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Schlagwortarchiv für: Schwere Folge

Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Versuch der Erfolgsqualifikation

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

Mit Urteil vom 12.08.2021 (Az.: 3 StR 415/20) hat sich der BGH wieder einmal zur klausur- und examensrelevanten Konstellation des Versuchs bei erfolgsqualifizierten Delikten geäußert. Dabei hat der BGH klargestellt, dass ein Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts – konkret: der Brandstiftung mit Todesfolge gemäß § 306c StGB – auch dann gegeben sein kann, wenn das Grunddelikt im Versuchsstadium stecken bleibt und auch die gewollte schwere Folge nicht eintritt. Die Entscheidung soll zum Anlass genommen werden, sich die verschiedenen Varianten des Versuchs beim erfolgsqualifizierten Delikt (erfolgsqualifizierter Versuch vs. Versuch der Erfolgsqualifikation) noch einmal zu vergegenwärtigen. Ihre sichere Kenntnis und Unterscheidung sind nicht nur für Examenskandidaten, sondern bereits für Studierende unterer Semester unerlässlich.
 
A) Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Der Täter (T) warf nachts das Schlafzimmerfenster des schlafenden Opfers (O) ein, um durch die so entstandene Öffnung einen sogenannten Molotowcocktail – eine mit Benzin gefüllte Glasflasche, versehen mit einer angezündeten Lunte – hineinzuwerfen. Dabei hielt T es für möglich und nahm billigend in Kauf, hierdurch einen Brand auszulösen, der wesentliche Gebäudeteile erfasst und den schlafenden O oder andere Bewohner des Mehrfamilienhauses zu Tode bringt. Wider Erwarten erlosch die Flamme jedoch kurz nach dem Hineinwerfen, bevor sich das Benzin entzünden konnte.
 
B) Rechtsausführungen
Der BGH sah hierin – wie auch das LG Mönchengladbach als Vorinstanz – unter anderem einen versuchten Mord gemäß §§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 und 3, 22, 23 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit einer versuchten schweren Brandstiftung mit Todesfolge gemäß §§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB.
Da sich bei der Prüfung des versuchten Mordes vorliegend keine Besonderheiten ergeben, soll sich die hiesige Darstellung auf die Besonderheiten der versuchten schweren Brandstiftung mit Todesfolge beschränken. Freilich müsste in einer entsprechenden Klausur auch eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Mordklassikern – Heimtücke bei Schlafenden und der Gemeingefährlichkeit des Inbrandsetzens – erfolgen.
 
I. Was ein erfolgsqualifiziertes Delikt kennzeichnet
Bei § 306c StGB handelt es sich um ein sogenanntes erfolgsqualifiziertes Delikt. Erfolgsqualifizierte Delikte sind in § 18 StGB erwähnt und beschreiben Fälle, in denen ein auch für sich allein betrachtet strafbares Vorsatzdelikt dadurch qualifiziert wird, dass durch die Tat zumindest fahrlässig ein im Gesetz näher beschriebener besonderer Erfolg (zurechenbar) verursacht wird (BeckOK StGB/Kudlich, 50. Ed. 1.5.2021, § 18 StGB Rn. 3). Im hiesigen Fall kommen als Grunddelikte die §§ 306-306b StGB in Betracht; die schwere Folge ist der durch die Brandstiftung verursachte Tod eines anderen Menschen.
Weitere klausurrelevante Beispiele für erfolgsqualifizierte Delikte finden sich in § 227 StGB (Körperverletzung mit Todesfolge) und § 251 StGB (Raub mit Todesfolge).
 
II. Strafbarkeit des Versuchs bei erfolgsqualifizierten Delikten
Dass bei erfolgsqualifizierten Delikten auch der Versuch strafbar sein kann, folgt aus §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 2 StGB. Alle Erfolgsqualifikationen im derzeitigen Strafrecht sind Verbrechen, weshalb ihr Versuch stets strafbar ist. Ferner kennzeichnet den Versuch der auf die Verwirklichung eines Tatbestandes gerichtete Tatentschluss, d.h. der Täter muss Vorsatz in Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale haben sowie etwaige subjektive Tatbestandsmerkmale aufweisen. § 11 Abs. 2 StGB bestimmt nun, dass eine Tat auch dann als vorsätzlich zu qualifizieren ist, wenn sie einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, der hinsichtlich der Handlung Vorsatz voraussetzt und hinsichtlich einer dadurch verursachten besonderen Folge Fahrlässigkeit ausreichen lässt. Dies beschreibt genau den Fall erfolgsqualifizierter Delikte. Daraus folgt, dass erfolgsqualifizierte Delikte als Vorsatzdelikte anzusehen sind und damit grundsätzlich im Versuch verwirklicht werden können.
 
III. Mögliche Versuchsvarianten
Denkbar sind grundsätzlich zwei Formen des Versuchs: der erfolgsqualifizierte Versuch und der Versuch der Erfolgsqualifikation.
1. Der erfolgsqualifizierte Versuch liegt vor, wenn die Verwirklichung des Grunddelikts im Versuchsstadium bleibt, die schwere Folge aber trotzdem eintritt. Dabei ist zum einen entscheidend, dass sich im Eintritt der schweren Folge die spezifische Gefahr des Grunddelikts realisiert. Zum anderen muss dem Täter in Bezug auf den Eintritt der schweren Folge wenigstens ein Fahrlässigkeits- (wie in § 227 Abs. 1 i.V.m. § 18 StGB) oder Leichtfertigkeitsvorwurf (etwa in § 251 StGB) zur Last zu legen sein.
Lesenswert ist hierzu der prominente Gubener Hetzjagd-Fall des BGH (Urt. v. 09.10.2002 – 5 StR 42/02, NStZ 2003, 149).
 
2. In Abgrenzung hierzu ist ein Versuch der Erfolgsqualifikation gegeben, wenn das Grunddelikt verwirklicht wird, die vom Täter billigend in Kauf genommene oder sogar beabsichtigte schwere Folge aber nicht eintritt. Diese Variante ist deshalb anzuerkennen, weil die schwere Folge zwar gemäß § 18 StGB „wenigstens“ fahrlässig verursacht werden muss, erst recht aber vorsätzlich herbeigeführt werden kann (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 20.10.1992 – GSSt 1/92, BGHSt 39, 100). Ein Beispiel macht es deutlich: Ein Versuch des § 251 StGB liegt vor, wenn der Täter mit Gewalt gegen eine Person dieser eine fremde bewegliche Sache mit Zueignungsabsicht wegnimmt und dabei billigend in Kauf nimmt, hierdurch den Tod der – letztlich überlebenden – Person zu verursachen.
Achtung: Der Versuch der Erfolgsqualifikation ist in der Klausur dann unerheblich und nicht ausführlich zu thematisieren, wenn die gewollte schwere Folge ihrerseits einen selbständig im Versuch verwirklichten Tatbestand darstellt. Denn dann wird der Versuch der Erfolgsqualifikation auf Konkurrenzebene verdrängt. Dies gilt etwa für § 227 StGB: Schießt der Täter auf das Opfer, um es zu töten, verletzt es aber nur, liegt eine verwirklichte gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor. Daneben ist grundsätzlich ein versuchter § 227 StGB (in Form des Versuchs der Erfolgsqualifikation) gegeben sowie ein versuchter Totschlag nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Da das Unrecht der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge vollständig vom versuchten Totschlag erfasst wird, bleibt allein letzterer (in Tateinheit mit der gefährlichen Körperverletzung) bei der Gesamtstrafbarkeit stehen. In einem solchen Fall in der Klausur bei § 227 StGB „ein Fass aufzumachen“, stellt eine verfehlte Schwerpunktsetzung dar.
 
IV. Die der Entscheidung zugrunde liegende Konstellation: ein Unterfall des Versuchs der Erfolgsqualifikation
Diese allgemeinen Grundsätze zugrunde legend wird offenbar, dass der hiesige Fall zunächst auf keine der beiden Konstellationen so eindeutig passen mag: Weder das Grunddelikt ist voll verwirklicht noch die schwere Folge eingetreten. Dass jedoch auch der Fall, in dem das Grunddelikt lediglich versucht und die schwere Folge nur gewollt ist, eine Variante des Versuchs der Erfolgsqualifikation darstellt, hat der BGH unmissverständlich klargestellt:

„Diese kann als Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts auch dadurch verwirklicht werden, dass der Täter zum Grunddelikt unmittelbar ansetzt, wobei er die schwere Folge beabsichtigt oder billigend in Kauf nimmt, hinsichtlich beider Tatbestände aber nicht zur Vollendung gelangt. Weder die Inbrandsetzung oder die durch die Brandlegung bewirkte – zumindest teilweise – Zerstörung noch der Tod müssen eingetreten sein.“ (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 7)

Der BGH argumentiert dabei wie folgt: 
1. Eine solche Annahme ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 22 StGB in Verbindung mit den jeweiligen erfolgsqualifizierten Delikten: „Wer die Ausführung des Grunddelikts versucht und dabei zudem Vorsatz in Bezug auf die Herbeiführung der schweren Folge hat, setzt nach seiner Vorstellung von der Tat sowohl unmittelbar zum Grunddelikt als auch zur Verursachung der schweren Folge an.“ (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 11)
2. Systematische Erwägungen stützen dieses Verständnis: Wie dargelegt, sind erfolgsqualifizierte Delikte wegen § 11 Abs. 2 StGB insgesamt als Vorsatzdelikte einzuordnen. Dies hat zur Konsequenz, dass die allgemeinen Vorschriften zum Versuch Anwendung finden. Diese allgemeinen Vorschriften setzen jedoch nicht voraus, dass der Täter irgendein Tatbestandsmerkmal objektiv verwirklichen muss, sondern nur, dass er nach seiner Vorstellung von der Tat hierzu unmittelbar ansetzt. Auf dieser Grundlage wäre es nach Ansicht des BGH nicht gerechtfertigt, für den Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts stets die Vollendung des Grundtatbestands (dann Versuch der Erfolgsqualifikation) oder den Eintritt der schweren Folge (dann erfolgsqualifizierter Versuch) zu verlangen (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 12).
3. Schließlich sprechen auch der Sinn und Zweck des relevanten Normgefüges für eine solche Annahme: Wie die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs zeigt, liegt der Grund für die Versuchsstrafbarkeit die in den Vorstellungen des Täters liegende Gefährlichkeit seines Tuns (sog. subjektive Versuchstheorie, vgl. etwa BGH, Urt. v. 29. 04.1958 – 5 StR 28/58, BGHSt 11, 324, 326 f.). Dieser subjektive Handlungsunwert tritt bei demjenigen, der mit seinem Verhalten die Verwirklichung des Grunddelikts und den Eintritt der hierin angelegten schweren Folge anstrebt, unabhängig davon zutage, ob er das Grunddelikt nur versucht oder vollendet. Ein wie auch immer gearteter objektiver Erfolgsunwert ist beim Versuch nicht gefordert. Ebenso wenig ist maßgeblich, ob und inwieweit Teilabschnitte des erfolgsqualifizierten Delikts verwirklicht sind. Hieraus schließt der BGH, dass auch derjenige wegen des Versuchs eines erfolgsqualifizierten Delikts zu bestrafen ist, der Grunddelikt und Qualifikation intendiert und an beiden Zielen scheitert (BGH, Urt. v. 12.08.2021 – 3 StR 415/20, BeckRS 2021, 33213 Rn. 13).
Damit hat sich T im hiesigen Fall nicht nur nach §§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 1 und 3, 22, 23 Abs. 1 StGB, sondern auch nach §§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
 
C) Fazit
Zusammenfassend gilt: Der Versuch kann bei erfolgsqualifizierten Delikten als erfolgsqualifizierter Versuch oder als Versuch der Erfolgsqualifikation vorliegen. Letztere Variante besteht aber nicht nur in dem Fall, in dem das Grunddelikt voll verwirklicht und die – nicht eingetretene – schwere Folge jedenfalls billigend in Kauf genommen wird. Vielmehr ist ein Versuch der Erfolgsqualifikation wie im vorliegenden Sachverhalt auch dann anzunehmen, wenn das Grunddelikt nur versucht ist, der Vorsatz des Täters aber auch auf die Herbeiführung der schweren Folge gerichtet war. Dass dies konsequent ist, folgt aus dem Wortlaut des § 22 StGB, der Systematik des Gesetzes und dem Sinn und Zweck der Versuchsvorschriften, die in den Vorstellungen des Täters liegende Gefährlichkeit seines Tuns zu sanktionieren.
 

23.11.2021/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2021-11-23 08:22:092021-11-23 08:22:09BGH: Neues zum Versuch der Erfolgsqualifikation
Gastautor

BGH: Dauerhaftigkeit des Verlustes der Gebrauchsfähigkeit eines Körperglieds: Wie wirkt sich das Unterlassen fehlender medizinischer Nachsorge des Tatopfers auf die Strafbarkeit gem. § 226 I Nr. 2 StGB aus?

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht BT

Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Hüveyda Yilmaz veröffentlichen zu können. Die Autorin hat als Stipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin studiert und dort während ihres Studiums als studentische Mitarbeiterin an einem strafrechtlich-kriminoligischen Lehrstuhl gearbeitet.
 
I. Einleitung 
Körperverletzungsdelikte spielen in juristischen Examensarbeiten sowie in mündlichen Prüfungen eine große Rolle. Auch § 226 StGB kann im Examen Prüfungsgegenstand sein und sollte in der Vorbereitung nicht vernachlässigt werden. Folgende BGH-Entscheidung (BGH, Urt. v. 7.2.2017 – 5 StR 483/ 16, NJW 2017, 1763) könnte etwa Grundlage einer Prüfung innerhalb der Körperverletzungsdelikte sein. Der BGH geht in der Entscheidung u. a. auf die Frage ein, wie es sich auf die Strafbarkeit gem. § 226 I Nr. 2 StGB auswirkt, wenn das Tatopfer notwendige medizinische Nachsorge nicht vorgenommen hat und so zumindest teilweise die dauernde Gebrauchsunfähigkeit eines wichtigen Körpergliedes mit verursachte. Wie der BGH diese Frage bezogen auf den erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge entschied, soll im Folgenden dargestellt werden.
II. Sachverhalt
Dem Urteil lag folgender (vereinfachter) Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte A und der Nebenkläger N bewohnten ein Zimmer in einem Asylbewerberheim. Weil A der Freundin des N nachstellte, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen ihnen und N zog aus. Am Tattag begab sich N in das Zimmer des A, um sein Antennenkabel mitzunehmen. Daraus entstand eine verbale Auseinandersetzung, die sich zu einer körperlichen zuspitzte: N schlug dem A ins Gesicht, woraufhin A mit einer Fernbedienung auf den Mund des N zurückschlug. Als beide getrennt wurden und N schon gehen wollte, ergriff A ein Messer und schlug mehrere Male in Richtung des Kopfes und Halses des N. Dieser hob zur Abwehr seine Hände über den Kopf und wurde durch das Messer verletzt. N zog sich Schnittverletzungen an der linken Hand zu. Wegen einer lebensgefährlichen Schlagaderverletzung musste er sich auch einer Notoperation unterziehen. Seitdem ist seine linke Hand nahezu unbrauchbar. Teilweise ist diese Bewegungseinschränkung darauf zurückzuführen, dass der N auf medizinisch notwendige Nachsorge verzichtete. Bei ordnungsgemäßer Nachsorge wäre die Einschränkung der Bewegungsmöglichkeit deutlich geringer.
III. Problemaufriss
Die schwere Körperverletzung nach § 226 I StGB ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt (Fischer, StGB 64. Aufl., § 226 I Rn. 2, 3). Bezogen auf die schwere Folge ist kein Vorsatz, jedoch Fahrlässigkeit erforderlich (vgl. § 18 StGB). Bei dem erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt und der schweren Folge reicht eine reine Kausalitätsbeziehung nicht aus. Vielmehr ist ein sog. objektiver Zurechnungszusammenhang notwendig (Anm. Grünewald, NJW 2017, 1765). Dass die linke Hand ein wichtiges Glied i. S. d. § 226 I Nr. 2 StGB ist, das dauernd gebrauchsunfähig geworden ist, müsste in einer Examensarbeit zunächst definiert und sauber subsumiert werden. Hier liegt der Problemschwerpunkt jedoch auf der Frage des Zurechnungszusammenhangs. Ob der Zurechnungszusammenhang durch die fehlende Inanspruchnahme medizinischer Nachsorge entfällt oder weiterhin aufrechterhalten werden kann, wurde folgendermaßen vom BGH entschieden:
IV. Lösung des BGH
Der BGH geht davon aus, dass (dem zugrundeliegenden Sachverhalt nach) auch im Falle einer Nichtvornahme medizinischer Nachsorge der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Grunddelikt und der schweren Folge vorliegt. Begründet wird dies unter anderem dadurch, dass der Täter zumindest mitkausal für die schwere Folge sei und die schwere Folge auch vorhersehbar wäre. Die vorhersehbare Dauerhaftigkeit des Funktionsverlustes der linken Hand beruhe auf der Verletzungshandlung des Angeklagten. Hierbei sei nicht notwendig, dass die Körperverletzung die ausschließliche Ursache des nicht wiedergutzumachenden Schadens ist. Der Umstand, dass die fehlende Nachsorge nicht vorgenommen worden sei, ändere nichts an der Vorhersehbarkeit.
Weiterhin führt er aus:

„Das im Anwendungsbereich des § 226 StGB ohnehin stets außerordentlich schwer getroffene Opfer wird – hier nicht gegebene extrem gelagerte Konstellationen etwa der Böswilligkeit ausgenommen – in aller Regel aus Tätersicht nicht zu hinterfragende Gründe haben, weitere Behandlungen nicht auf sich zu nehmen, selbst wenn diese nach ärztlicher Beurteilung sinnvoll wären.“

Ebenso werden Motive seitens des Opfers aufgegriffen, wie etwa Furcht vor (Folge-)Operation und damit verbundenen Risiken und Leiden und zugunsten des Opfers gewertet:

„Es würde jeglichem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen, über den Gedanken der Zurechnung eine Art Obliegenheit des Opfers zu konstruieren, sich ungeachtet dessen aus übergeordneter Sicht zumutbaren (Folge-) Operationen und andere beschwerlichen Heilmaßnahmen zu unterziehen, um dem Täter eine höhere Strafe zu ersparen. Darüber hinaus würde dem irreversibel geschädigten Opfer gegebenenfalls durch Gerichtsurteil bescheinigt, es sei gar nicht auf Dauer beeinträchtigt.“

Auch sei nicht ersichtlich, das Kriterium der Zumutbarkeit als Gradmesser heranzuziehen. Die Zumutbarkeitsbetrachtung würde beispielsweise bei der Heranziehung der Finanzierbarkeit (der Folgemaßnahmen) zu einer Entscheidung führen, die endgültig zu zufälligen Ergebnissen führen könnte.
V. Lösungsansätze in der Literatur
In der Literatur wird hingegen vertreten, dass die Dauerhaftigkeit der schweren Folge dem Täter dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn die medizinische Nachsorge bzw. die Beseitigung der schweren Folge oder auch Abmilderung dem Opfer machbar oder zumutbar gewesen wäre (vgl. etwa MüKoStGB/Hardtung, 2. Aufl., § 226 Rn. 42). Dies wird anhand einer wertenden Abwägung vorgenommen, bei dieser auch Kriterien der Erfolgsaussichten der Operation, Risiken und auch Finanzierbarkeit der Nachsorge eine Rolle spielen (Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 18. Aufl., § 15 Rn. 23). Bei der Beurteilung der zugrundeliegenden Frage können aber auch allgemeine Zurechnungsregeln mit einbezogen werden (vgl. Urteilsanmerkung Grünewald, NJW 2017, 1765). Gegen den Zurechnungszusammenhang in diesem Falle spräche, dass ärztliche Konsultationen zu keinem Risiko und auch zu keiner Überforderung des Tatopfers führen und daher dem Tatopfer zumutbar seien (Eisele, JuS 2017, 894). Der BGH hingegen wendet gegen diese wertenden Kriterien und Faktoren ein, dass sie geeignet seien, gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG zu verstoßen. In Anbetracht der Tatsache, dass wertende Kriterien (wie etwa eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls im Bereich der Vorsatzermittlung) im Strafrecht häufig Gegenstand der Normsubsumtion sind, müsste dies konsequenterweise auch in anderen Kontexten eine Gefährdung des Bestimmtheitsgebots zur Folge haben (hierzu Eisele, JuS 2017, 895).
VI. Fazit
Wie in anderen Examensarbeiten in der ersten juristischen Prüfung können bei guter Begründung beide Ansichten vertreten werden. Auch wenn die Entscheidung vorher nicht bekannt war, ist mit allgemeiner strafrechtlicher Argumentation (etwa mit der Heranziehung von Zumutbarkeitserwägungen oder wertende Kriterien bzw. Opfermitverantwortlichkeit) die richtige Handhabung der Problematik möglich.

13.11.2017/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2017-11-13 10:00:452017-11-13 10:00:45BGH: Dauerhaftigkeit des Verlustes der Gebrauchsfähigkeit eines Körperglieds: Wie wirkt sich das Unterlassen fehlender medizinischer Nachsorge des Tatopfers auf die Strafbarkeit gem. § 226 I Nr. 2 StGB aus?

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