Wir hatten bereits über das Spickmich-Urteil des BGH berichtet und auch darüber, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen hatte. Nun veröffentlichte der Bayerische Verwaltungsgerichthof vor kurzem ein Urteil (7 B 09.1906), das neue Fragen aufwirft. Der BayVGH entschied, dass einem Schüler, der im Internet ein Forum eröffnet, in dem anonym Beiträge über einen Lehrer eingestellt werden können, von seinem Schulleiter ein verschärfter Verweis erteilt werden kann. Das Urteil des VGH Bayern zeigt sehr schön auf, wie man auch im Öffentlichen Recht zum Thema „Meinungsumfrage über Lehrer im Internet“ einen Fall mit Problemen aus dem Verwaltungs- und Verfassungsrecht kreieren kann.
Sachverhalt
In einem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im März entschiedenen Fall hat ein Schüler eines Dachauer Gymnasiums außerhalb der Schule in einem von ihm eingerichteten Internetforum eine „Meinungsumfrage“ über das dienstliche Verhalten eines namentlich genannten Lehrers seiner Schule gestartet. Zu dem Internetforum hatte jedermann Zugang und war aufgefordert, seine Zu- oder Abneigung über den Lehrer zu äußern. Die Besucher des Internetforums konnten ihre Beiträge über den Lehrer anonym einstellen. Zudem war mit der Überschrift des Forums „wer mag denn bitteschön herrn …??“ und dem ersten Wortbeitrag des initiierenden Schülers „alsoichnich! Der mit seinem Fenstertick *omg*“ von vornherein eine negative Tendenz des Internetforums vorgegeben.
Schüler schafft durch Forum „Internet-Pranger“
Der vom Schulleiter hierfür dem Schüler erteilte verschärfte Verweis wurde vom Gericht in zweiter Instanz bestätigt. Zwar dürfen Schüler ihre Meinung über das schulische Verhalten ihrer Lehrer auch im außerschulischen Rahmen äußern. Hierbei ist auch scharf formulierte Kritik erlaubt, solange die Grenze zur Strafbarkeit oder zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Lehrers nicht überschritten wird. Jedoch besteht in dem jetzt entschiedenen Fall die Besonderheit, dass der Schüler mit der Eröffnung des Forums über den einzelnen Lehrer nicht lediglich seine eigene Meinung über dessen Unterricht kundgetan hat. Denn der Schüler hat zugleich die spezifisch gerade von Internetforen ausgehende Gefahr („Internet-Pranger“) geschaffen.
Anonyme Beleidigungen führen zur Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Lehrer und Schülern
Dadurch werde der betroffene Lehrer anonymen Beleidigungen und Beschimpfungen von Mitschülern ausgesetzt und das für den Schulunterricht notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und dem betroffenen Lehrer könne hierdurch zerstört werden.
Vergleich mit „Spick-mich“-Forum hier nicht möglich
Zwar hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 23. Juni 2009 das Internetportal „spickmich“, in dem Schüler ebenfalls anonym ihre Lehrer anhand fest vorgegebener Kriterien bewerten können, für zulässig gehalten. Allerdings konnte im Unterschied zur „spickmich“-Entscheidung im vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall jeder Besucher des Internetforums frei seine gegebenenfalls auch beleidigenden Beiträge einstellen.
Im Folgenden die amtlichen Leitsätze des Urteils:
1. Zwar dürfte ein verschärfter Verweis (Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayEUG) wegen des damit implizierten Vorwurfs eines erheblichen schuldhaften Fehlverhaltens unmittelbare Außenrechtswirkung entfalten, jedoch fehlt ihm jedenfalls wegen der Beschränkung auf die bloße pädagogische Missbilligung die für einen Verwaltungsakt notwendige Regelungswirkung.
2. Die Rechtmäßigkeit eines verschärften Verweises als schlicht-hoheitliche Maßnahme kann im Wege der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) überprüft werden. Eine weiterhin fortdauernde diskriminierende Wirkung ist keine zwingende Voraussetzung des Feststellungsinteresses, weil dem Betroffenen wegen des Eingriffs in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, der unmittelbar durch den Zugang des den verschärften Verweis aussprechenden Schreibens bewirkt wird, im Regelfall keine Möglichkeit einstweiligen oder vorbeugenden Rechtsschutzes verbleibt. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ermöglicht ein nachträgliches Klageverfahren.
3. Das Begründungsgebot des Art. 39 BayVwVfG gilt nicht unmittelbar für den verschärften Verweis. Eine Begründung dieser Ordnungsmaßnahme ist zumindest dann entbehrlich, wenn dem Betroffenen die Auffassung der Schule über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt war (vgl. Art. 39 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG); ebenso kann ein etwaiger Begründungsmangel bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geheilt werden (Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG).
4. Wenn ein Schüler außerhalb der Schule in einem allgemein zugänglichen Internetforum Mitschüler und andere Besucher auffordert, ihre Zu- oder Abneigung über das dienstliche Verhalten eines namentlich genannten Lehrers seiner Schule zu äußern („Meinungsumfrage“) und damit den Lehrer der Gefahr von anonymen Beleidigungen und Beschimpfungen durch Mitschüler, die das für den Schulunterricht unabdingbare Vertrauensverhältnis zerstören können, aussetzt, kann eine Störung des Schulfriedens angenommen und als Ordnungsmaßnahme ein verschärfter Verweis ausgesprochen werden.
5. Die „spickmich“-Entscheidung des BGH (BGHZ 181, 328) ist nicht auf Fälle übertragbar, in denen – anders als bei „spickmich“ – der Besucher eines Internetforums eigene Textbeiträge verfassen kann und somit anonyme Beleidigungen eines Lehrers nicht durch den Aufbau des Portals von vornherein technisch ausgeschlossen sind.
Schwerpunkte dieses Urteils sind:
– Rechtsnatur schulrechtlicher Ordnungsmaßnahmen
– Fehlender Regelungscharakter eines verschärften Verweises
– Feststellungsinteresse bei nicht mehr nachwirkendem Realakt
– Pflichtverstoß eines Schülers durch außerschulisches Verhalten
– Gefährdung des schulischen Bildungsauftrags
– Grenzen der Meinungsfreiheit von Schülern
– Abgrenzung zur „spickmich“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Weiterführende Artikel:
Schlagwortarchiv für: Spickmich-Fall
Wir hatten im Juli letzten Jahres über die BGH Entscheidung zum Lehrerbewertungsportal spickmich.de berichtet. Eine Lehrerin hatte nun eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingelegt, welche aber mit Beschluss vom 16. August 2010 vom BVerfG nicht angenommen wurde (Az. 1 BvR 1750/09).
Somit bleibt das Urteil des Bundesgerichtshofes (VI ZR 196/08) bestehen, der das Modell des Lehrerbewertung grundsätzlich für zulässig erachtet hatte. Einen lesenwerten Artikel zu diesem Thema findet ihr hier.
Dass auch Entscheidung mit Bezug zu IT Gegenstand einer Examensklausur sein können, zeigt die erste Zivilrecht Examensklausur, die in NRW lief, wo es darum ging, ob der Nutzer einer Online Plattform Netzwerke-VZ.de die Unterlassung der Nutzung persönlicher Daten verlangen kann.
Schüler bewerten ihre Lehrer im Internet. Was zu unseren Zeiten selbst in der Abiturzeitung schon höchst umstritten war, wird nun auch in Zukunft online jederzeit möglich sein. Der BHG entschied vergangene Woche im Rahmen einer Revision (VI ZR 196/08), dass die Lehrerbewertung auf der Internetseite www.spickmich.de, jedenfalls für registrierte User, grundsätzlich möglich ist.
4,3 nicht gut genug
Geklagt hatte einer Lehrerin, die sich mit ihrem Unterlassungsanspruch vergeblich durch die Instanzen bis zum höchsten Zivilgericht gekämpft hatte und auch dort letztlich keinen Erfolg hatte. Sie wurde auf besagter Seite mit einer Zensur von 4,3 bewertet.
Meinungsfreiheit genießt Vorrang
Auf besagter Internetseite ist es möglich, Lehrerbewertungen nach Schulnoten abzugeben; ergänzt werden diese durch einfache Schlagwörter wie „cool“ oder „witzig“. Zusammengerechnet und geteilt ergibt sich dann eine Endnote für den Betroffenen. Der BGH sah zum einen die Erhebung und Speicherung der personenbezogenen Daten als zulässig an, ein entgegenstehendes Interesse der Klägerin (ua. in § 29 BDSG) hätte sich allenfalls aus ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, als besondere Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 I GG ivm. Art. 1 I GG ergeben können. Vorliegend stellt der BGH allerdings fest, dass die Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG, im Rahmen einer umfassenden Abwägung, Vorrang genießt. Abgestellt werden kann in diesem Zusammenhang insbesondere auf den Gegenstand der Bewertungen, nämlich die berufliche Tätigkeit, innerhalb derer sich der Betroffene wissentlich und willentlich in eine Sphäre des sozialen Kontakts aufhält und sich der „Außenwirkung“ seines Verhaltens bewusst sein muss. Die Privats- oder gar Intimsphäre sieht der BHG wohl nicht betroffen. Mit einer ähnlichen Abwägung kann auch die Übermittlung der Daten an die User der Seite als zulässig erachtet werden, auch hier ist der Kommunikationsfreiheit und dem Informationsinteresse der Vorrang einzuräumen.
Besondere Umstände, wie das Vorliegen von Schmähkritik oder Beleidigungen hat der BGH nicht erkannt, bzw. wurden nicht vorgetragen.
Relevanz
Ein Fall, wie er im Examen laufen könnte, im Zivilrecht, aber eher noch im Öffentlichen Recht als Verfassungsbeschwerde. Die Drittwirkung der Grundrechte, deren Bedeutung in zivilrechtlichen Abwehransprüchen, die umfangreiche Abwägung zwischen APR und Meinungsfreiheit sind absoluter Pflichtstoff für die Vorbereitung aufs Examen.