Nachfolgend erhaltet Ihr in Kooperation mit dem Repetitorium Jura Online (www.jura-online.de) eine unverbindliche Lösungsskizze der im Juni 2014 gelaufene ÖI Klausur in NRW (Sachverhalt und auch unten). Mittels der Skizze soll es euch möglich sein, euch noch besser auf eure eigenen Klausuren vorzubereiten und die wesentlichen Problemkreise zu erfassen. Am Ende des Beitrags verweist Jura Online abschließend auf eigene Lernangebote.
Bitte beachten:
Die Lösungsskizze ist absolut unverbindlich und erhebt keinerlei Anspruch auf inhaltliche Richtigkeit oder Vollständigkeit. Sie beruht allein auf den uns zugesandten Gedächtnisprotokollen und soll allenfalls eine Richtschnur für eure eigenen Überlegungen sein. Bitte habt auch Verständnis dafür, dass wir oder Jura Online evtl. Fragen zu euren eigenen Klausurlösungen nicht beantworten können. Gleichwohl ist jeder herzlich eingeladen, sich im Kommentarbereich mit anderen Lesern auszutauschen. Wir werden versuchen, auf die ein oder andere Frage dort einzugehen.
Sachverhalt
Im Bundesland B gibt es das Feiertagsgesetz (FTG). Darin heißt es in §
3, dass an ruhigen Feiertagen nur solche Vergnügungsveranstaltungen
erlaubt seien, die mit dem Charakter des Feiertages zu vereinbaren
seien. In § 1 sind als solche ruhige Feiertage z.B. der Karfreitag und
Totensonntag vermerkt. Außerdem Allerheiligen, der am 1.11. gefeiert
wird und an dem katholische Christen traditionell der Verstorbenen
gedenken. Sportveranstaltungen sind an diesem Tag ausdrücklich erlaubt.
Der Verein “Mehr Toleranz für internationale Feste in B” (V) aus dem
Bundesland B hat es sich zur Aufgabe gemacht, Meinungskundgaben und
Informationsveranstaltungen zu internationalen Festen zu veranstalten.
Der Verein selbst hat 7 Mitglieder.
Anfang Oktober verlautbart V, dass am 31.10. eine solche
Meinungsaustausch- und Infoveranstaltung in der Diskothek in der
Großstadt S stattfinden werde. In der Ankündigung wird darauf
hingewiesen, dass es den Besuchern offen stehe, in Halloweenverkleidung
zu erscheinen und es auch nicht verboten sei, sich rhythmisch zu Musik zu
bewegen. V hat zu diesem Zweck bereits eine Diskothek angemietet, die
Platz für 800 Menschen bietet. Gemietet wurde diese von 31.10. 22 Uhr
bis 01.11. 07:00 Uhr.
Die zuständige Ordnungsbehörde der Stadt S verbietet nach erfolgter
Anhörung dem V die Veranstaltung schriftlich per Bescheid. Als
Begründung führt sie an, alleine die Diskrepanz von der Mitgliederzahl
des Vereins zu dem Veranstaltungsraum spreche dafür, dass es sich um
eine Scheinveranstaltung handle, die den Zweck habe, das Feiertagsverbot
zu umgehen. Dafür spreche auch die Tatsache, dass jeder gegen eine
Gebühr von 8 € Mitglied des Vereins werden könne. Die Ordnungsbehörde
erklärt außerdem den sofortigen Vollzug. Dazu führt sie insbesondere
aus, wegen des unverschämten Umgehungsversuches müsse an V ein Exempel
statuiert werden.
Der V reicht noch am selben Tag, wirksam vertreten durch seinen
Vorsitzenden, einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und zugleich
Klage ein. V führt aus, das FTG sei schon gar nicht anwendbar, da die
Veranstaltung von V nicht öffentlich sei. Viel erheblicher sei aber die
Tatsache, dass die Begriffe “ernst” und “öffentlich” aus § 3 FTG mit dem
Bestimmtheitsgebot nicht zu vereinbaren seien. Außerdem zwinge das FTG
allen Menschen den christlichen Glauben auf und sei mit dem
Neutralitätsgebot daher unvereinbar. Außerdem verstoße es gegen das
Recht auf Versammlungsfreiheit. Aufgrund der Tatsache, dass
Sportveranstaltungen erlaubt seien, ergebe sich weiterhin ein Verstoß
gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Die V hält dem entgegen, so neutral sei der Staat gar nicht, was sich
aus Art. 140 GG iVm Art. 139 WRV ergebe. Die Versammlungsfreiheit
erfasse zudem gar nicht die Veranstaltung des V, da davon nicht jede
Vereinsarbeit erfasst sei. Sport diene außerdem der Volksgesundheit und
sei nicht so eine schrille Albernheit wie Halloween feiern.
Hat der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz des V Aussicht auf
Erfolg?
Im Anhang wurde darauf hingewiesen, dass Halloween ein Fest ist, das am
31.10. gefeiert wird und zu dem Menschen Kostüme tragen. Außerdem wurde
vorgegeben, dass das FTG formell verfassungsgemäß ist und § 110 JustG
zeitlich gilt. Sofern Landesrecht anzuwenden sei, gelte NRW-Recht.
Unverbindliche Lösungsskizze
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 I 1 VwGO (+)
II. Statthafte Verfahrensart
Hier: Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, § 80 V 1 2. Fall VwGO; Arg.: Verbot = Verwaltungsakt, gegen den in der Hauptsache die Anfechtungsklage die statthafte Klageart ist.
III. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog
Hier: Art. 8, 5, 4, 3, 19 III GG
IV. Antragsgegner, § 78 I Nr. 1 VwGO
V. Rechtsschutzbedürfnis
1. Hauptsacherechtsbehelf nicht offensichtlich unzulässig (+)
2. Keine aufschiebende Wirkung
Hier: § 80 II 1 Nr. 4 VwGO
3. Vorheriger Antrag bei der Behörde, § 80 IV VwGO
– Nicht erforderlich; Arg.: § 80 VI VwGO ; effektiver Rechtsschutz
VI. Beteiligten- und Handlungsfähigkeit, §§ 61, 62 II VwGO
– Bzgl. der Vereins: §§ 21, 26 BGB
B. Begründetheit
I. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
1. Zuständigkeit, § 80 II 1 Nr. 4 VwGO
2. Verfahren
– Anhörung gem. § 28 I VwVfG (analog) nicht erforderlich; Arg.: Anordnung der sofortigen Vollziehung kein Verwaltungsakt
3. Form
– Gesonderte, schriftliche, tragfähige Begründung, § 80 II 1 Nr. 4, III VwGO (-); Arg.: das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung wird nicht deutlich
– Heilung gem. § 45 I Nr. 2 VwVfG nicht möglich; Arg.: Anordnung der sofortigen Vollziehung kein Verwaltungsakt
II. Materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
Darüber hinaus könnte die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch materiell rechtswidrig sein.
(Problem: Prüfungsumfang – Ist nach Feststellung der formellen Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung noch die materielle Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu prüfen?
(+); Arg.: Prozessökonomie)
1. Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Verwaltungsaktes (Verbotsverfügung)
a) Ermächtigungsgrundlage
aa) Feiertagsgesetz (FTG)
(-); Arg.: FTG enthält nur Verbot, keine Ermächtigung
bb) § 5 Versammlungsgesetz
Problem: Versammlung
– aA: Jeder Zweck ausreichend
– aA: Politischer (öffentlicher) Zweck erforderlich
– hM: Kommunikativer Zweck erforderlich, aber auch ausreichend
Hier: wohl bloße Tanzveranstaltung; Arg.: Ort; Uhrzeit, Dauer; Ankündigungen bzgl. der Musik; „Mitgliedsbeitrag“
cc) Generalklausel, § 14 OBG
b) Formelle Rechtmäßigkeit (+)
c) Materielle Rechtmäßigkeit
aa) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
(1) Schutzgut
– Öffentliche Sicherheit
– Fallgruppe: Geschriebenes Recht (§ 3 FTG)
(a) Wirksamkeit (Verfassungsmäßigkeit) des § 3 FTG
(aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit (+)
(bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit
(aaa) Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG
(-); Arg.: Wohl keine Versammlung (s.o.)
(bbb) Verstoß gegen Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG
(-); Arg.: Wohl keine Meinungsäußerung
(ccc) Verstoß gegen Glaubensfreiheit, Art. 4 I, II GG
– Negative Glaubensfreiheit der Mitglieder
– „Staatliches Neutralitätsgebot“ nicht absolut; Arg.: z.B. Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV
(ddd) Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 I GG
– Vergleich mit Sportveranstaltungen, die an Feiertagen ausdrücklich zugelassen sind
– Aber: Unterschiedsbehandlung wohl sachlich gerechtfertigt; Arg.: keine reine „Spaßveranstaltung“
(eee) Bestimmtheitsgebot
– „Öffentlich“ (+); Arg.: hinreichend konkretisiert, vgl. auch § 1 Versammlungsgesetz
– „Ernst“ wohl noch (+)
(b) Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 FTG (+)
(2) Gefahr (+)
(3) Ordnungspflichtigkeit
Hier: Verhaltensstörer, § 17 OBG
bb) Rechtsfolge: Ermessen
– Verhältnismäßigkeit (+)
2. Weitere Interessenabwägung (+)
C. Gesamtergebnis/Gerichtlich Entscheidung
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist zumindest formell rechtswidrig. Das Gericht wird die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufheben.