Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Marie-Lou Merhi veröffentlichen zu können. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften im sechsten Semester an der Universität Bonn
Mit der examensrelevanten Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Grundstückseigentümer von seinem Nachbarn wegen Überwuchses Zahlungsansprüche geltend machen kann, musste sich jüngst der BGH (Az. V ZR 67/22, BeckRS 2023, 9519) beschäftigen. Besonders interessant ist dabei die Frage, inwieweit § 281 BGB auf den dinglichen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB Anwendung findet.
I. Sachverhalt
Der Kläger und der Beklagte sind Nachbarn. Unweit der gemeinsamen Grundstücksgrenze stand auf dem Grundstück des Beklagten eine Pappel, deren Wurzeln in das Grundstück des Klägers hineinwuchsen und dort Wurzelbrut bildeten. Dadurch wurden die Pflastersteine in der Garageneinfahrt des Klägers angehoben. Trotz einer Aufforderung und Fristsetzung durch den Kläger weigerte sich der Beklagte, die Pappel zu fällen oder die eingedrungenen Wurzeln zu beseitigen. Der Beklagte lehnte es zudem ab, eine Vorsorge gegen künftige Beeinträchtigungen zu treffen, beispielsweise durch Einbau einer Wurzelsperre. Erst während des Prozesses erklärte sich der Beklagte unter Vorbehalt einer behördlichen Genehmigung bereit, eine Wurzelsperre einzubauen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des BGH war weder eine Wurzelsperre eingebaut, noch hatte der Beklagte die eingedrungenen Wurzeln entfernt. Mit seiner Klage verlangt der Kläger unter anderem die Zahlung von 2.040 Euro netto nebst Zinsen für die Reparatur seines Pflasters und das Einbringen einer Wurzelsperre.
II. Die Entscheidung
Im Ausgangspunkt handelt es sich bei dem Nachbarstreit um einen Fall des Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 BGB. Das Berufungsgericht hatte zutreffend festgestellt, dass der beeinträchtigte Grundstückseigentümer von seinem Nachbarn nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB die Beseitigung der Beeinträchtigung durch die Wurzeln der Pappel verlangen kann (LG Cottbus, Urt. v. 6.4.2022 – 5 S 20/21). Nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB steht ihm zudem ein Anspruch auf Unterlassung künftiger Beeinträchtigung durch die Wurzeln zu. Die Revision war sodann auf die Frage beschränkt, ob dem Kläger Zahlungsansprüche wegen der Beeinträchtigungen durch die Wurzeln zustehen, sodass ein Anspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB nicht zu prüfen war. Auch eine Klausur könnte entsprechend beschränkt sein, ein Blick in die Aufgabenstellung ist daher dringend angeraten.
1) Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag
Zunächst kommen als Anspruchsgrundlage die Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht. Der beeinträchtige Eigentümer könnte gegen seinen Nachbarn einen Anspruch auf Kostenerstattung nach §§ 683 S. 1, 670 bzw. 684 S. 1, 818 BGB haben. Erforderlich ist, dass eine Geschäftsbesorgung durch den beeinträchtigen Eigentümer im Sinne des § 677 BGB vorliegt. Unter einer Geschäftsbesorgung ist jede Tätigkeit rechtsgeschäftlicher oder tatsächlicher Art zu verstehen (MüKoBGB/Schäfer, 9. Aufl. 2023, § 677 Rn. 39). Der Grundstückseigentümer hat die Beeinträchtigung durch die Wurzeln aber noch gar nicht selber beseitigt. Somit mangelt es an einer Geschäftsbesorgung. Dementsprechend hat der Eigentümer keinen Kostenersatzanspruch gegen seinen Nachbarn nach §§ 683 S. 1, 670 bzw. 684 S. 1, 818 BGB.
2) Anspruch aus dem Bereicherungsrecht
Dem beeinträchtigten Eigentümer könnte gegen seinen Nachbarn ein Anspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB zustehen. Dafür müsste der Nachbar allerdings etwas erlangt haben. Das erlangte Etwas kann jede Verbesserung der Vermögenslage des Bereicherungsschuldners sein (HK-BGB/Wiese, 11. Aufl. 2021, BGB § 812 Rn. 3). Der Grundstückseigentümer hat die Beseitigung der Beeinträchtigung durch die Wurzeln nicht selber vorgenommen und den Nachbarn somit nicht von seiner Beseitigungspflicht aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB befreit. Dem Eigentümer steht somit kein Anspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB gegen seinen Nachbarn zu.
3) Anspruch aus dem Deliktsrecht
Weiterhin könnte ein Schadensersatzanspruch des beeinträchtigen Eigentümers gegen seinen Nachbarn nach § 823 Abs. 1 BGB gegeben sein. Dafür müsste der Nachbar jedenfalls schuldhaft, das heißt vorsätzlich oder fahrlässig (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB) bezüglich der Eigentumsverletzung gehandelt haben. Es ist kein Vorsatz und keine Fahrlässigkeit des Nachbarn in Bezug auf den Wurzelüberwuchs ersichtlich. Ein Anspruch des Eigentümers auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.
4) Nachbarrechtlicher Ausgleichanspruch
Der beeinträchtigte Eigentümer könnte gegen seinen Nachbarn den nachbarrechtlichen Ausgleichanspruch gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog geltend machen. Das setzt nach ständiger Rechtsprechung des BGH voraus, dass der betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, die Einwirkungen nach § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden (BGH, Urt. v. 11.6.1999 – V ZR 377/98, BGHZ 142, 66; BGH, Urt. v. 21.5.2010 V ZR 10/10, BGHZ 185, 371). Dem Kläger steht ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB gegen seinen Nachbarn zu, an dessen Durchsetzung er nicht gehindert ist. Somit kann der beeinträchtigte Eigentümer keinen Zahlungsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog gegenüber seinem Nachbarn geltend machen.
5) Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung
Es kommt somit entscheidend darauf an, ob der Kläger von seinem Nachbarn Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB verlangen kann. Dafür müsste § 281 BGB auf den dinglichen Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB anwendbar sein. Entgegen einer verbreiteten Meinung in Rechtsprechung und Literatur (OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.1.2012 – 12 U 143/11, NJW 2012, 1520; MüKo/Schwab, 8. Aufl. 2020, § 812 Rn. 376), kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass eine Anwendung des § 281 BGB auf den Beseitigungsanspruch des Eigentümers nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB nach der dinglichen Natur dieses Anspruchs und seiner sachenrechtlichen Zielrichtung nicht in Betracht kommt. Dies stützt das Gericht auf folgende Erwägungen:
a) Anwendung des § 281 BGB auf § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB ist mit dem Zweck des Beseitigungsanspruchs unvereinbar
Das Ziel des dinglichen Beseitigungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Wiederherstellung des dem Eigentumsrecht entsprechenden Zustandes (sog. Rechtsverwirklichungsfunktion). Das BGB hat sich mit diesem Beseitigungsanspruch bewusst gegen das Prinzip „dulde und liquidiere“ entschieden. Dementsprechend ist es mit dem Zweck des Beseitigungsanspruchs nicht vereinbar, dem beeinträchtigten Eigentümer unabhängig von der Beseitigung der Beeinträchtigung einen Schadensersatzanspruch zuzusprechen. Bei Anwendung des § 281 BGB könnte der Eigentümer die Beeinträchtigung hinnehmen und nach der grundsätzlich erforderlichen Fristsetzung Schadensersatz statt der Leistung verlangen. Gemäß § 281 Abs. 4 BGB würde der Schadensersatzanspruch an die Stelle des Beseitigungsanspruchs treten. Demnach wäre nicht gewährleistet, dass der dem Eigentumsrecht entsprechende Zustand widerhergestellt wird. Die divergierende Zielrichtung zeigt sich zudem dadurch, dass § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB einen bereits vorhandenen Vermögensgegenstand schützt (sog. Integritätsinteresse), während der schuldrechtliche Anspruch darauf abzielt, das Vermögen des Gläubigers zu Lasten des Vermögens des Schuldners zu mehren (sog. Leistungsinteresse).
b) Gegen eine Anwendbarkeit des § 281 BGB spricht der Schuldnerschutz.
Nach § 281 Abs. 4 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, sobald der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangt. Dementsprechend würde der Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB trotz einer womöglich fortbestehenden Beeinträchtigung des Eigentümers erlöschen. Während man im Verhältnis vom beeinträchtigten Eigentümer zum Nachbarn von einer Duldungspflicht bezüglich der Beeinträchtigung ab dem Zeitpunkt des Schadensersatzverlangens ausgehen könnte, ist eine solche jedenfalls aufgrund ihrer schuldrechtlichen Natur im Fall einer Rechtsnachfolge auszuschließen. Bei einer Einzelrechtsnachfolge würde der Beseitigungsanspruch in der Person des Rechtsnachfolgers neu entstehen, sodass der Schuldner von diesem nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB auf Beseitigung in Anspruch genommen werden könnte, obwohl er bereits Schadensersatz an den Voreigentümer gezahlt hat. Vor dieser doppelten Inanspruchnahme, ist der Schuldner zu schützen.
c) Es besteht kein dringendes Bedürfnis für die Anwendung des § 281 BGB.
Das Kosteninteresse des Eigentümers ist bereits durch andere Rechtsvorschriften geschützt. Der Grundstückseigentümer kann seinen Nachbarn gerichtlich auf Beseitigung nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB verklagen und nach § 887 Abs. 2 ZPO beantragen, den Nachbarn auf Vorauszahlung der Kosten zu verurteilen. Verzögerungsschäden kann der beeinträchtigte Eigentümer nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB geltend machen (BGH, Urt. 26.3.2021 – V ZR 77/20, NJW-RR 2021, 671).
d) Die Anwendung des § 281 BGB beeinträchtigt das Recht des Schuldners, zwischen verschiedenen Beseitigungsmöglichkeiten zu wählen.
Der beeinträchtigte Eigentümer ist verpflichtet, die Auswahl zwischen verschiedenen, zur Herbeiführung des Erfolgs geeigneten Mitteln dem Schuldner zu überlassen (BGH, Urt. v. 22.1.2021 – V ZR 12/19, NJW-RR 2021, 401, 402 Rn.10). Diese Wahlmöglichkeit des Schuldners würde bei Anwendung des § 281 BGB bereits nach erfolglos abgelaufener Frist und Erklärung des Schadensersatzverlangens und nicht erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung entfallen.
6) Ergebnis
Nach Ansicht des BGH sind die Erwägungen zur Unanwendbarkeit des § 281 BGB auf den Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB, auf den Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB zu übertragen. Der beeinträchtige Eigentümer hat somit im Ergebnis keinen Zahlungsanspruch gegen seinen Nachbarn.
III. Relevanz der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH ist von Relevanz für die gerichtliche Vorgehensweise des beeinträchtigten Eigentümers. Bemerkenswert ist, dass der BGH die Anwendbarkeit des § 281 BGB über den konkreten Fall hinaus auch für die Fälle der sogenannten Selbstvornahme ausgeschlossen hat: § 281 BGB ist auch dann nicht auf den Anspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB anzuwenden, wenn der Grundstückseigentümer die Beeinträchtigung vorher selbst beseitigt hat. Der Kläger kann in den Fällen der Selbstvornahme eine Klage auf Erstattung der angefallenen Kosten erheben (Anspruch aus §§ 683 S. 1, 670 bzw. §§ 684 S. 1, 818 BGB oder § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB). Möchte der Kläger die Beeinträchtigung nicht auf eigene Kosten selbst beseitigen, kann er seinen Nachbarn auf Beseitigung verklagen (Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB) und das Urteil im Wege der Ersatzvornahme vollstrecken. Dabei kann er nach § 887 Abs. 2 BGB beantragen, den Schuldner zur Vorauszahlung der Kosten zu verurteilen.
IV. Ein abschließender Blick über den Tellerrand hinaus
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass die Anwendbarkeit einzelner Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf dingliche Ansprüche bei jedem dinglichen Anspruch gesondert zu prüfen ist. Hat der BGH noch in seiner Entscheidung vom 18.3.2016 entschieden, dass § 281 BGB auf den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB anwendbar ist, solange der Besitzer verklagt oder bösgläubig ist (BGH, Urt. v. 18.3.2016 – V ZR 89/15, NJW 2016, 3235), verneint er im vorliegenden Fall generell die Anwendbarkeit des § 281 BGB auf den Anspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB. Der BGH betont dabei, dass trotz Wesensgleichheit der Ansprüche aus § 985 BGB und § 1004 Abs. 1 BGB kein Gleichlauf bei der Anwendbarkeit des § 281 BGB hergestellt werden könne. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der statuiere, dass der dingliche Gläubiger bei seiner Rechtsverfolgung nicht schlechter zu stellen sei als der schuldrechtliche, gebe es nicht. Es bleibt somit zu erwarten, wie der BGH in seinen zukünftigen Entscheidungen die Anwendbarkeit einzelner Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrecht auf die einzelnen dinglichen Ansprüche regeln wird.