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Schlagwortarchiv für: psychische Gesundheitsverletzung

Dr. Melanie Jänsch

BGH zum Deliktsrecht: Haftung für psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Mit aktuellem Urteil vom 8. Dezember 2020 (Az.: VI ZR 19/20) hat sich der BGH zu einem besonders klausur- und examensrelevanten Problemkomplex des Deliktsrechts – der Zurechnung psychischer Gesundheitsverletzungen – geäußert. Konkret hat der BGH entschieden, dass auch bei der Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft dem Schädiger jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich zuzurechnen sind. Da deliktsrechtliche Fragen, insbesondere Kausalitätsprobleme, absolute Dauerbrenner in Studium und Examen sind, soll die Entscheidung im Folgenden ausführlich dargestellt werden.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Mehrere Polizeibeamte waren wegen einer tätlichen Auseinandersetzung in einer Cocktailbar im Einsatz. Dabei kam ein deutlich erkennbar und stark alkoholisierter Beteiligter einem Platzverweis auch nach mehrfacher Aufforderung nicht nach; er setzte sich gegen seine nachfolgend durchgeführte Ingewahrsamnahme heftig zur Wehr und verletzte dabei einen Polizeibeamten am Daumen. Infolge der Auseinandersetzung mit dem Schädiger erlitt der betreffende Polizeibeamte zudem eine psychische Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung, die zur dauerhaften Dienstunfähigkeit führte. Er verlangt vom Schädiger Schadensersatz für Behandlungskosten und Verdienstausfall aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung.
 
B) Rechtsausführungen
Zu prüfen war ein Anspruch des Polizeibeamten gegen den Schädiger aus § 823 Abs. 1 BGB, der zunächst die Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts bzw. Rechtsgutes voraussetzt. In Betracht kommt hier allein die durch die tätliche Auseinandersetzung herbeigeführte Gesundheitsverletzung in Form der posttraumatischen Belastungsstörung, die zur Dienstunfähigkeit geführt hat. Unter einer Gesundheitsverletzung ist jedes Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands zu verstehen, wobei unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten oder ob eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit, etwa durch den Ausbruch einer Krankheit, eingetreten ist (st. Rspr., s. beispielhaft BGH, Urt. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, NJW 2005, 2614, 2615).
 
Anmerkung: Die Abgrenzung der Körper- von der Gesundheitsverletzung ist mitunter schwierig, wenngleich praktisch folgenlos. Als Abgrenzungsformel kann man sich gleichwohl merken, dass die Körperverletzung Eingriffe in die physische Integrität erfasst, wohingegen sich die Gesundheitsverletzung „auf das Funktionieren der inneren Lebensvorgänge“ (so MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 204) beschränkt.
 
Eine Gesundheitsverletzung ist damit insbesondere bei somatischen Beeinträchtigungen, die nicht auf einer Verletzung der körperlichen Integrität beruhen, sowie psychischen Störungen jedweder Art gegeben (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 205). Der ständigen Rechtsprechung des BGH entspricht, dass durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen, die einen realen Krankheitswert haben, Gesundheitsverletzungen i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. nur Senatsurteile vom 21.5.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125, Rn. 7; v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451, Rn. 6; v. 20.5.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263, Rn. 8). Ohne Zweifel können die psychisch vermittelten Beschwerden des Polizeibeamten nach diesen Maßstäben als Gesundheitsverletzung eingeordnet werden.
 
Anmerkung: Resultieren die psychischen Beschwerden nicht aus einer unmittelbaren Beteiligung am schädigenden Ereignis, sondern ist die psychische Beeinträchtigung mittelbar auf die Verletzung eines Dritten zurückzuführen, stellt sich bereits beim Prüfungspunkt „Rechtsgutsverletzung“ die sog. Schockschaden-Problematik. Der BGH verlangt in diesen Fällen für die Annahme einer deliktsrechtlich relevanten Gesundheitsverletzung, dass die psychische Beeinträchtigung einen pathologisch fassbaren Krankheitswert hat und über die „üblichen“ gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind, und eine persönliche Nähe zwischen dem unmittelbar Verletzten und dem mittelbar Geschädigten besteht (s. hierzu exemplarisch BGH, Urt. v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 und die Ausweitung auf fehlerhafte ärztliche Behandlung in BGH, Urt. v. 21.5.2019 – VI ZR 299/17, NJW 2019, 2387, besprochen in unserem Beitrag).
 
Die Handlung des Schädigers müsste aber auch haftungsbegründend kausal für die psychische Gesundheitsverletzung gewesen sein. Der Prüfungspunkt „haftungsbegründende Kausalität“ betrifft die Ursächlichkeit der Verletzungshandlung für die Rechtsgutsverletzung. Die Kausalitätsprüfung erfolgt stets in drei Schritten: In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob Äquivalenz im Sinne eines „condicio-sine-qua-non“-Zusammenhangs besteht. Auf dieser Stufe ist also zu klären, ob der Beitrag des Schädigers nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsverletzung des Geschädigten entfiele. Als zweiter Filter der Kausalität ist Adäquanz insofern erforderlich, als die Rechtsgutverletzung nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Erwartbaren liegen darf; hiermit soll die Haftung für gänzlich atypische, unwahrscheinliche Fälle ausgeklammert werden. Im vorliegenden Fall war revisionsrechtlich zu unterstellen, dass bei dem Polizeibeamten infolge der schädigenden Handlung eine Traumafolgestörung von Krankheitswert eingetreten ist, für die das Verhalten des Schädigers sowohl äquivalent als auch adäquat kausal war.
Auf dritter Stufe erfolgt die Prüfung der Ursächlichkeit aber zusätzlich unter normativen Gesichtspunkten: Maßgeblich ist, ob die gegenständliche Anspruchsgrundlage gerade vor solchen Folgen, wie sie beim Anspruchsteller eingetreten sind, schützen will, sog. Lehre vom Schutzzweck der Norm. Herausfiltern soll dieser dritte Prüfungsschritt Konstellationen, in denen dem Schädiger eine Haftung nach wertender Betrachtung nicht zugemutet werden kann – etwa in Fällen, in denen sich ausschließlich das „allgemeine Lebensrisiko“ realisiert. An dieser Stelle stellen sich vorliegend zwei Problemkreise, die ausführlicherer Erörterung bedürfen:
I. Zum einen bedarf es nach der Rechtsprechung des BGH gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer besonderen Prüfung der Zurechnung:

„Sie soll der Eingrenzung einer sonst ausufernden Haftung für normale Belastungen in den Wechselfällen des Zusammenlebens dienen, auf die sich der Mensch im Leben einrichten muss (vgl. BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rn. 11), darf aber nicht der gegenüber körperlichen Verletzungen oft als erschwert angesehenen Objektivierbarkeit psychischer Beeinträchtigungen geschuldet sein. Dabei wird berücksichtigt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist.“ (Rn. 11)

Ausgehend hiervon kann bei einem geringfügigen schädigenden Ereignis angenommen werden, dass eine extreme psychische Reaktion außer Verhältnis steht und daher nicht mehr zugerechnet werden kann; vielmehr bewege sich diese im Bereich des allgemeinen Lebensrisikos. Dagegen realisiere sich dann nicht mehr das allgemeine Lebensrisiko, wenn „der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbaren Unfallbeteiligten aufgezwungen hat und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte“ (vgl. Urt. v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14; v. 12.11.1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 242, Rn. 14), was im vorliegenden Fall anzunehmen sei.  
II. Hinzu kommt hier aber noch ein zweiter Aspekt: Bei professionellen Rettungskräften oder Polizeibeamten wird zuweilen erwogen, dass im Falle der Verwirklichung des berufsspezifischen Risikos die Zurechnung psychischer Beeinträchtigungen zur Vermeidung uferloser Ausdehnung der Haftung des Schädigers unterbleiben muss. Letzteres hat etwa das Berufungsgericht – das OLG Celle – in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2019 angenommen: Bei dem betreffenden Sachverhalt habe es sich um eine für einen Polizeibeamten alltägliche Situation gehandelt, mit der im Rahmen der Berufstätigkeit ständig zu rechnen sei. Sofern eine solche Situation zu einer schweren psychischen Gesundheitsverletzung mit der Folge der Dienstunfähigkeit führe, könne dies dem Schädiger nicht zugerechnet werden (OLG Celle, Urt. v. 12.12.2019 – 5 U 116/19, BeckRS 2019, 43669, Rn. 33). Dieser Auffassung ist der BGH – in strikter Gleichsetzung physischer und psychischer Primärschäden – entschieden entgegengetreten:

„Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Risiko einer psychischen Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos dem Schädiger zuzuordnen. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten (Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 20), gebietet eine solche Vorbereitung und etwaige Stärkung ihrer Psyche regelmäßig nicht, ihnen beim dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Erkrankung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen. Es ist bereits nicht zu erklären, weshalb zwischen physischen und psychischen Primärschäden unterschieden werden sollte. Für den Bereich der Sekundärschäden und der haftungsausfüllenden Kausalität geht der Senat vielmehr regelmäßig von einer grundsätzlichen Gleichstellung der psychischen mit den physischen Schäden aus.“ (Rn. 16 f.)

Zudem lasse die entgegengesetzte Argumentation außer Acht, dass bei ausgebildeten Einsatzkräften die Gefahr des Eintritts psychischer Schäden im Vergleich zu Laien bereits vermindert sei. Komme es trotz professioneller Vorbereitung im Einzelfall dennoch zu psychischen Schäden, rechtfertige dies keine Risikoverlagerung auf den Geschädigten (Rn. 18). Um die Haftung des Schädigers in diesen besonderen Fällen einzugrenzen, knüpft der BGH die Zurechnung gleichwohl an verschiedene Kriterien: Neben dem Erfordernis, dass die psychische Beeinträchtigung realen Krankheitswert aufweist, muss der Schädiger – in Abgrenzung zu Fällen bloßer Anwesenheit des Polizeibeamten am Unfallort – dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbar (Unfall-)Beteiligten aufgezwungen haben. Darüber hinaus muss sich auch der Verschuldensvorwurf gegen den Verursacher auf die Folgeschäden erstrecken, was bei psychischen Erkrankungen als Folge von Routineeinsätzen nicht zwangsläufig der Fall ist. Auf dieser Grundlage hat der BGH die Sache letztlich unter Teilaufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
C) Fazit
Festzuhalten bleibt: Bei der Verwirklichung des berufsspezifischen Risikos sind psychische Gesundheitsverletzungen mit Krankheitswert von Polizeibeamten oder ähnlichen professionellen Rettungskräften dann dem Schädiger zuzurechnen, wenn der Schädiger dem Geschädigten die Beteiligung an dem traumatisierenden Geschehen unmittelbar aufgezwungen hat. Die Grundsätze, die der BGH in seinem Amoklauf-Urteil (Urt. v. 17.4.2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220, besprochen in unserem Beitrag) aufgestellt hat, werden damit auf polizeiliche „Standardsituationen“ ausgeweitet. Für eine Zurechnung entscheidend ist damit nicht, dass es sich wie bei einem Amoklauf um ein vorsätzliches schweres Gewaltverbrechen eines besonders aggressiven Täters handelt, sondern vielmehr insbesondere, ob der Geschädigte lediglich am Tatort anwesend oder unmittelbar in das Geschehen involviert war.
 
 

28.01.2021/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2021-01-28 09:00:472021-01-28 09:00:47BGH zum Deliktsrecht: Haftung für psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten
Dr. Yannik Beden, M.A.

Prüfungsrelevante BGH-Entscheidung: Amokläufer haftet für psychische Gesundheitsverletzung von Polizeibeamten

Deliktsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Mit Urteil vom 17.4.2018 – VI ZR 237/17 hat der Bundesgerichtshof zu einem besonders examensrelevanten Problembereich des Deliktsrechts judiziert. Konkret behandelt die Entscheidung Fragen des Zurechnungszusammenhangs im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB. Der zu besprechende Fall lässt sich problemlos in Zivilrechtsklausuren einbauen und erfordert erweiterte Kenntnisse im Bereich der deliktsrechtlichen Haftung. Vor dem Hintergrund der erhöhten Prüfungsrelevanz ist ein Blick in das Urteil des Sechsten Senats dringend geboten:
I. Der Sachverhalt (gekürzt)
Den Ausgangspunkt für die vom BGH zu entscheidende Rechtsstreitigkeit bildete ein Amoklauf des Schülers S vom 18.2.2010 in einer Berufsschule in der Stadt L. Der an einer Persönlichkeitsstörung leidende S begab sich an diesem Tag während der Unterrichtszeit in die Räumlichkeiten des Schulgeländes, bewaffnet mit einer geladenen Schreckschusspistole und einem Messer. Ebenso führte S bengalische Feuerkörper mit sich. Dabei war es seine Absicht, seinen ehemaligen Lehrer B sowie den Schulleiter C zu töten. Ebenso will S durch Nutzung der Feuerwerkskörper einen Feueralarm auslösen, um in der Folge weitere Schüler und Lehrkräfte verletzen bzw. töten zu können. Als S zur Tat schreitet und das Schulgebäude betritt, trifft er auf Lehrer B, den er durch fünf Messerstiche tötet. Im Anschluss hieran löst S den Feueralarm aus und bedroht bzw. verletzt weitere Personen.
Nachdem die Polizei von dem Vorfall verständigt wird, begibt sich ein Einsatzkommando kurze Zeit später zur Schule. Neben drei weiteren Polizeikräften betritt auch der Polizeibeamte K das Gebäude der Bildungseinrichtung. Die Beamten suchen die Räumlichkeiten nach S durch und stellen ihn sodann auch. Unter Vorhalt ihrer Dienstwaffen fordern die Polizisten den S zur Aufgabe auf. Nachdem S seine Schreckschusspistole und eine Umhängetasche zu Boden wirft, wird er von den Beamten festgenommen.
Aufgrund der Ereignisse erleidet der Polizeibeamte K eine Anpassungsstörung als Reaktion auf eine schwere seelische Belastung. Hieraus resultieren eine medizinische Behandlungsbedürftigkeit sowie eine vorübergehende Dienstunfähigkeit von drei Wochen. K verlangt von S mit Blick auf seine psychische Anpassungsstörung Schadensersatz aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung. Zu Recht? 
II. Maßgebliche Frage: Schadenszurechnung bei spezifischem Berufsrisiko
Bei der Prüfung des Anspruchs nach § 823 Abs. 1 BGB muss ein besonders Augenmerk auf den Umstand, dass K die psychischen Beeinträchtigungen in Ausübung seiner beruflichen Pflichten erlitten hat, gelegt werden. Grundsätzlich muss im Deliktsrecht zwischen der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität unterschieden werden. Ersteres bezieht sich auf die Kausalität zwischen Handlung und Rechtsgutsverletzung, während haftungsausfüllende Kausalität diejenige zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden meint. Die haftungsausfüllende Kausalität ist in drei Schritten zu prüfen: Der Schaden muss äquivalent i.S. der conditio-sine-qua-non Formel sein (1). Auch muss er adäquat kausal sein – der Schädiger soll nicht für sämtliche, besonders nicht für völlig atypische, unwahrscheinliche und außerhalb der Lebenserfahrung liegende Schäden einstehen müssen (2). Zuletzt muss der Schaden auch objektiv zurechenbar sein (3). Die objektive Zurechenbarkeit hat eine wertende Prüfung des Schutzzwecks der Norm zum Gegenstand. ACHTUNG: Der BGH verwendet auch im Deliktsrecht nicht den Begriff der objektiven Zurechenbarkeit, vielmehr implementiert das Gericht Fragen nach dem Schutzzweck der Norm bereits in die Prüfung der adäquaten Kausalität. Beides dürfte in der Klausur gut vertretbar sein.
Ungeachtet der gutachterlichen Verortung muss sich dann die Frage gestellt werden, ob eine Zurechnung unterbleiben muss, weil sich ein Risiko realisiert hat, welches dem Geschädigten zuzuordnen ist. Dies ist insbesondere dann anerkannt, wenn sich in der Schädigung das allgemeine Lebensrisiko des Anspruchsstellers realisiert hat. Für Amtsträger wie etwa Polizeibeamte lässt sich deshalb in Erwägung ziehen, dass der Schaden nicht objektiv zurechenbar bzw. adäquat kausal war, da sich in der psychischen Gesundheitsverletzung das berufsspezifische Risiko, derartige Schäden bei Einsätzen zu erleiden, verwirklicht hat.  
III. Instanzgerichtliche Rechtsprechung und Literatur zu berufsspezifischem Risiko psychischer Gesundheitsverletzungen
Die Instanzgerichte beurteilten die Frage der Zurechnung psychischer Gesundheitsverletzungen bei Polizeibeamten bislang unterschiedlich. Das OLG Koblenz etwa nimmt an, dass der Zurechnung keine Realisierung berufsspezifischer Risiken entgegenstehe. Psychische Verletzungen seien körperlich-physischen Schäden gleichzustellen – letztere seien auch nicht einer Zurechnungsunterbrechung ausgesetzt. Etwas anderes sei allenfalls bei völlig atypischen Folgen denkbar, wozu psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen jedoch nicht gehörten (OLG Koblenz Urteil v. 8.3.2010 – 1 U 1137/06). Anders entschied allerdings das OLG Celle, dem zufolge Bundesgrenzschutzbeamte für psychische Erkrankungen, die im Zusammenhang mit einer Kollision von Zügen entstanden waren, keinen deliktsrechtlichen Haftungsanspruch gegen den Verursacher haben (OLG Celle Urteil v. 28.4.2005 – 9 U 242/04). Den Zurechnungszusammenhang verneinte auch das LG Duisberg für den Fall, dass Feuerwehrmänner im Rahmen eines Einsatzes bei einer Massenveranstaltung psychische Schädigungen erleiden. Hier sei die der Schutzzweck der in Frage stehenden Norm nicht darauf gerichtet, derartige Verletzungen, die im Rahmen eines Einsatzes entstehen, auszugleichen (LG Duisburg Urteil v. 28.9.2015 – 8 O 361/14). Auch im Schrifttum finden sich Stimmen, denen zufolge psychische Erkrankungen, die Polizei- und Rettungskräfte im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeiten bei Einsätzen erleiden, der Risikosphäre des Amtsträgers zuzurechnen seien (insbesondere Stöhr, NZV 2009, 161 (164); Luckey, VersR 2011, 940 (941)). 
IV. Lösung des BGH
Der BGH bejahte im Ergebnis den Zurechnungszusammenhang und gestand dem K einen Schadensersatzanspruch gegen S aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Mit Blick auf die Rechtsgutsverletzung stellt das Gericht zunächst fest, dass die psychische Gesundheitsbeeinträchtigung des K eine Gesundheitsverletzung i.S.d. Norm darstellt, wobei keine erhöhen Anforderungen – wie etwa bei Schockschäden infolge des Todes oder schwerer Verletzung Dritter – an die Verletzung zu stellen sind. Maßgeblich sei nach Auffassung des Senats, dass die Gesundheitsverletzung des K nicht mittelbar durch die Verletzung von Dritten eingetreten sei, sondern vielmehr selbst und unmittelbar auf den Amoklauf des S zurückzuführen sei.
Für diese Gesundheitsverletzung bzw. den Schaden sei das Verhalten des K auch äquivalent und adäquat kausal gewesen. Der Zurechnungszusammenhang bedürfe in Fällen psychischer Gesundheitsverletzungen einer gesonderten Überprüfung (so bereits BGH Urteil v. 20.5.2014 – VI ZR 381/13). Zu beantworten ist dabei, ob die in Frage stehende Rechtsgutsverletzung nach „Art und Entstehungsweise“ dem Schutzzweck der Norm zugeordnet werden kann. Dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn sich in der Verletzung bzw. dem Schaden eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko, also der Risikosphäre des Geschädigten zuzurechnen ist. Schaut man auf die bisherige Judikatur des BGH, mag man zunächst an Konstellationen psychischer Gesundheitsverletzung im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen denken. Die Tendenz des BGH ging bislang dahin, nicht am Unfall beteiligten Passanten o.ä. eine etwaige Schädigung dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuweisen (vgl. BGH Urteil v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06), wohingegen bei unmittelbar am Verkehrsunfall Beteiligten psychische Gesundheitsverletzungen dem Schädiger zuzurechnen sind. Grund: Hier wird dem Geschädigten die Rolle des unmittelbar Unfallbeteiligten aufgezwungen (so bereits BGH Urteil v. 12.11.1985 – VI ZR 103/84). Wie das berufsspezifische Risiko von Polizeibeamten, psychische Gesundheitsverletzungen zu erleiden, deliktsrechtlich zu werten ist, war bislang noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Der Sechste Senat findet zu dem Schluss, dass jedenfalls bei vorsätzlichen schweren Gewaltverbrechen wie einem Amoklauf bei wertender Betrachtung kein Anlass besteht, psychische Schäden von Polizeibeamten von der Zurechnung auszunehmen:
„Jedenfalls bei vorsätzlichen schweren Gewaltverbrechen wie dem streitgegenständlichen Amoklauf, mit denen typischerweise Angst und Schrecken verbreitet werden sollen und verbreitet werden, besteht im Rahmen der gebotenen wertenden Betrachtung kein Grund, die psychischen Auswirkungen des Geschehens auf einen daran unmittelbar beteiligten Polizeibeamten von der Zurechnung an den Schädiger auszunehmen. Zwar gehört es zur Ausbildung und zum Beruf eines Polizeibeamten, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten. Das Risiko, dass er aus einer solchen Belastungssituation eine psychische Gesundheitsverletzung davonträgt, ist aber jedenfalls bei Straftaten der vorliegenden Art nicht allein seiner Sphäre zuzurechnen. Das Verhalten eines Amokläufers wie hier des Beklagten zeichnet sich durch ein hohes Maß an Aggressivität gegenüber nicht nur der körperlichen, sondern auch der seelischen Unversehrtheit der Betroffenen aus. Ihm das Haftungsrisiko für die psychischen Auswirkungen seines Tuns insoweit abzunehmen, als davon Polizeibeamte betroffen sind, lässt sich bei wertender Betrachtung nicht rechtfertigen.“
Der BGH stellt in seiner Entscheidung ausdrücklich fest, dass die in diesem Fall gefundene Wertung nicht auf sämtliche Konstellationen psychischer Gesundheitsverletzungen von Polizeibeamten, Rettungskräften o.ä. übertragen werden kann. Dafür sind bereits die Einsätze, in denen das berufsspezifische Risiko des Geschädigten relevant werden kann, zu vielseitig. Für schwere vorsätzliche Straftaten wird man allerdings davon ausgehen können, dass eine Zurechnung der Verletzung bzw. des Schadens zum Straftäter angenommen werden kann.
V. Resümee
Für eine deliktsrechtliche Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB bedarf es nicht nur einer äquivalent kausalen, sondern auch adäquat kausalen bzw. objektiv zurechenbaren Rechtsgutsverletzung und Schädigung. Welche Reichweite der Schutzzweck der Norm hat, bedarf dabei zwangsläufig einer wertenden Betrachtung. Geht es um die Zurechnung von Verletzungen bzw. Schäden, die Berufsträger in Ausübung ihrer Pflichten erleiden, muss nach einer Realisierung des berufsspezifischen Risikos gefragt werden. Für schwere und vorsätzliche Straftaten dürfte mit der vorliegenden Entscheidung klar sein, dass psychische Gesundheitsverletzung auch bei Polizeikräften dem Straftäter zuzurechnen sind. Insgesamt handelt es sich um eine Entscheidung, die unmittelbaren Anlass für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der deliktsrechtlichen Zurechnungsdogmatik bietet.

10.07.2018/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-07-10 10:00:402018-07-10 10:00:40Prüfungsrelevante BGH-Entscheidung: Amokläufer haftet für psychische Gesundheitsverletzung von Polizeibeamten

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