Mit Urteil vom heutigen Tage (15.05.2018 – VI ZR 233/17) hat der VI. Zivilsenat des BGH über die Verwertbarkeit sog. Dashcam-Aufnahmen entschieden. Als Dashcam wird eine Videokamera bezeichnet, die an der Windschutzscheibe oder dem Armaturenbrett des Fahrzeugs befestigt wird und während der gesamten Fahrt Aufzeichnungen anfertigt. Im Falle eines Unfalls liegt dann ein valides Beweismittel vor – soweit es denn zugelassen wird.
Dies wurde bislang recht unterschiedlich gehandhabt. Häufig wurde aber ein Beweisverwertungsverbot angenommen, wenn die Kamera dauerhaft aufzeichnete. Der Grund dafür liegt in der Persönlichkeitsrechtsrelevanz der Aufnahmen (Recht am eigenen Bild). Nach dem informationellen Selbstbestimmungsrecht hat jeder nämlich dem Grundsatz nach selbst das Recht „über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“ (BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, 43). So hat es das BVerfG bereits in seinem Volkszählungsurteil klargestellt. Personenbezogene Daten vorbeilaufender Fußgänger, Kennzeichen anderer Autos, usw. könnten ebenfalls aufgenommen werden. Dies wiederum könnte zu einer anlasslosen und uferlosen Ausweitung der Überwachung des öffentlichen Straßenverkehrs führen – datenschutzrechtlich hoch problematisch.
Nach § 4 Abs. 1 BDSG gilt ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Eine Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten ist danach nur zulässig, soweit das BDSG oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder aber der Betroffene eingewilligt hat – anderenfalls bleibt sie verboten. Ähnlich formuliert es die ab dem 25.05.2018 anwendbare DS-GVO in Zusammenschau der Art. 5 und 6. Da weder eine Einwilligung noch eine andere Rechtsvorschrift in Betracht kommen, mag allein der Erlaubnistatbestand des § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG (künftig Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DS-GVO) weiterhelfen. Danach ist die Datenverwendung zulässig, soweit sie zur Wahrung berechtigter Interessen erforderlich ist und keine schutzwürdigen Interessen des Betroffenen entgegenstehen. Der Begriff der datenschutzrechtlichen Erforderlichkeit ist als Abwägungsparameter zu verstehen. Insoweit ist also die Durchführung einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Herstellung praktischer Konkordanz angezeigt – wäre die einschlägige Datenschutznorm im Sachverhalt abgedruckt, wäre eine entsprechende Klausur durchaus denkbar.
Da Videoaufnahmen jedoch besonders sensibel zu behandeln sind, gilt nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG darüber hinaus ein strengerer Maßstab. Sie müssen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich sein.
Im Rahmen der erwähnten Abwägung zwischen informationellem Selbstbestimmungsrecht einerseits und Beweissicherungsinteresse andererseits hat der BGH nun folgende Leitlinien entwickelt:
- Die vorgelegte Dashcam-Aufzeichnung ist datenschutzrechtlich unzulässig, soweit es um eine permanente und anlassbezogene Aufzeichnungen geht. Demnach liegt ein Beweiserhebungsverbot vor.
- Das Beweissicherungsinteresse kann ebenso gut durch Aufzeichnungen geschützt werden, da es technisch möglich ist, anlassbezogene Aufnahmen im unmittelbar räumlich-zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen anzufertigen (etwa durch stetige Überschreibung der Aufnahmen, soweit es nicht zu einer Kollision kommt).
- Dies führt jedoch nicht zwangsläufig zu einem Beweisverwertungsverbot. Dazu die Pressemitteilung Nr. 88/2018 des BGH: „Die Unzulässigkeit oder Rechtwidrigkeit einer Beweiserhebung führt im Zivilprozess nicht ohne Weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot. Über die Frage der Verwertbarkeit ist vielmehr aufgrund einer Interessen- und Güterabwägung nach den im Einzelfall gegebenen Umständen zu entscheiden. Die Abwägung zwischen dem Interesse des Beweisführers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, seinem im Grundgesetz verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beweisgegners in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ggf. als Recht am eigenen Bild andererseits führt zu einem Überwiegen der Interessen des Klägers.“
- Zunächst berücksichtigt der BGH, dass sich die Teilnehmer freiwillig in den öffentlichen Straßenverkehr begeben und damit einer Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer ausgesetzt haben.
- Weiterhin weist der BGH auf die Beweisnot hin, die in Unfallsituationen häufig besteht.
- Ferner ziele das Datenschutzrecht auch nicht auf Beweisverwertungsverbote ab.
- Zudem zeige ein systematischer Vergleich mit § 142 StGB, dass der Gesetzgeber den Beweisinteressen des Unfallgeschädigten ein besonderes Gewicht beigemessen habe, zumal Unfallbeteiligte ohnehin Angaben zur Person machen müssten.
Mithin waren die aus der Dashcam-Aufnahme gewonnen Beweise im vorliegenden Unfallhaftpflichtprozess ausnahmsweise verwertbar. Ein dauerhafter Freifahrtschein für die Verwendung von Dashcams sieht allerdings anders aus – nur in engen Grenzen können entsprechende Aufnahmen als Beweismittel vor Gericht dienen. Einmal mehr entscheidet der konkrete Einzelfall.