Mit einem äußerst kuriosen Fall hatte sich das AG Stuttgart Bad-Canstatt kürzlich zu befassen.
Eine Kundin wollte in einem Reisebüro einen Flug nach Porto buchen. Aufgrund ihres sächsischen Dialekts sprach sie den Zielort aber undeutlich als „Bordö“ aus (auf das Hinzufügen von Audiodokumenten wollen wir hier verzichten), sodass die Mitarbeiterin des Reiseunternehmens fälschlicherweise einen Flug nach Bordeaux buchte. Vorher wurde noch zweimal in, wie das Gericht ausführt, „korrekter hochdeutscher Sprache“ die Flugroute beschrieben.
Schlussendlich ging es dann darum, ob ein wirksamer Vertrag zustande gekommen sei und die Kundin demzufolge die Kosten von 300€ zu tragen hatte. Eine mögliche Anfechtung wurde offensichtlich nicht geprüft. Es wurde allein auf den Vertragsschluss abgestellt. Der Fall ist damit für das erste Semester ein Paradebeispiel bezüglich der Vertragsschlussproblematik und sollte damit in keiner AG und Vorlesung fehlen.
I. Vertragsschluss
Grundsätzlich kommt ein Vertrag durch zwei korrespondierende, in Bezug aufeinander abgegebene Willenserklärungen, Angebot und Annahme (§§ 145 ff. BGB) zustande.
Fraglich ist aber, welchen Inhalt die Erklärung der Kundin hatte. Sie wollte hier nach Porto, für die Ladeninhaberin schien es aber so, als solle ein Ticket nach Bordeaux gebucht werden. Zu ermitteln ist dies im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont. Ziel der Auslegung von Willenserklärungen ist die Ermittlung des tatsächlichen Bedeutungsgehalts einer Erklärung (vgl. §§ 133, 157 BGB). Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen (um eine solche handelt es sich ja hier) ist das Interesse des Adressaten an Sicherheit und Klarheit schutzwürdig. Üblicherweise weiß er gerade nicht, was der Erklärende subjektiv meinen will, sondern muss dies aus dem objektiv Erklärten herleiten. Aus diesem Grund ist die Erklärung so auszulegen, wie sie ein objektiver Empfänger verstehen durfte. Maßgeblich dafür sind alle Umstände, die der Empfänger kannte oder kennen mußte, unter Berücksichtigung des Wortlauts, der Verkehrssitte sowie des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Allein auf den wirklichen Willen nach § 133 BGB kann damit nicht abgestellt werden, ergänzend ist das Verstehendürfen nach Treu und Glauben gemäß § 157 BGB zu beachten.
Ein sog. Dissens (d.h. keine Einigung – § 155 BGB) läge nur dann vor, wenn die Willenserklärungen in unlösbarem (!) Widerspruch stehende Regelungen enthalten würden, wenn sich also auch bei der Auslegung keine Übereinstimmung zeigen würde.
Hier versteht die Ladeninhaberin den Zielort aufgrund des Dialekts offensichtlich als Bordeaux. Ergänzend kommt hinzu, dass sich dieses Missverständnis durch die Erläuterung des Flugweges VOR Vertragsschluss noch verstärkt, so dass sie damit noch deutlicher davon ausgehen konnte, dass tatsächlich Bordeaux der Zielort sein sollte. Andererseits ist aber davon auszugehen, dass sie den Dialekt der Kundin bemerkt hatte und deshalb zumindest hinterfragen musste, ob tatsächlich Bordeaux gemeint war und nicht Porto. Hätte sie den tatsächlichen Willen erkannt, so wäre sie nicht schutzbedürftig und müsse sich an dem Gewollten festhalten lassen (BGHZ 20, 109; BGHZ 71, 243). Hierfür sind aber im konkreten Fall keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Dennoch sprechen die Fakten im Zusammenspiel dafür, dass die Willenserklärung als Reise nach Bordeaux aufgefasst werden konnte.
Diese wurde auch angenommen. Demzufolge liegen zwei übereinstimmende Willenserklärungen bzgl. einer Reise nach Bordeaux vor, sodass ein Vertrag wirksam zustande gekommen ist.
II. Mögliche Anfechtung
Offensichtlich nicht erhoben wurde die Einrede der Anfechtung. Diese dient ja gerade dazu, die Diskrepanz zwischen Wille und Erklärung aufzulösen und den Erklärenden nicht mehr an dem nicht Gewollten festzuhalten. Zu beachten ist dabei nur der Schadensersatzanspruch des Vertrauensschadens nach § 122 BGB.
Hier liegt letztendlich ein Fall des Verlautbarungsirrtums als Unterfall des Inhaltsirrtums vor. Der Erklärende weiß, was er sagt, nämlich „Bordö“, weiß aber nicht, was er damit sagt: „Bordeaux“. Aus diesem Grund ist eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 Var. 1 BGB möglich. Wäre diese unmittelbar nach Vertragsschluss erfolgt, wäre auch ein Vertrauensschaden nach § 122 BGB zu verneinen, schließlich ist der Vertragspartner so zu stellen „als hätte er den Anfechtenden nie getroffen“. Allenfalls kleinere Reservierungskosten wären zu zahlen.
Wäre die Anfechtung erst am Flughafen passiert- die Frist nach § 121 Abs. 1 S. 1 BGB wäre hier gewahrt, wenn erst dann Kenntniserlangung vom Irrtum vorlag- so wäre der Vertrauensschaden hingegen deutlich höher. Dies zumindest dann, wenn alle Tickets ausverkauft waren. Ansonsten wäre auch hier ein Schaden noch zu verneinen.
III. Fazit
Ein sehr lustiger Fall, der das Zeug zum Klassiker hat. Die spannendsten Fälle schreibt meistens doch das Leben. Zu dem Haakjöringsköd-Fall könnte mit dem Porto/Bordeaux-Fall damit in Zukunft ein weiteres Highlight hinzutreten.
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