Mit dem 1. November 2018 wurde die Musterfeststellungsklage in das Zivilprozessrecht integriert. Dies hat für ein großes mediales Echo gesorgt. Da hierdurch das bisherige System der ZPO wesentlich erweitert wird, lohnt sich ein Blick auf die Grundzüge dieses Rechtsinstruments – nicht zuletzt deshalb, weil die Musterfeststellungsklage in das 6. Buch der ZPO eingefügt wurde und damit jederzeit zum Gegenstand von Prüfungen werden kann.
I. Mangelnde Rechtsdurchsetzung als Stein des Anstoßes
Der Gesetzentwurf der Großen Koalition fasst das hinter der Einführung stehende Ziel ebenso wie die Problematik, die erst dazu geführt hat, dass eine zivilprozessuale Musterfeststellungsklage geschaffen werden musste, prägnant zusammen (BT-Drucks. 19/2507, S. 1). In einem „durch standardisierte Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben“ führe das Fehlverhalten eines Marktanbieters häufig zu einer Vielzahl von Geschädigten. Besonders in Fällen, in denen der erlittene Nachteil gering ist, würden bestehende Ansprüche nicht geltend gemacht – der Gesetzentwurf spricht von einem „rationalen Desinteresse“ der Betroffenen. Und das leuchtet unmittelbar ein: Beim Kauf von 300 Salzstangen für 0,49 € wird man als Verbraucher kaum klagen, nur weil in der Packung fünf Salzstangen zu wenig enthalten sind – man hält den Aufwand schlichtweg für nicht verhältnismäßig. Angesichts der Übermacht von Großkonzernen zeigt sich dieses Phänomen auch in gewichtigeren Fällen, man denke nur an den VW-Abgasskandal (gegen die VW-AG wurde passenderweise wenige Stunden nach Geltung der neuen Bestimmungen durch den Bundesverband der Verbraucherzentrale (vzbv) unterstützt durch den ADAC die erste Musterfeststellungsklage beim OLG Braunschweig eingereicht). Scheuen Verbraucher allerdings das Risiko, auf Prozesskosten sitzen zu bleiben sowie den mit einer Klage verbundenen Aufwand an Zeit und Nerven, verbleibt der erlangte Gewinn beim Marktanbieter, der hierdurch im Verhältnis zu rechtstreuen Mitwettbewerbern einen unrechtmäßigen Wettbewerbsvorteil erlangt. Genau das soll durch die neu geschaffene Verbandsklage fortan verhindert werden. Doch im Einzelne:
II. Die Musterfeststellungsklage unter der Lupe
Zunächst muss die Zulässigkeitsprüfung der Musterfeststellungsklage dargestellt werden (1.), bevor näher auf den Verfahrensablauf und die Beendigung des Verfahrens eingegangen werden kann (2.).
1. Schema zur Zulässigkeit
a) Damit eine Musterfeststellungsklage zulässig ist, muss sie zuallererst statthaft sein. Das ist der Fall, wenn mit ihr sog. Feststellungsziele im Sinne des § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO verfolgt werden. Die Legaldefinition in § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO gibt an, dass mit der Musterfeststellungsklage „qualifizierte Einrichtungen die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen […] zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer begehren“ können. Hierbei geht es darum, Vorfragen eines Anspruchs oder aber auch nur abstrakte Rechtsfragen für das in Rede stehende Rechtsverhältnis zu klären. Verbraucher werden mithin zwar nicht selbst Partei des Musterfeststellungsverfahrens; dennoch ist vor dem Hintergrund der obigen Erläuterungen eine Prüfung des Verbraucherbegriffs geboten, um festzustellen, dass die geltend gemachten Rechte solche von Verbrauchern sind. Die Definition des Verbraucherbegriffs wird in prozessualer Hinsicht neuerdings in § 29c Abs. 2 ZPO niedergeschrieben, der § 13 BGB vorgeht. Verbraucher ist hiernach „jede natürliche Person, die bei dem Erwerb des Anspruchs oder der Begründung des Rechtsverhältnisses nicht überwiegend im Rahmen ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.“
b) Weiterhin muss die Musterfeststellungsklage bei dem zuständigen Gericht eingereicht werden. Das ist in sachlicher Hinsicht in erster Instanz das OLG, unabhängig vom Streitwert, § 1 GVG i.V.m. § 119 Abs. 3 GVG, örtlich dagegen ausschließlich das OLG des allgemeinen Gerichtsstands des beklagten Unternehmens, § 32c ZPO. Hieraus folgt zugleich, dass für die Parteien Anwaltszwang herrscht, § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO.
c) Ferner gilt es zu klären, welche Parteien im Rahmen des Musterfeststellungsverfahrens auftreten. Auf Seiten des Klägers kann dies allein eine qualifizierte Einrichtung gemäß § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO sein (typischerweise ein Verband). BT-Drucks. 19/2507, S. 21 fordert, dass bei diesem eine Klagebefugnis gegeben sein muss – ein der ZPO eher fremder Begriff, der ansonsten mit dem Wort Prozessführungsbefugnis beschrieben wird. Auf Seiten des Beklagten muss ein Unternehmer stehen. Anders als beim Verbraucher wurde hier keine von den Regelungen des BGB (hier § 14 BGB) abweichende Vorschrift in die ZPO eingefügt. Deshalb wird man sich auch weiterhin an § 14 BGB orientieren können, auch wenn bei der Auslegung der Norm die Wertung des § 29c Abs. 2 ZPO Beachtung finden dürfte.
d) Zudem müssen zwingende Formalia eingehalten werden, damit die Musterfeststellungsklage zulässig ist. Diese werden vor allem in § 606 Abs. 2 ZPO normiert. So muss die Klageschrift Angaben und Nachweise darüber enthalten, dass der Kläger eine qualifizierte Einrichtung ist, die Feststellungziele mindestens zehn Verbraucher betreffen und der Klageantrag bestimmt ist (§ 253 Abs. 2 ZPO).
e) Weiterhin müssen mindestens 50 Verbraucher innerhalb von zwei Monaten nach öffentlicher Bekanntmachung im Klageregister des Bundesamtes für Justiz angemeldet werden, die sich der Musterfeststellungsklage anschließen, § 606 Abs. 3 Nr. 3, 608 Abs. 2, 4 ZPO.
f) Zuletzt darf keine anderweitige Rechtshängigkeit gegeben sein, § 610 Abs. 1 ZPO. Eine andere qualifizierte Einrichtung soll in Bezug auf denselben Streitgegenstand keine inhaltsgleiche Musterfeststellungsklage einreichen können.
2. Weiterer Ablauf und Beendigung des Verfahrens
Liegt eine zulässige Musterfeststellungsklage vor, kann nachgelagert über das verfolgte Feststellungsziel entschieden werden. Seinen Abschluss findet das Verfahren in einem Musterfeststellungsurteil, allerdings besteht auch die Möglichkeit eines Vergleichs – einen Verzicht kann die qualifizierte Einrichtung zu Lasten der angemeldeten Verbraucher dagegen nicht erklären, § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO.
Kommt es zu einem Musterfeststellungsurteil, entfaltet ein solches nach § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO Bindungswirkung für ein danach angerufenes Gericht, das abschließend über den Rechtsstreit zwischen dem Unternehmer und dem wirksam angemeldeten Verbraucher zu entscheiden hat. Anders formuliert: Der Verbraucher muss nach erfolgreichem Musterfeststellungsverfahren selbst aktiv werden und nachgelagert seine Rechte gesondert geltend machen – gerade das unterscheidet die Musterfeststellungsklage von einer aus den USA bekannten Sammelklage.
Gleichwohl besteht auch die Möglichkeit eines Vergleichs zwischen dem Unternehmer und der qualifizierten Einrichtung. Ein solcher wirkt gemäß § 611 Abs. 1 ZPO für und gegen die angemeldeten Verbraucher. § 611 Abs. 2-6 ZPO stellen an einen solchen Vergleich strenge Anforderungen, vor allem, da eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör) ausgeschlossen werden soll.
III. Ein Schritt in die richtige Richtung – trotz bestehender Hürden für Verbraucher
Auf den Missstand fehlender Rechtsdurchsetzung im Verhältnis von Großunternehmen und Verbrauchern hat der Gesetzgeber nun reagiert. Doch auch wenn es sich bei den Regelungen zur Musterfeststellungsklage um ein Prestigeprojekt der Bundesregierung handelt, das alles andere als ein Allheilmittel ist, Verbrauchern also nicht in allen Fällen hilft (vor allem, weil sie jeweils ihren individuellen Schaden nach erfolgreicher Musterfeststellungsklage noch selbst beweisen müssen), handelt es sich dennoch um einen Schritt in die richtige Richtung.
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