Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Ansgar Kalle veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn, Lehrstuhl Prof. Dr. Stefan Greiner.
Die hier zu besprechende Entscheidung (BAG, Urt. v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19 = NJW 2020, 2824) betrifft das Kündigungsrecht, also einen der klausurrelevantesten Bereiche des Arbeitsrechts. Im Mittelpunkt des Falls steht die rechtliche Einordnung der Kündigung von GmbH-Geschäftsführern. Verträge mit GmbH-Geschäftsführern provozieren einige Abgrenzungsfragen zwischen dem allgemeinen Dienstrecht und dem Arbeitsrecht, die sich gut in eine Examensklausur integrieren lassen. Im Schwerpunkt erörtert das BAG, welche Kündigungsfrist bei GmbH-Geschäftsführern zur Anwendung kommt.
1. Sachverhalt (verkürzt und vereinfacht)
Die Klägerin wurde auf der Grundlage eines Anstellungsvertrags als Geschäftsführerin der beklagten GmbH beschäftigt. Der Vertrag sah eine monatsweise auszuzahlende Jahresvergütung iHv. 100.000 € vor. Als die Alleineigentümerin der GmbH nach acht Jahren der Zusammenarbeit zunehmend aufgrund fachlicher Differenzen mit der Klägerin in Konflikt geriet, mahnte sie die Klägerin ab, entzog ihr die Alleinvertretungsbefugnis und bestellte einen zusätzlichen Geschäftsführer. Da dies die Differenzen nicht beilegte, ließ die Eigentümerin die Klägerin ordentlich kündigen und als Geschäftsführerin abberufen. Die Kündigung wurde der Klägerin am 28.2.2018 zugestellt und beendet das Arbeitsverhältnis „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“, dem 31.5.2018.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, dass der Anstellungsvertrag nicht durch die Kündigung beendet wurde. Sie hält die Kündigung wegen der Nichteinhaltung der Kündigungsfrist für unwirksam. Zudem hätte man ihr nicht kündigen dürfen, weil sie nebenbei als ehrenamtliche Richterin arbeitete und daher besonderen Kündigungsschutz genoss. Ist die Kündigungsschutzklage begründet?
2. Entscheidung
Die Klage ist begründet, wenn der Anstellungsvertrag nicht durch die Kündigung beendet worden ist. An der Wirksamkeit der Kündigung kann aus drei Gründen gezweifelt werden: Dem besonderen Kündigungsschutz ehrenamtlicher Richter, dem allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG und der Kündigungsfrist.
a. Besonderer Kündigungsschutz
aa. § 45 Abs. 1a S. 3 DRiG
Die Kündigung könnte bereits deshalb unwirksam sein, weil die Klägerin als ehrenamtliche Richterin tätig war. Gemäß § 45 Abs. 1a S. 3 DRiG darf der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer nicht wegen der Aufnahme oder Ausübung der Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter kündigen. Dieser Kündigungsschutz ist also nur dann einschlägig, wenn eine Kausalität zwischen Ehrenamt und Kündigung besteht. Eine solche konnte die Klägerin nicht darlegen. Daher ist die Kündigung nicht nach § 134 BGB iVm. § 45 Abs. 1a S. 3 DRiG unwirksam.
bb. Art. 110 Abs. 1 S. 2 BbgVerf
Möglicherweise verstößt die Kündigung allerdings gegen Art. 110 Abs. 1 S. 2 BbgVerf. Hiernach darf ehrenamtlichen Richtern nur gekündigt werden, „wenn Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber oder Dienstherren zur fristlosen Kündigung berechtigen.“ Weitergehender als § 45 Abs. 1a S. 3 DRiG verzichtet diese Vorschrift also auf eine kausale Verknüpfung zwischen Ehrenamt und Kündigung.
(1) Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin
Art. 110 Abs. 1 S. 2 BbgVerf adressiert ausdrücklich Arbeitgeber. Daher stellt sich die Frage, ob die Klägerin Arbeitnehmerin der Beklagten war. Arbeitnehmer ist gemäß § 611a Abs. 1 S. 1 BGB, wer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.
Die Gesellschafter können den Geschäftsführer durch Beschluss (§ 47 GmbHG) jederzeit zu einem bestimmten Verhalten anweisen, § 37 Abs. 1 GmbHG. Sie sind ihm gegenüber also weisungsbefugt. Hieraus kann jedoch nicht ohne Weiteres auf ein Weisungsrecht iSv. § 611a Abs. 1 S. 1 BGB geschlossen werden. Da der GmbH-Geschäftsführer ein Organ seiner Gesellschaft ist, ist zwischen der Organstellung und dem zugrundeliegenden Beschäftigungsverhältnis zu unterscheiden. Erstere betrifft die Befugnisse des Geschäftsführers als Organ der GmbH, letzteres die Beziehungen zum Geschäftsführer als Person. Nur wenn die Weisungsbefugnis gegenüber dem Geschäftsführer als Person besteht, also über eine gesellschaftsrechtliche Kompetenzabgrenzung hinausgeht, kann dieser als Arbeitnehmer angesehen werden.
§ 37 Abs. 1 GmbH trifft lediglich eine Aussage zur Organstellung des Geschäftsführers. Er regelt das Kompetenzverhältnis zwischen dem Geschäftsführer und den Gesellschaftern. Eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Geschäftsführer als Person enthält die Norm nicht. Daher lässt sich aus § 37 Abs. 1 GmbHG nicht auf das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses schließen.
Es bedarf deshalb anderer Anhaltspunkte für die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin. Solche sah das BAG nicht; es erblickte in der Klägerin eine typische GmbH-Geschäftsführerin. Der typische GmbH-Geschäftsführer arbeitet weitgehend eigenständig und eigenverantwortlich, vertritt die GmbH kraft Gesetzes im Rechtsverkehr (§ 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG) und beteiligt sich an deren Willensbildung. Daher hat er weit mehr mit einem Dienstverpflichteten iSv. § 611 BGB gemeinsam als mit einem Arbeitnehmer iSv. § 611a BGB. Folglich hielt das BAG die Klägerin nicht für eine Arbeitnehmerin, sondern für eine Dienstverpflichtete.
(2) Anwendung des Art. 110 Abs. 1 S. 2 BbgVerf auf Dienstverpflichtete
Fraglich ist, ob sich die Klägerin dennoch auf den Schutz des Art. 110 Abs. 1 S. 2 BbgVerf berufen kann. Dies wäre der Fall, wenn die Norm neben abhängig Beschäftigten auch Dienstverpflichtete schützt.
Hiergegen spricht jedoch bereits, dass die Norm ausdrücklich Arbeitgeber und Dienstherren anspricht. Keine Erwähnung findet demgegenüber der Dienstberechtigte, wie der Gläubiger der Dienstleistung im Dienstvertragsrecht bezeichnet wird (§§ 615 S. 1, 617, 618, 619, 627, 629 BGB).
Auch bei teleologischer Betrachtung bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vorschrift auch auf freie Dienstverhältnisse Anwendung finden will. Das BAG geht davon aus, dass die Vorschrift den allgemeinen Kündigungsschutz verschärfen will, indem sie über § 1 KSchG hinausgehend einen wichtigen Grund fordert. Sie wolle verhindern, dass der allgemeine Kündigungsschutz durch vorgeschobene Kündigungsgründe umgangen wird. Beim Dienstverhältnis besteht eine solche Gefahr nicht, weil dieses ohne Grund beendet werden kann. Daher passt Art. 110 Abs. 1 S. 2 BbgVerf auch seinem Zweck nach nicht auf allgemeine Dienstverhältnisse.
Deshalb findet Art. 110 Abs. 1 S. 2 BbgVerf auf Dienstverhältnisse keine Anwendung.
(3) Anwendung des Art. 110 Abs. 1 S. 2 BbgVerf auf arbeitnehmerähnliche Personen
Etwas anderes könnte sich allerdings aus der Figur der arbeitnehmerähnlichen Person ergeben. Arbeitnehmerähnlich ist gemäß § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG, wer sich trotz geringer persönlicher Abhängigkeit in einer ausgeprägten wirtschaftlichen Abhängigkeit zum Dienstverpflichteten befindet und sozial ähnlich schutzbedürftig wie ein Arbeitnehmer ist. Man könnte erwägen, Art. 110 Abs. 1 S. 2 BbgVerf auf Arbeitnehmerähnliche anzuwenden.
Ob dies möglich ist, kann jedoch offenbleiben, wenn die Klägerin keine arbeitnehmerähnliche Person ist. Wie bereits beschrieben unterscheidet sich die Beschäftigung eines GmbH-Geschäftsführers deutlich von der eines herkömmlichen Arbeitnehmers. Daher befindet sich ein GmbH-Geschäftsführer regelmäßig nicht in einer ähnlichen sozialen Stellung wie ein Arbeitnehmer.
In Bezug auf den Sachverhalt ging das BAG davon aus, dass die Klägerin ungeachtet der Beschränkung ihrer Vertretungsmacht im Innenverhältnis bis zu ihrer Abberufung die GmbH nach außen hin vertrat. Die nach außen hin nicht beschränkbaren Vertretungsbefugnisse des GmbH-Geschäftsführers stellten aus Sicht des BAG den entscheidenden Unterschied zwischen der Klägerin und anderen leitenden Angestellten dar. Folglich hielt das Gericht die Klägerin nicht für eine arbeitnehmerähnliche Person.
(4) Zwischenergebnis
Art. 110 Abs. 1 S. 2 BbgVerf steht der Kündigung der Klägerin nicht entgegen.
b. Allgemeiner Kündigungsschutz
Mit der Feststellung, dass die Klägerin keine Arbeitnehmerin war (s.o.), ist zugleich geklärt, dass § 1 KSchG keine Anwendung findet. Überdies hätte die Vorschrift selbst dann, wenn die Klägerin Arbeitnehmerin gewesen wäre, gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG keine Anwendung gefunden. Schließlich war die Klägerin bei Zugang der Kündigung als Geschäftsführerin das gesetzliche Vertretungsorgan der GmbH. Dass ihre Vertretungsbefugnisse bereits zuvor begrenzt worden waren, änderte hieran nichts. Daher steht auch § 1 KSchG ihrer Kündigung nicht entgegen.
c. Kündigungsfrist
Fraglich ist schließlich, ob die Kündigung fristgerecht erklärt wurde.
aa. Prüfungsmaßstab
Das BGB enthält mit §§ 621, 622 BGB zwei unterschiedliche Fristenkataloge: § 621 BGB findet Anwendung auf allgemeine Dienstverträge, § 622 BGB hingegen auf Arbeitsverhältnisse. Während § 621 BGB die Frist anhand der zeitlichen Bemessung der Vergütung bestimmt, stellt § 622 BGB auf die Dauer des Vertragsverhältnisses ab. Da bereits ermittelt wurde, dass die Klägerin keine Arbeitnehmerin war, liegt es nah, § 621 BGB anzuwenden. Dies ist jedoch umstritten.
Der BGH hatte vor einiger Zeit in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass § 622 BGB jedenfalls auf die Kündigung eines GmbH-Geschäftsführers analog anzuwenden ist, der kein Mehrheitsgesellschafter ist. Zwar sei ein solcher Geschäftsführer kein Arbeitnehmer, er sei jedoch mit einem Arbeitnehmer vergleichbar, weil er seine Arbeitskraft der GmbH hauptberuflich zur Verfügung stellt. Durch die Ausrichtung seiner Tätigkeit auf lediglich einen Vertragspartner, die GmbH, benötige er einen hinreichenden Zeitraum, um eine neue hauptberufliche Tätigkeit zu finden. Diesen verschaffen ihm die Fristen des § 622 BGB. Längere Kündigungsfristen seien aber auch aus Sicht der Gesellschaft interessengerecht, die einen größeres Zeitfenster erhält, um nach Nachfolgern für den Gekündigten zu suchen (BGHZ 79, 291; BGHZ 91, 217; BGH NJW 1987, 2073).
Anders entschied nun das BAG. Es liege bereits keine planwidrige Regelungslücke vor, da das Gesetz bezüglich der Kündigungsfristen ausdrücklich zwischen Arbeits- und Dienstverhältnissen unterscheidet. Überdies wurde § 622 BGB seit den Entscheidungen des BGH mehrfach geändert. Hätte der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BGH anerkennen wollen, hätte er dies im Gesetz klargestellt. Dies ist indessen nicht geschehen. Schließlich gelte § 622 BGB nicht einmal für arbeitnehmerähnliche Personen (BAG, Urt. v. 8.5.2007 – 9 AZR 777/06 = AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 15 Rn. 19-24). Seine Anwendung auf einen weniger schutzbedürftigen GmbH-Geschäftsführer wäre daher ein Wertungswiderspruch.
Deshalb ging das BAG davon aus, dass sich die Frist zur Kündigung der Klägerin nicht nach § 622 BGB bestimmte, sondern nach § 621 BGB. Es kam also nicht auf die Dauer des Vertragsverhältnisses an, sondern auf die Art und Weise der Vergütungszahlung. Da diese jahresweise bemessen wurde, war § 621 Nr. 4 BGB einschlägig.
bb. Einhaltung der Frist
Die Kündigung ist dem Kläger am 28.2.2018 zugegangen und sprach die Kündigung zum 31.5.2018 aus. Nach § 621 Nr. 4 BGB beträgt die Kündigungsfrist sechs Wochen zum Ende eines Quartals. Daher war die Kündigung frühestens zum 30.6.2018 möglich. Die Kündigung kann daher nur dann als fristgerecht angesehen werden, wenn sie sich als Kündigung zum 30.6.2018 auslegen lässt. Hiervon ging das BAG aus: Die Kündigung sollte ihrem Wortlaut nach „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ erfolgen. Diese Formulierung sei dahingehend auszulegen, dass das Vertragsverhältnis zum frühesten rechtlich zulässigen Zeitpunkt erfolgen sollte (krit. zu dieser Auslegungspraxis des zweiten Senats BAG, Urt. v. 1.9.2010 – 5 AZR 700/09 BAGE 135, 255 Rn. 23 ff). Dies war der 30.6.2018. Die Angabe des falschen Datums im Kündigungsschreiben hielt das BAG also für unerheblich.
4. Zusammenfassung
GmbH-Geschäftsführer sind in aller Regel keine Arbeitnehmer (eingehend hierzu Boemke RdA 2018, 1 ff.). Daher richtet sich die Frist zur Kündigung ihrer Anstellungsverträge nach § 621 BGB. Eine Analogie zu § 622 lässt sich aus schlüssig begründeter Sicht des BAG methodisch nicht begründen, weil es an der planwidrigen Lücke fehlt und sogar bei den sozial schutzbedürftigeren arbeitnehmerähnlichen Personen die Fristen des § 621 BGB Anwendung finden.
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