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Schlagwortarchiv für: Grundfreiheiten

Alexandra Ritter

Die europäischen Grundfreiheiten

Aktuelles, Europarecht, Europarecht Klassiker, Examensvorbereitung, Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Uncategorized, Verschiedenes

Der Beitrag befasst sich mit den Grundlagen zur Prüfung der europäischen Grundfreiheiten. Die Verfasserin bedankt sich bei Herrn Sören Hemmer für hilfreiche Anregungen und Ergänzungen zum Inhalt des Beitrags.

Wenn es um die Prüfung von Europarecht im ersten Staatsexamen geht, sind viele Kandidaten unsicher – denn der Materie wird in Studium und Repetitorium häufig nicht die gebührende Zeit im Lehr- und Lernplan eingeräumt. Dabei sind europarechtliche Klausuren im ersten Staatsexamen längst keine Seltenheit mehr. Dieser Beitrag ist daher einer unionsrechtlichen Thematik gewidmet, die in verschiedenen Einkleidungen in einer Klausur auftauchen kann: Es geht um die europäischen Grundfreiheiten. Welche Grundfreiheiten gibt es? Welche Bedeutung haben sie? Wie werden sie geprüft? Und: Wie sehen Klausurkonstellationen aus? All dies soll im Folgenden dargestellt und erläutert werden, um so zu einem grundlegenden Verständnis der Grundfreiheiten beizutragen, damit die Examensklausur im Ernstfall gemeistert werden kann. (Wer nur eine kurze Auffrischung benötigt, wird auch hier fündig.)

I. Welche Grundfreiheiten gibt es?

Die folgenden Definitionen sind der Darstellung bei Sauer, JuS 2017, 310, 314 entnommen.

Warenverkehrsfreiheit Art. 34 AEUV

Ware ist jeder körperliche Gegenstand, der einen Marktwert hat und Gegenstand eines Handelsgeschäfts sein kann Die Ware muss aus der Union stammen oder sich im freien Verkehr befinden, Art. 28 Abs. 2 AEUV.

Arbeitnehmerfreizügigkeit Art. 45 AEUV

Arbeitnehmer ist jeder Unionsbürger (Art. 20 Abs. 1 AEUV), der unselbstständig gegen Entgelt eine wirtschaftlich verwertbare Tätigkeit verrichtet.

Niederlassungsfreiheit Art. 49 AEUV

Eine Niederlassung ist anzunehmen, wenn jemand durch eine feste Basis dauerhaft am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats teilnimmt.

Dienstleistungsfreiheit Art. 56 AEUV

Dienstleistungen sind gegen Entgelt selbstständig erbrachte Leistungen, soweit sie von keiner anderen Grundfreiheit erfasst werden.

Kapitalverkehrsfreiheit Art. 63 AEUV

Unter den Kapital- und Zahlungsverkehr fällt der grenzüberschreitende Verkehr mit Sach- und Geldkapital zu Anlagezwecken – diese Grundfreiheit wird wegen ihrer sehr geringen Prüfungsrelevanz (Sauer, JuS 2017, 310, 314) im Nachfolgenden „ausgeblendet“ (s. aber Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2021, 407, 412).

II. Welche Bedeutung haben die Grundfreiheiten?

Die europäischen Grundfreiheiten sind ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Binnenmarkts (Sauer, JuS 2017, 310, 311). Durch sie können Behinderungen des gemeinsamen Binnenmarktes durch Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten verhindert werden, indem sie einen Ausgleich zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten und der Union ermöglichen (Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2021, 407) – sie haben eine sogenannte negative Integrationsfunktion (Sauer, JuS 2017, 310, 312). Während die Grundfreiheiten ursprünglich eher den Charakter von Diskriminierungsverboten innehatten, wurde sie durch die Rechtsprechung des EuGH immer mehr zu Beschränkungsverboten ausgebaut (hierzu ausführlich Sauer, JuS 2017, 310).

1. Wer kann sich auf Grundfreiheiten berufen?

Die Grundfreiheiten sie sind (auch) subjektive Rechte, auf die sich der einzelne unionsweit unmittelbar berufen kann (Sauer, JuS 2017, 310, 311). Allerdings muss der Sachverhalt einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen – auf ausschließlich inländische Sachverhalte sind die Grundfreiheiten nicht anwendbar (Bieber, Die Europäische Union, 15. Aufl. 2023, S. 340; zu den

2. Wer ist Adressat der Grundfreiheiten?

Adressaten der Grundfreiheiten sind zunächst die Mitgliedstaaten und damit sämtliche ihrer jeweiligen staatlichen Stellen (Sauer, JuS 2017, 310, 314). Aber auch die Unionsorgane, Einrichtungen und sonstige Stellen der EU sind den Grundfreiheiten verpflichtet (Streinz/W. Schroeder, 3. Aufl. 2018, Art. 34 AEUVRn. 29). Nur in Einzelfällen hat der EuGH auch eine „Drittwirkung“ der Grundfreiheiten in Privatrechtsverhältnisse anerkannt, z.B. bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Art. 45 AEUV bei mächtigen Wirtschafts-, Gewerkschafts- oder Sportverbänden (Sauer, 2017, 310, 314 m.N. der EuGH-Rechtsprechung).

III. Wie werden die Grundfreiheiten geprüft?

Die Prüfung der Grundfreiheiten ähnelt der Prüfung der Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes, d.h, es wird zunächst geprüft ob die jeweilige Grundfreiheit einschlägig ist (Anwendungsbereich ähnlich zum Schutzbereich), sodann ob eine Beschränkung vorliegt (ähnlich zum Eingriff) und zuletzt, ob die Beschränkung gerechtfertigt ist.

Zum Verständnis der Systematik bei der Prüfung der Grundfreiheiten, sind vorweg jedoch noch einige Erläuterungen anzubringen. Im Kern geht es darum, dass die übergeordnete Prüfsystematik sich stark aus der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit entwickelt hat und diese dann auf andere Grundfreiheiten übertragen wurde. Daher wird zunächst die Entwicklung dieser Rechtsprechung anhand der wegweisenden Entscheidungen nachgezeichnet und danach das sich daraus ergebende Prüfungsschema erläutert.

1. Die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit

Die maßgeblichen Entscheidungen, die die Prüfung der Grundfreiheiten vorgeben, sind die in den Rechtssachen Dassonville (EuGH, Urt. v. 11.6.1975 – Rs. 8/74), Keck (EuGH, Urt. v. 24.11.1993 – Rs. C-267/91, Rs. C-268/91) und Cassis de Dijon (EuGH, Urt. v. 20.2.1979 – Rs. 120/78).

a) Dassonville

Ausgangspunkt der Entscheidung in der Rechtssache Dassonville ist Art. 34 AEUV, der mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verbietet (die Rechtfertigungsmöglichkeiten nennt Art. 36 AEUV). Der EuGH definierte die „Maßnahmen gleicher Wirkung“ in seiner Entscheidung wie folgt:

„Jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern […].“ (EuGH, Urt. v. 11.6.1975 – Rs. 8/74, Ls. 1)

Damit sind auch Maßnahmen erfasst, die nur potenziell, also nur möglicherweise den freien Waren- oder Personenverkehr behindern, was eine Ausweitung der Warenverkehrsfreiheit und der übrigen Grundfreiheiten zu umfassenden Beschränkungsverboten bewirkt hat (Sauer, JuS 2017, 310, 312).

b) Keck

Den nunmehr sehr weit geratenen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten hat der EuGH später durch seine Entscheidung in der Rechtssache Keck etwas korrigiert. In dieser Entscheidung führte der EuGH die Unterscheidung zwischen Beschränkungen beim Marktzutritt und Beschränkungen nach Marktzutritt (Synonym werden die Begriffe produkts- und vertriebsbezogene Beschränkung verwendet) ein. Erstere, also Beschränkungen bei Markzutritt fallen immer unter die Dassonville-Rechtsprechung, d.h. es genügt eine potenzielle Behinderung, um eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung anzunehmen. Anders aber bei den Beschränkungen nach Markzutritt. Hier besteht ein geringeres Schutzbedürfnis, sodass kein umfassendes Beschränkungsverbot notwendig ist (Sauer, JuS 2017, 310, 313). Vielmehr kommt der ursprüngliche Charakter der Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote zum Tragen, denn eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung liegt nur dann vor, wenn die Regelung ausländische Waren aufgrund der Herkunft diskriminiert (EuGH, Urt. v. 24.11.1993 – Rs. C-267/91, Rs. C-268/91 Rn. 16).

Achtung: In neuerer Rechtsprechung wird teilweise von einem „Drei-Stufen-Test“ (EuGH, Urt. v. 10.2.2009 – C-110/05) gesprochen. Dabei wird auf der ersten Stufe danach gefragt, ob die Maßnahme des Mitgliedstaates bezweckt oder bewirkt, dass Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig behandelt werden; auf der zweiten Stufe danach, ob Hemmnisse für den freien Warenverkehr bestehen, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften daraus ergeben, dass Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten Vorschriften entsprechen müssen, selbst dann, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten; und auf der dritten Stufe danach, ob durch die Maßnahme der Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert wird (Grabitz/Hilf/Nettesheim/Leible/T. Streinz, 80. EL 2023, Art. 34 AEUV Rn. 85). Beide Ansätze führen in den meisten Fällen zu demselben Ergebnis. Für die Klausur ist es daher ratsam, beide Ansätze darzustellen, es im Ergebnis jedoch offenzulassen, welche Formel vorzugswürdig ist (s.  zum „Drei-Stufen-Test“ auch Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2021, 407, 408).

c) Cassis de Dijon

Mit der Dassonville-Entscheidung ist nicht nur der Anwendungsbereich zu weit geraten, sondern auch die vorgesehenen Rechtfertigungsmöglichkeiten (Art. 36, 45 Abs. 3, 52 und 62 AEUV) passten nicht mehr zu dem weiten Beschränkungsbegriff. Darauf hat der EuGH in der Entscheidung zur Rechtssache Cassis de Dijon reagiert, indem er ungeschriebene Rechtfertigungsgründe anerkannt hat, nämlich sog. zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses. Dabei handelt es sich um einen offenen Katalog, d.h. die Mitgliedstaaten können (nicht wirtschaftliche) Gemeinwohlbelange vortragen, die ihres Erachtens nach unter diese Erfordernisse des Allgemeininteresses fallen, ohne dass dieser spezifische Grund schon in der Rechtsprechung anerkannt sein muss (Sauer, JuS 2017, 310, 313). Diese Gemeinwohlbelange sind dann im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung mit den Belangen der jeweiligen Grundfreiheit abzuwägen.

Diese ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe können jedoch nicht bei einer unmittelbaren Diskriminierung herangezogen werden – für diese Fälle bleibt es bei den geschriebenen Rechtfertigungsgründen (Streinz, Europarecht, 12. Aufl. 2023, Rn. 933). Ungeklärt ist jedoch bislang, ob die Erfordernisse des Allgemeinwohls zur Rechtfertigung einer Beschränkung der Grundfreiheiten durch mittelbare Diskriminierung herangezogen werden können. Die Rechtsprechung des EuGH ist hier uneinheitlich (s. Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Art. 34-36 AEUV Rn. 84). Dafür spricht aber, dass es im Einzelfall schwierig sein kann zu ermitteln, ob eine mittelbare Diskriminierung oder eine den Marktzutritt beschränkende Regelung ohne Diskriminierung vorliegt und dazu eine häufig subjektiv ausfallende Wertung erforderlich ist (Sauer, JuS 2017, 310, 313).

Alle drei Entscheidungen werden mit Sachverhalt kompakt dargestellt bei Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2021, 407, 409 f.

2. Das Prüfungsschema

Das sich aus alledem ergebende Prüfungsschema ordnet sich wie folgt (zugrunde gelegt wurde die Darstellung bei Sauer, JuS 2017, 310, 314 f.):

1. Tatbestand

a) Anwendbarkeit (kein lex specialis im Unionsrecht)

Durch ihre negative Integrationsfunktion sind die Grundfreiheiten nur anwendbar, wenn kein sekundäres Unionsrecht in demselben Fall anwendbar ist.

b) Anwendungsbereich

Hier muss unter die Definition der jeweiligen Grundfreiheit subsumiert werden.

c) ggf. Abgrenzung andere Grundfreiheiten

Gerade die Dienstleistungsfreiheit muss von den anderen Grundfreiheiten abgegrenzt werden, da sie nur Anwendung findet, wenn keine andere Grundfreiheit einschlägig ist.

d) Staatliche Maßnahme

Geht die Maßnahme von einem der Adressaten der Grundfreiheiten aus? Wenn sie von einem privaten Akteur ausgeht, muss geprüft werden, ob sie einem Adressaten der Grundfreiheiten zugerechnet werden kann.

e) Grenzüberschreitender Bezug

Ausschließlich inländische Sachverhalte bieten keinen Anwendungsbereich für die Grundfreiheiten.

f) ggf. Bereichsausnahme

Im Falle der geregelten Bereichsausnahmen ist die jeweilige Grundfreiheit nicht anwendbar, s. Art. 45 Abs. 4, 51, 62 AEUV.

2. Beschränkung

Der Prüfungsaufbau unterscheidet sich danach, ob die Warenverkehrsfreiheit oder eine andere Grundfreiheit betroffen ist, da der Einstieg über die Dassonville-Rechtsprechung an den Wortlaut von Art. 34 AEUV anknüpft.

a) Für die Warenverkehrsfreiheit

aa) Mengenmäßige Einfuhrbeschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung?

Liegt eine Beschränkung i.S.d. Dassonville-Rechtsprechung vor? Eine Mengenmäßige Einfuhrbeschränkung wird im Klausurfall kaum vorliegen (Sauer, JuS 2017, 310, 314).

bb) Anwendung der Keck-Rechtsprechung

Unterscheidung zwischen Beschränkung bei Markzutritt und nach Marktzutritt, wobei letztere nur bei einer Diskriminierung wegen der Herkunft tatbestandsmäßig ist.

cc) Anwendung der Drei-Stufen-Rechtsprechung

Eine Maßnahme bezweckt oder bewirkt Erzeugnisse aus anderen Mitgliedsstaaten weniger günstig zu behandeln (1), stellt Hemmnisse für den freien Warenverkehr dar, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften daraus ergeben, dass Waren aus anderen Mitgliedsstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten Vorschriften entsprechen müssen, selbst dann, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten (2) oder behindert den Zugang zum Markt eines Mitgliedsstaats (3) (EuGH, Urt. v. 10.2.2009 – Rs. C-100/05 Rn. 35, 37).

b) Bei anderen Grundfreiheiten

aa) Liegt eine Beschränkung durch Diskriminierung wegen der Herkunft vor?

Wenn (+): ausdrücklich feststellen, dass es eines Rückgriffs auf die Keck-Rechtsprechung nicht Bedarf

bb) Wenn keine Diskriminierung vorliegt: Anwendung der Keck-Rechtsprechung

Liegt eine diskriminierungsfreie Maßnahme vor, die den Marktzutritt betrifft, sodass auch ohne Diskriminierung eine Beeinträchtigung vorliegt?

3. Rechtfertigung

a) Schranken

Die Grundfreiheiten sind nicht vorbehaltslos gewährleistet, sodass Beschränkungen ggf. gerechtfertigt sein können.

aa) Geschriebene Schranken

Zunächst ist auf die jeweiligen geschriebenen Schranken einzugehen, welche eng auszulegen sind (Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Rn. 78): Art. 36, 45 Abs. 3, 52 Abs. 1 AEUV (letzterer ggf. i.V.m. Art. 62 AEUV)

bb) Kollidierendes Primärrecht

Schranken können sich auch aus anderem Unionsrecht ergeben, wenn es sich um Normen handelt kollidierende Allgemein- und Individualinteressen schützen. Gemeint sind Normen, „die aufgrund ihrer dogmatischen Struktur als Befugnisnormen für Eingriffe taugen“ (Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Art. 34-36 AEUV Rn. 79). Dazu zählen u.a. die Unionsgrundrechte (Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Art. 34-36 AEUV Rn. 79). Auf den Schutz der Grundrechte der Mitgliedstaaten kann als Rechtfertigungsgrund nur abgestellt werden, wenn es eine parallele Gewährleistung im Unionsrechts gibt und ein angemessener Ausgleich zwischen grundfreiheitlich und grundrechtlich geschütztem Rechtsgut gewährleistet ist (Sauer, JuS 2017, 310, 314). Es ist daher vorzugswürdig auf die Unionsgrundrechte abzustellen (vgl. Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Art. 34-36 AEUV Rn. 81). Zudem können die Grundrechte aus der EMRK herangezogen werden, Art. 6 Abs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 3 GRCh.

cc) Ungeschriebene Schranken (Cassis de Dijon)

Bei Beschränkungen ohne Diskriminierung kann auf ungeschriebene Rechtfertigungsgründe rekurriert werden, nämlich auf die zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses. Bei mittelbaren Diskriminierungen bedarf es zumindest einer Argumentation (s. oben unter III.1.c)) bevor auf ungeschriebene Schranken zurückgegriffen werden darf.

c) Schranken-Schranke

Wie aus der Grundrechtsdogmatik bekannt sind auch Beschränkungen von Grundfreiheiten einer Verhältnismäßigkeitskontrolle zu unterziehen, wobei auf die bekannte Prüfung Legitimer Zweck (1), Geeignetheit (2), Erforderlichkeit (3) und Angemessenheit (4) zurückgegriffen werden kann (Sauer, JuS 2017, 310, 315). Vom EuGH selbst wird die Prüfung nur auf den ersten drei Stufen (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit) durchgeführt – in der deutschen Rechtsordnung wird jedoch die bekannte vierstufige Prüfung bevorzugt, sodass diese in der Klausur auch angewendet werden kann (Ruffert/Grischek/Schramm, JuS 2021, 407, 410 f.). Auch hier können die Unionsgrundrechte ins Spiel kommen, indem sie in die Abwägung einzubeziehen sind. Sie haben dann nicht wie oben die Funktion als Rechtfertigungsgrund, sondern eben als Schranken-Schranke (Calliess/Ruffert/Kingreen, 6. Aufl. 2022, Art. 34-36 AEUV Rn. 101, der auch auf zunehmende Kritik des Schrifttums hieran mit Blick auf Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh hinweist).

IV. Klausurkonstellationen

In Klausuren kann die Prüfung von Grundfreiheiten unterschiedlich eingekleidet sein. Möglich ist, dass lediglich materiell geprüft wird, d.h. lediglich die Frage gestellt ist, ob eine Maßnahme einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten begründet.

Diese materielle Frage kann aber auch prozessual eingekleidet sein. Zum einen durch nationales Prozessrecht, bspw. wenn ein Bürger sich durch eine Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt wehrt, weil er der Meinung ist, der Verwaltungsakt verstoße gegen eine Grundfreiheit. Bei Erledigung kann dieselbe Fragestellung dann in eine Fortsetzungsfeststellungsklage eingebettet sein.

Darüber hinaus ist eine Einkleidung in die Verfahren vor den europäischen Gerichten möglich (s. hierzu die Beiträge zu den Verfahren vor den Europäischen Gerichten Teil 1 und Teil 2). Bspw. kann die Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens die Verletzung von Grundfreiheiten durch einen Mitgliedstaat geltend machen oder es ist im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens herauszufinden, ob die Grundfreiheiten so auszulegen sind, dass eine Norm eines Mitgliedstaats damit nicht in Einklang steht. Denkbar ist auch eine Nichtigkeitsklage gegen einen Sekundärrechtsakt. Die möglichen Klausurkonstellationen sind also vielgestaltig (s. dazu auch Sauer, JuS 2017, 310, 315 f.). Mit einem grundlegenden Verständnis der hier vorgestellten Prüfungssystematik der Grundfreiheiten sollte aber dennoch eine überzeugende Prüfung gelingen!

06.03.2024/von Alexandra Ritter
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Alexandra Ritter https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Alexandra Ritter2024-03-06 09:00:002024-04-17 10:20:27Die europäischen Grundfreiheiten
Redaktion

Schema: Warenverkehrsfreiheit, Art. 34ff. AEUV

Europarecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Schema: Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 ff. AEUV

I. Anwendungsbereich der Art. 34 ff. AEUV betroffen

1. Räumlicher Anwendungsbereich

a) Art. 349 AEUV
b) Grenzüberschreitender Bezug

2. Sachlicher Anwendungsbereich

a) Keine vorrangigen, spezielleren europarechtlichen Regelungen (zB Art. 38ff. AEUV)

b) Waren iSv Art. 28 II AEUV
– Alle körperlichen Gegenstände, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können.
– Die Waren müssen im freien Verkehr eines Mitgliedsstaates befindlich sein (Art. 29 AEUV).

c) Staatliche Maßnahme in Form einer Handelsbeschränkung

aa) Staatliche Maßnahme

bb) Handelsbeschränkung

(1) Mengenmäßige Einfuhrbeschränkung

(2) Maßnahme gleicher Wirkung 

– Grds. jede unmittelbare oder mittelbare, tatsächliche oder potentielle Behinderung des freien Warenverkehrs. Die Eignung einer Behinderung genügt (Dassonville-Formel).
– Einschränkung: Die Maßnahme ist nicht geeignet, den Handel zu behindern, sofern es sich lediglich um eine Verkaufsmodalität handelt, die für In- und Ausländer gleichermaßen gilt und den Absatz in- und ausländischer Erzeugnisse gleichermaßen berührt (Keck-Formel). Dies stellt keine Maßnahme gleicher Wirkung dar.
II. Rechtfertigung

1. Rechtfertigung gem. Art. 36 AEUV

a) Anerkannter Allgemeinbelang

b) Verhältnismäßigkeit, insbesondere keine willkürliche Diskriminierung

2. Rechtfertigung über die Cassis-Formel als immanente Schranke des Art. 34 AEUV. Demnach müssen Beschränkungen hingenommen werden, soweit sie notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden.

a) Zwingende Gründe des Allgemeinwohls

b) Verhältnismäßigkeit

3. Unter Umständen: Rechtfertigung unmittelbar aus den Grundrechten

 

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

14.04.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-04-14 10:00:562017-04-14 10:00:56Schema: Warenverkehrsfreiheit, Art. 34ff. AEUV
Dr. Christoph Werkmeister

Aus aktuellem Anlass: Der europarechtliche Grundsatz der Subsidiarität

Aktuelles, Europarecht

Juris berichtet über eine aktuelle Subsidiaritätsrüge des Bundesrates gegen eine europarechtliche Richtlinie, die das Küstenzonenmanagement zum Gegenstand hat. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Richtlinie mit dem europarechtlichen Subsidiaritätsprinzip nicht im Einklang stehe, da der EU keine eigene Kompetenz auf diesem Gebiet zukomme. Die Zuständigkeit liege nach europäischem Recht vielmehr bei den Mitgliedstaaten.
Die vorgenannte Materie als solche ist im Speziellen in keiner Weise examensrelevant. Der europarechtliche Grundsatz der Subsidiarität im Allgemeinen gehört hingegen zum Pflichtfachstoff im ersten juristischen Staatsexamen. Im zweiten Staatsexamen werden europarechtliche Grundlagen mitunter zumindest im Rahmen des mündlichen Prüfungsgesprächs abgefragt. Grund genug also, sich aus aktuellem Anlass mit den Grundlagen – zumindest im Überblick – auseinanderzusetzen.
Grundsätzliches
Der Grundsatz der Subsidiarität ist in Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 EUV niedergelegt. Auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips wird die geeignete Handlungsebene im Bereich der geteilten Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ermittelt. Das bedeutet, dass der Grundsatz immer nur dann Anwendung findet, wenn keine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit auf EU-Level besteht. Immer dann, wenn eine Richtlinie, Verordnung oder ein Beschluss im Bereich der geteilten Zuständigkeiten erlassen wird, muss die EU also in Betracht ziehen, ob nicht eine Verletzung des Grundsatzes der Subsidiarität vorliegt. Es kann sich bei den vorgenannten Maßnahmen um solche auf europäischer, nationaler oder lokaler Ebene handeln.
Inhaltlich besagt der Grundsatz der Subsidiarität, dass die EU nur dann tätig werden kann, wenn sie in der Lage ist, effizienter zu handeln als die Mitgliedstaaten. Aufgaben sollen demnach so weit wie möglich selbstbestimmt und eigenverantwortlich von den Mitgliedstaaten übernommen werden.
Kriterien?
Die vorgenannte Formel ist wenig konkret und lässt viel Raum für Argumentation. Aus diesem Grund wurde zusätzlich zu den vorgenannten primärrechtlichen Regelungen noch das sog. Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit erlassen. Artt. 2 und 5 des Protokolls regeln etwa konkretisierend, dass bestimmte Erwägungen in die Betrachtung mit einfließen müssen. Diese lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen:

  • Hat die Maßnahme grenzüberschreitende Aspekte, die nicht von den Mitgliedstaaten geregelt werden können?
  • Würde eine nationale Maßnahme oder ein Nichttätigwerden im Widerspruch zu den Anforderungen des Primärrechts stehen?
  • Hat eine Maßnahme auf europäischer Ebene offenkundige Vorteile?
  • Bei den Betrachtungen sind insbesondere auch finanzielle Auswirkungen zu beachten.

De facto eingeschränkte Kontrolle
Die vorgenannten Kriterien nach dem Protokoll mögen einen ersten Anhaltspunkt geben. Gleichwohl ist das Merkmal der Subsidiarität merklich unbestimmt. Aus diesem Grund kam es seitens des EuGH wohl auch noch nie zur Feststellung der Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes. Insbesondere die sehr weitreichenden Kompetenzen der EU im Rahmen des Art. 114 AEUV zur Vereinheitlichung des europäischen Binnenmarktes lassen im Einzelfall Zweifel aufkommen, ob nationalrechtliche Regelungen nicht ausreichend gewesen wären.
In der Rechtssache Ex p. BAT (C-491/01) vertrat der EuGH etwa, dass der EU-Legislative ein äußerst breiter Ermessensspielraum im Hinblick auf Subsidiaritätserwägungen zustehe. Noch weiter ging dagegen die Entscheidung in der Rechtssache Working Time (C-84/94, Rz. 47). Der EuGH stellte in dieser Entscheidung lediglich beiläufig klar, dass EU-Gesetzgebung mit dem Ziel der Harmonisierung im Regelfall bereits die Notwendigkeit einer europaweiten Regelung vermuten lasse. Faktisch werden Verstöße gegen den Grundsatz der Subsidiarität also nur sehr selten – und dann auch zurückhaltend – von der europäischen Gerichtsbarkeit überprüft. Im Hinblick auf diese Haltung erscheint die o.g. Subsidiaritätsrüge des Bundesrates wenig Erfolg versprechend.
Stattdessen verfahrensrechtliche Absicherung
Angesichts der zurückhaltenden gerichtlichen Prüfungsdichte ist fraglich, inwiefern dem Grundsatz der Subsidiarität dennoch Genüge getan werden kann. Wie bereits erwähnt bezieht sich Art. 5 Abs. 3 EUV auf das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Dieses lediglich neun Artikel umfassende Protokoll regelt zumindest einige verfahrensrechtliche Absicherungen des Subsidiaritätsprinzips. Aufmerksamkeit verdient dabei insbesondere die sog. “yellow-card-procedure”. Hiernach kann ein nationales Parlament einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip rügen. Wenn sich 1/3 aller Mitgliedsstaaten dieser Beschwerde anschließen, muss ein formelles Überprüfungsverfahren seitens der EU eingeleitet werden. Die Kommission kann in solch einem Fall den Entwurf des Gesetzgebungsakts zurückziehen, ändern oder an ihm festhalten, wobei sie ihre Stellungnahme jeweils begründen muss. Beschließt die Kommission an dem Entwurf festzuhalten, obwohl die einfache Mehrheit der nationalen Parlamente ihn ablehnt, entscheiden der Rat und das Europäische Parlament in letzter Instanz, ob das Verfahren fortgesetzt wird oder nicht.
Darüber hinaus enthält das Protokoll einige verfahrensrechtliche Vorgaben im Hinblick auf die Begründung von EU-Regelungen, die Berührung mit den Subsidiaritätsgrundsatz haben.
Zu guter Letzt sieht das Protokoll auch noch die Klagemöglichkeit der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen den Subsidiaritätsgrundsatz vor. Angesichts der vorgenannten Schwächen ist ein solches Vorgehen im Regelfall allerdings wenig Erfolg versprechend.
Fazit
Es zeigt sich also, dass der Grundsatz der Subsidiarität weniger materiellrechtlich abgesichert wird, sondern eher auf verfahrensrechtlicher Ebene. Die Ausgestaltung der Schutzmechanismen verlagern demnach einen weiten Spielraum zugunsten der EU.

07.05.2013/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2013-05-07 08:32:492013-05-07 08:32:49Aus aktuellem Anlass: Der europarechtliche Grundsatz der Subsidiarität
Dr. Christoph Werkmeister

EuGH zur Niederlassungsfreiheit bei Staatsangehörigkeitserfordernissen für Notare

Europarecht, Öffentliches Recht

Der EuGH hat am 25.05.2011 (Rs. C-47/08) entschieden, dass der Ausnahmetatbestand für die Ausübung öffentlicher Gewalt im Rahmen der Niederlassungsfreiheit bei Regelungen, die das Notarwesen betreffen, nicht anwendbar ist.
Üblicherweise sind aktuellere Urteile des EuGH zu den Grundfreiheiten für die Examensvorbereitung eher zu vernachlässigen; so kommt es doch insbesondere mehr auf die Kenntnis der grundlegenden Klassiker und eine saubere Prüfungsstruktur an. Gleichwohl bieten aktuelle Urteile, die sich im Bereich des Pflichtfachstoffs befinden, Anlass für Examensprüfer eine altbekannte Problematik in neuem Gewand abzuprüfen. Genau um einen solchen Fall handelt es sich bei dem hier besprochenen Urteil.
Sachverhalt (vereinfacht)
Ein Mitgliedsstaat erlässt eine gesetzliche Regelung, wonach zur Ausübung des Notarberufs die Staatsangehörigkeit des selbigen Mitgliedsstaats notwendig ist.
Lösung
Die hier vorliegende staatliche Regelung könnte eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) darstellen.
I. Kein abschließendes europäisches Sekundärrecht
Bevor mit der Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 49 AEUV begonnen werden kann, muss festgestellt werden, ob der hier vorliegende Fall nicht bereits abschließend von einer europäischen Richtlinie oder Verordnung erfasst ist. Wäre dies der Fall, so hätte man die entsprechende nationale Vorschrift am Maßstab dieser Sekundärrechtsakte messen müssen.
Im vorliegenden Fall war u.a. die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen einschlägig. Darüber hinaus bestand allerdings kein abschließendes Sekundärrecht, so dass der EuGH auch auf die Grundfreiheiten rekurrieren konnte. Im Rahmen einer Klausur wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass kein abschließendes Sekundärrecht vorliegt. Sollte es doch mal so sein, so wird vom Klausurersteller mit Sicherheit auf diese Besonderheit hingewiesen.
II. Schutzbereich des Art. 49 AEUV
Der EuGH fasst den sachlichen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ausdrücklich weit. Der Schutzbereich erfasst „die Möglichkeit für einen Unionsangehörigen, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als seines Herkunftsstaats teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen“, vgl. EuGH, Rs. C-384/08. Dazu gehört die Niederlassung einer natürlichen oder juristischen Person in einem anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten, die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat oder aus einem Mitgliedstaat heraus und die Gründung und Leitung von Unternehmen (Gesellschaften) in einem anderen Mitgliedstaat, vgl. Calliess/Ruffert/Bröhmer, EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Rn. 9.
Vorliegend betrifft diese Vorschrift die Niederlassung von ausländischen Notaren im Inland. Insbesondere sind Notare anderer EU-Mitgliedsstaaten erfasst, so dass auch der persönliche Schutzbereich tangiert ist. Eine solche Niederlassung kann in Form einer Zweigniederlassung oder als selbstständiger Hauptsitz erfolgen. Der Schutzbereich des Art. 49 AEUV ist damit eröffnet.
III. Grenzüberschreitenden Bezug
Damit die Grundfreiheiten des AEUV anwendbar sind, bedarf es neben der Eröffnung des sachlichen und personellen Schutzbereichs auch eines grenzüberschreitenden Bezuges. Da hier insbesondere die Niederlassung von EU-Ausländern betroffen ist, liegt dieser Bezug ohne Weiteres vor.
IV. Richtiger Adressat der Niederlassungsfreiheit
An die Grundfreiheiten sind grundsätzlich nur die Mitgliedstaaten und deren Einrichtungen gebunden. Da vorliegend eine gesetzliche Regelung eines Mitgliedstaates in Frage steht, liegt ein richtiger Adressat vor.
Exkurs: Bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 AEUV) besteht hingegen eine horizontale Direktwirkung, so dass auch private Arbeitgeber diese Grundfreiheit berücksichtigen müssen (s. dazu EuGH Rs. C-281/98 – Angonese und Rs. Bosman C-415/93). Zudem äußerte sich der EuGH in der Entscheidung Laval (Rs. C‐341/05) dahingehend, dass Gewerkschaften bei der Ausübung ihres Streikrechts ebenso verpflichtet sein können, die Niederlassungsfreiheit nach Art 49 AEUV zu berücksichtigen.
V. Eingriff in den Schutzbereich
Damit ein Eingriff (oder streng genommen eine Beschränkung) der Niederlassungsfreiheit angenommen werden kann, musste nach der alten Rechtsprechung des EuGH eine Diskriminierung, also eine Ungleichbehandlung (sei es eine offene oder verdeckte) vorliegen, vgl. etwa EuGH, Rs. C-61/89.
Die neuere Rechtsprechung des EuGH ist offener für einen weiten Beschränkungsbegriff und kategorisiert deshalb teilweise auch Regelungen, die unterschiedslos für Inländer wie Ausländer gelten, als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 49 AEUV.
Exkurs zur Frage, ob bei Art. 49 AEUV ein allgemeines Beschränkungsverbot oder lediglich ein Diskriminierungsverbot vorliegt: Die Rechtsprechung zum Eingriff in Form eines bloßen Beschränkungsverbots setzte sich mit der Rechtssache in Gebhard (EuGH, Rs. C-55/94) fort. Gleichwohl tendiert der EuGH bei der Niederlassungsfreiheit insbesondere bei steuerrechtlichen Regelungen eher zum Maßstab des Diskriminierungsverbots, vgl. EuGH, Rs. C­446/0. Auch neuere Fälle zeigen, dass der EuGH bei der Annahme eines allgemeinen Beschränkungsverbots bei Art. 49 AEUV zurückhaltender als etwa bei der Waren- und Dienstleistungsfreiheit vorgeht, vgl. etwa EuGH, Rs. C-656/08. Die Haltung, dass der EuGH bei der Niederlassungsfreiheit von einer so weitreichenden Formel wie bei der Dassonville- oder Säger-Rechtsprechung (zur Waren- und Dienstleistungsfreiheit) absieht, mag dadurch motiviert sein, dass der EuGH den Mitgliedsstaaten bei der Niederlassungsfreiheit mehr Freiraum der Ausgestaltung zubilligen möchte, da sich derjenige, der sich Niederlässt zumindest freiwillig in die jeweils andere Rechtsordnung begibt, um dort wirtschaftlich tätig zu sein.
Im vorliegenden Fall braucht der Streit um die Reichweite der Niederlassungsfreiheit nicht erörtert werden, da es sich bei dem Staatsangehörigkeitserfordernis sogar um eine offene Diskriminierung ausländischer Notare handelt, da diese explizit an der Berufsausübung im EU-Ausland gehindert werden.
VI. Ausübung hoheitlicher Gewalt – Ausnahme nach Art. 51 AEUV
Eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit i.S.v. Art 49 AEUV ist gemäß Art 51 AEUV dann zu verneinen, wenn die in Frage stehende nationale Regelung eine Tätigkeit betrifft, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist. Es stellte sich für den EuGH in diesem Urteil somit die Frage, ob die Tätigkeit eines Notars die Ausübung öffentlicher Gewalt darstellt. Nach dem EuGH ist Art 51 (und auch die entsprechenden Ausnahmen bei den anderen Grundfreiheiten) restriktiv auszulegen. Der EuGH stellte somit konsequent fest, dass nur Tätigkeiten, die unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, von der Anwendung des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit ausgenommen werden können.
Für den hoheitlichen Charakter der Tätigkeit des Notars spricht, dass sein Tätigwerden teilweise als gesetzlich vorgeschriebene Voraussetzungen für das Zustandekommen von Rechtsakten vorgesehen ist. Eine notariell beglaubigte Urkunde birgt zudem eine erhöhte Wirkung der Beweiskraft in sich und kann sogar die sofortige Vollstreckbarkeit induzieren.
Nach Ansicht des EuGH ist die Beurkundungstätigkeit der Notare aber nicht mit einer unmittelbaren und spezifischen Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden. Dass bei bestimmten Rechtsakten und Verträgen eine notarielle Beurkundung als notwendige Voraussetzung vorgesehen ist, ändere nichts an diesem Ergebnis. Es bestehe kein wesentlicher Unterschied zu anderen Formerfordernissen oder Validierungsverfahren. Maßgeblich sei überdies, dass der Notar nur auf Antrag der Parteien tätig wird und somit als Dienstleister für Private tätig ist, und gerade nicht als hoheitliche Einrichtung, die von sich aus Verwaltungsakte erlassen kann.
Auch das Argument, dass die Notartätigkeit ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel, nämlich die Gewährleistung der Rechtmäßigkeit und Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen, verfolgt, genüge nach dem EuGH nicht, um eine Ausnahme nach Art 51 AEUV anzunehmen.
Zudem bewegen sich Notare bei der Ausübung ihres Berufs in einem kompetitiven Umfeld zu anderen Notaren und sind damit Wettbewerb ausgesetzt. Ein Vorliegen von Wettbewerb sei aber gerade für die Ausübung öffentlicher Gewalt untypisch. Überdies haften Notare gegenüber ihren Mandanten unmittelbar und persönlich, während hingegen bei behördlichem Fehlverhalten der Staat nach § 839 BGB, Art 34 GG hafte.
Exkurs: Die gleiche Problematik stellte sich auch für den Beruf des Rechtsanwalts. Hier hat der EuGH mit ähnlichen Argumenten entschieden, vgl. EuGH, Rs. 2/74. Rechtsanwälte sind zwar im Allgemeininteresse quasi als verlängerter Arm des Richters für die Verwirklichung des Rechtsstaats verantwortlich – trotz allem üben sie selbst keine Hoheitsgewalt aus; dies auch dann, wenn in einem Prozess beispielsweise Anwaltszwang herrscht (vgl. etwa § 78 ZPO).
Im Ergebnis liegt damit kein Ausnahmetatbestand nach Art. 51 AEUV vor.
VII. Rechtfertigung
Bei der Prüfung der Grundfreiheiten kann eine Rechtfertigung entweder aufgrund eines ungeschriebenen Rechtfertigungsgrundes oder aufgrund der geschriebenen (sehr restriktiv auszulegenden) Rechtfertigungsgründe erfolgen.
1. Ungeschriebene Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses
Nach der Rechtsprechung in der Sache Gebhard können Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt sein, wenn die folgenden drei Voraussetzungen erfüllt sind:

  • keine diskriminierende Anwendung
  • Vorliegen eines zwingenden Grund des Allgemeininteresses
  • Eignung, die Verwirklichung des verfolgten Zieles zu gewährleisten, und Beschränkung auf das, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (also die Verhältnismäßigkeit der Regelung)

Vorliegend handelt es sich wie beschrieben um eine offene Diskriminierung. Aus diesem Grund ist bereits die erste Voraussetzung der Gebhardt-Rechtsprechung nicht erfüllt. Ein ungeschriebener Rechtfertigungsgrund kommt damit nicht in Betracht.
2. Geschriebener Rechtfertigungsgrund
Zudem kann die geschriebene Rechtfertigung nach Art 52 AEUV in Betracht gezogen werden. Eine Rechtfertigung ist demnach nur dann möglich, wenn es die öffentliche Sicherheit, Ordnung und Gesundheit fordert und wenn die Maßnahme verhältnismäßig ist.
Die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann allerdings  nur geltend gemacht, werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, vgl. EuGH, Rs. C-326/07. Es handelt sich bei diesem Begriff um einen europarechtlich autonom zu bestimmenden Begriff. Parallelen etwa aus dem innerstaatlichen polizeirechtlichen Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung können daher nicht herangezogen werden.
Exkurs: Der EuGH lässt den Mitgliedsstaaten gleichwohl einen gewissen Spielraum bei der Definition dieses Begriffs, vgl. EuGH Rs. 36/75. Wie weit ein solcher Spielraum reichen mag, ist allerdings eine Frage des Einzelfalls und die Grenzen sind nicht klar aufgezeigt. Der Grundsatz ist jedenfalls, dass der Mitgliedsstaat substantiiert darlegen muss, aus welchen Gründen er vom Grundsatz der Niederlassungsfreiheit abweicht.  Für die Klausur bietet es sich allerdings stets an, den Begriff so restriktiv wie möglich auszulegen und auf die europarechtlich autonome Bestimmung hinzuweisen.
Eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung für die Gesellschaft ist vorliegend nicht zu befürchten. Es erscheint in diesem Fall eher fernliegend, dass der Einsatz von ausländischen Notaren zu erheblichen und merklich spürbaren Verschlechterungen eines Rechtspflegesystems führen würde.
VIII. Ergebnis
Da somit der geschriebene Rechtfertigungsgrund des Art. 52 AEUV nicht eingreift, besteht im vorliegenden Fall eine Beschränkung (ein Eingriff) in die Niederlassungsfreiheit, die nicht gerechtfertigt ist. Art 49 AEUV ist damit durch die innerstaatliche Regelung, die Notaren ein Staatsangehörigkeitserfordernis aufbürdet, verletzt.
 
Examensrelevanz
Die Prüfung der Grundfreiheiten gehört mittlerweile zum absoluten Pflichtfachstoff im Staatsexamen. Die Beherrschung der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit wird dabei in der Frequenz am häufigsten abgeprüft. Gerade Entscheidungen wie die hier besprochene, die vom Student ohne besonderes Spezialwissen behandelt werden können, zeigen aber, dass die Niederlassungsfreiheit nicht zu vernachlässigen ist. Das gleiche gilt ebenso für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die insbesondere aufgrund ihrer horizontalen Direktwirkung (s. dazu EuGH Rs. C-281/98 – Angonese und Rs. Bosman C-415/93) ein zusätzliches Problem aufwirft.
 

25.05.2011/0 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2011-05-25 15:40:072011-05-25 15:40:07EuGH zur Niederlassungsfreiheit bei Staatsangehörigkeitserfordernissen für Notare

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