Wer anderen einen Gefallen tut, wird selbst bestraft :-)
Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 4. August 2010 (XII ZR 118/08) entschieden, dass bei der Überlassung eines Gegenstandes im Rahmen eines bloßen Gefälligkeitsverhältnisses den Beteiligten der Rechtsbindungswille fehlt und infolgedessen eine verschuldensunabhängige Haftung des Begünstigten für die Beschädigung des überlassenen Gegenstandes durch einen Dritten, an den der Gegenstand vom Begünstigten ohne Wissen des Gefälligen weitergegeben wurde, nicht durch eine analoge Anwendung des § 603 S. 2 BGB begründet werden kann.
Sachverhalt (leicht abgewandelt)
Der Kläger hatte dem Beklagten seinen Motorroller für eine Spazierfahrt überlassen. Auf dieser Fahrt, bei der der Beklagte von einem Bekannten auf einem Mofa begleitet wurde, kam es zu einem Unfall, bei dem das Fahrzeug des Klägers erheblich beschädigt wurde. Zwischen den Parteien blieb es im Anschluss streitig, ob der Motorroller zum Zeitpunkt des Unfalls von dem Beklagten oder dessen Bekannten gefahren worden war.
Das Amtsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme den Beklagten als Lenker des Motorrollers des Klägers angesehen und ihn gemäß § 823 BGB zum Schadensersatz verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Zur Begründung führte das Berufungsgericht aus, dass es dahingestellt bleiben könne, ob der Beklagte oder der Bekannte im Unfallzeitpunkt den Motorroller gesteuert habe. Sollte der Beklagte den Motorroller unerlaubt dem Beklagten überlassen haben, hafte er entweder aus §§ 603 Satz 2, 280 Abs. 1 BGB oder aus einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschriften, weil der Beklagte den Motorroller dem Bekannten ohne Erlaubnis des Klägers überlassen habe. Zwischen den Parteien sei nämlich entweder ein Leihvertrag geschlossen worden oder es liege ein Gefälligkeitsverhältnis vor, in dessen Rahmen der Beklagte jedoch keine weitergehenden Befugnisse haben könne, als der Entleiher. Deshalb sei bei der Annahme eines Gefälligkeitsverhältnisses eine analoge Anwendung der §§ 603 Satz 2, 280 Abs. 1 BGB geboten.
Auf die Revision des Beklagten hin hob der BGH nun das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück. Warum?
Lösung
Es hätte zunächst einmal festgestellt werden müssen, ob zwischen den Parteien ein Leihvertrag oder aber ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis zustande gekommen ist.
Abgrenzung Vertrag VS Gefälligkeit
Eine Gefälligkeit setzt begriffsnotwendig die Unentgeltlichkeit der Leistung voraus; aus der Unentgeltlichkeit einer Leistung allein lässt sich aber nicht auf das Fehlen ihres rechtsgeschäftlichen Charakters schließen; dies zeigt schon die Regelung von Gefälligkeitsverträgen durch das Gesetz, vgl. zum Beispiel §§ 516, 598, 662 BGB. Die Uneigennützigkeit des Handelnden als solche reicht für sich allein nicht aus, um die Annahme rechtsgeschäftlicher Beziehungen, die sich etwa aus den Umständen ergeben, zu verneinen. Aus zugesagten oder erwiesenen Gefälligkeiten können, müssen aber nicht Rechtsverpflichtungen für den Leistenden entstehen.
Ist der Leistende zu der übernommenen Leistung verpflichtet, § 241 BGB, so vollzieht sich die Verwirkung der Leistung ohne weiteres im rechtsgeschäftlichen Bereich (insbesondere des § 242 BGB). Jedoch schließt das Fehlen einer solchen Verpflichtung keineswegs aus, dass das Erweisen einer Gefälligkeit rechtsgeschäftlichen Charakter trägt.
Die Art der Gefälligkeit, ihr Grund und Zweck, ihre wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, insbesondere für den Empfänger, die Umstände, unter denen sie erwiesen wird, und die dabei bestehende Interessenlage der Parteien können die Gefälligkeit über den Bereich rein tatsächlicher Vorgänge hinausheben und sind daher für die Beurteilung der Frage des Rechtsbindungswillens und der Natur des etwa in Betracht kommenden Rechtsgeschäftes heranzuziehen. Gefälligkeiten des täglichen Lebens werden sich regelmäßig außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereiches halten. Das gleiche gilt für Gefälligkeiten, die im rein gesellschaftlichen Verkehr wurzeln. Der Wert einer anvertrauten Sache, die wirtschaftliche Bedeutung einer Angelegenheit, das erkennbare Interesse des Begünstigten und die nicht ihm, wohl aber dem Leistenden erkennbare Gefahr, in die er durch eine fehlerhafte Leistung geraten kann, können auf einen rechtlichen Rechtsbindungswillen schließen lassen. Hat der Leistende selbst ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der dem Begünstigten gewährten Hilfe, so wird dies in der Regel für seinen Rechtsbindungswillen sprechen. Die Haftung gründet sich in derartigen Fällen – ähnlich wie bei Vertragsverhandlungen – regelmäßig auf die Verletzung einer durch Anknüpfung rechtsgeschäftlicher Beziehungen entstandene Sorgfaltspflicht oder eines vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses, §§ 280 i.V.m. 241 II, 311 II BGB.
Legt man diese Kriterien dem vorliegenden Sachverhalt zugrunde, so ist hier zu sagen, dass der Kläger den Motorroller lediglich für eine Spazierfahrt „verlieh“. Aus dem Sachverhalt ergibt sich nicht, dass der Beklagte ein Interesse daran hatte, sich rechtlich zu binden, z.B. den Motorroller im Anschluss zu kaufen. Mithin handelte es sich hier lediglich um ein Gefälligkeitsverhältnis, das nur dem Deliktsrecht unterfällt. Eine vertragliche Haftung liegt hier nicht vor.
Fraglich ist jedoch, ob der zur vertraglichen Haftung bei der Leihe entwickelte Rechtssatz des § 603 S. 2 BGB nicht im Wege einer analogen Anwendung auf die Haftung bei einer Gebrauchsüberlassung aus Gefälligkeit übertragen werden kann.
Voraussetzung für eine Analogie ist, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von denselben Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.
Zunächst einmal müsste also die Interessenlage der Beteiligten mit der bei einer Leihe vergleichbar sein. Bei einer Gebrauchsüberlassung aus Gefälligkeit kann dies durchaus der Fall sein, weil der Gefällige ebenso wie der Verleiher ein Interesse daran hat, dass der Begünstigte mit der Sache sorgfältig umgeht und sie ohne entsprechende Erlaubnis nicht an Dritte weitergibt. Eine vergleichbare Interessenlage liegt somit vor.
Es müsste jedoch auch eine planwidrige Regelungslücke vorliegen.
Von der Rechtsprechung wird eine vertragsähnlich ausgestaltete Haftung innerhalb eines Gefälligkeitsverhältnisses grundsätzlich abgelehnt und der Geschädigte mit seinen Ansprüchen allein auf das Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) verwiesen, weil ein ohne Rechtsbindungswillen der Beteiligten eingegangenes Gefälligkeitsverhältnis eine an das Vertragsrecht angelehnte Haftung nicht begründen könne.
Bei den Regelungen über die vertragliche Leihe handelt es sich um ein vom Gesetzgeber besonders ausgestaltetes Vertragsverhältnis, das einen beiderseitigen Verpflichtungswillen der Beteiligten voraussetzt und für jeden Vertragsschließenden Rechte und Pflichten begründet und ausformt (BGH Urteil vom 9. Juni 1992 – VI ZR 49/91 – NJW 1992, 2474, 2475 f.). Insbesondere enthalten die Vorschriften über die Leihe umfassende Regelungen bezüglich der Haftung von Verleiher und Entleiher, die ausgewogen die Besonderheiten der unentgeltlichen Leihe berücksichtigen (vgl. §§ 599, 600, 602, 603, 606 BGB).
Bei der Überlassung eines Gegenstandes im Rahmen eines bloßen Gefälligkeitsverhältnisses fehlt den Beteiligten jedoch gerade der Wille, sich rechtlich zu binden (BGH Urteil vom 9. Juni 1992 – VI ZR 49/91). Die Beteiligten entscheiden sich in diesem Fall dafür, die Gebrauchsüberlassung nicht den gesetzlichen Bestimmungen über die Leihe zu unterstellen. Folglich können einzelne Bestimmungen, die zur Gestaltung dieses besonderen Vertragsverhältnisses beitragen, nicht auf ein dem Deliktsrecht unterfallendes Gefälligkeitsverhältnis übertragen werden.
Möglicherweise könnte jedoch eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 603 Satz 2 BGB vorliegen, wenn man mit Teilen des Schrifttums (so z.B. Canaris JZ 2001, 499, 502) annimmt, dass jedenfalls bei Gefälligkeitsverhältnissen mit rechtsgeschäftsähnlichem Charakter gegenseitige Schutz- und Treuepflichten bestehen, deren Verletzung zu einer Haftung nach vertraglichen Grundsätzen (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB) führen kann. Jedoch haften nach dieser Ansicht sowohl der Gefällige als auch der Begünstigte für das Verschulden Dritter gemäß § 278 BGB (Münch-Komm-BGB/Kramer 5. Aufl. Einl. Rdn. 42; Soergel/Kummer BGB (1997) vor § 598 Rdn. 5).
Für die Haftung des Begünstigten wegen der Beschädigung eines im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses überlassenen und von diesem an einen Dritten weitergegebenen Gegenstandes besteht daher nach beiden Ansichten keine planwidrige Regelungslücke des Gesetzes, die durch die analoge Anwendung einzelner Vorschriften aus dem Recht der Leihe geschlossen werden kann.
Kurze Zusammenfassung:
Das Berufungsgericht hätte also zunächst feststellen müssen, ob zwischen den Parteien ein Leihvertrag oder ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis zustande gekommen ist. Nur wenn diese Prüfung ergeben hätte, dass zwischen den Parteien ein Leihvertrag abgeschlossen worden ist, hätte das Berufungsgericht seine Entscheidung auf § 603 Satz 2 BGB stützen können und auf weitere Feststellungen zum konkreten Unfallhergang, insbesondere zu der Frage, von wem der Roller im Unfallzeitpunkt gefahren wurde, verzichten dürfen.
Examensrelevanz
Eine meiner Ansicht nach examensrelevante Entscheidung, in der juristische Grundlagen wie die Abgrenzung Vertrag vs Gefälligkeit und die Voraussetzungen für die analoge Anwendbarkeit einer Vorschrift (hier des § 603 S. 2 BGB) abgeprüft werden, die in diesem Fall jedoch nicht vorliegen.
Weitere wichtige klausurrelevante Vorschrift zum Thema Haftung bei der „Gefälligkeitsleihe“ ist der § 599 BGB. Bei „Gefälligkeitsleihe“ kommt der „Entleiher“ nicht in den Genuss des Haftungsprivilegs des § 599 BGB. Vor diesem Hintergrund ist auch dieses Urteil des BGH zu sehen. Wenn der „Entleiher“ nicht in den Genuss eines Haftungsprivilegs kommt, so ist es nur konsequent, dass der „Verleiher“ auch nicht über auf § 603 S. 2 BGB analog zurückgreifen kann.
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