Vor allem im juristischen Grundstudium sind Straftatbestände, die Verletzungen von Leib und Leben sanktionieren, regelmäßig Prüfungsgegenstand. Die §§ 223 ff. StGB gehören dabei zu den „Klausurklassikern“, bei denen von jedem Prüfling Grundkenntnisse erwartet werden. Das gilt nicht nur für die Definitionen von Tatbestandsmerkmalen, sondern auch Meinungsstreitstände zu Problemstellungen, die überdurchschnittlich häufig abgefragt werden. Der nachstehende Beitrag gibt einen Überblick zu den klausur- bzw. examensrelevantesten Definitionen. Zudem werden – nicht abschließend – die wichtigsten Streitstände mit kurzen Erläuterungen zu den jeweils vertretenen Ansichten in Rechtsprechung und Literatur dargestellt.
I. Die Definitionen
1. § 223 StGB
(1) Körperliche Misshandlung
ist jede substanzverletzende Behandlung des Körpers, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird.
(2) Gesundheitsschädigung
ist das Hervorrufen, Steigern oder Aufrechterhalten eines vom Normalzustand negativ abweichenden pathologischen Zustands physischer (oder psychischer, str.) Art.
2. § 224 StGB
(1) Gift
sind alle organischen und anorganischen Stoffe, die durch chemische und/oder chemisch-physikalische Wirkung geeignet sind, erhebliche Gesundheitsschädigungen herbeizuführen.
(2) Andere gesundheitsschädliche Stoffe
sind solche, die mechanisch oder thermisch wirken sowie biologisch schädliche Stoffe, die dazu geeignet sind, erhebliche Gesundheitsschädigungen herbeizuführen.
(3) Waffe
ist im technischen Sinn jedes Werkzeug, welches nach der Art seiner Anfertigung von vornherein dazu bestimmt ist, (nicht notwendigerweise Menschen) zumindest erhebliche Verletzungen zuzufügen.
(4) Gefährliches Werkzeug
ist jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und Verwendungsart im konkreten Einzelfall dazu geeignet ist, zumindest erhebliche Verletzungen zuzufügen.
(5) Hinterlistiger Überfall
Ist jeder plötzliche, unerwartete Angriff auf einen ahnungslosen Menschen, bei dem der Täter seine wahre Absicht planmäßig verdeckt und dadurch die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers einschränkt.
(6) Mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich
begeht der Täter die Körperverletzung, wenn mindestens zwei Personen unmittelbar am Tatort gemeinschaftlich wirken, wobei unerheblich ist, ob dies in mittäterschaftlicher Begehung oder in Gestalt von Täterschaft und Teilnahme passiert.
(7) Mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
wird die Körperverletzung nach h.M. begangen, wenn die Verletzungen den objektiven Umständen des Einzelfalls nach geeignet ist, das Leben des Tatopfers zu gefährden, wobei es keiner tatsächlichen konkreten Lebensgefahr im Einzelfall bedarf.
3. § 225 StGB
(1) Quälen
ist das Zufügen länger andauernder oder wiederkehrender Schmerzen oder Leiden seelischer oder körperlicher Art.
(2) Rohes Misshandeln
ist eine Behandlung, die einer gefühllosen, fremde Leiden missachtenden Gesinnung entspricht und sich in Handlungsfolgen von erheblichem Gewicht für das körperliche Wohlbefinden des Tatopfers manifestiert.
(3) Böswillig
handelt der Täter, wenn er die ihm obliegende Sorgfaltspflicht aus besonders verwerflichen Gründen verletzt (Hass, Egoismus, Gewinnstreben o.ä.).
4. § 226 StGB
(1) Verlust des Sehvermögens
tritt ein, wenn die Fähigkeit, Gegenstände als solche zu erkennen, nahezu aufgehoben ist (Rspr.: 10 % der normalen Sehkraft)
(2) Wichtiges Glied des Körpers
sind alle äußerlichen Körperteile, die abgeschlossen in Erscheinung treten, mit dem Körper durch ein Gelenk verbunden sind und eine bestimmte Funktion im Gesamtorganismus haben.
(3) Dauernd entstellt in erheblicher Weise
ist das Tatopfer, wenn das äußere Gesamterscheinungsbild endgültig oder für einen unbestimmten Zeitraum verunstaltet wird und dies von einem Gewicht ist, welches in seiner Bedeutung den anderen schweren Nachteilen des § 226 StGB entspricht.
5. § 228 StGB – Sittenwidrigkeit
Sittenwidrig ist die Körperverletzung, wenn sie Anbetracht des Umfangs der Verletzung sowie des damit verbundenen Gefahrengrads für Leib und Leben trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheint. Entscheidend ist nicht die Zwecksetzung der Tat oder die moralische Vorstellung der Gesellschaft, sondern der Grad der (Lebens-)Gefährdung, der mit der Verletzungshandlung einhergeht.
6. § 229 StGB – Fahrlässigkeit
Fahrlässig begeht die Körperverletzung, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den konkreten Umständen und seinen subjektiven Fähigkeiten und Kenntnissen nach verpflichtet und imstande ist.
7. § 231 StGB
(1) Schlägerei
ist eine tätliche Auseinandersetzung von mindestens drei Personen, die mit gegenseitigen Körperverletzungen verbunden ist.
(2) Von Mehreren verübter Angriff
ist eine in feindseliger Willensrichtung verübte unmittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen durch mindestens zwei Personen.
(3) Beteiligt
ist, wer sich unmittelbar am Tatort befindet und durch physische (oder psychische, str.) Mitwirkung an den gegen einen anderen gerichteten Tätlichkeiten teilnimmt.
II. Klassische Streitstände
1. Stellt ein de lege artis durchgeführter ärztlicher Eingriff eine Körperverletzung i.S.v. § 223 StGB dar?
(1) Rechtsprechung
Ärztliche Eingriffe stellen stets eine tatbestandliche Körperverletzung dar, die allerdings gerechtfertigt sein können, insbesondere durch eine (ausdrückliche oder mutmaßliche) Einwilligung des Patienten (vgl. grundlegend BGHSt 11, 111 (112)).
(2) Abweichende Literaturmeinung
Indizierte und kunstgerecht durchgeführte ärztliche Eingriffe sind nicht tatbestandsmäßig. Grund: Nach ihrem sozialen Sinngehalt können sie nicht „auf eine Stufe mit dem Messerstecher“ im Sinne einer Misshandlung oder Gesundheitsschädigung gestellt werden. Mitunter wird auch danach differenziert, ob der Heilgriff erfolgreich war oder misslungen ist und ob neue gesundheitliche Gefahren durch den Eingriff geschaffen worden sind.
2. Fallen rein psychische Beeinträchtigungen unter den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB?
(1) Rechtsprechung und h.M. der Literatur
Rein psychische Empfindungen genügen bei keiner Handlungsalternative, um eine Körperverletzung zu begründen. Diese liegt erst dann vor, wenn ein pathologischer, somatisch-objektivierbarer Zustand hervorgerufen wird. Emotionale Reaktionen oder etwa latente Angstzustände sind danach für sich genommen nicht tatbestandlich (vgl. BGH Beschluss v. 18.7.2013 – 4 StR 168/13).
(2) Abweichende Literaturmeinung
Auch psychische Erkrankungen bzw. Beeinträchtigungen können tatbestandlich sein – es bedarf keines somatisch-objektivierbaren Zustands.
3. Können unbewegliche Sachen bzw. Gegenstände (Wand, Fußboden usw.) gefährliche Werkzeuge i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt 2. StGB sein?
(1) Rechtsprechung und Teile der Literatur
Nein, nur Gegenstände, die durch menschliche Einwirkung in Bewegung gesetzt werden können, können gefährliche Werkezuge darstellen. In den meisten Fällen wird es sich jedoch um eine lebensgefährdende Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB handeln (vgl. BGHSt 22, 235).
(2) Abweichende Literaturmeinung
Auch unbewegliche Gegenstände können gefährliche Werkzeuge darstellen. Zum einen ist der Wortlaut der Norm weit gefasst und steht diesem Verständnis deshalb nicht entgegen, zum anderen führt die Ansicht der Rechtsprechung zu zufälligen Ergebnissen: Es kann keinen Unterschied machen, ob das Opfer gegen eine fest montierte Säge gewuchtet wird oder der Täter eine Säge in die Hand nimmt und das Opfer verletzt.
4. Bedarf es für eine lebensgefährdende Behandlung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB einer konkreten Lebensgefahr des Opfers?
(1) Rechtsprechung und h.M.
Nein, es genügt bereits, dass die Tathandlung eine abstrakte Gefährdung des Lebens begründet, die tatsächliche Verletzung des konkreten Tatopfers muss nicht lebensgefährlich sein (z.B. BGHSt 36, 1 (9)). Denn der Wortlaut des Gesetzes stellt auf die Handlung ab, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist ersichtlich kein Erfolgsdelikt.
(2) Abweichende Literaturmeinung
Es bedarf einer konkreten Lebensgefährdung. Aufgrund der hohen Strafandrohung ist eine restriktive Auslegung der Norm geboten.
5. Knüpft der Gefahrverwirklichungszusammenhang bei § 227 StGB an die Verletzungshandlung oder an den Verletzungserfolg an?
(1) Rechtsprechung
Ausreichend ist, dass die Körperverletzungshandlung den tödlichen Erfolg herbeiführt. Aus dem Klammerzusatz in § 227 Abs. 1 StGB ergibt sich zudem, dass ein vollständiger Verweis auf die §§ 223 – 226a StGB vorgenommen wurde. Danach ist sind auch die §§ 223 Abs. 2, 224 Abs. 2 sowie 225 Abs. 2 StGB umfasst (vgl. BGHSt 48, 34 (38)). Daraus folgt vor allem: Auch die versuchte Körperverletzung mit Todesfolge ist möglich!
(2) Abweichende Literaturmeinung
Anzuknüpfen ist ausschließlich an den Körperverletzungserfolg (sog. Letalitätslehre). Die Schwere der Tat ergibt sich gerade aus der Realisation des Verletzungserfolges. Dieses Verständnis gebiete auch die hohe Strafandrohung. Auch der Wortlaut der Norm spricht vom Tod der „verletzten“ Person. Einen erfolgsqualifizierten Versuch kann es deshalb auch nicht geben.
6. Ist dem Täter bei § 231 StGB der Todeserfolg auch zuzurechnen, wenn dieser eintritt, nachdem der Täter die Schlägerei verlassen hat?
(1) Rechtsprechung und Teile der Literatur
Der Erfolg muss sich nicht notwendigerweise im Zeitraum, in dem der Täter noch der Schlägerei beiwohnt, realisieren. Erforderlich ist allein, dass sich der Täter überhaupt an der den Tod verursachenden Schlägerei beteiligt hat (vgl. BGHSt 14, 132 (134)). Grund: Ein anderes Verständnis führt zu Beweisproblemen und konterkariert den Zweck der Strafnorm, die gerade die besondere Gefährlichkeit von Schlägereien im Blick hat. § 231 ist ein reines Gefährdungsdelikt – wer sich entscheidet, an einer Schlägerei teilzunehmen, hat keinen Einfluss mehr auf die Folgen, die hieraus eventuell entstehen. Das soll dem Täter nicht zu Gute kommen.
(2) Abweichende Literaturmeinung
Der Täter muss sich im Zeitpunkt des Eintritts des Todes noch fortwährend an der Schlägerei beteiligen. Die Strafandrohung wird gerade durch den Eintritt des Erfolgs legitimiert, der sich durch das Handeln der Beteiligten manifestiert. Der Täter muss genau dieses Risiko (mit-)geschaffen haben.
Facebook: juraexamen.info
Instagram: @juraexamen.info
Schlagwortarchiv für: Schlägerei
Lieber Leserinnen und Leser,
der Verein hat sich zu einer Spende in Höhe von 1000 Euro zur Erhöhung der Belohnung im Ermittlungsverfahren Niklas P. entschieden. Der Fall hat nicht nur die Region um Bonn, wo unser Verein seinen Sitz hat, sondern deutschlandweit die Menschen bewegt (sie nur hier und hier). Nach einem Konzertbesuch in der Bonner Rheinaue wurde Niklas P. in Begleitung zweier Freunde unvermittelt Opfer einer körperlichen Attacke mit massiver Gewalteinwirkung, an der er in der letzten Woche, nachdem er im Koma gelegen hatte, verstorben ist.
Das Geld haben wir heute – vermittelt durch die Polizei Bonn – der Rechtsanwältin der Familie des getöteten Niklas zugeleitet. Für den Fall, dass keine entsprechenden Hinweise auf die Täter eingehen, wird das Geld der Familie des Opfers zur Verfügung gestellt. Wir hoffen damit, einen kleinen Beitrag zur Suche nach den Tätern und zur Unterstützung der Familie leisten zu können.
Spenden an die Familie können gerichtet werden an:
Caritaskonto des Kath. Kirchengemeindeverbands Bad Godesberg, Stichwort: Niklas.
IBAN: DE53 3816 0220 4704 6440 14
Hinweise zu dem Fall nimmt zudem die Mordkommission unter der Rufnummer 0228 – 150 entgegen.
In Köln kam es am gestrigen 18.1.2014 zu einer folgenschweren verabredeten Massenschlägerei zwischen verfeindeten Fußballhooligans von Schalke 04, 1. FC Köln und Borussia Dortmund. Anlässlich des Freundschaftsspiels Köln gegen Schalke verabredeten sich die Hooligangruppen zu einer Schlägerei am zentralen Rudolfplatz. Hier kam es dann am Nachmittag unter Beteiligung von 200-300 Personen zu einer Schlägerei, bei der einer der Beteiligten (wohl durch einen Schlag gegen den Kopf) schwere Verletzungen erlitten hat und zeitweise in Lebensgefahr schwebte (siehe Artikel).
In einer mündlichen Prüfung konnte dieser Fall sehr gut herangezogen werden, um die Strafbarkeit des oder der möglichen Täter abzufragen. Hier zeigen sich diverse Probleme und Szenarien.
I. Täter klar ermittelbar
1. Mögliche Strafbarkeit
Ist der Täter, der den entscheidenden Schlag ausgeführt hat ermittelbar, so muss die Frage des Zurechnungs von Verhalten Dritter und damit von Täterschaft und Teilnahme nicht geklärt werden.
Hier kommt eine Strafbarkeit nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Schlagwerkzeug als gefährliche Waffe) und Nr. 5 (bei Schlägen gegen den Kopf ist im Regelfall von einer abstrakten Lebensgefährdung auszugehen; hier ohnehin schon konkrete Lebensgefahr) in Betracht. Ein hinterlistiger Überfall (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) scheidet hingegen aus; von einer planmäßigen auf Verdeckung ausgerichteten Tatbegehung kann bei einer geplanten Schlägerei gerade nicht ausgegangen werden. Dagegen ist eine gemeinschaftliche Begehung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) wohl anzunehmen. Erforderlich ist hier gerade nicht, dass mehrere Beteiligte die Verletzungen tatbestandlich herbeiführen. Aktive Beihilfe wäre bereits ausreichend, das Opfer muss mehreren Beteiligten gegenüberstehen. Davon ist je nach Fallgestaltung auszugehen.
Angeprüft werden kann auch eine schwere Körperverletzung, wobei im Sachverhalt keine entsprechenden Voraussetzungen ersichtlich sind.
Relevanter ist hingegen die Prüfung des versuchten Totschlags, bzw. sogar versuchten Mordes (§§ 211, 212, 23 StGB). Ein entsprechender Eventualvorsatz liegt hier nicht völlig fern, kann aber auch nach der sog. Hemmschwellentheorie gut vertretbar abgelehnt werden. Hier kommt es auf gute Argumentation an. Schwieriger ist dagegen die Prüfung der Morderkmale: In Betracht kommen niedrige Bewegründe und gemeingefährliche Mittel. Von einem gemeingefährlichen Mittel ist dann auszugehen, wenn das konkrete Tatmittel üblicherweise zu einer Gefährdung von mindestens 3 Personen führt. Zwar erfolgte die Schlägerei hier an einem belebten Platz, konkretes Tatmittel waren aber die Schläge gegen das Opfer. Der Begriff des Mittels ist restriktiv auszulegen, sodass es nicht genügt, dass durch die Schlägerei an sich auch anderen Unbeteiligten Gefahr droht. Insofern muss dieses Mordmerkmal abgelehnt werden. Somit verbleiben allein niedere Beweggründe (sittlich auf tiefster Stufe stehend). Hier kommt es auf die konkrete Motivlage des Täters an: Will er sein Opfer nur töten, weil er Fan einer anderen Mannschaft ist, kann im Ergebnis der niedere Beweggrund bejaht werden. Dennoch ist hier eine sorgfältige Prüfung nötig. Zu vorschnell darf ein Mordmerkmal nicht bejaht werden.
Leichter zu bejahen ist hingegen die Strafbarkeit wegen Landfriedensbruch bzw. schwerem Landfriendensbruch nach §§ 125 Abs. 1 Nr. 1 und 2; 125a Nr. 2 und 3 StGB. Im Gegensatz zu § 224 StGB bedarf es aber einer (hier vorliegenden) konkreten Todesgefahr.
Ergänzend kommt auch noch eine Strafbarkeit wegen Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) in Betracht. Ist der Tatbestand hier unproblematisch zumindest dann erfüllt, wenn das Opfer tatsächlich eine schwere Gesundheitsschädigung davonträgt, so stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieses Delikts zur Körperverletzung. Nach h.M. liegt hier Tateinheit vor, da von § 231 StGB noch weitere Rechtsgüter als von § 223, 224 StGB geschützt seien (BGHSt 33, 100, 104; BGH Urt v 21.8.2008 – 3 StR 236/08; NStZ-RR 2009, 309, 310;). Eine Gesetzeskonkurrenz kommt nur dann in Betracht, wenn dieser Unrechtsgehalt des § 231 StGB (also die Gefährdung Dritter) mit in §§ 223, 224 StGB aufgeht. Dies soll nur bei Schlägereien mit wenigen Beteiligten erfüllt sein (BeckOK/Eschelbach, § 231 StGB, Rn. 25) – hier also offensichtlich nicht.
2. Problem: Einwilligung des Opfers
Schnell zeigt sich aber ein weiteres Problem: Das Opfer hat sich hier bewusst an der Schlägerei beteiligt und könnte damit zumindest in die Körperverletzungen eingewilligt haben, sodass eine Strafbarkeit hierfür nicht in Betracht kommt. Die Tat könnte somit nach den Grundsätzen der Einwilligung (in den Grenzen des § 228 StGB) gerechtfertigt sein. Von der Wirksamkeit der Einwilligung an sich muss hier – mangels abweichender Anhaltspunkte – ausgegangen werden. Fraglich ist aber, ob die Wirksamkeit aufgrund einer möglichen Sittenwidrigkeit ausgeschlossen ist. Entscheidend für den BGH ist dabei insbesondere der Grad der Gefährdung des Opfers; aufgrund des besonders bedeutsamen Lebensschutzes (vgl. auuch § 216 StGB) kommt eine Einwilligung zumindest in lebensgefährdende Behandlungen nicht in Betracht (BGHSt 49, 34, 42 = NJW 2004, 1054, 1055; BGHSt 49, 166, 170 f = NJW 2004, 2458, 2459 f; BGH NStZ 2013, 342, 343). Gerade bei Körperverletzungen im Rahmen von Massenschlägereien verneint der BGH eine Rechtfertigung zudem generell mit folgender Begründung:
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat bislang bereits Einwilligungen von späteren Opfern von Körperverletzungen keine rechtfertigende Wirkung beigemessen, wenn die Taten mit einer konkreten Gefahr des Todes für die Opfer verbunden sind. Nunmehr hat der 1. Strafsenat deutlich gemacht, dass, jedenfalls bei wie hier verabredeten wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen Gruppen, § 228 StGB die Wirksamkeit der erteilten Zustimmung zu eigenen Verletzungen regelmäßig ausschließt, weil die typischerweise eintretenden gruppendynamischen Prozesse generell mit einem so erheblichen Grad an Gefährdung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Kontrahenten verbunden sind, dass die Grenze der „Sittenwidrigkeit“ der Taten überschritten ist.
Aus diesen Gründen wäre auch im konkreten Fall eine Einwilligung für die Strafbarkeit unerheblich. Siehe zu dieser Thematik unseren ausführlichen Beitrag.
II. Täter nicht klar ermittelbar
Schwieriger wird der Fall dann noch, wenn der konkrete Tatbeitrag des mögliche Täters nicht nachweisbar ist, sondern nur dessen Teilnahme an der Schlägerei nachweisbar ist.
Hier erhält § 231 StGB größere Bedeutung. Allerdings muss dazu der Tod oder die schwere Körperverletzung des Opfers eintreten. Insofern hängt diese Strafbarkeit davon ab, ob das Opfer durch den Angriff Folgen nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erleidet.
Hingegen scheidet eine Täterschaft bei der Körperverletzung bzw. der versuchten Tötung nach dem Grundsatz in dubio pro reo aus, da nicht erwiesen werden kann, wer für die konkrete Verletzungshandlung verantwortlich war. Auch über den Umweg der Wahlfeststellung lässt sich eine Strafbarkeit nicht begründen. Selbst wenn feststehen würde, dass der Beschuldigte entweder Täter oder Teilnehmer (Beihilfe) gewesen ist (was hier schon äußerst fraglich ist, da die Voraussetzungen einer (psychischen) Beihilfe hier nicht ersichtlich sind), ist zwischen diesen Alternativen eine Wahlfeststellung aufgrund des Unterschieds im Unrechtsgehalt nicht möglich. Eine Strafbarkeit zumindest wegen Körperverletzung erfordert hier zumindest, dass eine konkrete Verletzungshandlung nachweisbar ist. Dies dürfte im Einzelfall schwer nachzuweisen sein.
III. Fazit
Der Fall eignet sich perfekt für die mündliche Prüfung. Hier können diverse – hier teilweise nur kurz angedachte – Probleme des Strafrechts geprüft und vertieft werden. Bekannst sein sollte in diesem Zusammenhang zumindest die Rechtsprechung des BGH zur Sittenwidrigkeit der Einwilligung in eine Körperverletzung. Die weiteren Fragen (insbesondere auch aus dem Bereich Täterschaft und Teilnahme) lassen sich gut mit allgemeinem juristischen Verständnis lösen.
Man erkennt aber sehr gut, dass ein vermeintlich überschaubarer Fall eine Vielzahl an Problemen beinhalten kann.