In einer mit Spannung erwarteten Entscheidung des BVerfG vom gestrigen Tage hat sich das Gericht zu Fragen des Klimawandels und der Verantwortung des deutschen Gesetzgebers geäußert. Die wichtigsten Punkte der Entscheidung, die insbesondere durch allgemeine Aussagen zum Klimaschutz im Lichte des Verfassungsrechts auffällt, sollen im Folgenden übersichtsartig dargestellt werden.
Worum geht es?
Mehrere, nach Angaben des Gerichts überwiegend junge Personen auch aus dem außereuropäischen Ausland haben Verfassungsbeschwerden gegen das deutsche Klimaschutzgesetz eingereicht. Das Gesetz enthält die Verpflichtung, Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um 55 % im Vergleich zum Jahre 1990 zu reduzieren. Hierfür werden für näher bestimmte Bereiche jeweils sog. Reduktionspfade festgelegt. Für die Zeit nach dem Jahr 2030 trifft das Gesetz keine Festlegungen, hierzu sieht § 4 Abs. 6 KSG lediglich vor, dass die Bundesregierung im Jahre 2025 weitere Regelungen durch Rechtsverordnung trifft. In diesem Kontext ist wichtig zu wissen, dass auf Grundlage des Pariser Klimaabkommens als Zielmarke gilt, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 °C, jedenfalls deutlich unter 2 °C zu begrenzen. Zur Erderwärmung trägt eine Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre bei, wobei einmal in die Atmosphäre gelangtes CO2 nur schwer wieder entfernt werden kann. Dies berücksichtigend hat das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ein sog. CO2-Restbudget errechnet, d.h. eine Restmenge an CO2, die noch ausgeschieden werden kann und die sich anteilig auf die Staaten der Welt aufteilen lässt. Das vom deutschen Sachverständigenrat für Umweltfragen ermittelte Restbudget für Deutschland wäre bei Geltung der Vorgaben des Klimaschutzgesetzes bis zum Jahr 2030 weitgehend aufgebraucht.
Die Beschwerdeführer sehen die grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und aus Art. 14 GG, sowie ihr „Grundrecht auf menschenwürdige Zukunft“ und ihr „Grundrecht auf das ökologische Existenzminimum“ aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20a GG und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG verletzt.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das Gericht setzt sich zunächst mit der gerügten Schutzpflichtverletzung auseinander. Hierbei erkennt es grundsätzlich einen Schutzanspruch vor den Gefahren der Erderwärmung an, gestützt auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit:
„Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen ein, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels, etwa vor klimabedingten Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Wald- und Flächenbränden, Wirbelstürmen, Starkregen, Überschwemmungen, Lawinenabgängen oder Erdrutschen, zu schützen.“ (BVerfG, Pressemitteilung 31/2021 v. 29.4.2021).
Auch aus dem Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG könne in diesem Kontext eine Schutzpflicht folgen, da etwa Grundeigentum durch den steigenden Meeresspiegel oder Trockenheit beschädigt werden kann. Dass auch die Gefährdung von Leib und Leben schon eine Beeinträchtigung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG darstellen kann, ist nicht neu (siehe etwa BVerfGE 49, 89 (141)). Ebenso wenig neu ist auch die Begründung, mit der das BVerfG eine Schutzpflichtverletzung letztlich ablehnt: Angesichts des dem Gesetzgeber bei der Erfüllung von Schutzpflichten zukommenden Spielraums könne eine Verletzung nicht festgestellt werden.
Während das BVerfG die Pflicht des Gesetzgebers, Maßnahmen zum Schutze von Leib, Leben und Eigentum vor den Gefahren des Klimawandels zu ergreifen, also ausdrücklich anerkennt, so tut es dies nur in den bereits zuvor anerkannten Grenzen solcher Schutzpflichten. Es gilt das Untermaßverbot: Nur gänzlich ungeeignete oder vollkommen unzulängliche Maßnahmen bedeuten letztlich eine Verletzung der Grundrechte (siehe schon BVerfGE 77, 170 (215); 88, 203 (254 f.)). Das sieht das Gericht hier nicht gegeben.
„Zum grundrechtlich gebotenen Schutz vor den Gefahren des Klimawandels offensichtlich ungeeignet wäre ein Schutzkonzept, das nicht das Ziel der Klimaneutralität verfolgte; die Erderwärmung könnte dann nicht aufgehalten werden, weil jede Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zur Erderwärmung beiträgt und einmal in die Atmosphäre gelangtes CO2 dort weitestgehend verbleibt und absehbar kaum wieder entfernt werden kann. Völlig unzulänglich wäre zudem, dem Klimawandel freien Lauf zu lassen und den grundrechtlichen Schutzauftrag allein durch sogenannte Anpassungsmaßnahmen umzusetzen. Beides ist hier nicht der Fall.“ (BVerfG, Pressemitteilung 31/2021 v. 29.4.2021).
Daher konnte hier auch offenbleiben, ob und inwiefern die grundrechtlichen Schutzpflichten auch gegenüber Beschwerdeführern aus dem außereuropäischen Ausland gelten.
Hier bleibt die Entscheidung jedoch nicht stehen. In der Folge setzt sich das Gericht mit der Bedeutung der CO2-Restbudgets und der Tatsache auseinander, dass das für Deutschland errechnete Budget nach Umsetzung der Vorgaben des Klimaschutzgesetzes bis 2030 weitgehend aufgebraucht würde. Denn das bedeutet, sofern man das Ziel der Klimaneutralität und das 1,5 bzw. 2°C-Ziel verfolgt, dass nach 2030 nur noch sehr begrenzte Emissionsmöglichkeiten bestehen würden. Die entscheidende Last wird damit in die Zukunft und daher auf jüngere Generationen verlagert. „CO2-relevanter Freiheitsgebrauch“ wäre damit in der Zukunft nur noch in engen Grenzen möglich. Unter Verweis auf die Wechselwirkung, dass jede heute zugelassene Emissionsmenge eine Einschränkung der zukünftig zulässigen Menge darstellt, sieht das BVerfG gerade hierin die entscheidende Grundrechtsbeschränkung. Zwar müsse der CO2-relevante Freiheitsgebrauch ohnehin irgendwann weitgehend unterbunden werden, ein umfangreicher Verbrauch der noch zur Verfügung stehenden Emissionen vor 2030 gefährdet aber nach Einschätzung des Gerichts die Möglichkeit eines schonenden Übergangs von der heutigen Lebensweise zu einer klimaneutralen. Dies stelle eine eingriffsähnliche Vorwirkung der durch das Grundgesetz umfassend geschützten Freiheit dar. Um welche Grundrechte es geht, präzisiert das Gericht nicht, vielmehr könne praktisch jegliche Freiheit potentiell betroffen sein. Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung formuliert das Gericht zwei Voraussetzungen:
„Die Verfassungsmäßigkeit dieser nicht bloß faktischen, sondern rechtlich vermittelten eingriffsähnlichen Vorwirkung aktueller Emissionsmengenregelungen setzt zum einen voraus, dass sie mit dem objektivrechtlichen Klimaschutzgebot des Art. 20a GG vereinbar ist. Grundrechtseingriffe lassen sich verfassungsrechtlich nur rechtfertigen, wenn die zugrundeliegenden Regelungen den elementaren Grundentscheidungen und allgemeinen Verfassungsgrundsätzen des Grundgesetzes entsprechen. Das gilt angesichts der eingriffsähnlichen Vorwirkung auf grundrechtlich geschützte Freiheit auch hier. Zu den zu beachtenden Grundsätzen zählt auch Art. 20a GG. Zum anderen setzt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung voraus, dass die Emissionsmengenregelungen nicht zu unverhältnismäßigen Belastungen der künftigen Freiheit der Beschwerdeführenden führen.“ (BVerfG, Pressemitteilung 31/2021 v. 29.4.2021).
Einen Verstoß gegen die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG als solchen sieht das Gericht nun zunächst nicht gegeben. Zwar verpflichte der dort enthaltene Klimaschutzauftrag eine Lösung des Klimaschutzproblems auf internationaler Ebene zu suchen sowie eigene, innerstaatliche Maßnahmen zum Klimaschutz zu treffen. Auch gewinne das Klimaschutzgebot mit fortschreitendem Klimawandel an Gewicht. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Einhaltung des Klimaschutzgebots sei auch nicht aufgrund der offenen Formulierung des Art. 20a GG ausgeschlossen, denn der Gesetzgeber habe das Klimaschutzziel dahingehend konkretisiert, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber 1990 begrenzt werden soll. Dies erfolgte durch § 1 S. 3 Klimaschutzgesetz, der dieses Ziel zur Grundlage desselben erklärt. Letztlich scheitert die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 20a GG jedoch wiederum an der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers sowie der Unsicherheiten, die bei der Berechnung des CO2-Restbudgets bestehen.
„Derzeit kann ein Verstoß gegen diese Sorgfaltspflicht nicht festgestellt werden. Zwar folgt daraus, dass Schätzungen des IPCC zur Größe des verbleibenden globalen CO2-Restbudgets zu berücksichtigen sind, obwohl darin Ungewissheiten enthalten sind. Durch die in § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 geregelten Emissionsmengen würde das vom Sachverständigenrat für Umweltfragen auf der Grundlage der Schätzungen des IPCC ermittelte Restbudget bis zum Jahr 2030 weitgehend aufgebraucht. Das Maß an Verfehlung bildete jedoch verglichen mit den derzeit in der Berechnung des Restbudgets enthaltenen Unsicherheiten keine hinreichende Grundlage für eine verfassungsgerichtliche Beanstandung.“ (BVerfG, Pressemitteilung 31/2021 v. 29.4.2021).
Die zweite Voraussetzung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ist nach Ansicht des Gerichts hingegen nicht erfüllt. Zwar besteht insoweit aktuell noch keine Grundrechtsbeeinträchtigung – durch den nur wenig beschränkten CO2-Ausstoß zum jetzigen Zeitpunkt sind jedoch stärkere Einschränkungen für die Zukunft sicher. Hierin sieht das BVerfG einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil die erforderlichen Einschränkungen nicht in grundrechtsschonender Weise über die Zeit verteilt werden:
„Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde. Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; gerade deshalb droht dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen. Weil die Weichen für künftige Freiheitsbelastungen bereits durch die aktuelle Regelung zulässiger Emissionsmengen gestellt werden, müssen die Auswirkungen auf künftige Freiheit aber aus heutiger Sicht verhältnismäßig sein.“ (BVerfG, Pressemitteilung 31/2021 v. 29.4.2021).
Zwar ist noch nicht sicher, ob tatsächlich unzumutbare Grundrechtsbeschränkungen aufgrund der zukünftigen Treibhausgasminderungslast eintreten. Das Risiko ist nach Einschätzung des Gerichts jedoch hoch, was bereits jetzt die Berücksichtigung der dann potentiell betroffenen Freiheitsrechte notwendig macht. Wie ein mit der Verfassung in Einklang stehender Zustand erreicht werden könnte, gibt das BVerfG ebenfalls vor: Frühzeitig müssten transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die Orientierung bieten und Planungssicherheit vermitteln. Auch eine Planung weit über das Jahr 2030 hinaus sei erforderlich. Dass die Bundesregierung im Jahr 2025 einmalig verpflichtet wird, durch Rechtsverordnung weitere Festlegungen zu treffen, genüge nicht. Schon an der Rechtzeitigkeit solcher Festlegungen werden Zweifel erhoben. Die Verordnungsermächtigung nach § 4 Abs. 6 Klimaschutzgesetz genüge weiterhin nicht den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG sowie dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts. Schon das Klimaschutzgesetz selbst müsse nähere Maßgaben zur Bestimmung der Jahresemissionsmengen durch den Verordnungsgeber treffen.
Was bleibt?
Die Entscheidung ist in ihrer Bedeutung sicherlich nicht zu unterschätzen und wird von Klimaschützern als Erfolg gefeiert. Der Gesetzgeber wird bereits jetzt verpflichtet, eine langfristige Planung zur Erreichung des 1,5 bzw. 2 °C-Ziels zu erarbeiten. Eine Planung lediglich bis zum Jahr 2030, die entscheidenden Veränderungen letztlich weitgehend nach hinten verschiebt, dafür dann aber umso dringlicher macht, genügt nicht. Das BVerfG stärkt hiermit der Klimaschutzbewegung und der jüngeren Generation den Rücken und trifft auch einige grundlegende Aussagen zur Bedeutung des Klimaschutzes für die Grundrechte des Einzelnen. Zugleich betont es jedoch wiederholt den weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Wie dieser genutzt wird, ist nun abzuwarten. Mit den von den Beschwerdeführern geltend gemachten „Klimagrundrechten“ setzte sich das Gericht – soweit aus der Pressemitteilung ersichtlich – nicht direkt auseinander. Die Entscheidung basiert vielmehr auf der Prämisse, durch eine in Zukunft notwendige, sehr viel strengere Regulierung des CO2-Ausstoßes könnten sämtliche anerkannten Freiheitsrechte beeinträchtigt werden. Ein Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminimum etwa erkennt das Gericht also nicht ausdrücklich an. Die vom BVerfG monierte Grundrechtsgefahr folgt nicht aus dem Klimawandel als solchem, sondern aus den Einschränkungen, die er dem Einzelnen abverlangt. Dennoch kann die Entscheidung insgesamt als Ermahnung aufgefasst werden, auch heute schon an morgen zu denken – oder eben an 2030 und alles, was darauf folgt.