Prinzipien des Zivilprozesses: Bedeutung und Ausnahmen
Sowohl für die mündliche Prüfung im ersten Staatsexamen als auch erst Recht im Referendariat sollten die Grundprinzipien des Zivilprozesses zwingend beherrscht werden. Gerade hiermit lassen sich viele zentrale Fragen der ZPO mittels der allgemeinen Dogmatik beantworten. Aus diesem Grund soll nachfolgend ein umfassender Überblick über diese Prinzipien gegeben werden.
Beibringungsgrundsatz Def.: Parteien führen sämtliche Tatsachen in den Prozess ein; nur die eingeführten Tatsachen dürfen berücksichtigt werden
- Keine Berücksichtigung von privatem Wissen des Richters
- Tatsachen sind als wahr zu unterstellen, wenn sie entweder vom Gegner zugestanden (§ 288 ZPO) oder nicht bestritten (§ 138 Abs. 3 ZPO) werden
- Gericht im Grundsatz an die von den Parteien eingebrachten Beweismittel gebunden (gilt aber nur noch für Zeugen)
- Gilt nicht für Rechtsanwendung und Beweiswürdigung, nur für Tatsachen
- Durchbrechung: Prüfung der Zulässigkeit von Amts wegen, Ehe- und Kindschaftssachen; richterliche Hinweispflicht (§ 139 ZPO), Urkundsbeweis (§§ 142, 143 ZPO), Augenschein, Sachverständige (§ 144 ZPO) – aber nur für von Parteien vorgebrachte Tatsachen
- Folgeproblem: § 138 ZPO (Wahrheitspflicht) – (P) wie weit geht das?; Argumente des Gegners müssen nicht vorweggenommen werden
Dispositionsmaxime Def.: Parteien (insbes. Kläger) entscheiden über Beginn, Verlauf, Ende des Verfahrens; Grund: Privatautonomie
- Parteien entscheiden über Inhalt des Verfahrens (d.h. über Streitgegenstand)
- Normen: 253 ZPO (Verfahren nur bei Klage); 253 Abs. 2 ZPO (Personen und Gegenstand Verfahren); § 269 ZPO (Rücknahme der Klage), § 306 ZPO (Verzicht), § 307 ZPO (Anerkenntnis), § 794 Abs. 1 ZPO (Prozessvergleich), § 91a ZPO (Erledigterklärung);
- Bindung des Gerichts an Anträge § 308 ZPO (aber Minus kann gewährt werden)
- Ausnahmen/ Durchbrechung: Kostenentscheidung (§ 308 ZPO), vorläufige Vollstreckbarkeit; richterliche Hinweispflicht (§ 139 ZPO), Ehe- und Kindschaftssachen
Grundsatz d. freien Beweiswürdigung Def.: Richter entscheidet nach freier Überzeugung, ob Tatsache wahr oder unwahr ist (§ 286 ZPO)
- Keine Bindung an Beweisregeln (§ 286 Abs. 2 ZPO)
- Noch weitergehend bei Schadenshöhe (§ 287 ZPO)
Beschleunigungsgrundsatz Def.: alle Prozessparteien sind gehalten, den Prozessverlauf zu fördern und Verzögerungen auszuschließen
- Allgemein: 230 ZPO; Für Richter (§§ 272, 273 ZPO), für Parteien (§ 282 ZPO – rechtzeitiges Vorbringen; § 296 ZPO, Zurückweisung wenn Verspätung; Regelungen zu Säumnis § 330 ff ZPO); Einhaltung von Fristen zwingend)
Grundsatz der Mündlichkeit Def.: Mdl. Verhandlung ist obligatorisch (§ 128 ZPO), nur das dort vorgetragene darf Bestandteil des Urteils sein; Grund: Rechtsstaat; keine Geheimverfahren
- Durchbrechungen: Bezugnahme auf Schriftssätze (§ 137 Abs. 3 ZPO); schriftliches Verfahren (§§ 128 Abs. 2 und 3 ZPO); § 251a Abs. 2 ZPO (Urteil nach Aktenlage wenn beide säumig); § 331a ZPO (Urteil nach Aktenlage statt VU); § 297 Abs. 2 ZPO (Anträge nehmen auf Schriftssätze Bezug); § 495a ZPO (Verfahren nach billigem Ermessen wenn Streitwert unter 600 Euro); fakultative mdl. Verhandlung (§ 128 Abs. 3 ZPO; § 522 Abs. 1 ZPO)
Einheit der mdl. Verhandlung Def.: sämtliche Verhandlungstermine sind als Gesamtheit anzusehen
- Folge: bis zum Schluss der mdl. Verhandlung können neue Tatsachen und Beweise eingeführt werden
- Für Urteil entscheidend ist Prozessstoff zum Zeitpunkt der letzten mdl. Verhandlung
- Urteil muss von dem Richter gefällt werden, der dem letzten mdl. Verhandlungstermin beigewohnt hat (§ 309 ZPO) à Unmittelbarkeitsgrundsatz
Unmittelbarkeitsgrundsatz Def.: erkennendes (urteilendes) Gericht muss selbst verhandelt haben
- Mdl. Verhandlung (§ 128 ZPO) und Beweisaufnahme (§ 3555 Abs. 1 ZPO) vor erkennendem Gericht
- Vgl. § 309 ZPO (wer urteilt?)
- Ausnahme: Beweisaufnahme ist durch ersuchten/beauftragten Richter möglich, wenn gesetzlich vorgesehen (§§ 361, 362 ZPO);
Grundsatz der Öffentlichkeit Def.: Verhandlungen für jedermann zugänglich (§ 169 GVG)
- Gilt nicht für Akten u.Ä. (sog. Parteöffentlichkeit)
- Ausnahmen: §§ 170 ff ZPO
Rechtliches Gehör Def.: prozessuales Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK
- Kein Geheimverfahren; nur solche Tatsachen zu berücksichtigen, die vorher geäußert werden konnten; alle Anregungen der Parteien sind zur Kenntnis zu nehmen und zu beachten
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!