Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 15.06.2010 (VI ZR 232/09) entschieden, dass sich der Geschädigte, der sein beschädigtes Fahrzeug nicht reparieren lässt, sondern es veräußern und ein Ersatzfahrzeug anschaffen will, sich den erzielten höheren Verkaufserlös anrechnen lassen muss, wenn er ihn ohne besondere Anstrengungen erlangt hat und er ihm in den Schoß gefallen ist.
Sachverhalt
Das Fahrzeug des Klägers wurde bei einem Unfall beschädigt. Die volle Haftung der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Nach Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts streiten die Parteien vor dem Bundesgerichtshof nur noch um die Frage, ob die vom Amtsgericht für begründet erachtete Klageforderung in Höhe von 4.653,16 Euro durch die von der Beklagten hilfsweise erklärte Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung in Höhe von 5.500 Euro erloschen ist.
Der Kläger hatte nach Besichtigung durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen, der den Wiederbeschaffungswert auf 25.800 Euro brutto geschätzt hatte, einen Restwert in Höhe von 5.200 Euro ermittelt. Nachdem er im Juli 2003 seinen Fahrzeugversicherer eingeschaltet und dieser ihm mit Hilfe der Internetrestwertbörse „Car TV“ eine günstigere Verwertungsmöglichkeit aufgezeigt hatte, hatte er jedoch das Unfallfahrzeug an die Firma Kfz-Handel F. zu einem Kaufpreis von 10.700 € brutto veräußert. Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger müsse sich auf den Wiederbeschaffungswert des Unfallfahrzeugs nicht lediglich den von seinem Gutachter geschätzten Restwert seines Fahrzeugs in Höhe von 5.200 €, sondern den tatsächlich von ihm erzielten Veräußerungserlös in Höhe von 10.700 € anrechnen lassen, weshalb sie 5.500 € zu viel an den Kläger gezahlt habe.
Das Amtsgericht hatte die Klage im Hinblick auf die Hilfsaufrechnung abgewiesen; die klägerische Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen, das aber die Revision zuließ.
Entscheidung des BGH
Mit dieser Revision hatte der Kläger nun auch keinen Erfolg. Der BGH hat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht entschieden, dass sich der Kläger den von ihm erzielten Veräußerungserlös in Höhe von 10.700 € und nicht lediglich in Höhe von 5.200 € anrechnen lassen müsse. Der Kläger habe lediglich obligationsmäßige Anstrengungen unternommen und das Restwertangebot in der Internetrestwertbörse sei im „in den Schoß gefallen“. Sein Fahrzeugversicherer habe bei der Vermittlung des Kaufangebots ebenfalls nur geringen Aufwand betrieben.
Grundsätzlich ergebe sich der Schaden des Geschädigten aus der Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert. Zwar dürfe er bei seiner Schadensabrechnung im Allgemeinen denjenigen Restwert zugrunde legen, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Anderes gelte jedoch dann, wenn der Geschädigte für das Unfallfahrzeug ohne besondere Anstrengungen einen Erlös erzielt habe, der den vom Sachverständigen geschätzten Betrag übersteigt. Der Geschädigte könne in solchem Fall nicht an einem guten Angebot „verdienen“, vielmehr könne der Schädiger den Geschädigten am tatsächlich erzielten Erlös festhalten. Besondere Anstrengungen des Klägers seien auch nicht etwa dadurch entstanden, dass er eine Fahrzeugvollversicherung unterhalten und dafür Beiträge geleistet habe, denn diese Aufwendungen seien weder durch die Veräußerung des Schrottfahrzeugs verursacht worden, noch überhaupt in einem Zusammenhang mit dem Unfall entstanden. Die Entscheidung des Klägers, eine Fahrzeugversicherung abzuschließen und die Versicherungsbeiträge zu zahlen, sei in jeder Hinsicht unabhängig von der späteren Verwertung des Unfallfahrzeugs. Die Annahme, der Kläger habe die Versicherung zu dem Zweck abgeschlossen, dass ihm im Schadensfall eine günstige Verwertungsmöglichkeit aufgezeigt werde, sei lebensfremd. Der Sinn einer Fahrzeugversicherung bestehe darin, dass der Ersatz des unmittelbar am Fahrzeug entstandenen Schadens auch dann geltend gemacht werden könne, wenn ein Dritter nicht haftbar gemacht werden könne.
Examensrelevanz
Das Thema „Fiktive Schadensabrechnung“ ist derzeit häufiger Gegenstand von BGH Entscheidungen (vgl. auch die andere Juni BGH Entscheidung zur fiktiven Schadensabrechnung) und damit auch im Staatsexamen. Wie bereits berichtet, wurde diese Problematik unter anderem im Mai 2010 im Examen in NRW in der 1. Zivilrecht-Examensklausur abgefragt.
Schlagwortarchiv für: fiktive Schadensabrechnung
Zwei wichtige Entscheidungen, die in diesem Monat Juli im Volltext veröffentlicht wurden – eine vom Bundesverfassungsgericht und eine vom Bundesgerichtshof.
1. BVerfG-Beschluss vom 5.7.2010 (2 BvR 759/10):
Bundesverfassungsgericht: Verfassungsbeschwerde gegen „Blitzer“ erfolglos
– Examensrelevante Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Blitzens: 100h StPO als Ermächtigungsgrundlage für Blitzer
– Die polizeilichen „Blitzerfotos“ sind ein gerechtfertigter Eingriff in das Recht des Fahrers auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. BGH-Entscheidung vom 22.6.2010 (VI ZR 302/08):
BGH stärkt Rechte der unfallgeschädigten Gebrauchtwagenfahrer beim Fahrzeugschaden
– Die Problematik der fiktiven Schadenabrechnung wurde erst kürzlich im Mai-Termin in NRW in der 1. Zivilrechtsklausur abgefragt.
Leitsätze:
1. Der Geschädigte leistet dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.
2. Der Schädiger kann den Geschädigten aber unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden.
Was lief im Mai in den Zivilrecht Examensklausuren im 1. Staatsexamen in NRW?
Die Sachverhalte können hier heruntergeladen werden.
Kein ZPO, keine Nebengebiete, dafür aber Schuldrecht AT und BT und Sachenrecht
1. Klausur
– Schwerpunkt: Schuldrecht AT und BT (Kaufrecht)
– Exakt die gleiche Klausur (auf den Wortlaut genau!!!) lief auch im Oktober 2007 in NRW in der 1. Klausur im Zivilrecht
– Fiktive Schadensberechnung, Ansatz der Kosten einer Fachwerkstatt: Ersatz fiktiver Reparaturkosten im Rahmen des § 249 Abs. 1 BGB
– Ersatz entgangener Nutzungen
– Ersatzfähigkeit eines so genannten „Unfallersatztarifs“ und Aufklärungspflichten der Fahrzeugvermietung
– Erklärungen am Unfallort als deklaratorisches Schuldanerkenntnis
– Ersatz des Minderwertes bei Unfallwagen
– Relevante Rechtsnormen: § 249 Abs. 1 BGB, 253 Abs. 2 BGB, § 7 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, 18 StVG, §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 1 BGB
2. Klausur
– Schwerpunkt: Sachenrecht
– Abwandlung von BGH Urteil vom 1.2.2008 (V ZR 47/07)
– Nachbarrechlichtes Schuldverhältnis
– Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch
– § 951 BGB als Rechtsfortwirkungsanspruch i.V.m. § 812 ff BGB nach Verarbeitung
– BGH, Urteil vom 19. Juni 2007 – X ZR 5/07
– Übertragung von Anwartschaftsrechten analog den Regeln über das Vollrecht
– Übereignung durch bloße Einigung (§ 929 S. 2 BGB) im Rahmen einer Handschenkung (§ 516 S. 1 BGB)
– Fahrzeugbrief als Legitimationspapier analog § 952 Abs. 2 BGB
3. Klausur
– Schwerpunkt: Schuldrecht AT und BT (Kaufrecht)
– Klausur bestehend aus zwei Original BGH Entscheidungen
– BGH, Urteil vom 28. November 2007 – VIII ZR 16/07
– Schadensersatz wegen Nutzungsausfalls nach Rücktritt vom Kaufvertrag wegen Sachmangels wegen eines unbehebbaren Mangels
– nebeneinander von Schadensersatz und Rücktritt (§ 325 BGB)
– Abgrenzung der Schadensarten
– Als Zusatzfrage: BGH Urteil vom 15.9.2009: Gesetzliches Aufrechnungsverbot des § 393 BGB unerlaubten Handlungen