Über tierschutzrechtliche Missstände in Tierzuchtanlagen wird immer wieder berichtet. Um solche aber überhaupt aufdecken zu können, bedarf es eines Einblickes in die Stallungen des Tierzuchtunternehmens. Da die Einholung des Einverständnisses der Inhaber regelmäßig schwierig sein dürfte, wird teilweise zu einem heimlichen Eindringen zur Aufdeckung und Dokumentation der Missstände übergegangen – im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol erscheint das bedenklich, mag die Motivation noch so lobenswert sein. Straffreiheit nahm nun aber das OLG Naumburg in seinem Urteil vom 22.2.2018 (2 Rv 157/17, BeckRS 2018, 8909) – der bislang höchsten gerichtlichen Entscheidung zu Stalleinbrüchen in Deutschland – an, das in Bestätigung der Vorinstanz das Eindringen in Stallanlagen eines gegen Tierschutzregeln verstoßendes Tierzuchtunternehmen als nach § 34 StGB gerechtfertigt ansah. Ein interessanter Fall, der sich zudem hervorragend eignet, um die Voraussetzungen und die Struktur des rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB zu wiederholen.
Sachverhalt (leicht abgewandelt und vereinfacht):
A erhielt einen konkreten Hinweis, dass in den Stallungen eines Tierzuchtunternehmens diverse Verstöße gegen die Tierschutznutztierhaltungsverordnung vorliegen sollten. So seien insbesondere die Kastenstände für Schweine deutlich zu klein. In vorherigen Fällen hatte der A bereits die Erfahrung gemacht, dass eine Anzeige bei der zuständigen Behörde ohne dokumentierte Beweise nicht erfolgversprechend war, sodass er selbst tätig wurde. In der Nacht überstieg er die Umzäunung der Anlage und betrat über geöffnete Türen die Stallanlagen, um die Zustände filmisch festzuhalten. In den Stallanlagen stellte er fest, dass gegen Haltungsbedingungen verstoßen wurde und dokumentierte dies durch Filmaufnahmen, wobei er aufgrund seines stark ausgeprägten Mitgefühls für die Tiere handelte und das Ziel verfolgte, durch die Dokumentation der Missstände die zuständige Behörde zu veranlassen, auf die Einhaltung der Tierschutzregeln hinzuwirken.
Strafbarkeit des A nach § 123 I StGB?
A könnte sich wegen Hausfriedensbruchs nach § 123 I StGB strafbar gemacht haben, indem er die Stallungen des Tierzuchtunternehmens betrat.
I. Objektiver Tatbestand
1. Befriedetes Besitztum
Im Rahmen des objektiven Tatbestandes müssten die Stallungen eine geschützte Örtlichkeit darstellen. Es könnte sich hierbei um befriedetes Besitztum handeln. Das ist der Fall bei einer unbeweglichen Sache, die in äußerlich erkennbarer Weise durch den Berechtigten mittels zusammenhängender Schutzwehren wie Mauern, Hecken, Drähte, Zäune oder ähnlicher Vorrichtungen gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert ist; dabei muss die Sicherung nicht lückenlos sein und kein schwer überwindbares Hindernis darstellen (MüKo-StGB/Schäfer, § 123 Rn. 14). Zwar waren vorliegend die Türen der Stallanlage geöffnet, jedoch bestand eine Sicherung in der Umzäunung. Diese sollte auch erkennbar die Anlage vor dem Zutritt Unbefugter schützen, sodass ein taugliches Schutzobjekt gegeben ist.
2. Eindringen
Der A müsste zudem in die Anlage eingedrungen sein. Unter Eindringen ist das Betreten gegen den Willen des Berechtigten zu verstehen (nach a. A. genügt ein Betreten ohne den Willen des Berechtigten; die Ansichten führen aber regelmäßig zum selben Ergebnis, da auch ein Betreten gegen den Willen bereits dann vorliegt, wenn der Täter die Räumlichkeit ohne ausdrückliche oder konkludent erteilte Erlaubnis betritt, Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, § 123 Rn. 14/15). Da der A weder eine ausdrückliche Erlaubnis des Inhabers eingeholt hat noch von einer konkludenten Zustimmung auszugehen ist, hat er auch gegen den Willen des Berechtigten gehandelt, ist mithin in die geschützte Räumlichkeit eingedrungen.
Anmerkung: Das Tatbestandsmerkmal des Eindringens erfordert ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten. Sofern dieser dem Betreten zustimmt, ist aufgrund des Einverständnisses daher schon der Tatbestand ausgeschlossen. Falsch wäre es mithin, eine rechtfertigende Einwilligung zu diskutieren.
II. Subjektiver Tatbestand
A handelte auch mit Wissen und Wollen, mithin vorsätzlich.
III. Rechtswidrigkeit
Das Handeln des A könnte aber gerechtfertigt sein. In Betracht kommt das Eingreifen des Rechtfertigungsgrundes des Notstandes gemäß § 34 StGB.
1. Objektives Rechtfertigungselement
a) Notstandslage
Hierfür müsste zunächst eine Notstandslage vorliegen, die eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut erfordert.
aa) Notstandsfähiges Rechtsgut
Grundsätzlich ist jedes Rechtsgut und rechtlich anerkanntes Interesse notstandsfähig. Der in § 34 StGB genannte Begriff des „anderen Rechtsgutes“ ist weit auszulegen (MüKo-StGB/Erb, § 34 Rn. 54); in Betracht kommt „jedes beliebige Rechtsgut, das in irgendeiner Form einen (nicht notwendigerweise strafrechtlichen) Schutz durch die Rechtsordnung erfahren hat“ (MüKo-StGB/Erb, § 34 Rn. 55). Dabei zählt § 34 StGB zwar ausdrücklich die Rechtsgüter „Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum“ auf, statuiert aber gerade keinen Vorrang vor sonstigen notstandsfähigen Interessen. (BeckOK-StGB/Momsen/Savic, § 34 Rn. 5). Vorliegend hat das OLG Naumburg den Tierschutz, der in Art. 20a GG verfassungsrechtlich verankert ist, als notstandsfähiges Rechtsgut angesehen:
„Nach allgemeiner Auffassung ist der Tierschutz ein anderes Rechtsgut im Sinne des § 34 StGB und daher notstandsfähig. Er ist gemäß Artikel 20a GG als Staatsschutzziel verfassungsmäßig verankert und über das Tierschutzgesetz als auch die Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer Tiere rechtlich ausgestaltet. Unerheblich ist insoweit, dass das gefährdete Rechtsgut, der Tierschutz, nicht den Angeklagten selbst zusteht, denn § 34 StGB umfasst auch Rechtsgüter der Allgemeinheit (BGH NStZ 1988, 558; OLG Düsseldorf NStZ 2006, 243; Roxin, Strafrecht, AT, 4. Auflage, § 16 Rn. 10). Artikel 20a GG entfaltet zwar keine unmittelbare Drittwirkung, bindet aber den Staat und seine Organe. Für die Judikative bedeutet dies, unbestimmte Rechtsbegriffe im Sinne dieses Staatsziels: Schutz der Umwelt und der Tiere zu interpretieren (Maunz/Dürig, GG, Art. 20a, Rn. 58). Dies gilt auch für die Auslegung von § 34 StGB. Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, ein Vorgehen gegen die Misshandlung von Tieren könne keine Rechtfertigung wegen Notstandes begründen, wenn der Eigentümer der Tiere dies nur billige, würde auch zu Ergebnissen führen, die kaum nachvollziehbar sind: So dürfte etwa niemand die Scheibe eines in praller Hitze stehenden Autos einschlagen, in dem gerade ein Hund zu ersticken droht, wenn der Eigentümer des Tieres und des Autos zugegen ist und das Aufschließen der Tür mit dem Hinweis verweigert, eine „kleine Abhärtung“ werde dem Tier nicht schaden.“
Mithin liegt ein notstandsfähiges Rechtsgut vor.
bb) Gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr
Für dieses müsste zudem eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr bestanden haben. Unter Gefahr ist ein Zustand zu verstehen, bei dem es nach den konkreten tatsächlichen Umständen wahrscheinlich ist, dass es zum Eintritt eines schädigenden Ereignisses kommt (BeckOK-StGB/Momsen/Savic, § 34 Rn. 4). Ob eine Gefahr vorliegt, beurteilt sich nach hM aus einer objektiv-nachträglichen Prognose; maßgeblich ist also die Sichtweise eines nachträglichen Beobachters, dem die im relevanten Zeitpunkt wesentlichen Umstände bekannt sind (str., ob ex-post- oder objektivierte ex-ante-Perspektive, s. hierzu BeckOK-StGB/Momsen/Savic, § 34 Rn. 4). Eine Gefahr ist danach anzunehmen, „wenn zum Handlungszeitpunkt nach bestimmten objektiv typisierten Kriterien der Anschein einer Gefahr […] für einen objektiven Dritten mit Wissen und Fähigkeiten des Täters besteht“ (BeckOK-StGB/Momsen/Savic, § 34 Rn. 4). Die Gefahr ist gegenwärtig, wenn sich aus objektivierter ex-ante Sicht der kurzfristige Eintritt eines Schadens bei prognostizierbarer natürlicher Weiterentwicklung des angelegten Geschehensverlaufs als wahrscheinlich darstellt, wenn nicht alsbald Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden (z. B. BGHSt 5, 373). Dabei kommt es anders als im Rahmen von § 32 StGB nicht darauf an, dass der Schaden in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Ausgangssituation einzutreten droht; erfasst sind vielmehr auch Dauergefahren.
Im vorliegenden Fall bestanden gegen Tierschutzregeln verstoßende Haltungsbedingungen, die bei ungehindertem Fortgang auch das Eintreten künftiger Schäden am Rechtsgut Tierschutz erwarten ließen. So gefährdeten die dokumentierten Zustände – wie das OLG Naumburg herausstellt – „das Rechtsgut Tierschutz nicht lediglich im Zeitpunkt der Dokumentation, sondern auch für eine unabsehbare weitere Zeit.“
Die gegenwärtige Gefahr dürfte auch nicht anders als durch die Notstandshandlung abwendbar gewesen sein, wobei nach der überwiegenden Meinung ein strenger Maßstab anzulegen ist (BGHSt 3, 7; Lackner/Kühl/Kühl, StGB, § 34 Rn. 3). Insbesondere ist vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols stets zu fragen, ob die Gefahr durch die rechtzeitige Inanspruchnahme staatlicher Hilfe abzuwehren gewesen wäre. Gerade dies hat das OLG Naumburg aber – aufgrund der konkreten Umstände des Falls – verneint:
„Die Gefahr für das Rechtsgut Tierschutz war auch nicht anders als durch das Handeln der Angeklagten abwendbar. Zwar ist der Staatsanwaltschaft zuzustimmen, dass im Falle der Feststellung von Gesetzesverstößen grundsätzlich zunächst die zuständigen Behörden einzuschalten sind, es ist auch im Grundsatz allein deren Aufgabe, Beweismittel für Rechtsverstöße zu sichern. Das kann aber nicht gelten, wenn die Einschaltung von Behörden von vornherein aussichtslos ist. Hier hatte das zuständige Veterinäramt bereits vor den Taten der Angeklagten Kontrollen durchgeführt und in keinem Fall Anlass zu Beanstandungen gesehen, obgleich ihm ein erheblicher Teil der Mängel, etwa die zu geringe Breite der Kastenstände, positiv bekannt war. […] Hätten die Angeklagten sich an Staatsanwaltschaft, vorgesetzte Behörde oder Polizei gewandt, ohne bildliche Beweise für die massiven Verstöße vorzulegen, hätten sowohl vorgesetzte Behörde als auch Staatsanwaltschaft und Polizei ausschließlich einen Bericht des zuständigen Veterinäramts eingeholt, der gelautet hätte, dass man regelmäßig kontrolliere und es nie Beanstandungen gegeben habe. Die Verfahren wären dann ohne weitere Ermittlungen eingestellt worden.“
Folglich war die gegenwärtige Gefahr für das Rechtsgut Tierschutz auch nicht anders als durch die Handlung des A abwendbar.
b) Erforderlichkeit der Notstandshandlung
Diese müsste aber auch zur Abwehr der Gefahr erforderlich gewesen sein, was bedingt, dass sie zur Abwehr der Gefahr geeignet war und zugleich das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellte. Die Notstandshandlung ist geeignet, wenn die erfolgreiche Abwendung der Gefahr nicht unwahrscheinlich erscheint (Schönke/Schröder, StGB, § 34 Rn. 19). Dies schließt Maßnahmen aus, die von Anfang an entweder völlig untauglich oder nur mit einer ganz unwesentlichen Erhöhung der Rettungschance verbunden sind (MüKo-StGB/Erb, § 34 Rn. 90 f). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat das OLG Naumburg die filmische Dokumentation der Missstände als geeignet erachtet, die Missstände künftig abzustellen:
„Die Angeklagten haben durch die Dokumentation und deren Weiterleitung an die zuständigen Stellen die unangekündigte Kontrolle des Betriebes erreicht. Es war erst die Vorlage der Aufnahmen durch die Angeklagten, welche die Veterinärbehörde zwang, die bewusste Vertuschung tierschutzwidriger Zustände aufzugeben. Die Tatsache, dass die Gefahr für das Tierwohl nach den Aufnahmen nicht sofort beendet wurde, führt hier nicht zum Ausschluss einer Rechtfertigung nach § 34 StGB, weil es sich um eine Dauergefahr handelte, bei der es für die Rechtfertigung ausreicht, wenn die Notstandshandlung zu einer zeitlich versetzten Gefahrenabwehr führt.“
Zudem sei die Maßnahme auch als mildestes Mittel anzusehen:
„Angesichts der Aussichtslosigkeit der Einschaltung staatlicher Stellen waren die Taten auch das mildeste Mittel zur Gefahrabwendung. Dabei haben die Angeklagten auch möglichen Gefahren für die Gesundheit der Tiere durch das Anlegen von desinfizierter Kleidung und die Desinfektion der Kamera vorgebeugt.“
c) Interessenabwägung
Gemäß § 34 S.1 Hs. 2 StGB muss zudem eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen werden. Erforderlich ist eine Prüfung, ob das Wertgefälle der kollidierenden Interessen im konkreten Fall die Schwelle überschreitet, bei der das Prinzip der Mindestsolidarität zum Tragen kommt (MüKo-StGB/Erb, § 34 Rn. 105). Berücksichtigt werden müssen daher alle Umstände, die konkret für den Grad der Schutzwürdigkeit von Eingriffs- und geschützten Gut relevant sind, was eine umfassende Analyse der Interessenlagen unter Berücksichtigung einer eventuellen Verantwortlichkeit für die Notstandslage bedingt. Vorliegend führte das OLG Naumburg aus, dass
„das geschützte Interesse (Tierschutz) das beeinträchtigte wesentlich überwog. Das Landgericht hat überzeugend festgestellt, dass die Zustände, denen die Tiere ausgesetzt waren, als erhebliche Leiden für diese anzusehen waren. Unabhängig davon, ob diese Zustände als ordnungsrechtlich oder strafrechtlich relevant zu werten sind, überwog das Interesse an deren Abstellung das Recht der Betreiber der Mastanlage auf Respektierung ihres Hausrechts. Das gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Inhaber des Hausrechts für die Missachtung des Tierschutzes verantwortlich waren. Nach Auffassung des Senates muss derjenige, der eine Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut verursacht, selber Beeinträchtigungen eigener Rechte eher hinnehmen als ein Dritter, der an der Entstehung der Gefahr unbeteiligt ist.“
d) Angemessenheit
Schließlich müsste die Notstandshandlung gemäß § 34 S. 2 StGB auch angemessen sein. Mangels Indizien im konkreten Fall, die auf das Erfordernis einer normativen Korrektur hinweisen könnten, ist dies anzunehmen.
Anmerkung: Die Bedeutung der Angemessenheitsklausel ist umstritten. Teilweise wird angenommen, sie habe neben der ohnehin erforderlichen Interessenabwägung keine eigenständige Bedeutung (Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 34 Rn. 46 mwN), nach aA habe sie eine Kontrollfunktion, die sicherstellen soll, dass „alle normativen Aspekte berücksichtigt“ werden (LK-StGB/Zieschang, § 34 Rn. 79 mwN); teilweise wird sie auch als „differenziertes Korrektiv“ (BeckOK-StGB/Momsen/Savic, § 34 Rn. 19) verstanden. Die praktische Bedeutung dürfte jedenfalls – da alle relevanten Umstände bereits im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung berücksichtigt und gewichtet werden – gering sein.
2. Subjektives Rechtfertigungselement
Der A hatte Kenntnis von der Notstandslage. Da er zudem gerade in der Absicht handelte, durch die Dokumentation der Missstände die zuständige Behörde zu veranlassen, auf die Einhaltung der Tierschutzregeln hinzuwirken, kann der Streit, ob es i. R. d. § 34 StGB eines Rettungswillens bedarf (s. hierzu Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 34 Rn. 48 f.) dahinstehen.
3. Zwischenergebnis
A handelte nach § 34 StGB gerechtfertigt. Die Rechtswidrigkeit ist mithin zu verneinen.
Anmerkung: Die Vorinstanz, das LG Magdeburg, hatte überdies eine Nothilfe nach § 32 StGB angenommen. Die Tiere seien danach „ein anderer“ i. S. v. § 32 StGB und damit nothilfefähig. Das OLG Naumburg ist dem zu Recht nicht gefolgt. Zweifelhaft im Hinblick auf den Wortlaut mag hier schon erscheinen, ob ein Tier als „ein anderer“ i. S. d. Norm verstanden werden kann (zur Vertiefung kann hier auf Herzog, Nothilfe für Tiere?, JZ 2016, 190 verwiesen werden); jedenfalls aber – und hierauf stellt das OLG Naumburg ab – wollten die Angeklagten durch die Dokumentation der Verstöße nicht die Gefahren von den zum Zeitpunkt des Eindringens dort untergebrachten Tieren abwenden; „angesichts des Zeitraumes, der von der Dokumentation bis zur Einreichung des Materials bei den zuständigen Behörden verging, und des voraussehbar erheblichen weiteren Zeitraums bis zu einer Abstellung der Verstöße mussten die Angeklagten davon ausgehen, dass ihre Aktion der überwiegenden Anzahl der gefilmten Tiere nicht mehr zugutekommen konnte, sondern nur den nach Abstellen der Missstände untergebrachten Tieren, für die indes beim Eindringen in die Ställe noch keine gegenwärtige Gefahr bestand.“
IV. Ergebnis
A hat sich nicht wegen Hausfriedensbruchs nach § 123 I StGB strafbar gemacht.
Fazit und Ausblick
Einen Freibrief, „unter dem Deckmantel von Nothilfe oder Notstand erhebliche Eingriff[]e außerhalb rechtsstaatlich geregelter und kontrollierter Verwaltungsverfahren“ (OLG Naumburg v. 22.2.2018 – 2 Rv 157/17, BeckRS 2018, 8909, Rn. 23) vornehmen zu können, enthält die Entscheidung sicherlich nicht; sie darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass der Zweck in derartigen Fallkonstellationen stets die Mittel heiligt. Im Gegenteil müssen konkrete Tatsachen bekannt sein, wozu die bloße Vermutung, es werde in einem bestimmten Betrieb gegen tierschutzrechtliche Vorschriften verstoßen, nicht ausreichend ist. Es besteht gerade keine allgemeine Befugnis, in fremde Rechte einzugreifen, um einen Gesetzesverstoß anderer zu überprüfen – das widerspräche dem staatlichen Gewaltmonopol. Erst wenn die Einschaltung der zuständigen Behörde von vornherein aussichtslos erscheint, kommt eine Rechtfertigung wegen Notstandes in Betracht. Wie immer verbietet sich also eine Aufstellung pauschaler Grundsätze – maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des Einzelfalls.
Interessant ist die Entscheidung insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD eine andere Richtung einzuschlagen scheint: So heißt es ohne weitere Erläuterung auf S. 86 „Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden.“ Unklar bleibt dabei, ob ein neuer Tatbestand eingeführt oder das Strafmaß erhöht werden soll. Jedenfalls aber hat das OLG Naumburg in seinem Urteil das Gesetzesvorhaben vor Probleme gestellt. Sollte sich die Rechtsprechung der Auffassung anschließen, könnte die Rechtfertigungsargumentation auch auf einen neuen Tatbestand durchgreifen. Wie die Große Koalition darauf reagieren wird, bleibt abzuwarten.