine ein Geständnis enthaltende Erklärung für den Beschwerdeführer, der danach Fragen beantwortete. Im Anschluss verzichteten die Verfahrensbeteiligten auf eine Vernehmung der geladenen Zeugen und es wurde gemäß § 154 Abs. 2 StPO von der Verfolgung eines mitangeklagten Vorwurfs abgesehen. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten sowie die Aufhebung des Haftbefehls; die Verteidigung beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung und die Aufhebung des Haftbefehls. Nach der Urteilsverkündung und der Aufhebung des Haftbefehls verzichteten Staatsanwaltschaft und Beschwerdeführer auf Rechtsmittel. Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält weder einen Hinweis auf das Zustandekommen einer Absprache (§ 273 Abs. 1a Satz 1 StPO) noch die Angabe, dass eine Verständigung nicht erfolgt sei (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO). Auch die Entscheidungsgründe äußern sich nicht dazu, ob dem Urteil eine Absprache vorausging.
Die Berufung vor dem LG Dresden und die sofortige Beschwerde vor dem OLG Dresden blieben erfolglos. Das OLG Dresden begründet seine Entscheidungen im Wesentlichen damit, dass aus dem Sitzungsprotokoll schon nicht hervor gehe, ob es zu einer Verständigung tatsächlich gekommen sei oder nicht, und deshalb der A den entsprechenden Nachweis führen müsse. Dies sei ihm aber nicht gelungen. Zwar gebe es – was zutrifft – stellenweise „Ungereimtheiten“ in der dienstlichen Stellungnahme der damaligen Staatsanwältin S, die mit dem Vorbringen der Verteidigerin des A in Widerspruch standen, und damit Zweifel an dem geschilderten Geschehensablauf, diese seien aber nur untergeordneter Natur und führten nicht zu einer weiteren Sachaufklärungspflicht der Gerichte.
A erhebt daher Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, da er sich durch die Entscheidung des OLG Dresden in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt fühlt.
Mindestanforderungen an die Sachaufklärungspflicht der Gerichte gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG.
Das BVerfG stellt grundsätzlich klar, dass aus der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und dem damit in Zusammenhang stehenden Recht auf ein faires Verfahren (fair trial) bestimmte Mindestanforderungen an die gerichtliche Sachaufklärung zu stellen sind.
Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können. Soweit sie verfassungsrechtlich nicht bereits anderweitig erfasst werden, stellt das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren zudem Mindestanforderungen für eine zuverlässige Sachverhaltsaufklärung auf .
Zu beachten sind daher zweierlei Aspekte: Zum einen soll der Betroffene vor staatlicher Willkür geschützt werden. Zum anderen soll er aber auch die Möglichkeit haben, seine Rechte effektiv und auf einer möglichst wahrhaften Tatsachengrundlage zu verfolgen und durchzusetzen. Dies ist aber nicht nur ein Interesse des Einzelnen, sondern steht auch im Allgemeininteresse der Rechtsordnung.
OLG Dresden ist seiner Sachaufklärungspflicht nicht nachgekommen
Die Kritik des BVerfG richtet sich bereits gegen den Umstand, dass das OLG Dresden nur unzureichend seiner Sachaufklärungspflicht nachgekommen ist. Denn im konkreten Fall hätte es
[…] jedenfalls der augenfälligen Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nachgehen müssen, die primär das Ziel einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft verfolgt und für den Fall einer Aufhebung des Haftbefehls die Einlegung einer Beschwerde angekündigt haben will, aber in der Hauptverhandlung die Aufhebung des Haftbefehls beantragt. Ferner hätte das Oberlandesgericht Stellungnahmen der Schöffen und der Urkundsbeamtin einholen müssen, nachdem die damalige Verteidigerin plausibel und widerspruchsfrei erklärt hatte, die Gespräche seien im Sitzungssaal fortgesetzt worden, und die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden ohne sachlichen Gehalt geblieben war.
Fehlende Sachaufklärung darf nicht zulasten des Beschwerdeführers gehen
Aber auch darüber hinaus hält das BVerfG die Entscheidung des Gerichts für fehlerhaft, da die lückenhafte Sachaufklärung nicht hätte zulasten des Betroffenen gehen dürfen. Grundsätzlich muss dieser zwar den Nachweis führen, dass das angefochtene Urteil tatsächlich fehlerhaft war, d.h. eine Absprache zwischen den Verfahrensbeteiligten über das Strafmaß tatsächlich stattgefunden hat. Besteht aber eine Dokumentationspflicht (Sitzungsprotokoll!) des Staates, braucht sich der Betroffene eine Verletzung dieser Pflicht nicht zurechnen lassen.
Schließlich hätte das Oberlandesgericht verbleibende Zweifel nicht zulasten des Beschwerdeführers werten dürfen. Zwar ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der auch im Freibeweisverfahren gebotenen Sachaufklärung nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grundsätzlich zulasten des Angeklagten gehen. Das dort vom Angeklagten grundsätzlich zu tragende Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts findet aber dort seine Grenze, wo die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts und dadurch entstehende Zweifel des Gerichts ihre Ursache in einem Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht finden.
Fazit
Die allgemeine und ungeklärte Problematik, ob der „Deal“ im Strafverfahren verfassungsgemäß ist, darf einem im vorliegenden Fall nicht den Blick auf das eigentliche Problem versperren, nämlich ob die Entscheidung des OLG Dresden gegen die wegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG geltenden Sachaufklärungspflicht verstoßen hat. Die Verfassungsmäßigkeit des § 257c StPO sowie der Inhalt des behaupteten „Deals“ sind hier ausdrücklich nicht Gegenstand der VB (vgl. Rn. 21 der Entscheidung). Interessant für eine Klausur sind die Abstufung zwischen „Verletzung der Sachaufklärungspflicht“ und „Zurechnung der Pflichtverletzung“. Daneben könnte man noch auf eine evtl. Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) eingehen. Das BVerfG hält dies aber im konkreten Fall für nicht erforderlich.
Am 01.02.2011 tritt das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht“ in Kraft. Durch dieses Gesetz wird das Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot in § 160a StPO ausgedehnt. Bislang erstreckte es sich lediglich auf Strafverteidiger und nicht auf sonstige Anwälte. Für Geistliche, Verteidiger und Abgeordnete galt nach Absatz 1 der Norm ein absolutes Erhebungs- und Verwertungsverbot hinsichtlich aller Ermittlungsmaßnahmen. Für andere zeugnisverweigerungsberechtigte Berufsgeheimnisträger galt nach Absatz 2 ein Erhebungs- und Verwertungsverbot nur nach Maßgabe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall . Diese Differenzierung ist nun im Hinblick auf Rechtsanwälte, die nicht Strafverteidiger sind, abgeschafft.
Das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant wird hierdurch gestärkt. Alles was ein Mandant seinem Anwalt anvertraut – und künftig eben nicht nur seinem Strafverteidiger – unterliegt einerseits dem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 StPO und ergänzend nun auch dem Beweisverwertungsverbot des § 160a Abs. 1 StPO. Durchsuchungen bei Anwälten dürften damit deutlich seltener werden.
Das Gesetz ist abgedruckt in BGBl. 2010 I Nr. 67, S. 2261, abrufbar unter https://www.bundesgerichtshof.de/DE/Bibliothek/GesMat/WP17/V/vertrauen.html