Wir freuen uns nachfolgend einen Gastbeitrag von Dr. Stefan Städter veröffentlichen zu können. Der Autor ist derzeit Referendar in Berlin sowie Mitarbeiter beim Institut EUROPOLIS. In seinem Beitrag befasst sich der Autor kritisch mit dem derzeit laufenden sog. ESM/EZB-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bzw. den damit verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen hinsichtlich einer einheitlichen europäischen Fiskalpolitik.
Hintergrund: Die Zustimmungsgesetze zum ESM vor dem BVerfG
Der folgende Beitrag setzt sich mit der Verordnung (EU) 1176/2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte auseinander. Die vorgenannte Verordnung wurde am 16.11.2011 im Zuge der Eurorettungsmaßnahmen erlassen. Aufgrund der sachlichen und zeitlichen Konnexität mit den deutschen Zustimmungsgesetzen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie zum Fiskalvertrag griff eine Beschwerdegruppe um den Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber,[1] neben den entsprechenden Zustimmungsgesetzen und dem OMT-Programm der EZB auch die Verordnung (EU) 1176/2011 vor dem Bundesverfassungsgericht an.
Aus Sicht der Beschwerdeführer werde durch die Verordnung ihr Recht auf demokratische Mitwirkung von Art. 38 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1, 2 GG verletzt. Zwar handelt es sich bei der Verordnung um einen Rechtsakt des Unionsrechts, so dass grundsätzlich die Kontrollkompetenz gem. Art. 19 EUV bei den Unionsgerichten liegt und dieser Rechtsakte allenfalls ggf. in Form einer entsprechenden Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 Abs. 4, 1 AEUV angegriffen werden könnte. Indessen – so tragen die Beschwerdeführer vor – könne das Bundesverfassungsgericht deshalb ausnahmsweise von seiner Kontrollkompetenz Gebrauch machen, weil die Voraussetzungen der Maastricht–Lissabon-Rechtsprechung (BVerfGE 89, 155; BVerfGE 123, 267) gegeben seien. Denn dort heißt es insbesondere:
„Wenn Rechtsschutz auf Unionsebene nicht zu erlangen ist, prüft das Bundesverfassungsgericht, ob Rechtsakte der europäischen Organe und Einrichtungen sich unter Wahrung des gemeinschafts- und unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 2 EGV; Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EUV-Lissabon) in den Grenzen der ihnen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung eingeräumten Hoheitsrechte halten.“
Da es sich somit bei der Verordnung (EU) 1176/2011 um einen ultra-vires-Akt handele,[2] haben die Beschwerdeführer u.a. beantragt, dass das Gericht entsprechend seiner Maastricht-/Lissabon-Rechtsprechung (BVerfGE 89, 155; BVerfGE 123, 267), die auf Deutschland begrenzte Nichtanwendbarkeit der Verordnung festzustellen. Nachdem die Karlsruher Richter mit Datum vom 12.9.2012 den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Ratifikation der Zustimmungsgesetze zum ESM nur unter Auflagen (völkerrechtlichen Vorbehalt) ablehnten, fand am 11./12.6.2013 im Hauptsacheverfahren eine zweitägige mündliche Verhandlung statt.[3] Gegenstand dieser mündlichen Verhandlung war fast ausschließlich das sog. OMT-Programm der EZB. Dieses Programm geht auf einen Beschluss des EZB-Rates vom 6.9.2012 zurück. Darin kündigte die EZB an, zukünftig auch Anleihen in unbegrenztem Umfang von ESM/EFSF-Programmländern zu kaufen.[4]
Ebenso wie bei der Verordnung (EU) 1176/2011 qualifizieren die Beschwerdeführer den Beschluss der EZB als einen ultra-vires-Akt eines Unionsorgans und beantragten daher, die Nichtanwendung bzw. Nichtausführung seitens der deutschen Hoheitsträger (in diesem Fall seitens der deutschen Bundesbank) auszusprechen. Eine abschließende Entscheidung der Karlsruher Richter in den sog. ESM/EZB-Verfahren steht bislang noch aus.
Zur Bewältigung der Eurokrise haben die politischen Entscheidungsträger nicht nur an Fundamenten der europäischen Rechtsgemeinschaft gerüttelt, indem sie wider der no-bail-out-Regel Rettungsschirme aufspannten, sich die EZB immer mehr in der Fiskalpolitik verstrickte und die Bankenunion auf fragilen Rechtsgrundlagen aufgebaut wird. Die Relativierung fundamentaler Prinzipien der EU hat vielmehr mit der kommissionsseitig angekündigten Überprüfung der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse[5] einen neuen Höhepunkt erreicht: Nach der rule of law geht es nunmehr auch der Wettbewerbsfähigkeit, also dem natürlichen Rivalisieren zwischen den Mitgliedstaaten an den Kragen. Dies gilt auch dann, wenn sich die Leistungsperformance – wie im Falle Deutschlands oder der Niederlande – auf ein Rekordhoch zubewegt.
Zwar kann sich die Europäische Kommission sowohl in Bezug auf eine mögliche Sonderprüfung der deutschen Handelsbilanzüberschüsse als auch in Bezug auf etwaig zu ergreifende Maßnahmen auf die Verordnung (EU) 1176/2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte[6] stützen.
Indessen muss diese Vorgehensweise in vielerlei Hinsicht kritisch betrachtet werden: Obgleich sich die Kommission mit ihrer Kritik in bester Gesellschaft befindet und im Wesentlichen auf die im Bericht des amerikanischen Finanzministeriums vom 30. Oktober 2013 diagnostizierte „blutarme Binnennachfrage“[7] verweisen kann, gebietet der ökonomische Sachverstand sich die Konsequenzen einer derartigen Politik zu vergegenwärtigen.
Wenn Länder mit einer hohen Wettbewerbsfähigkeit zukünftig damit rechnen müssen, dass sie in Brüssel nicht nur Rechenschaft ablegen, sondern ggf. auch entsprechende Korrekturmaßnahmen ergreifen müssen, dann tritt ein Zielkonflikt mit den Unionsverträgen offen zu Tage. Die Europäische Union und insbesondere der europäische Binnenmarkt zielen nach ihrer Grundidee auf die Stärkung des wirtschaftlichen Fortschrittes und auf Wachstum durch den Wettbewerb zwischen den souveränen Mitgliedstaaten ab. Pönalisiert man Exportstärke, dann bremst man nicht nur den Motor der europäischen Integration, sondern auch Innovation, Fortschritt und darauf basierende Wohlstandsgewinne aus.
Politisch gesehen gilt einmal mehr, dass anfängliche Beteuerungen nicht eingehalten werden. Obwohl die Verordnung ursprünglich dazu beitragen sollte, die Konvergenz zwischen den Volkswirtschaften durch eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, zielt die Verordnung – so lässt jedenfalls die aktuelle Stigmatisierung von Musterschülern ahnen – auf eine allmähliche Einebnung insbesondere deutscher Wettbewerbsvorteile. Zwar warnt der Wirtschafts- und Währungskommisar Olli Rehn vor einer rein politisch motivierten Debatte.[8] Da sich jedoch in der Eurokrise bisher stets das Primat der Politik durchgesetzt hat, dürften die Befürchtungen Rehns unbegründet sein.
Nicht zuletzt gilt es Folgendes zu berücksichtigen: Die Verordnung über die makroökonomische Ungleichgewichte wird gegenwärtig noch vom Bundesverfassungsgericht auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten geprüft. Die durch den Verfahrensbevollmächtigten Kerber vertretenen Beschwerdeführer gegen den ESM haben sich u.a. auch gegen die vorgenannte Verordnung gewandt.[9] Da das Bundesverfassungsgericht bislang jedoch nicht abschließend entschieden hat, haftet den Maßnahmen für den Fall einer stattgebenden Entscheidung seitens der Karlsruher Richter das Risiko einer potentiellen Unanwendbarkeit an.
In diesem Zusammenhang möchten wir euch noch gerne auf folgende Beiträge hinweisen:
https://www.juraexamen.info/das-kooperationsverhaltnis-zwischen-bverfg-und-eugh/
https://www.juraexamen.info/bverfg-zu-parlamentarischen-rechten-bei-esm-und-euro-plus-pakt/
https://www.juraexamen.info/update-vertragsanderung-fur-euro-rettungsschirm/