Entscheidungen, die gleichermaßen juristisch wie gesellschaftlich relevant sind, sind selten. Häufig wird eine examensrelevante Rechtsprechung bei nichtjuristischen Adressaten auf ein müdes Gähnen stoßen. Anders bei dem Fall, den der Bundesgerichtshof heute am 4.5.2016 entscheiden hat (Az. XII ZR 62/15): Es ging dabei um die Frage, wann ein Fitnessstudiovertrag außerordentlich gekündigt werden könne. Dabei werden auch noch weitere Probleme rund um das Fitnessstudio relevant.
I. Sachverhalt
Dem lag folgende Fallgestaltung zugrunde:
Die Parteien schlossen im Jahr 2010 einen Vertrag über die Nutzung des Fitnessstudios in Hannover für einen Zeitraum von 24 Monaten ab dem 1. August 2010. Sie vereinbarten ein monatliches Nutzungsentgelt von 65 Euro zuzüglich einer – zweimal im Jahr fälligen – Pauschale von 69,90 Euro für ein „Trainingspaket“. Ferner enthält der Vertrag eine Verlängerungsklausel um jeweils zwölf Monate für den Fall, dass er nicht bis zu drei Monate vor Ablauf gekündigt wird.
Im Oktober 2013 wurde der bis dahin in Hannover lebende Beklagte zum Soldaten auf Zeit ernannt. Ab diesem Zeitpunkt zahlte er keine Mitgliedsbeiträge mehr. Am 5. November 2013 kündigte er den Fitnessstudiovertrag. Als Soldat wurde er für die Zeit von Oktober bis Dezember 2013 nach Köln und für die Zeit von Januar bis Mai 2014 nach Kiel abkommandiert; seit Juni 2014 ist er in Rostock stationiert.
Das Fitnessstudio verlangte nun die Mitgliedsbeiträge für den Zeitraum Oktober 2013 bis Juli 2014.
II. Rechtliche Würdigung
Der Anspruch ist davon abhängig, ob in dem streitigen Zeitraum der Vertrag weiter bestanden hat.
a) Vertrag
An sich besteht ein solcher Anspruch durch die automatische Verlängerung des Vertrags. Beim Fitnessvertrag handelt es sich im Grundsatz um einen typengemischten Vertrag mit maßgeblichen Elementen des Mietvertrags (Palandt/Weidenkaff, vor § 535, Rn. 36) und des Dienstvertrags, wobei die mietvertraglichen Elemente im Regelfall überwiegen. Aus diesem Grund sieht auch die Rechtsprechung diesen Vertrag als einen Mietvertrag an (BGH NJW 2012, 1431):
Der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag über die Nutzung des von der Klägerin betriebenen Fitnessstudios ist als ein Gebrauchsüberlassungsvertrag zu qualifizieren […]. Zwar wird teilweise die Auffassung vertreten, der Vertrag über die Nutzung eines Fitnessstudios sei als typengemischter Vertrag zu qualifizieren, der neben mietvertraglichen auch dienstvertragliche Elemente enthalte, weil der Betreiber des Studios nicht nur die Nutzung der Räumlichkeiten und der bereitgestellten Sportgeräte schulde, sondern sich auch zur Erbringung weiterer Leistungen wie etwa die Einweisung des Kunden in den Gebrauch der Geräte, ihn zu beraten und zu beaufsichtigen, verpflichte (vgl. Graf von Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke [Stand: 2011], Fitness- und Sportstudiovertrag, Rn. 1; Christensen in Ulmer/Brandner/Hensen AGB-Recht, 11. Aufl., Teil 2 [Sportstudioverträge], Rn. 1; Damman in Wolf/Lindacher/Pfeiffer AGB-Recht, 5. Aufl., Klauseln [Fitnessstudiovertrag], F 21; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 55; OLG Celle NJW-RR 1995, 370, 371; OLG Hamm NJW-RR 1992, 242)
Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht jedoch besondere Verpflichtungen der Klägerin mit dienstvertraglichem Charakter nicht festgestellt. Nach dem Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages ist der Beklagte lediglich zur Nutzung der Geräte und der Räumlichkeiten der Klägerin berechtigt. Weitere Verpflichtungen der Klägerin, etwa zu Unterrichts- oder anderen Dienstleistungen, sieht der Vertrag nicht vor. Soweit für die Nutzung der Geräte im Einzelfall eine Einweisung durch die Klägerin oder ihre Mitarbeiter erforderlich sein sollte, schuldet sie diese als bloße vertragliche Nebenleistungen (vgl. OLG Frankfurt OLGR 1995, 38, 39 mwN; aA OLG Hamm NJW-RR 1992, 242, 243). Wesentlicher Inhalt des Vertrages ist daher das Zurverfügungstellen der Fitnessgeräte und die Nutzung der Räumlichkeiten des Fitness-Studios, sodass jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall der Vertrag über die Nutzung des Fitness-Studios der Klägerin als reiner Mietvertrag einzustufen ist.
Auch hier lässt zumindest der Sachverhalt eine entsprechende Klassifizierung nicht zu. Sowohl die Erstlaufzeit von 24 Monaten als auch die Verlängerung ist hier aus Sicht der Rechtsprechung zulässig. Fraglich ist dabei, ob die Grenze des § 309 Nr. 9 BGB hier greift. Die Norm gilt an sich nicht für Miet- sondern allein für Dienstleistungsverträge. Die Rechtsprechung geht hier aber gerade von einem Mietvertrag aus. Dennoch wendet sie die Wertung dieser Regelung jedenfalls mittelbar bei einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB an. Ein Verstoß liegt im konkreten Fall aber nicht vor (BGH NJW 2012, 1431):
Diese in § 309 Nr. 9 lit. a BGB zum Ausdruck gekommene Regelungsabsicht des Gesetzgebers ist auch bei der nach § 307 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen, ob durch eine vorformulierte Laufzeitklausel eine unangemessene Benachteiligung des Kunden gegeben ist. Das schließt zwar nicht aus, dass eine Klausel, die nach ihrem Regelungsgehalt in den Anwendungsbereich der Klauselverbote fällt, mit den in Betracht kommenden Einzelverboten aber nicht kollidiert, nach der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB unwirksam sein kann (vgl. Senatsurteil vom 4. Dezember 1996 – XII ZR 193/95 – NJW 1997, 739, 740). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich die unangemessene Benachteiligung des Kunden nicht allein aus den Nachteilen einer langfristigen Vertragsbindung ergibt, die der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 309 Ziff. 9 BGB im Blick hatte. Da es unzulässig ist, aufgrund allgemeiner Überlegungen, die sich nicht aus den Besonderheiten gerade des zu beurteilenden Vertrages ergeben, über die Generalklausel die gesetzgeberische Regelungsabsicht geradezu „auf den Kopf zu stellen“ (Senatsurteil vom 4. Dezember 1996 – XII ZR 193/95 – NJW 1997, 739, 740), muss sich die Unangemessenheit einer Laufzeitklausel aus besonderen, von der Verbotsnorm nicht erfassten Gründen ergeben.
Damit lag ein wirksamer Vertrag vor.
Achtung: Bei der Prüfung des § 309 Nr. 9a BGB sollte eine Besonderheit bekannt sein. Das Gesetzt fordert eine maximale Bindung von 24 Monaten. Die Frist beginnt dabei mit dem Abschluss des Vertrages, da hier schon eine Bindung vorliegen soll, nicht also erst mit der erstmaligen Leistungserbringung (BGHZ 122, 63 = NJW 1993, 1651). Nicht mitgezählt wird dagegen eine Probezeit, da hier keine Bindung vorliegt (BGHZ 120, 108 = NJW 1993, 326 (327 f.).
b) Kündigung des Vertrags
Fraglich bleibt daher allein, ob eine Kündigung des Vertrags vorgelegen hat. Grundsätzlich kann ein Dauerschuldverhältnis außerordentlich aus wichtigen Gründen gekündigt werden. Diese Wertung bestätigen die speziellen Normen der §§ 543 Abs. 1 BGB und 626 Abs. 1 BGB sowie die allgemeine Regelung in § 314 Abs. 1 BGB. Stets wird auf einen wichtigen Grund zur Kündigung abgestellt. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Dies verneinte der BGH nun. Das Gericht begründete dies damit, dass die Änderungen der Umstände hier in der Risikosphäre des Kunden lägen und dies entscheidend zu beachten ist:
Allerdings trägt der Kunde grundsätzlich das Risiko, die vereinbarte Leistung des Vertragspartners aufgrund einer Veränderung seiner persönlichen Verhältnisse nicht mehr nutzen zu können. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ihm aus Gründen, die er nicht beeinflussen kann, eine weitere Nutzung der Leistungen des anderen Vertragspartners nicht mehr zumutbar ist.
Der BGH tätigt daher die Aussage, dass eine Veränderung der persönlichen Verhältnisse im Regelfall keinen wichtigen Grund darstellt, eben weil man dies beeinflussen könne. Das Gericht zählt hiernach Gründe auf, bei denen abweichendes gelten sollte. Ein Wohnsitzwechsel genügt aber nie:
Bei einem Vertrag über die Nutzung eines Fitnessstudios kann ein solcher – nicht in seinen Verantwortungsbereich fallender – Umstand etwa in einer die Nutzung ausschließenden Erkrankung gesehen werden. Ebenso kann eine Schwangerschaft die weitere Nutzung der Leistungen des Studiobetreibers bis zum Ende der vereinbarten Vertragslaufzeit unzumutbar machen. Ein Wohnsitzwechsel stellt dagegen grundsätzlich keinen wichtigen Grund i.S.v. §§ 314 Abs. 1 BGB, 543 Abs. 1 BGB, 626 Abs. 1 BGB BGB für eine außerordentliche Kündigung eines Fitnessstudiovertrags dar. Die Gründe für einen Wohnsitzwechsel – sei er auch berufs- oder familienbedingt – liegen in aller Regel allein in der Sphäre des Kunden und sind von ihm beeinflussbar.
Zuletzt prüft das Gericht eine analoge Anwendung des § 46 Abs. 8 Satz 3 TKG, die dem Nutzer einer Telekommunikations-Leistung (etwa DSL) ein Sonderkündigungsrecht unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten einräumt, wenn die Leistung am neuen Wohnsitz nicht angeboten wird. Deren Anwendung wird aber hier abgelehnt.
III. Bewertung
Die Entscheidung mag im ersten Moment überraschen und zu hart erscheinen, juristisch überzeugt sie aber. Die Tatsache, dass ein Wohnsitzwechsel grundsätzlich bewusst herbeigeführt wird, vermag im Regelfall einen wichtigen Grund entfallen zu lassen. Allenfalls in atypischen Konstellationen scheint ein anderes Ergebnis denkbar. Auch hier wäre die wohl zu erwägen gewesen, da der besonderen Situation des Soldaten Rechnung getragen werden könnte. Insgesamt aber ein Urteil, das überzeugt.
Für eine Klausur ist es gerade auch durch seine Verknüpfung mit der AGB-Kontrolle perfekt geeignet und bietet Prüfungskandidaten eine Vielzahl von Möglichkeiten sich juristisch auszuzeichnen.
Für den nächsten Besuch im Fitnessstudio seid ihr damit auf jeden Fall gerüstet.