Die Gutglaubensvorschriften der §§ 932 ff. BGB sind oftmals Gegenstand von universitären Prüfungen sowie Examensklausuren. Die Vorschriften über den Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten bezwecken im Kern eine interessengerechte Verteilung des Erwerbs- und Verlustrisikos des Eigentums. Sie tragen letztlich zur Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft insgesamt bei. Da das Erwerbsinteresse des Gutgläubigen grundsätzlich dem Interesse des Eigentümers am Erhalt seiner Rechtsposition vorgezogen wird, führen die Gutglaubensvorschriften zu einer erhöhten Umlauffähigkeit des Eigentums. Für Studium und Examen sollten die wesentlichen Grundzüge der §§ 932 – 936 BGB sowie einige Standardprobleme beherrscht werden. Der nachstehende Grundlagenbeitrag soll einen ersten Einblick in die Systematik des Problemfeldes geben:
I. Systematischer Ausgangspunkt der Gutglaubensvorschriften
Allen Erwerbstatbeständen der §§ 932 ff. BGB liegen drei Voraussetzungen zugrunde, die bei jedem gutgläubigen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten gegeben sein müssen. Fehlen diese, ist der (vermeintliche) Erwerber nicht schutzwürdig. Im Einzelnen gilt für alle Gutglaubensvorschriften Folgendes:
1. Ausreichender Rechtsschein durch Besitz
Für jeden Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten muss dieser entweder unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer der Sache sein. Hat der nichtberechtigte Veräußerer keinerlei Form von Besitz, besteht aus Sicht des Erwerbers kein ausreichender Rechtsschein dahingehend, dass der Veräußerer Eigentum an der zu übereignenden Sache hat. Mit anderen Worten: Die Vermutungsregeln aus § 1006 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BGB müssen für den Nichtberechtigten anwendbar sein. Eine Ausnahme bildet insoweit lediglich der Sonderfall des § 934 Alt. 2 BGB (hierzu sogleich).
2. Vollständiger Verlust des Besitzes auf Veräußererseite
Ein gutgläubiger Erwerb des Eigentums setzt zwingend den vollständigen Besitzverlust auf der Seite des Nichtberechtigten voraus. Der Veräußerer darf keinen „Restbesitz“ mehr haben.
3. Allgemeine Erwerbsvoraussetzungen
Ebenso wie beim Erwerb vom Berechtigten bedarf es für einen gutgläubigen Eigentumserwerb immer einer (1) Einigung i.S.v. § 929 S. 1 BGB und (2) einer Übergabe der Sache bzw. eines Übergabesurrogats. Zusätzlich darf für einen gutgläubigen Erwerb (3) der Erwerber nicht bösgläubig gem. § 932 Abs. 2 BGB sein. Danach ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.
II. Überblick zu den einzelnen Erwerbstatbeständen
Nachfolgend soll ein Blick auf die einzelnen Erwerbstatbestände bzw. die dazugehörigen Gutglaubensvorschriften geworfen werden. Dabei gilt für alle Normen gleichermaßen, dass der Erwerb an der fehlenden Eigentümerposition des Veräußernden scheitert.
1. Gutgläubiger Eigentumserwerb nach §§ 929 S. 1, 932 BGB
Ausweislich des ersten Absatzes bezieht sich § 932 BGB auf den Erwerbstatbestand aus § 929 BGB. § 932 BGB findet demnach Anwendung, wenn im Rahmen einer Veräußerung nach § 929 S. 1 BGB eine wirksame dingliche Einigung und Übergabe der Sache erfolgt sind, die Eigentumsübertragung jedoch an der fehlenden Eigentümerstellung des Veräußernden scheitert. § 932 Abs. 1 S. 1 BGB sieht in diesem Fall vor, dass der Erwerber trotzdem wirksam Eigentum an der Sache erlangen kann, wenn er zum Zeitpunkt des (eigentlichen) Erwerbs nicht bösgläubig war. § 932 Abs. 2 BGB statuiert, dass der Erwerber nicht in gutem Glauben ist, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Unter grober Fahrlässigkeit versteht der BGH ein Handeln, „bei dem die erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen“ (BGH Urteil v. 9.2.2005 – VIII ZR 82/03, NJW 2005, 1365). Daraus folgt zunächst, dass es jeweils einer konkreten Betrachtung der Umstände des Einzelfalls und einer verkehrsgerechten Wertung dergleichen Bedarf.
Eine der bekanntesten Konstellationen betrifft den gutgläubigen Erwerb von gebrauchten Kfz: Hier verlangt die Rechtsprechung, dass der nichtberechtigte Veräußerer die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegt. Der Besitz des Kfz reicht für sich genommen nicht aus, um den für einen guten Glauben notwendigen Rechtsschein im Rahmen von § 932 BGB zu begründen. Nur dann, wenn der Erwerber die Bescheinigung vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers prüfen zu können, kommt ein gutgläubiger Erwerb in Betracht (zuletzt BGH Urteil v. 1.3.2013 – V ZR 92/12, NJW 2013, 1946). Maßgeblich für den guten Glauben des Erwerbers ist stets derjenige Moment, indem sowohl die dingliche Einigung, als auch die Übergabe stattgefunden haben. Fallen diese beiden Momente zeitlich auseinander, ist auf die jeweils zuletzt eingetretene Erwerbsvoraussetzung abzustellen.
2. Gutgläubiger Eigentumserwerb nach §§ 929 S. 1, 2, 932 BGB
Erfolgt der Eigentumserwerb „kurzer Hand“ nach § 929 S. 2 BGB, bedarf es gem. § 932 Abs. 1 S. 2 BGB einer weiteren Voraussetzungen für den gutgläubigen Erwerb des Eigentums. Neben dem guten Glauben des Erwerbs muss dieser den Besitz der Sache vom Veräußerer erlangt haben. Diese zusätzliche Voraussetzung resultiert aus den dem begrenzten Rechtsschein des Besitzes: Dieser spricht nur dann für das vermeintliche Eigentumsrecht des Veräußerers, wenn der Erwerber den Besitz unmittelbar vom Veräußerer erworben hat. Der Erwerber ist deshalb nicht schutzwürdig, wenn er den Besitz von einem Dritten erlangt hat.
3. Gutgläubiger Erwerb nach §§ 929 S. 1, 930, 933 BGB
933 BGB regelt den gutgläubigen Erwerb in der Konstellation, dass zwischen Veräußerer und Erwerb ein Besitzkonstitut nach § 930 als Surrogat für die eigentlich erforderliche Übergabe vereinbart wird. Auch hier gilt zunächst, dass zwischen den Parteien eine wirksame dingliche Einigung geschlossen worden sein muss. Für den gutgläubigen Erwerb reicht es allerdings nicht aus, dass der Erwerber in gutem Glauben i.S.v. § 932 BGB ist. Vielmehr muss ihm zusätzlich die Sache vom Veräußerer übergeben worden sein. Das Gesetz verlangt die Übergabe vom Veräußerer, da die reine Änderung der inneren Willensrichtung des Veräußerers vom (vermeintlichen) Eigen- zum Fremdbesitz nicht genügt, um auf der Seite des Erwerbers ausreichenden Rechtsschein zu produzieren. Erst wenn der Veräußerer seine Besitzposition durch die Übergabe der Sache vollständig aufgibt macht er deutlich, dass er den Übergang des Eigentums auch wirklich beabsichtigt.
4. Gutgläubiger Erwerb nach §§ 929 S. 1, 931, 934 BGB
Die Gutglaubensvorschriften des § 934 BGB betreffen die wohl komplexesten Lebenssachverhalte. Die Norm regelt die Voraussetzungen des gutgläubigen Eigentumserwerbs für die Fälle, in denen die Übergabe gem. § 931 BGB durch eine Abtretung des gegen den Dritten bestehenden Herausgabeanspruchs ersetzt wird. Zu unterscheiden ist dabei die erste und zweite Alternative des § 934 BGB: Ist der Veräußerer zwar Nichtberechtigter, jedoch tatsächlich mittelbarer Besitzer der Sache, genügt es für einen gutgläubigen Eigentumserwerb, dass der Erwerber im Zeitpunkt der Abtretung des Herausgabeanspruchs in gutem Glauben ist. Anders als § 933 BGB bedarf es – jedenfalls dem Wortlaut der Norm zufolge – keiner Übergabe der Sache durch den Veräußerer. Genau hierin wird von Teilen der Literatur ein Wertungswiderspruch gesehen, da der Veräußerer bei einem Besitzkonstitut unmittelbarer Besitzer und dementsprechend „näher“ an der Sache ist als derjenige, dem lediglich ein mittelbarer Besitz zukommt. Ob eine teleologische Korrektur des § 934 Alt. 1 BGB notwendig ist, ist umstritten – BGH und die herrschende Lehrer verneinen eine solche (zum Streitstand allgemein BeckOK/Kindl, BGB, 46. Ed Stand 1.5.2018, § 934 Rn. 2 m.w.N.). Letztlich rechtfertigt sich die Konzeption des § 934 Alt. 1 BGB dadurch, dass der Veräußerer bei § 931 BGB durch die Abtretung des Herausgabeanspruchs sämtlichen Besitz vollständig verliert, während er bei § 930 BGB eine Besitzposition beibehält. Der mit der Abtretung einhergehende finale und vollständige Besitzverlust führt also dazu, dass der Erwerber von einer Berechtigung des Veräußerers ausgehen darf.
934 Alt. 2 BGB ermöglicht einen gutgläubigen Eigentumserwerb sogar dann, wenn der Nichtberechtigte nicht einmal einen wirksamen Herausgabeanspruch, den er abtreten könnte, hat. Hier fehlt es also neben der Berechtigung auch an einem wirksamen Besitzmittlungsverhältnis. Tatbestandlich bedarf es deshalb nicht nur eines guten Glaubens des Erwerbers, sondern darüber hinaus auch einer Übergabe der Sache an den Erwerber von dem Dritten, also dem vermeintlichen Besitzmittler. Dieser Zeitpunkt ist in der Folge auch maßgeblich für die Gutgläubigkeit des Erwerbers. Der Rechtsscheinträger ist bei § 934 Alt. 2 BGB nicht der unmittelbare oder mittelbare Besitz des Nichtberechtigten, sondern dessen (vermeintliche) Besitzverschaffungsmacht.
III. Gutgläubiger lastenfreier Erwerb nach § 936 BGB
936 BGB erstreckt den Anwendungsbereich des gutgläubigen Erwerbs auf beschränkte dingliche Rechte. Die Norm ist sowohl beim Erwerb vom Berechtigten, als auch Nichtberechtigten anwendbar. Grundsätzlich gilt nach § 936 Abs. 1 S. 1 BGB, dass das beschränkte dingliche Recht eines Dritten mit dem Eigentumserwerb erlischt. Für den Eigentumserwerb nach § 929 S. 1 BGB bzw. §§ 929 S. 1 i.V.m. § 932 BGB ergeben sich insofern keine Besonderheiten. Weitere Voraussetzungen stellt das Gesetz jedoch an die anderen Erwerbstatbestände. Erfolgt die Übereignung „kurzer Hand“ nach § 929 S. 2 BGB, bedarf es auch mit Blick auf das beschränkte dingliche Recht des Dritten einer Besitzerwerbs vom Veräußerer, § 936 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Anforderungen an den Rechtsschein entsprechen hier also denjenigen aus § 932 Abs. 1 S. 2 BGB. Im Gleichklang zu den Bestimmungen der §§ 933, 934 Alt. 2 BGB bedarf es bei einem Besitzmittlungsverhältnis bzw. einer Abtretung eines nur vermeintlich existierenden Herausgabeanspruchs einer Besitzerlangung „auf Grund der Veräußerung“. Für die Fälle des Besitzmittlungsverhältnisses muss deshalb – in Anlehnung an § 933 BGB – eine tatsächliche Übergabe entsprechend den Vorgaben aus § 936 Abs. 1 S. 1 BGB stattfinden (MüKo/Oechsler, BGB, 7. Auflage 2017, § 936 Rn. 8). Handelt es sich um eine Abtretung eines vermeintlichen Herausgabeanspruchs, bedarf es für einen lastenfreien Erwerb nicht nur der Besitzerlangung durch den Dritten – diese muss vielmehr auch der Verfügung des Veräußerers zugeordnet werden können (vgl. MüKo/Oechsler, BGB, 7. Auflage 2017, § 936 Rn. 9). Eine letzte Besonderheit findet sich in § 936 Abs. 3 BGB, wonach der gutgläubige lastenfreie Erwerb ausscheidet, wenn das beschränkte dingliche Recht dem dritten (unmittelbaren) Besitzer zusteht. Da dieser eine besondere Nähe zu der Sache aufweist, wird das Interesse an der Aufrechterhaltung seiner Rechtsposition dem Verkehrsschutz vorgezogen. Zuletzt: § 935 BGB gilt (unmittelbar oder entsprechend) auch für den lastenfreien Erwerb nach § 936 BGB!
IV. Abhandenkommen der Sache nach § 935 BGB
Die Gutglaubensvorschriften der §§ 932 ff. BGB finden keine Anwendung, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen war. Dieser Schutz erstreckt sich nach § 935 Abs. 1 S. 2 BGB auch auf den Eigentümer, der mittelbarer Besitzer ist, wenn die Sache dem unmittelbaren Besitzer abhandenkommt. § 935 BGB begrenzt die Reichweite des Verkehrsschutzes dort, wo der Eigentümer die Sache nicht mehr freiwillig in Umlauf bringt, den Besitz also nie aus eigenem Entschluss aufgegeben hat. Der Eigentumsschutz erstreckt dabei über den (vermeintlichen) Ersterwerb auch auf sämtliche weitere Verfügungen, die der ersten folgen. Mit anderen Worten: Eine einmal abhandengekommene Sache kann von niemandem gutgläubig erworben werden. Der Oberbegriff des Abhandenkommens wird dabei definiert als unfreiwilliger Verlust des unmittelbaren Besitzes (BeckOK/Kindl, BGB, 46. Ed. Stand 1.5.2018, § 935 Vorbem.). Eine Ausnahme für diese Grundsätze statuiert § 935 Abs. 2 BGB, wonach ein gutgläubiger Erwerb trotz Abhandenkommen bei Geld, Inhaberpapieren sowie Sachen, die in öffentlichen Versteigerungen oder solchen nach § 979 Abs. 1a BGB veräußert werden, möglich ist.
V. Zusammenfassung
Die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb beweglicher Sachen nach den §§ 932 ff. BGB gehören zum Standardrepertoire eines jeden Examenskandidaten. Eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Regelungskomplex und der dahinterstehenden Systematik ist für Studium und Staatsexamen absolut notwendig. Empfehlenswert ist, sich in einem ersten Schritt mit den grundsätzlichen Zusammenhängen der Bestimmungen zu beschäftigen und zu verstehen, welche Gutglaubenstatbestände an welchen Erwerbsvorgang anknüpfen. In einem zweiten Schritt sollten dann die geläufigen Problemstellungen (gleichstufiger mittelbarer Nebenbesitz, Scheingeheiß, Rückerwerb vom Nichtberechtigten etc.) erlernt werden.
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