BVerfG: Verbot der Gründung einer Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten mit Apothekern und Ärzten verfassungswidrig
Bei Risiken und Nebenwirkungen gründen Sie eine Sozietät mit einem Arzt oder Apotheker – genau das dürfen jetzt Rechtsanwälte in Form der Partnerschaftsgesellschaft: Das BVerfG hat mit Beschluss vom 12.01.2016 – 1 BvL 6/13 das durch § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO aufgestellte Verbot der Gründung von Partnerschaftsgesellschaften von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern als verfassungswidrig und nichtig erklärt. Der Fall beinhaltet prozessual ein konkretes Normenkontrollverfahren und erfordert zudem eine saubere Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Berufsausübungsregelung i.S.d. Art. 12 Abs. 1 GG – kurzum: Sowohl für das Studium als auch die Klausur eine willkommene Aufgabenstellung.
I. Die Regelung des § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO
§ 59a Abs.1 S. 1 BRAO regelt, dass Rechtsanwälte sich nur mit einigen bestimmten, abschließend aufgezählten Angehörigen anderer Berufsgruppen zusammenschließen dürfen – enumeratio, ergo limitatio.
§ 59a Berufliche Zusammenarbeit
(1) Rechtsanwälte dürfen sich mit Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer und der Patentanwaltskammer, mit Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen der eigenen beruflichen Befugnisse verbinden. § 137 Abs. 1 Satz 2 der Strafprozessordnung und die Bestimmungen, die die Vertretung bei Gericht betreffen, stehen nicht entgegen. Rechtsanwälte, die zugleich Notar sind, dürfen eine solche Verbindung nur bezogen auf ihre anwaltliche Berufsausübung eingehen. Im Übrigen richtet sich die Verbindung mit Rechtsanwälten, die zugleich Notar sind, nach den Bestimmungen und Anforderungen des notariellen Berufsrechts.
II. Konkrete Normenkontrollverfahren, Art. 100 GG
§ 59a BRAO wurde vom BGH an das BVerfG im Wege der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG vorgelegt. Die insoweit examensrelevanten Probleme halten sich im Gegensatz zur abstrakten Normenkontrolle in Grenzen, die Lektüre des Gesetzestextes genügt insoweit – insbesondere genügen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit, vielmehr muss das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit überzeugt sein.
Die vorliegende Vorlage des BGH war insoweit zu weit gefasst, da dieser den gesamten § 59a BRAO vorgelegt hatte. Eine Vorlage ist jedoch nur möglich, soweit die Norm entscheidungserheblich ist. Dies war sie im zugrunde liegenden Fall jedoch nur im Hinblick auf die Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern und zudem nur in der Form der Partnerschaftsgesellschaft.
III. Verfassungskonformität des § 59a BRAO
Als Prüfungsmaßstab kommen Art. 12 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG in Betracht. Das BVerfG beginnt seine Prüfung mit Art. 12 Abs. 1 GG, da dies das sachnächste Grundrecht ist.
1. Art. 12 GG
Der einheitliche Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist unproblematisch eröffnet, da zu der durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten freien Berufsausübung auch die Freiheit zählt, den Beruf gemeinsam mit Angehörigen anderer Berufe auszuüben (vgl. BVerfGE 80, 269 <278>; 108, 150 <165>). Ein Sozietätsverbot greift daher in die Freiheit der Berufsausübung ein (vgl. BVerfGE 80, 269 <278>). Ob es einen „hinreichenden Bedarf“ für derartige Partnerschaften gibt – man mag sich fragen, warum ein Rechtsanwalt mit einem Apothekern koopieren möchte – ist für den Schutz der Berufsfreiheit unerheblich.
Ein Eingriff liegt durch die berufsregelnde Maßnahme der Beschränkung auf die Zusammenarbeit mit nur einigen anderen Berufsfeldern vor.
Dieser Eingriff ist nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt. In das durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit (stRspr; vgl. nur BVerfGE 7, 377 <402>; 103, 172 <183>; 135, 90 <111 Rn. 57>) darf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden (Rn. 47 des Beschlusses).
Zunächst stellt das BVerfG fest, dass mit § 59a BRAO eine solche gesetzliche Grundlage bestehe, die zudem legitimen Zwecken diene: Übergeordnet dem Funktionieren der Rechtspflege, konkretisiert durch Verschwiegenheitspflichten, die das Vertrauensverhältnis zu Mandanten absichern:
Um den Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen zu können, genügt es, wenn die vom Gesetzgeber verfolgten Gemeinwohlziele auf vernünftigen Erwägungen beruhen (stRspr; vgl. nur BVerfGE 117, 163 <182>; 123, 186 <238> m.w.N.). Diese Voraussetzung ist hier schon mit Blick auf das den geschilderten Einzelzwecken übergeordnete Allgemeininteresse an einer funktionierenden Rechtspflege zu bejahen. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte können ihre Aufgaben der Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten nur dann sachgerecht erfüllen, wenn zwischen ihnen und den Mandanten ein Vertrauensverhältnis besteht. Damit sich ein solches Vertrauen einstellen kann und erhalten bleibt, sind die anwaltlichen Grundpflichten zu beachten. Über den Schutz des individuellen Mandatsverhältnisses hinaus dient die Vorschrift aber auch dem Gemeinwohl in Gestalt einer funktionierenden Rechtspflege, die insbesondere auf die Geradlinigkeit anwaltlicher Berufsausübung angewiesen ist (vgl. BVerfGE 108, 150 <161>).
An der Geeignetheit des Verbots der Zusammenarbeit zur Förderung dieses Zwecks bestehen keine Zweifel, wohl aber hinsichtlich der Erforderlichkeit und der Angemessenheit.
Der Prüfung vorangestellt sein muss der Hinweis, dass auch Apotheker und Ärzte umfangreichen Verschwiegenheitspflichten unterliegen, etwa aus § 203 StGB. Daher verneint das BVerfG bereits die Erforderlichkeit der Regelung im Hinblick auf die Wahrung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflichten:
Aufgrund der für sie maßgeblichen Regelungen sind auch Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker gleich den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichtet. Auch die unbefugte Offenbarung eines fremden Geheimnisses ist gemäß dem Katalog des § 203 Abs. 1 StGB nicht nur für die unter Nr. 3 genannten Rechtsanwälte, sondern in gleicher Weise nach Nr. 1 für Ärzte und Apotheker strafbar.
Hinzu kommt, dass der Mandantschaft, die eine interprofessionalle Sozietät beauftragt, gerade weiß, dass Geheimnisse auch an Personen, die selbst keine Rechtsanwälte sind, weitergegeben werden können. Dieses Wissen (und Wollen) gepaart mit der auch insoweit bestehenden strafrechtlich abgesicherten Verschwiegenheitspflicht lässt das Zusammenarbeitsverbot bereits als nicht erforderlich erscheinen. Hier kann in einer Klausur gezeigt werden, dass man nicht plump auf die Angemessenheit springt, sondern bereits zuvor Lösungswege erkennt und entwickelt.
Erst in einem nächsten Schritt kann noch die Angemessenheit hinsichtlich solcher Geheimnisse geprüft werden, die den der Sozietät angehörigen Personen bekannt werden, ohne dass das Berufsgeheimnis als Arzt oder Apotheker griffe. In diesem Fall könnte die Verschwiegenheit gefährdet sein und somit letztlich auch das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandaten belastet sein. Allerdings greift auch insoweit das Argument, dass Mandanten sich regelmäßig absichtlich eine interprofessionelle Sozietät aussuchen. Zudem kann diese Konstellation nicht als solche zur Angemessenheit des Verbots führen:
Der Eingriff in die freie Berufsausübung durch das Sozietätsverbot hat erhebliches Gewicht. Gerade bei der Einschränkung der Zusammenarbeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten mit anderen Berufen zeigt sich dies in besonderem Maße; denn die begrenzte Überschaubarkeit und zunehmende Komplexität moderner Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse haben zur Folge, dass Rechtsfragen oft nicht ohne professionellen Sachverstand aus anderen Berufen ausreichend beantwortet werden können und die Nachfrage nach kombinierten interprofessionellen Dienstleistungen wächst.
Daneben sind die Gefahren für die Verschwiegenheit gering, was der Gesetzgeber mit der Erlaubnis zur Zusammenarbeit mit Steuerberatern und weiteren Gruppen in § 59a BRAO selbst zum Ausdruck bringt:
Diese zusätzliche Gefahr ist jedoch gering und kann den erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit im Ergebnis nicht rechtfertigen. Dies entspricht der vom Gesetzgeber für vergleichbare Konstellationen getroffenen Bewertung. Bei den in § 59a Abs. 1 BRAO genannten Berufen hat der Gesetzgeber solche zusätzlichen Gefährdungen nicht zugrunde gelegt und sie daher für eine gemeinsame Berufsausübung mit Rechtsanwälten zugelassen. Auch bei der Zusammenarbeit mit den hiernach als sozietätsfähig anerkannten Berufen sind aber Situationen nicht ausgeschlossen, in denen der berufsfremde Partner von Umständen Kenntnis erlangt, die zwar der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht, nicht aber seiner eigenen beruflichen Verpflichtung zur Verschwiegenheit insbesondere als Patentanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer unterfallen.
Ähnlich argumentiert das BVerfG auch hinsichtlich von Zeugnisverweigerungsrechten, da auch diese Apothekern und Ärzten zustehen. Ebenfalls sind die anwaltliche Unabhängigkeit und anwaltliche Geradlinigkeit nicht durch die Organisation in einer Partnerschaftsgesellschaft mit Apothekern und Ärzten so stark gefährdet, dass ein derartiger Eingriff verfassungskonform ist.
Möchte man die Argumentation des BVerfG also zusammenfassen, ließe sich sagen: De lege lata besteht hinsichtlich Verschwiegenheit und Zeugnisverweigerungsrechten zwischen Rechtsanwälten und Apothekern und Ärzten kein wesentlicher Unterschied. Daher sei eine Zusammenarbeit in einer Sozietät keine wesentliche Gefährdung der Vertraulichkeit der Beziehung von Rechtsanwälten und Mandanten, die einen derartigen Eingriff in die Berufsfreiheit rechtfertigen könne.
Die Vereinigungsfreiheit sowie der allgemeine Gleichheitssatz werden vom BVerfG nicht mehr geprüft, da die Regelung bereits wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG nichtig ist. Allerdings werden ähnliche Ergebnisse zu vertreten sein. Insbesondere ist die Ungleichbehandlung der Berufsgruppen Steuerberater und Apotheker/Ärzte in Anbetracht der gleichlaufenden gesetzlichen Regelungen zur Verschwiegenheit sowie Zeugnisverweigerungsrechten nicht zu rechtfertigen.
IV. Rechtsfolgen
Aus der Verfassungswidrigkeit folgt grundsätzlich die Nichtigkeit eines Gesetzes. Allerdings ist zu diskutieren, ob nicht durch den vollständigen, sofortigen Wegfall einer Regelung ein noch „verfassungswidrigerer“ Zustand entsteht (sog. Chaosgedanke). Beispielhaft ist eine Regelung im Wahlgesetz, die zwar verfassungswidrig ist (etwa das negative Stimmgewicht), jedoch der Ausfall einer Bundestagswahl in Ermangelung einges Wahlgesetzes noch viel schwerwiegender wäre. In diesen Fällen lässt das BVerfG eine verfassungswidrige Norm für einen Übergangszeitraum weiter gelten.
Dies sei jedoch bei dem hier vorliegenden Verbot kein Problem – Rechtsanwälte können fortan schlichtweg mit Apothekern und Ärzten kooperieren:
Die teilweise Nichtigkeit der Verbotsnorm bedeutet angesichts der Garantie der freien Berufsausübung nichts anderes als die Zulässigkeit der genannten interprofessionellen Zusammenarbeit, ohne dass hiermit Komplikationen einhergehen würden. Diese Rechtswirkungen der teilweisen Nichtigerklärung schaffen insbesondere keine Unsicherheit über die Rechtslage zulasten der Behörden und der Rechtsunterworfenen.
Hier scheint es sich das BVerfG etwas einfach zu machen: Wie oben dargestellt beschränkt es seine Entscheidung auf die Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern. Zugleich erkennt es aber die Auslegung des BGH an, dass § 59 Abs. 1 BRAO abschließend ist. Wie soll bei Aufrechterhaltung des grundsätzlichen Verbots der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen die nicht genannten Apotheker und Ärzte nun in § 59 Abs. 1 BRAO einbezogen werden – qua Analogie? Ansonsten bliebe nur der vollständige Wegfall der Regelung, den das BVerfG aber durch Beschränkung seiner Prüfung gerade vermeiden möchte („insoweit nichtig“). In der Praxis wird man wohl, wie es das BVerfG auch andeutet, einfach von der Zulässigkeit von Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Apothekern/Ärzten ausgehen – unabhängig von der rechtlichen Handhabung.
Mal wieder eine kritische Anmerkung:
zumindest Arzt und RA können Berufe mit typischerweise spezifischen Vertrauensverhältnissen zu Dritten sein. Das Urteil besagt jetzt scheinbar sinngemäß, die spezifischen Vertrauensverhältnisse seien hier einerlei für alle gleich. Das setzte allerdings die Gewährleistung von jeweils hinreichend weiten Kenntnissen voraus: es müsste hinreichend sicher zu gewährleisten sein, dass ein Arzt weiß, wie weit anwaltliche Vertrauensbeziehungen reichen und umgekehrt. Ein Arzt müsste über jede Mandantschaft und die Weite des Vertrauensverhältnisses hinreichend informiert sein, um sich nicht etwa fahrlässig „zu verplappern“ und das Vertrauensverhältnis zu verletzen. Umgekehrt ein RA. Das könnte wechselseitig belasten. Das soll nicht allein auf die strafrechtliche Verschwiegenheitspflichten bezogen sein. Soweit man eine Kooperation erleichtert, ohne dass dies hinreichend gesichert scheint, kann man gewissermaßen einem möglichen pflichtwidrigen Vertrauensbruch und damit einer Rechtswidrigkeit Vorschub leisten. Vor diesem Hintergund könnte eine Kooperationserleichterung nicht absolut unproblematsich scheinen. Ein Verbot könnte m.E. noch vernünftig verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sein. Eine Aufhebung des Verbotes im Wege einer gerichtlichen Normenkontrolle könnte nach dem gewaltenteilungsprinzip nur zulässig sein, soweit zwingend geboten, was hier danach noch zweifelhaft scheinen könnte.